Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 25.03.2004

Untertitel: Ein Jahr nach seiner ersten Regierungserklärung zur Agenda 2010 hat Bundeskanzler Gerhard Schröder am 25. März 2004 eine Bilanz gezogen und auch Ausblick gegeben:
Anrede: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/99/646499/multi.htm


vorläufige stenografische Mitschrift des Deutschen Bundestages -

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

Vor einem Jahr habe ich hier dem Deutschen Bundestag die Agenda 2010 vorgestellt. Mit ihr verfolgen wir ein klares Ziel: Deutschland zu neuer Stärke führen.

Mit dieser Politik kommen wir unserer Verantwortung nach, Deutschlands Zukunft nicht nur außenpolitisch zu sichern, sondern unsere Gesellschaft auch ökonomisch und sozial zu erneuern, damit Deutschland unter völlig veränderten Bedingungen ein Land des Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit bleibt, ein Land, das für eine Kultur der Zuversicht und des Fortschritts im Sinne praktizierter Vernunft steht, ein Land, das modern ist, weil es alle Quellen des Wissens erschließt und sie in einer offenen Gesellschaft allen zugänglich macht, ein Land, das aus diesen Gründen einen Platz in der Weltspitze einnimmt, nicht weil wir ein Recht auf diesen Platz hätten oder weil wir andere dominieren wollten, sondern weil es gerade durch die Praxis von Verantwortung und Erneuerung zur Weltspitze gehört. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Heute steht Deutschland auf diesem Weg bereits um einiges besser da als noch vor zwölf Monaten. Widerspruch bei der CDU / CSU und der FDP )

Die wirtschaftliche Stagnation der vergangenen drei Jahre ist überwunden, Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

die Investitionstätigkeit zieht wieder an, Auftragseingänge und Produktion der Industrie weisen aufwärts. Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr zum ersten Mal seit drei Jahren wieder wachsen. Im vergangenen Jahr hat die deutsche Exportwirtschaft so viele Waren und Dienstleistungen abgesetzt wie kein anderes Land der Welt. Der Rückgang der Erwerbstätigkeit kommt allmählich zum Stillstand.

Das sind ermutigende Erfolge, auf denen wir aufbauen können. Sie zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber es ist nichts, worauf wir uns ausruhen könnten.

Was mich allerdings noch mehr ermutigt und was ich wichtig finde, ist die Tatsache, dass wir in diesem einen Jahr gewiss unter Schwierigkeiten, aber doch gezeigt haben: Wir Deutschen sind fähig und bereit, unser Land zu reformieren und den Egoismus zu überwinden - den Egoismus der Einzelnen, aber vor allem den Egoismus der Interessengruppen.

Vor einigen Wochen schrieb die "New York Times", die Deutschen hätten in der Reformdiskussion die Chance, sich darauf zu besinnen, dass sie nicht die Fähigkeit verloren hätten, hart zu arbeiten, Neues hervorzubringen und Opfer auf sich zu nehmen. Genau damit hätten sie das Wirtschaftswunder hervorgebracht. - Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können heute allen Schwierigkeiten und allen Problemen zum Trotz sagen: Wir Deutschen sind jetzt im Begriff, diese Chance, uns auf unsere eigenen Stärken zu besinnen, auch zu nutzen. Wir haben bewiesen, dass wir bereit sind zur Wahrheit und zur Lösung von Problemen, auch wenn sie schmerzhaft und auch wenn sie kompliziert sind. Wir haben damit die Blockierer und die Schwarzmaler widerlegt. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Aus meinen vielen, gelegentlich sehr kontroversen Gesprächen über den zweifellos schwierigen Umbau unseres Sozialstaates ist mir eine Begegnung besonders in Erinnerung geblieben. Es war eine Rentnerin aus Bocholt, die am Ende einer solchen Diskussion aufstand und sagte: Ich und viele, die in ähnlicher Lage sind wie ich, sehen ja ein, dass auch wir etwas beitragen müssen. Aber es ist nicht immer einfach für uns. Deshalb würden wir uns wünschen, dass die Politik und die Gesellschaft uns auch einmal ihre Anerkennung aussprechen. Noch wichtiger ist es, dass sie uns klar machen: Was wir jetzt beitragen, lohnt sich, weil unsere Kinder und unsere Enkelkinder etwas davon haben werden.

Mich hat das sehr beeindruckt. Ich finde, darüber sollte man in diesem Land nachdenken. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Es ist gewiss so, dass die heutige Rentnergeneration unser Land zur Stärke geführt hat. Diese Generation hat das Land wieder aufgebaut, als es in Trümmern lag. Diese Generation weiß, was Entbehrungen bedeuten. Wir wissen, dass für viele dieser heutigen Rentnerinnen und Rentner 10 oder 20 Euro weniger im Monat sehr wohl einen Unterschied in der Lebensqualität ausmachen. Deshalb ist mir keine Entscheidung zur Agenda 2010 so schwer gefallen wie die, auch Rentnerinnen und Rentner stärker zu belasten. Widerspruch bei der CDU / CSU )

Ich weiß, was diese Rentnergeneration für das Gemeinwohl zu leisten bereit ist, und viele in unserem Land - vor allen Dingen diejenigen, denen es sehr gut geht - sollten sich ein Beispiel daran nehmen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Diesen Menschen versprechen wir: Eine Politik des bloßen Umverteilens von unten nach oben wird es mit uns nicht geben. Umverteilen aber müssen wir, und zwar vom Gestern und Heute ins Morgen, in die Zukunft unserer Kinder und unserer Enkel. Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Was ich dieser Generation, zumal dieser Rentnergeneration, gerne sagen würde, ist: Was wir zusammen begonnen haben, wird sich auszahlen: in Zukunftschancen, in Freiheit und Wohlstand für unsere Kinder und für deren Kinder.

Wir haben in dem zurückliegenden Jahr viel geschafft. Wir haben sehr viele Probleme, deren Bewältigung wir alle zusammen auf die lange Bank geschoben hatten und die über Jahrzehnte hinweg nicht gelöst worden waren, auf einmal angehen müssen. Das war nicht leicht und es ist nicht ohne Reibungsverluste verlaufen - ich weiß wahrlich, worüber ich in diesem Zusammenhang rede - , übrigens auch nicht ohne Fehler im Detail.

Klar ist allerdings auch: Wir sind noch längst nicht am Ende unseres Weges. Aber die wichtigste Zwischenbilanz, die wir heute ziehen können, lässt sich sehen: Wir haben uns und anderen bewiesen, dass auch in schwierigen Zeiten und in oft mühseligen und langwierigen VerfahrenVeränderungen für das Gemeinwohl möglich und machbar sind. Wir haben gesehen: Wenn die politische Führung den Mut zur Veränderung aufbringt, dann besteht die Chance, dass wir auch die Bereitschaft der Menschen finden, solche Veränderungen mitzutragen. Notwendig - im wahrsten Sinne dieses Wortes - ist das für unser Land. Wir haben erkannt - diese Erkenntnis wächst in unserer Gesellschaft - , dass Veränderungen auch dann sein müssen, wenn sie im Einzelfall schmerzhaft sind, übrigens so schmerzhaft, wie es auch die diesen Veränderungen zugrunde liegende Wirklichkeit gelegentlich ist. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir wissen heute sehr viel genauer, mit welchen Blockaden wir es auf unserem Weg zur Erneuerung zu tun haben. Friedrich Merz ( CDU / CSU ) : Da hinten sitzen sie! )

Wir haben begonnen, eine Verständigung über den notwendigen Weg zu erreichen. Es geht um eine Verständigung darüber, was dieses Land nach innen und nach außen sein will und sein wird: eine treibende Kraft der europäischen Integration, ein selbstbewusstes, aber nie überhebliches Mitglied der Völkerfamilie, ein wichtiger Partner im Kampf gegen Terrorismus und Gewalt, aber eben auch ein Anwalt für eine gerechte, weil kooperative Weltordnung. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Im Innern will und wird es ein Land sein, das seiner Kraft vertraut, der Kraft, die nach bitteren Erfahrungen von Diktatur, Krieg und Zerstörung Wiederaufbau und neuen Wohlstand geschaffen hat, ein Land, das diese Kraft in der Erneuerung wiedergewinnt und dabei den Egoismus überwindet, vor allem ein Land, das auch in der Veränderung eine soziale Gesellschaft bleiben will und bleiben wird, weil gerade das ein Teil unserer Kraft ist. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Ich weiß sehr wohl: Die Idee von der sozialen Gesellschaft hat heute eine Menge Gegner. In der Rechnung derjenigen, die predigen, dass in der Globalisierung nur ein ungezügelter Marktliberalismus konkurrenzfähig sei, zerfällt jede Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Ich denke aber auch an diejenigen, die den Sozialstaat alter Prägung um jeden Preis verteidigen wollen, die den Sozialstaat mit einem Sozialhilfestaat verwechseln und jede Reform als Angriff auf die Gerechtigkeit bekämpfen. Beide liegen falsch. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Deutschlands Weg zu neuer Stärke führt allein über die Verteidigung der sozialen Gesellschaft. Das setzen wir all denen entgegen, die Reformen nur als Verzicht begreifen, aber auch denjenigen, die immer nur Verzicht predigen, dabei aber ausschließlich an andere denken. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Bei der Besinnung auf unsere Stärken gibt es auch eine Rückbesinnung auf unsere Tugenden: Erfindergeist und Fleiß, Kreativität, auch Leistungsbereitschaft und auch die Tugend der Anständigkeit. In der öffentlichen Diskussion hat man das häufig "die deutschen Arbeitnehmertugenden" genannt. Das ist aber falsch. Es müssen auch Arbeitgebertugenden sein. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir können den Menschen sehr wohl verständlich machen, dass staatliche Mittel, die wir für Zukunftsinvestitionen brauchen, nur dort eingespart werden können, wo sie bislang ausgegeben worden sind: bei den Subventionen und auch in den Sozialhaushalten. Michael Glos ( CDU / CSU ) : Genial! )

Wir können ihnen genauso gut verständlich machen, dass schärfere Regeln bei der Arbeitsaufnahme sein müssen, weil es in einer sozialen Gesellschaft nicht sein darf, dass jemand, der die Annahme einer zumutbaren Arbeit verweigert, besser dasteht als jemand, der sich abmüht. Aber auch mein Verständnis endet dort, wo diejenigen, die wenig oder durchschnittlich verdienen, selbstverständlich Opfer für die Zukunft bringen, während sich einige Hundert Spitzenverdiener ungeniert Pensionsansprüche und Abfindungen in Millionenhöhe genehmigen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Dieses Verhalten mag sogar nach Recht und Gesetz sein. Aber es ist nicht nach Moral und Anstand. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Auch in Zeiten der Globalisierung ist die Sozialbindung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz steht, keineswegs hinfällig geworden. Wir haben den Umbau des Sozialstaates begonnen, und zwar mit dem Ziel, dass er auch in Zukunft denjenigen hilft, die sich nicht selber helfen können. Aber wir werden den umgebauten Sozialstaat viel besser als bisher nutzen, weil wir in Deutschland auf dieser Basis eine dynamische und wettbewerbsfähige Gesellschaft weiterentwickeln, die aber auch eine Gesellschaft des sozialen Zusammenhalts, der Freiheit, der Sicherheit und der Teilhabe sein wird. Deswegen werden wir die Mitbestimmung nicht kaputtmachen lassen, sondern weiterentwickeln. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Das sind die Themen der Zukunft: Innovationen, neue Patente, neue Verfahren und neue Märkte. Wir wollen Wachstum durch Modernisierung. Aber vor allem wollen wir Innovation für unsere Kinder bei Bildung, Forschung und Betreuung; denn das bringt Zukunftschancen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Zwei Dinge sind es, die beim Aussprechen dessen, was ist, immer am Anfang stehen müssen. Erstens. Wir leben und arbeiten in einer offenen Volkswirtschaft, die sich Tag für Tag dem internationalen Wettbewerb zu stellen hat, und zwar zu Bedingungen, unter denen die Freiheit, Kapital global anzulegen oder zu investieren, ungleich größer ist als die Sicherheit eines Facharbeiters, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Zu behaupten, ein Land, das so stark von Außenwirtschaftsbeziehungen abhängig ist wie Deutschland, könne sich gleichsam von der Globalisierung abkoppeln, wäre grob fahrlässig. Aber zu fordern, dass wir deswegen alle Errungenschaften der Teilhabe, der Sozialverträglichkeit und des Schutzes der Lebensgrundlagen über Bord werfen sollten, wäre wiederum ein Anschlag auf all das, was uns stark gemacht hat und stark erhält. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Die zweite Entwicklungslinie, mit der wir es zu tun haben, ist: Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Immer weniger Beschäftigte müssen für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen. Zuruf von der CDU / CSU: Das ist nicht neu! ) Auch wenn das nicht neu ist, muss es immer wieder einmal gesagt werden, damit Sie es ebenfalls verstehen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Mir liegt daran, dass das bei uns im Land noch deutlicher wird.

1960 haben zehn Beschäftigte die Altersversorgung von einem Rentner bezahlt. Deswegen waren die Beiträge relativ niedrig. Bis heute sind die Beiträge deutlich gestiegen, weil nur noch drei bis vier Beschäftigte für einen Rentner aufkommen müssen. Bei ungebremster Entwicklung werden es 2030 nur noch zwei Beschäftigte sein, die für einen Rentner aufkommen müssen.

Seit den 60er-Jahren sind in Deutschland sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Geburtenrate ständig rückläufig. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Wenn die Bevölkerung schrumpft - das ist nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein Problem, das alle europäischen Länder haben; alle diejenigen, die es zu lösen versuchen, haben damit ähnliche Schwierigkeiten wie, zugestandenermaßen, wir auch - , geraten nicht nur die sozialen Sicherungssysteme bei uns und in ganz Europa immer stärker unter Druck, sondern es wird auch immer schwieriger, den Wohlstand zu erwirtschaften, der unseren Sozialstaat überhaupt erst ermöglicht.

Gewiss, eine Bevölkerungspolitik, wie gerade wir in Deutschland sie in zwei Diktaturen erlebt haben - ich nenne nur die Stichworte;"Mutterkreuz" hieß es bei den Nazis und "Abkindern" in der früheren DDR - , ist das Gegenteil von einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Aber wir müssen aufpassen, dass unser Wunsch nach Freiheit uns nicht die Freude am Leben mit Kindern verdirbt. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wer sich für ein Leben mit Kindern entscheidet, trifft damit immer eine Entscheidung, die über das eigene Leben und die eigenen Interessen hinausweist. Diese Entscheidung kann der Staat niemandem abnehmen. Aber dafür sorgen, dass die gesellschaftlichen Bedingungen stimmen, für die Eltern, aber noch mehr für die Kinder, das muss ein moderner Sozialstaat leisten. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Globalisierung und demographische Entwicklung lassen uns keine Alternative dazu, unseren Sozialstaat und die Marktwirtschaft zu reformieren. Es gibt natürlich Reformalternativen - die mag im demokratischen Wettstreit jeder selbst beurteilen - , aber es gibt keine Alternative zur Reform. Der Weg, den die Bundesregierung vorschlägt, ist klar umrissen. Es ist der Weg der ökologischen Modernisierung und der Weg der gesellschaftlichen Erneuerung. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Die Agenda 2010 ist eben kein bloßes Sparprogramm. Sie ist ein Programm, bei dem Geld eingespart wird und werden muss - das ist wahr - , aber es wird eingespart, um es im Sinne eines besseren Lebens verfügbar zu machen, also in die Zukunft zu investieren. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Die Agenda 2010 ist eine Antwort darauf, dass die Zeit der immer währenden Zuwächse der Wirtschaft, in der immer mehr an die Menschen im Land verteilt werden kann, vorüber ist. Das bloße Verteilen von Mitteln war auch nie der wirkliche Inhalt des Sozialstaates. Beifall bei Abgeordneten der SPD )

Wir geben pro Kopf der Bevölkerung mehr Geld für die Gesundheitsvorsorge aus als fast alle anderen Staaten der Welt. Trotzdem sind wir nicht gesünder. Unsere Aufwendungen für familienpolitische Leistungen sind, materiell gesehen, höher als in fast allen anderen Staaten der Welt. Trotzdem gibt es bei uns nicht mehr Kinder. Unsere Arbeitslosenversicherung und die Mittel zur Arbeitsförderung sind in der ganzen Welt wirklich einmalig. Trotzdem ist es in unserem Land seit mehr als 30 Jahren nicht gelungen, jedem, der arbeiten will und kann, einen Arbeitsplatz zu besorgen. Deswegen war und bleibt es richtig, immer wieder neu zu überprüfen, ob die gewaltigen Summen, die wir für die gewünschten Zwecke aufwenden, auch tatsächlich effizient genug eingesetzt werden. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Die Maßnahmen, die wir zum Teil gemeinsam beschlossen haben, zeigen erste Erfolge. Im Gesundheitswesen, bei Arztbesuchen und Überweisungen, aber auch bei Medikamenten und beim Aufbau und Ausbau von Gesundheitszentren, kommen wir zu strukturellen Verbesserungen. Auf diese Weise können Milliarden Euro eingespart werden. Aber der strukturelle Erfolg ist um ein Vielfaches wichtiger, denn Gesundheit beginnt bei der Vorsorge. Das heißt, jeder Einzelne steht für sich in der Verantwortung.

Gesundheit heißt aber auch Fürsorge. Alle Beteiligten, von der Pharmaindustrie über die Apotheker, die Ärzte und die Krankenkassen wissen inzwischen, dass wir von unseren Grundsätzen nicht zurückweichen werden. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Es bleibt dabei: Jeder und jedem muss das medizinisch Notwendige zur Verfügung stehen; aber Selbstbedienung bei den Gesundheitskassen lassen wir nicht zu, weder bei Herstellern und Verkäufern von Medikamenten noch bei Ärzten und Apothekern, aber auch nicht bei Patienten. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Bei der Rente haben wir die notwendigen Maßnahmen schon vor der Agenda 2010 eingeleitet, indem wir dafür gesorgt haben, dass sich auch diejenigen eine eigene Zusatzversorgung aufbauen können, die es aus eigenen Mitteln allein nicht schaffen würden. Regelungen, die zu umständlich sind, weil der Sicherheitsaspekt zu sehr in den Vordergrund gerückt wurde, werden wir ändern. Wir haben - die Debatten darüber waren gewiss kontrovers und für den einen oder anderen auch schmerzlich - einen Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Lachen bei Abgeordneten der FDP )

Das musste sein, damit die Altersversorgung für die Rentner sicherer wird und für die aktiv Beschäftigten bezahlbar bleibt.

In der Steuerpolitik haben wir Impulse für Investitionen und Gerechtigkeit ausgelöst. Zu Jahresbeginn haben wir Arbeitnehmer und Unternehmen um insgesamt 15 Milliarden Euro entlastet. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Lassen Sie mich übrigens auch das einmal deutlich machen: Bei unserem Regierungsantritt 1998 lagen der Eingangsteuersatz bei 25,9 Prozent und der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Nach der letzten Stufe zu Beginn des nächsten Jahres werden sie 15 bzw. 42 Prozent erreichen. Das sind die niedrigsten Werte seit Bestehen der Bundesrepublik. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Ich füge hinzu: Wer noch mehr will, sollte ganz klar sagen, wie er es bezahlen will. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir setzen diese Politik mit einer Reform der Besteuerung der Alterseinkünfte fort, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt hat. Die so genannte nachgelagerte Rentenbesteuerung wird dazu führen, dass die Beiträge zur Altersvorsorge von der Steuer abgesetzt werden können. Weil in dieser Debatte so viel Schindluder getrieben wird, lassen Sie mich sagen, meine Damen und Herren: Dazu ist erstens die Regierung und die sie tragende Mehrheit durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezwungen - sie steht dafür in der Pflicht - und zweitens wird es in den Jahren 2005 bis 2010 zu einer Steuerentlastung von insgesamt 15 Milliarden Euro führen.

Es ist wahr, ich hätte mir durchaus vorstellen können, bei der Steuerreform schneller voranzugehen. Aber auch hier muss man in Erinnerung rufen, auch wenn Weihnachten schon etwas länger her ist: Mehr an Entlastung war mit der Opposition, die in der Länderkammer eine Mehrheit hat, nicht zu machen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Meine Damen und Herren, wir haben ja in dieser Debatte wunderbare Erfahrungen gemacht. Als wir gesagt haben, lasst uns doch dafür sorgen, dass der ganze Entlastungsbetrag, also 22 Milliarden Euro, auf einmal Anfang 2004 wirksam wird, da ist uns gesagt worden - es waren ja alle dabei - : Das geht nicht, das halten die Länderhaushalte nicht aus. Ein paar Tage später kamen dann Pläne derer, die vorher sagten, es gehe nicht, auf den Tisch, die ein mehr als doppelt so hohes Entlastungsvolumen forderten. Das ist unseriöse Politik. Das kann man so nicht machen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Ich hatte gesagt, dass es keine Alternative zu Reformen gibt. Aber es gibt sehr wohl Alternativen bei den Reformen. Die Ungerechtigkeiten, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU / CSU und der FDP, mit Ihren verschiedenen Modellen planen, müssen einmal deutlich ausgesprochen werden. Zugleich müssen wir sagen: Wir machen das nicht. Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Sie wollen zum Beispiel Spitzenverdiener steuerlich doppelt so stark entlasten wie Geringverdiener. Darüber hinaus sollen Menschen mit geringen Einkommen die hohen Kopfprämien zahlen, die Sie als Ihr Konzept einer Gesundheitsreform verkaufen.

Wir dagegen haben ein anderes Konzept: Wir senken die Steuern auf Arbeitseinkommen. Wir wollen, dass Kapital, das für Zinsgewinne angelegt wird, effektiv besteuert wird, weil die Arbeitskosten auch dadurch gesenkt werden können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Die Arbeitnehmer und die Investoren können sich darauf verlassen: In Deutschland werden weniger Steuern gezahlt als in vielen Vergleichsländern, auch in vielen Vergleichsländern der jetzigen Europäischen Union. Die Beiträge zur Rente, also die Lohnzusatzkosten, sind eindeutig festgeschrieben und ich bin sicher, dass die Beiträge zur Krankenversicherung noch im Laufe dieses Jahres weiter sinken werden. Das, meine Damen und Herren, sind die hier und heute messbaren Erfolge der Agenda 2010. ( Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Aber es gilt auch - das haben wir uns zum Ziel gesetzt - , Deutschland als Sozialstaat umzubauen und zurück an die Weltspitze zu führen, ökonomisch, ökologisch und sozial. Das ist nicht zuletzt deshalb nötig, um die Ressourcen freizubekommen, die wir brauchen, um in Zukunft zu investieren, Ressourcen, die wir nur verfügbar machen können, wenn wir die Staatsausgaben und die Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme unter Kontrolle halten, und zwar im doppelten Sinne: erstens indem wir dafür sorgen, dass mit diesen Geldern effizient umgegangen wird, und zweitens indem wir bei Subventionen und Sozialausgaben darauf achten, wo sie wirklich nötig und vor allem im Sinne der Zukunftsgestaltung wichtig sind. Öffentliche Güter wie Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, Gesundheit oder auch Kultur sind eben keine Waren, deren Wert sich nach dem Shareholder-Value-Prinzip ermitteln ließe. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Es sind auch keine Waren, die gleichsam von selbst auf dem Markt erscheinen. Gleichwohl haben die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf, dass ihnen diese Güter erhalten bleiben und, wo immer nötig und möglich, weiterentwickelt werden. Das gilt in allererster Linie für die Bildung und die Betreuung unserer Kinder. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Bildung und Betreuungmüssen für eine Gesellschaft, die über den Eigennutz hinausdenkt, von zentraler Bedeutung sein, und zwar aus drei gewichtigen Gründen:

Erstens. Deutschland ist ein Land, das über keine nennenswerten Rohstoffreserven verfügt und dessen Zukunft bestimmt nicht darin liegt, Billiglohnländern bei der Herstellung von Massenware Konkurrenz zu machen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Seine Zukunft liegt auch nicht darin, mit denen, die jetzt neu in die Europäische Union kommen, um immer niedrigere Löhne zu konkurrieren. Das ist nicht die Zukunft unseres Landes, meine sehr verehrten Damen und Herren. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Weil das so ist, können wir es uns schlicht nicht leisten, auch nur eine einzige junge Frau oder einen einzigen jungen Mann nicht seinen Begabungen entsprechend möglichst qualifiziert ausbilden zu lassen und zu beschäftigen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Zweitens. Deutschland ist ein Land mit einer der höchsten Raten an Arbeitsproduktivität. Das hat uns stark gemacht und das muss so bleiben. Aber wir haben bereits heute einen Mangel an Fachkräften in bestimmten Branchen. Dieser Mangel wird sich in den nächsten Jahren drastisch ausweiten. Einer der Gründe dafür ist, dass wir es nicht vermocht haben, in unserem Land genügend Nachwuchs gut zu qualifizieren. Das ist eben nicht allein Aufgabe und Auftrag der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft und - ich sage es sehr konkret - auch der deutschen Wirtschaft. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Die Frage der Qualifikation hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass es gut ausgebildete Frauen gibt, die, obwohl sie gerne arbeiten würden, dies nicht tun können, weil sie keine Betreuungsangebote bekommen. Unser Schul- und Betreuungswesen zwingt sie dazu, sich im Zweifel ausschließlich für die Familie und gegen den Beruf zu entscheiden. Das kann und das darf nicht so bleiben. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, dass eine unserer wesentlichen Wachstumsschwächen darin liegt, dass das Arbeitsvolumen in hoch qualifizierten Berufen zu gering ist. Diese Lücke lässt sich nicht allein - aber sie gehört dazu - durch Zuwanderung schließen, die wir in einem modernen Gesetz, von dem ich hoffe, dass es alsbald zustande kommt, regeln müssen. Sie lässt sich auch nicht durch ständige Mehrarbeit schließen. Das sage ich, obwohl ich weiß, dass sie im Einzelfall sein muss. Sie lässt sich auf Dauer nur schließen, indem wir mehr in die Fähigkeiten unserer Kinder, also der jungen Generation, investieren und indem wir gut ausgebildeten Frauen, die Kinder haben wollen, endlich die Möglichkeit geben, eine Familie zu haben und gleichzeitig arbeiten zu können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Drittens brauchen und wollen wir Kinder - sie sind das Wertvollste, was wir haben - ; denn Fortschritt und technologische Entwicklung kann es nur in einer Gesellschaft geben, die der Neugier und auch der Experimentierlust von Kindern Raum gibt."Kinder" ist also ein anderes Wort für Zukunft und für Zuversicht. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Kinder bereichern unser Leben und sorgen dafür, dass wir nicht stehen bleiben, gleichsam im Eigennutz verstocken.

Aus den Erfahrungen vergleichbarer Länder wissen wir, dass es keinen Königsweg gibt, der von einer bestimmten Politik zu einer größeren Bereitschaft führen würde, sich für Kinder zu entscheiden. Wir wissen auch: Dort, wo es ausreichend Krippenplätze und auch Ganztagsschulen gibt, sind die Geburtenraten höher als bei uns. Wir müssen jedenfalls feststellen, dass Deutschland in dieser Frage längst nicht auf der Höhe der Notwendigkeiten und auch nicht auf der Höhe der Möglichkeiten ist. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir sind nicht dort, wo wir sein sollten, weil einerseits Familienpolitik nie ausschließlich mit Geld und schon gar nicht nach dem Gießkannenprinzip gemacht werden kann und weil andererseits jede Diskussion über Geburtenraten und Erziehung bei uns sofort in ideologische Glaubenskämpfe ausartet. Da wird oftmals in plumpester Demagogie Betreuung mit Verwahrung verwechselt. Als wenn es darum ginge! Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Da wird die Notwendigkeit, dass Kinder schon im Vorschulalter das Lernen lernen, als staatlicher Eingriff in die Hoheit der Eltern verunglimpft.

Schließlich: Lehrer und Pädagogen sind die wichtigsten Vermittler des Wandels. Wir sollten uns darauf konzentrieren, ihre Ausbildung zu verbessern und ihre Fähigkeiten auf die Höhe der Zeit zu bringen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN - Ludwig Stiegler ( SPD ) : Sehr richtig! )

Dabei darf es keinen Streit um Kompetenzen geben. Eine Politik des unbedingten Ja zu Kindern und Familie müssen wir nicht erst im Vermittlungsausschuss - jeder weiß, wie es da zugeht - behandeln. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir werden deshalb unsere Initiative für den Bau von Ganztagsschulen weiterführen. Wir werden dafür sorgen, dass unsere Initiative zum Ausbau der Kinderbetreuung gemeinsam mit den Kommunen und Ländern zum Erfolg führt. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Wir setzen dabei nicht nur auf Einrichtungen, sondern auch auf individuelle Betreuung durch qualifizierte Tagesmütter. Daher wollen wir die wichtige Aufgabe von Tagesmüttern weiter stärken und auch damit das Betreuungsangebot verbreitern. Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN und der FDP )

Meine Damen und Herren, Bildung ist der Schlüssel zu Fortschritt und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Es gibt nur eine Antwort auf die Frage, womit wir in einer globalisierten Ökonomie gutes Geld für gute Arbeit verdienen können: mit Spitzenqualität und Spitzentechnologie. Ohne ein breit gefächertes Verständnis für andere Sprachen und andere Kulturen werden wir unsere offene Gesellschaft nicht weiterentwickeln und sie übrigens auch nicht gegen Extremismus wirklich verteidigen können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Schon daraus wird klar, dass wir die skandalöse Benachteiligung, die Kinder aus unterprivilegierten Familien oder auch aus Migrantenhaushalten in unserem heutigen Schulwesen erfahren, beenden müssen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Das ist übrigens keine Erkenntnis linker oder grüner Systemveränderer, sondern eine Erkenntnis der in dieser Hinsicht ganz unverdächtigen OECD. Wir müssen die Länder und ihre Kultusminister dazu anregen, sich diesen Aufgaben zu stellen. Der Bund wird ihnen dabei entgegenkommen.

Bildung beginnt in der Schule; aber sie endet bekanntlich nicht dort. In der Schule sollen die Kinder mit auf den Weg bekommen, dass lebenslanges Lernen Lust und nicht Last ist. Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Aber wir müssen schon heute eine lernende Gesellschaft sein. Die Berufschancen des Einzelnen und die Marktchancen unserer Volkswirtschaft hängen entscheidend davon ab, wie wir ständig neues Wissen in unsere Arbeit und in die Wirtschaft einbringen.

Für die Älteren bedeutet dies: Wir müssen aufhören, sie aus der Arbeit herauszudrängen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir brauchen ihre Erfahrung und müssen sie immer wieder mit Angeboten zur Auffrischung ihres Wissens begeistern.

Für die Jüngeren geht es um eine gute Berufsausbildung. Noch ist es so, dass uns alle Welt um unser duales Ausbildungssystem beneidet. Aber der Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen bringt dieses hervorragende Modell in größte Gefahr. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Wir wissen: Viele Unternehmen tun sehr viel mehr, als sie müssten. Andere aber meinen, sie könnten und dürften sich der Verpflichtung zur Berufsausbildung entziehen.

Die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit dieses Hohen Hauses wird das nicht zulassen. Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Wir haben nie gesagt, dass eine Ausbildungsumlage dazu da ist, der Wirtschaft das Leben schwer zu machen. Aber wir werden sie brauchen, wenn es zu keiner anderen befriedigenden Lösung kommt. Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Ich kann nur davor warnen: Mit einer Diskussion über die Instrumente darf sich niemand - auch und gerade in der Wirtschaft - aus seiner Verantwortung für die Ausbildung davonschleichen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Was wir heute leisten müssen, ist eine umfassende Innovation. Dafür hat unser Land beste Voraussetzungen. 2003 war Deutschland Exportweltmeister. Bei den internationalen Patenten sind wir weltweit führend. Bei den Schlüsseltechnologien stehen wir hervorragend da. Die Biotechnologie hat in Deutschland einen rasanten Aufstieg erfahren. Inzwischen sind wir hier europaweit Spitze. Viele innovative Unternehmen mit vielen Tausend Beschäftigten sind in diesem Bereich entstanden. Das Gleiche gilt für die Informations- und Kommunikationstechnologie, für die Nanotechnologie, für optische Technologien und für die Energieforschung.

Wir wissen: Der Weg der ökologischen Modernisierung unseres Landes ist richtig. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Denn für uns ist klar: Nur der sparsame Umgang mit allen natürlichen Ressourcen erhält künftigen Generationen Lebensspielräume und Handlungsmöglichkeiten. Das große Werk der Erneuerung kann nicht von der Politik allein geleistet werden. Es ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Deshalb haben wir zusammen mit Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gewerkschaften die Initiative "Partner für Innovation" ins Leben gerufen, um gemeinsam Ideen dafür zu entwickeln, wie wir unser Land in Zukunft an der Spitze halten und - wo immer nötig - nach vorn bringen können. Nächste Woche werden erste konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Startchancen für innovative Unternehmen, für einen leichteren Zugang zu Wagniskapital, zum weiteren Abbau von Bürokratie und zur Umsetzung neuer Ideen in marktfähige Produkte vorliegen.

Deutschland hat fantastische Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker. Auf dieses Talent und die Begeisterung der vielen Menschen, die hier leben, ist Verlass. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Aber wir müssen immer wieder dafür sorgen, dass sie in Deutschland die notwendigen Bedingungen vorfinden, um unsere Zukunft gestalten zu können. Investitionen in Forschung und Entwicklung sind für ein Hochtechnologieland wie das unsere überlebenswichtig. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Wir haben es uns deshalb zum Ziel gesetzt, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen mehr in diese Bereiche investieren. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Diese Mittel können weder im Wege einer Neuverschuldung aufgebracht werden noch können wir darauf warten, dass höhere Wachstumsraten zu mehr Steuereinnahmen führen. Wir können nicht immer nur sagen - in diesem Bereich erst recht nicht - : Es ist kein Geld da. Stattdessen müssen wir sehen, wo Subventionen aus der Vergangenheit in Zukunftsinvestitionen umgeschichtet werden können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Ich mache einen Vorschlag, der nur zusammen mit der Mehrheit der Länderkammer zu realisieren ist. Mein Vorschlag betrifft die Eigenheimzulage. Die Förderung von Wohneigentum durch den Staat war historisch sinnvoll und nützlich. In früheren Jahren musste vor allem für junge Familien dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden. Zudem ging es darum, Eigentum in privater Hand zu bilden und dadurch unsere Städte und Gemeinden für eine wachsende Bevölkerung auszubauen. Dafür haben wir viel Geld ausgegeben und geben es immer noch aus. Diese Voraussetzungen gelten heute aber so nicht mehr. Wir haben in Deutschland keine Wohnungsnot mehr und die Bevölkerungszahl nimmt - unabhängig von dem, was wir jetzt diskutieren - langfristig eher ab als zu.

Aus diesem Grunde ist es sehr viel sinnvoller, das für die Eigenheimzulage verwendete Geld für mehr Innovationen und damit für die Chance auf neue Arbeitsplätze auszugeben. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Das wäre eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und angesichts der Mehrheitsverhältnisse in unserem Land, der Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Kammer bitte ich Sie, mitzuhelfen, dass wir dieses Geld, das wir dort so nicht mehr brauchen, in die Zukunft unseres Landes investieren können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Auf diese Weise könnten der Bund und die Länder bis 2010 insgesamt rund 4 Milliarden Euro sparen. Die Kommunen würden um 700 Millionen Euro entlastet. Der Bund würde seinen Anteil in die Förderung von Forschung und Entwicklung investieren, sodass wir das 3-Prozent-Ziel bis 2010 nach und nach erreichen können. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Von den Ländern würden wir erwarten, dass sie ihren Anteil für Bildungsaufgaben, vor allem für bessere Schulen, verwenden. Die Kommunen könnten mit ihrem Anteil das Betreuungsangebot für Kinder verbessern.

In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Bundesbankpräsidenten Welteke, einen Teil der Goldreserven der Bundesbank zu verkaufen Lachen bei Abgeordneten der CDU / CSU )

und für Bildung und Forschung einzusetzen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN - Michael Glos ( CDU / CSU ) : Das weiß die Bevölkerung richtig zu deuten! )

Mit dem Wettbewerb "Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten" geben wir darüber hinaus einen wichtigen Impuls für die Entwicklung von Spitzenuniversitäten. Wir haben in unsrem Land gute Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wir sind in der Breite sehr stark. Das sollten wir in der internationalen Diskussion wieder einmal mit berechtigtem Stolz deutlich machen. Wir brauchen auch international attraktive Zentren. Nur so werden wir Deutschlands kluge Köpfe hier halten und aus dem Ausland zurückholen können.

Meine Damen und Herren, es sind viele falsche Propheten unterwegs, die uns vermeintlich gute Ratschläge geben, auf welchen Kurs wir Deutschland bringen sollen. Friedrich Merz ( CDU / CSU ) : Einer steht da vorn! ) Ich meinte eigentlich gar nicht ausdrücklich Sie, Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

aber wenn Sie sich diesen Schuh schon anziehen, dann vermutlich deshalb, weil er Ihnen passt. Beifall bei Abgeordneten der SPD )

Wir reden nicht von denen, die nichts verändern wollen. Wer alles so lassen will, wie es ist, wird am Ende nur noch den Mangel verteilen - weil nichts mehr erwirtschaftet würde, was sich verteilen ließe. Das sage ich durchaus dem einen oder anderen unserer Freunde.

Nein, ich meine jene, die uns raten, unsere kooperative Wirtschaftsordnung von Teilhabe und Tarifautonomie, von Mitbestimmung und Mitverantwortung über Bord zu werfen. Sie glauben, dass nur ungezügelter Wirtschaftsliberalismus Innovationen hervorbringt, auf die es im globalen Wettbewerb ankommt.

Ich sage dazu: Wir haben ein erfolgreiches Modell des Wirtschaftens, des Arbeitens und des Zusammenlebens. Es basiert auf dem Zusammenwirken von Staat, Wirtschaft und Arbeitnehmern, die Mitverantwortung tragen und deshalb auch ein Recht auf Mitsprache haben. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Dieses Modell bleibt der Schlüssel für unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit für unsere Zukunft. Nichts wäre verkehrter, als es einzureißen.

Was wir stattdessen brauchen, ist ein neues Verhältnis von Freiheit, Verantwortung und Sicherheit, und zwar in diesem bewährten System und nicht gegen das System. Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Was wir brauchen, ist ein neues Verständnis von Gerechtigkeit. Das sage ich all denjenigen, die über die Gerechtigkeit der Politik der Agenda 2010 so kontrovers und so intensiv diskutieren.

Ein neues Verständnis von Gerechtigkeit heißt: eine Gerechtigkeit, die sich nicht nur auf den Ausgleich zwischen den heute im Berufsleben Stehenden beschränkt, sondern sich über mindestens drei Generationen erstreckt - die Älteren, die unser Land aufgebaut und die Grundlagen für unseren Wohlstand gelegt haben, die heute Aktiven, die mit ihrer Leistung unseren Lebensstandard sichern, und die Generation unserer Kinder und Enkel, die es uns nicht verzeihen würden, wenn wir nicht auch an ihr Wohlergehen dächten. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

In dieser über Generationen hinweg reichenden Verantwortung handeln wir. Das macht den inhaltlichen Sinn der Agenda 2010 aus, der exakt darin besteht, Ressourcen nicht heute zu verzehren, sondern sie auch zu investieren, damit unsere Kinder und deren Kinder Lebenschancen haben und bekommen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Dem entspricht ein Mehr an Verantwortung eines jeden Einzelnen für sich in der jetzigen Generation, aber auch für seine Lebenspartner und seine Familie und nicht zuletzt für das Gemeinwesen. Das ist der Grund, warum das Motto heißt: Egoismus überwinden und neuen Gemeinsinn fördern. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neue Freiheit und neue Verantwortung bedeuten immer auch neue Unsicherheiten. Das gilt in Zeiten des ökonomischen und sozialen Wandels erst recht. Es gilt erst recht in einer Welt neuer Risiken und neuer Bedrohungen, in der Welt, in der wir leben.

Ich war gestern in Madrid und habe dort an dem Staatsakt für die Opfer des niederträchtigen Terroranschlags vom 11. März teilgenommen. Es war eine wichtige Gelegenheit, dem spanischen König, der gewählten Regierung und der Bevölkerung unsere Anteilnahme und unsere Solidarität zuzusichern.

Es war, jedenfalls für mich, auch eine wichtige Gelegenheit, das spanische Volk gegen schlimme Diffamierungen in Schutz zu nehmen, Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN )

Diffamierungen, die auch bei uns veröffentlicht wurden und besagen, die Spanier hätten vor dem Terrorismus Reißaus genommen und sich in eine Be-schwichtigungspolitik geflüchtet.

Meine Damen und Herren, Spaniens jüngere Geschichte gehört zu den stolzesten Erfahrungen Europas. Noch vor 30 Jahren lebten die Spanier unter der Franco-Diktatur. Dass Spanien die Strukturen dieser Diktatur überwinden und zu einer lebendigen Demokratie werden konnte, hat ganz wesentlich mit der europäischen Perspektive und der europäischen Hilfe für die spanischen Demokraten zu tun. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU / CSU und der FDP )

Sie werden verstehen, dass ich an dieser Stelle ganz besonders den früheren Bundeskanzler Willy Brandt hervorhebe. In diesen schweren Stunden hat das spanische Volk wirklich Besseres verdient, als von Außenstehenden verhöhnt zu werden, nur weil es seine demokratische Reife unter Beweis gestellt hat. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt ( FDP ) )

Meine Damen und Herren, das Beispiel Spanien ruft uns in Erinnerung, wie weit wir in Europa vorangeschritten sind. Noch vor drei Jahrzehnten war die Demokratie im westlichen Teil unseres Kontinents keineswegs eine Selbstverständlichkeit. In Osteuropa gab es bis 1989 Diktatur und Unterdrückung, Stacheldraht und Schießbefehl. Am 1. Mai dieses Jahres wird die Europäische Union zehn neue demokratische Staaten in ihre Mitte aufnehmen. Wir - damit meine ich unsere Generation, die Generation derer, die heute, ob in Opposition oder Regierung, politisch handeln - haben heute die große Chance, Europa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zu einigen. Ich denke, das ist eine historisch einmalige Gelegenheit. Wir dürfen und werden sie nicht verstreichen lassen oder im kleinlichen Hader zerreden. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

In diesem Prozess kommt dem deutsch-französischen Verhältnis eine ganz besondere Bedeutung zu. Heute ist der Dialog mit unseren französischen Freunden in allen wichtigen außen- und europapolitischen Fragen so eng wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte. Das zeigt übrigens auch die Einladung Präsident Chiracs zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni, dem so genannten D-Day. Beifall bei Abgeordneten der SPD )

Zum ersten Mal überhaupt nimmt ein deutscher Bundeskanzler - gemeinsam mit den Vertretern der westlichen Siegermächte - an dieser Feier teil. Ich stehe nicht an, zu sagen, dass mich diese Einladung des französischen Präsidenten persönlich sehr berührt hat und dass ich ihm dafür sehr dankbar bin. Ebenso bewegt hat mich die Einladung des polnischen Ministerpräsidenten Leszek Miller zum 60. Jahrestags des Warschauer Aufstands am 1. August dieses Jahres. Meine Damen und Herren, diese Gesten betrachte ich als einen Beweis für das tiefe Vertrauen, das unsere europäischen Freunde Deutschland und damit den Deutschen heute entgegenbringen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Wir werden dieses Vertrauen übrigens nur erhalten können, wenn wir uns immer wieder der Sensibilitäten in unserer gemeinsamen Geschichte bewusst sind und alles, aber auch alles, vermeiden, was in diesen Ländern, die so sehr unter Deutschland gelitten haben, missverstanden werden könnte. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Der eine oder andere in diesem Hohen Hause wird es mir vielleicht nachsehen, wenn ich an dieser Stelle daran erinnere, welche Debatten wir vor etwa einem Jahr geführt haben, als wir miteinander über Sicherheit und über die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung an einem Krieg gestritten haben. Sie werden verstehen, dass ich ganz selbstbewusst sage: Wir waren damals auf dem richtigen Weg und wir sind es auch heute. Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Unser Land - das ist im Übrigen weithin anerkannt - ist vorbildlich engagiert, wenn es darum geht, Frieden und Sicherheit zu schaffen. Wir setzen vor allem auf zivile Mittel, etwa internationale Einsätze deutscher Polizisten. Wir sind aber auch der drittgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen und nicht zuletzt dient diesem Ziel auch unsere Entwicklungspolitik. Und: Wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, sind wir bereit, auch militärische Mittel einzusetzen; mir liegt daran, dass das in einer solchen Debatte klar wird.

Mehr als 7 000 unserer Soldaten helfen heute unter Einsatz ihres Lebens, den Frieden in der Welt zu sichern. Wie notwendig das ist, zeigt uns nicht zuletzt das Wiederaufflammen der Gewalt im Kosovo. Afghanistan hat seit Januar eine neue Verfassung - ein Zeichen der Hoffnung für die Menschen dort und ein Mehr an Sicherheit für die gesamte Region. Wir wollen, dass dieser Stabilisierungsprozess weiter voranschreitet. Deutschland wird deshalb in der nächsten Woche in Berlin Gastgeber der dritten großen Afghanistan-Konferenz sein. Auch das zeigt das große Vertrauen, das Afghanistan, aber auch die gesamte internationale Gemeinschaft uns entgegenbringt.

Wir haben auch ein vitales Interesse an der Stabilisierung des Irak. Das verlangt eine Verbesserung der Sicherheitslage dort. Deshalb beteiligen wir uns - durchaus substanziell - an der Ausbildung irakischer Polizisten. Darüber hinaus wird Deutschland eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Irak übernehmen.

Meine Damen und Herren, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus - gleich, ob islamistisch oder anderweitig religiös oder politisch motiviert - werden wir dauerhaft nur gewinnen, wenn es uns gelingt, den Gewalttätern ihre Basis zu entziehen, und zwar sowohl die finanzielle und logistische als auch die ideologische Basis. Terroristen sind abhängig von Finanzierung, Waffenlieferungen, logistischer Unterstützung. Genauso klar muss aber sein: Terrorismus kann dort am besten gedeihen, wo Menschen aus Wut, aus Verzweiflung oder aus Überzeugung die Gräueltaten der Terroristen unterstützen oder zumindest dulden.

Zur Bekämpfung des Terrorismus sind daher verschiedene Komponenten miteinander zu verbinden. Dabei steht eines im Vordergrund: Alle Maßnahmen - ob polizeilich, nachrichtendienstlich, militärisch oder politisch - müssen viel enger als in der Vergangenheit im europäischen Kontext und darüber hinaus aufeinander abgestimmt sein. Wir müssen in Europa vor allen Dingen durch präventive Maßnahmen für einen besseren Schutz der Menschen sorgen. Dazu gehört eine intensivere Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane in Europa. Heute Abend werden wir im Europäischen Rat verschärfte Maßnahmen zur gemeinsamen Terrorismusbekämpfung beschließen.

Zu einer Politik der Prävention gehört aber auch die Integration der Menschen, die mit anderen kulturellen und religiösen Hintergründen zu uns gekommen sind. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Das ist ein politisches Gebot, damit wir unsere offene Gesellschaft erhalten und weiterentwickeln können. Das ist aber auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft und ebenso ein Gebot der Sicherheit und der Gefahrenabwehr. In diesem Zusammenhang sage ich in aller Deutlichkeit: Terroristische Verschwörer und Personen, von denen eine Gefahr für unsere Sicherheit ausgeht, haben in Deutschland nichts zu suchen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Der Bundesinnenminister hat noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass mögliche Sicherheitslücken im Ausländerrecht, so es sie denn gibt, geschlossen werden müssen und auch geschlossen werden. Das betrifft sowohl die Visumerteilung als auch die Ausweisung und Abschiebung von Ausländern, die eine Gefahr für unsere Sicherheit darstellen. Wenn dies aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist - das sage ich, um missverständlichen Interpretationen zu begegnen - , dann sollten diese Personen obligatorisch besonderen polizeilichen Meldeauflagen und Wohnsitzbeschränkungen unterliegen.

Um der bestehenden Bedrohungslage konsequent zu begegnen und Gefahren für unser Land abzuwehren, wird die Bundesregierung eigene Vorschläge unterbreiten. Regierung und Opposition müssen in diesen wichtigen Fragen der Sicherheit unseres Landes gemeinsam und entschlossen handeln. Niemand sollte versuchen, den anderen in die Defensive zu treiben. Das würde der gemeinsamen Aufgabe nicht gerecht. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Bei all dem, was wir hier tun, muss klar sein: Es gibt keine Bürgerrechte ohne Sicherheit. Es gibt aber auch keine Sicherheit ohne Bürgerrechte. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Gerade im Kampf gegen den Terrorismus muss es heißen: Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Die Abwehr terroristischer Bedrohungen stellt uns vor neue Herausforderungen; das ist wahr. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, Verantwortung zu verwischen, auch nicht zwischen dem Bund und den Ländern. Ich betone deshalb: Innere Sicherheit ist vor allem Sache der Polizei und des Bundesgrenzschutzes. Beifall bei Abgeordneten der SPD )

Nur sie verfügen über die erforderliche Ausbildung und die entsprechende verfassungsrechtliche Legitimation. Natürlich kann die Bundeswehr auch weiterhin zu Amts- und Nothilfe bei schweren Katastrophen und Unglücksfällen im Inland eingesetzt werden. Für den Fall, dass nur die Bundeswehr aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eingreifen kann, etwa bei einem terroristischen Angriff aus der Luft, hat die Bundesregierung, hat der Bundesverteidigungsminister Vorsorge getroffen. Wir haben das Luftsicherheitsgesetz auf den Weg gebracht und dabei die notwendigen Einrichtungen bei der Bundeswehr geschaffen, um solchen terroristischen Gefahren auch begegnen zu können. Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verlassen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Es muss aber auch klar sein - es hilft nicht, darüber hinwegzureden; das unterscheidet uns - : Für polizeiliche Aufgaben sind unsere Soldaten nicht ausgebildet. Die Bundeswehr wird auch in Zukunft nicht zur Hilfspolizei werden. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP )

Kein Land der Welt ist heute in der Lage, die neuen Herausforderungen alleine zu bewältigen. Wir brauchen dafür ein starkes multilaterales System, wir brauchen die Vereinten Nationen. Allerdings müssen die Vereinten Nationen reformiert werden, wenn sie die vor ihnen liegenden Aufgaben lösen wollen. Generalsekretär Kofi Annan hat mit seiner Reforminitiative das richtige Signal gesetzt. Es geht dabei auch um die Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dieser wird seiner Rolle nur gerecht, wenn er repräsentativer zusammengesetzt ist als heute. Deshalb beteiligt sich Deutschland aktiv an der Diskussion und setzt sich für eine Reform zur Erweiterung des Sicherheitsrates ein. Wichtige Staaten des Südens sollten zukünftig einen ständigen Sitz erhalten. Das Gleiche gilt für die Industrieländer, die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wesentlich beitragen. Deutschland ist bereit, als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates Verantwortung zu übernehmen.

Meine Damen und Herren, die vergangenen zwölf Monate haben die Bundesregierung auf vielfältige Weise in ihrer Politik bestätigt. Das ist aber nicht der Grund, warum wir das alles tun. Wir wollen Deutschland vielmehr auf einen zukunftsträchtigen Weg bringen. Vieles, was wir vorgeschlagen und umgesetzt haben, stieß zunächst auf Ablehnung. Dieser Prozess ist - das weiß ich sehr wohl - nicht zu Ende. Das muss man in einer aufgeregten Mediengesellschaft gelegentlich um der Sache willen in Kauf nehmen. Aber aus Ablehnung wird - dessen bin ich mir sicher - mehr und mehr Einsicht in die Notwendigkeit dieser Reformmaßnahmen werden. Und aus Einsicht wird dann mehr und mehr Zustimmung werden. Beifall bei Abgeordneten der SPD )

Die breite politische Debatte, die wir mit den Reformen angestoßen haben, ist nicht so angelegt, dass die eine oder andere Partei gleich ihren unmittelbaren Nutzen daraus ziehen könnte oder sollte. Ich bin davon überzeugt: Diese Debatte um die Notwendigkeit der Veränderung wird unserem Land nutzen; denn wenn sich die Menschen intensiver an der politischen Diskussion beteiligen, dann wird es für die Lobbys und Interessengruppen schwerer, ihre Egoismen im Stillen zu verfolgen und durchzusetzen. Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN )

Es ist wahr: In der Vergangenheit ist vieles, was nötig gewesen wäre, versäumt worden. Niemand sollte sich von der Verantwortung dafür freisprechen; ich tue das jedenfalls nicht. Deshalb müssen die Reformen jetzt durchgeführt werden. Es darf kein Zuwarten geben, weil alles sehr viel schlimmer würde, wenn wir das täten. Heute sage ich: Die Bundesregierung wird deshalb die Notwendigkeit der Maßnahmen immer wieder und immer intensiver erklären und dadurch dafür sorgen, dass das Wort Reform wieder einen guten Klang bekommt, nämlich den Klang von Verantwortung, von Vertrauen und vor allem von Zukunftsorientierung und damit verbundener Zuversicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe meinen Amtseid als Bundeskanzler dafür geleistet, meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, Schaden von ihm zu wenden und seinen Nutzen zu mehren.