Redner(in): Christina Weiss
Datum: 26.04.2004
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss leitet gemeinsam mit Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, den zweiten Kongress "Musik als Wirtschaft" in Berlin inhaltlich ein.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/44/642544/multi.htm
der Ruf der Musikwirtschaft ist seit etwa vier Jahren mit schlechten Schlagzeilen beleumundet. In letzter Zeit registrieren wir vor allem Meldungen über anschwellende Umsatzverluste bei Tonträgerherstellern und über inzwischen massiven Stellenabbau in der Branche. So ist es jedenfalls nicht verwunderlich, dass man in diesen Wochen zuhauf Kongresse und Tagungen erleben kann, die sich im engeren Sinne mit der "Zukunft der Musikwirtschaft" befassen, denn diese und nichts anderes steht in der Tat auf dem Spiel.
Ich möchte Ihnen zunächst danken, dass Sie zu diesem zweiten Kongress "Musik als Wirtschaft" gekommen sind. Hier in Berlin steht naturgemäß das Verhältnis der Bundespolitik zur Musikwirtschaft anschaulicher im Blickpunkt als in anderen Städten. Es wird Gelegenheit zum Gedankenaustausch zwischen Politikern, Vertretern von Parteien, Verbänden, der Bundesregierung und eben Vertretern einer Branche geben, die - um es auf den Punkt zu bringen - von der Verwertung musikalischer Kreativität lebt.
Es ist eine Branche, die weit mehr umfasst, als die großen und kleinen Tonträgerfirmen, denen bislang viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Mir liegt sehr am Herzen, zuerst die Künstlerinnen und Künstler selbst zu erwähnen, von denen man einige regelrecht als "Ich-AG" bezeichnen könnte. Wie sind ihre Schaffensbedingungen? Wer entdeckt ihr künstlerisches Potential, das ja auch ein wirtschaftliches sein soll? Wer betreut und "promotet" sie? Wer gibt ihnen Auftrittsmöglichkeiten, verlegt ihre Werke oder bringt sie in die Medien? Frei nach Brechts "Fragen eines Arbeiters" könnte ich noch fortfahren, um am Ende auch wieder bei den Künstlern, den Autoren, den Urhebern zu landen, und der Frage: welcher Anteil an der Verwertung ihrer Werke verbleibt bei ihnen?
Obwohl die Verwertungskette nur, wirklich nur von der Kreativität der Künstler abhängt, ist sie an manchen Stellen gefährlich dünn und brüchig geworden. Wenn zu erfahren ist, dass Majorfirmen den Anteil ihrer nationalen Künstler erheblich verkleinern und sich von Sparten wie Klassik oder Jazz gänzlich trennen wollen, dann ist das ohne Zweifel für die Betroffenen ein dramatisches Zeichen, ein Signal des Abbruchs. Andererseits verschwindet damit ja nicht das kreative Potential, sondern gibt anderen Firmen die Chance, in die Verwertung einzusteigen.
Der Prozess von Firmenfusionen und Insolvenzen, den wir heute erleben, ist nicht neu. Die anhaltenden Absatzeinbrüche der Tonträgerwirtschaft kennen wir, seit in den zwanziger Jahren das Radio aufkam. Damals wie heute war es eine technische Revolution, die herkömmliche Geschäftsmodelle, insbesondere die Vertriebswege von Musik vergeblich werden ließ. Und heute wie damals wird der Weg aus der Krise auch nur darüber führen, die technische Innovation zu integrieren, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Wobei ich nicht betonen muss, dass die Innovationen im Missbrauch von Innovation, z. B. in der Verletzung der Urheberrechte, natürlich bekämpft werden müssen.
Schon stehen Andere bereit, den Vertrieb von Musik zu übernehmen. Netzbetreiber prognostizieren bereits, dass die Musikwirtschaft im Jahr 2006 30 Prozent ihrer Umsätze über den Mobilfunk erwirtschaften wird. Man mag das finden wie man will, ( gerade wenn man daran denkt, wie leicht es Kindern und Jugendlichen gemacht wird, sich mit dem Handy zu verschulden ) , aber auch auf diese Weise gelangt Musik zum Verbraucher. Die technischen Voraussetzungen von UMTS lassen hinsichtlich der Echtzeitübertragung von Musik und deren Aufzeichnung noch ganz andere Nutzungsmöglichkeiten erahnen.
Um solche Visionen sollte es auch auf diesem Kongress gehen - nicht nur für die Tonträgerhersteller. Denn ohne Visionen wird es keine Entwicklung geben. Reichen unsere Antworten z. B. auf das Problem der massenhaften Kopien von Noten? Welche Folgen wird UMTS für den Rundfunk haben? Wie verändert sich die Clubszene angesichts demographischer Verschiebungen? Und bei allen Themen wird zu fragen sein: Reichen die Rahmenbedingungen aus, die der Staat setzt? Wo stehen ínnovativen Lösungen Hindernisse entgegen? Welche Veränderungen sind notwendig?
Die Bundesregierung hat sich den Rahmenbedingungen der Musikwirtschaft in den letzten Jahren stärker als zuvor angenommen und einige wichtige Korrekturen durchgesetzt. Ich erinnere nur, dass es gelungen ist, die von der Vorgängerregierung eingeführte "Ausländersteuer" für Künstlerinnen und Künstler zu verändern. Erinnert werden soll auch an die Umsetzung der EU-Richtlinie zum "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft" in nationales Recht. Die Gesetzesnovelle hat - zugegeben - lange gebraucht, aber sie wird inzwischen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen, was ich als wertvoll empfinde. Wie Sie wissen, hat im vergangenen Herbst die Arbeit an dem so genannten "Korb 2" begonnen, in dem es u. a. um die Frage geht, ob das immerhin aus dem Jahr 1965 stammende Konzept der Legalisierung der Privatkopie um den Preis der Geräte- und der Leermittelabgabe im Zeitalter der Digitalisierung beibehalten werden soll. Auch hier gilt es, einen Ausgleich zwischen geistigem Eigentum, Verbraucherschutz und der Informationsfreiheit zu suchen.
Für das Urheberrecht ist zwar das Bundesjustizministerium federführend, aber es ist absehbar, dass dieses Recht Auswirkungen auf das musikalische Leben und die Entwicklung der Musikwirtschaft zeitigen wird. Auch deshalb bin ich neugierig, welche Anregungen und auch welche Kritiken wir auf diesem Kongress zu hören bekommen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle zu, dass ich mich innerhalb der Bundesregierung weiterhin für die Belange der Branche einsetzen werde. Ein glückliches Ergebnis kooperativer Zusammenarbeit zwischen Musikwirtschaft und Bundesregierung ist das im Dezember letzten Jahres gegründete Musikexportbüro "GermanSounds". Obwohl es erst seit kurzer Zeit existiert, lässt sich registrieren, dass in der deutschen Musik ein ungeheures Potential steckt. Allein durch eine noch bessere Vernetzung der bestehenden Strukturen und Einrichtungen kann es gelingen, der Verbreitung der Musik im Ausland den Weg zu bahnen.
Ich will nicht auf die Diskussion um eine Rundfunkquote eingehen, bin aber der Ansicht, dass durch ein Aufeinanderzugehen, durch eine Kooperation zwischen Musikproduzenten und dem Rundfunk beide Seiten gewinnen werden. Denn für die Zukunft der Musik ist doch entscheidend, dass ein gesellschaftliches Klima herrscht, in dem immer wieder neue Kunst entstehen kann und Verbreitung findet - so auch in der Musik. Junge Menschen müssen immer wieder eine Chance und eine Plattform erhalten, sich musikalisch auszudrücken, sich neu zu definieren und damit auch das Gesicht einer neuen Generation zu prägen.
Ich wünsche dem Kongress einen ertragreichen Verlauf. Vielen Dank!