Redner(in): Christina Weiss
Datum: 01.04.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss eröffnet das umgebaute Zeughaus Unter den Linden, in dem das Deutsche Historische Museum im nächsten Jahr seine neu gestaltete Dauerausstellung präsentieren wird.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/79/631279/multi.htm


Anreden!

Gern würde ich Sie in diesem wunderschönen Haus, in diesem wahrlich atemberaubenden Schlüterhof mit einer "runden Zahl" - mit einem Jubiläumsfest - begrüßen. Doch es ist weder der Jahrestag der Zeughausweihe noch der Gründungstag des Deutschen Historischen Museums, der uns zusammenkommen lässt. Und es ist auch nicht der zehnte, zwanzigste oder fünfundzwanzigste Neuanfang, den das Zeughaus in seiner 300-jährigen Geschichte wagt.

In der Tat lässt sich kaum mehr rekonstruieren, wie oft dieses Haus seine Funktion wechseln musste, mal Waffenarsenal, mal napoleonischer Pferdestall, mal Kriegs- oder Geschichtsmuseum war.

Ich habe Sie heute Abend eingeladen, um mit Ihnen nicht mehr - aber auch nicht weniger! - zu feiern als das Ende der wohl wichtigsten Umbau- und Rekonstruktionsphase, die dieses Haus erleben durfte. Noch vor der Einweihung der neuen Dauerausstellung im Frühjahr nächsten Jahres erlaubt uns eine gute, alte Berliner Tradition, die pure Schönheit des Hauses zu genießen. Eines Hauses, das wie kein zweites barocken Glanz mit der repräsentativen Kraft der Moderne vereint. Allein dieser Hof mit Schlüters "sterbenden Kriegern" und der filigranen Glashaube von I. M. Pei ist ein Meisterwerk plastischen Gestaltens, das Berlinerinnen und Berliner, aber auch Touristen aus aller Herren Länder in seinen Bann ziehen wird. Er zeigt, welche Pracht mit dem Berliner Schloss und seinem Schlüterhof vernichtet wurde, und wie das Neue aus dem Alten schöpfen kann, wenn sich das eine klug zum anderen fügt.

Wenn der Schlüterhof das Herz des neuen Zeughauses ist, dann sind die angrenzenden vier Flügel, das Zeughaus-Kino und das neue Wechselausstellungsgebäude dennoch weit mehr als nur die Glieder eines großen "Staatsmuseums". Organen gleich nehmen und geben sie dem Herzen Kraft und Energie, damit die in der Architektur gebannte Dialektik auch im Museumsalltag ihren Niederschlag findet.

Als zentraler Veranstaltungsort gibt der Schlüterhof der Dauerausstellung, die unsere gesamte Geschichte mit all ihren Höhepunkten und Abgründen beleuchten will, die Chance, eine historische Debatte zum Nutzen der Gegenwart lebendig zu erhalten. Über eine Art "Nabelschnur" ist der Hof ab heute zudem direkt mit dem "Pei-Bau" verbunden, der sich seit seiner Eröffnung zwar als Publikumsmagnet bewiesen hat, ohne "altes" Zeughaus seine volle Kraft aber nicht entfalten kann. So wie der "Pei-Bau" die in der Geschichte stets stiefmütterlich behandelte Nordfassade des Zeughauses inszeniert, einen vergessenen Winkel quasi zum Blickfang macht, wünsche ich mir auch das Zusammenspiel von Dauerausstellung und wechselnder Präsentation: Substanz und Energie in räumlicher Trennung vereint.

Zeughaus und "Pei-Bau" sind ohne einander nicht zu denken. Sie sind die Laboratorien eines großen Experiments, das viele Ingredienzien vereinen muss, um einen neuen Stoff - einen europäischen Blick auf die deutsche Geschichte in all ihren regionalen Ausprägungen - zu erzeugen. Das Deutsche Historische Museum soll ein offenes Haus werden, das es sich leisten kann, den unterschiedlichsten Anschauungen über den Verlauf und die Ausprägung der deutschen Geschichte Raum zu geben, frei von jeder Einseitigkeit, ohne Vorurteil und ohne Arroganz. Wir wünschen uns weder in der Dauerausstellung noch in den Wechselausstellungen eine Aneinanderreihung von Inkunabeln und Kleinodien, sondern ein lebendiges Museum, das auf dem aktuellen Stand der Forschung und mit den besten museumswissenschaftlichen Erkenntnissen versucht, seinem Sammlungs- und Präsentationsauftrag anschaulich und ansprechend, begeisternd und vertiefend gerecht zu werden.

Auf der Basis der großen Dauerausstellung, die das Zeughaus zwischen 1990 und 1998 zeigte, muss das DHM in die internationale Spitze der Geschichtsmuseen aufsteigen, denn zu unseren größten Schätzen, zu unseren größten Lasten zugleich gehört die 2000-jährige deutsche Geschichte.

ich weiß sehr wohl, dass die Forschungs- und Aufklärungsarbeit, die ich für das Deutsche Historische Museum umriss, nicht leicht zu meistern ist, nicht leicht zu meistern sein darf. Sie erfordert Mut und Einfühlungsvermögen, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein, denn sie muss sich die Vergangenheit vergegenwärtigen, um mit den Mitteln der Gegenwart Dinge zu wagen, die auch der Zukunft dienen. Sie muss der Wissenschaft und dem Publikum genügen; und sie braucht nicht zuletzt ein Quäntchen Glück, um als Herausforderung und nicht als Wagnis - als Zumutung gar -zu gelten.

Das Zeughaus und das Wechselausstellungsgebäude bieten den Experimenten des Deutschen Historischen Museums in ihrer Symbiose aus alt und neu, aus Tradition und Innovation, aus Geschlossenheit und Freiheit die besten Möglichkeiten. Die Gebäude sollten ihnen zugleich das schönste Vorbild sein!

Mit dieser Hoffnung - mit diesem Wunsch - eröffne ich das neue alte Zeughaus!

Vielen Dank!