Redner(in): k.A.
Datum: 29.11.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/82/11782/multi.htm


ich darf mich zunächst einmal recht herzlich bedanken für die Einladung, heute zu Ihnen über die Kulturpolitik der Bundesregierung zu sprechen. Ich nehme diese Gelegenheit auch deshalb gerne wahr, weil Kulturpolitik auf Bundesebene seit nunmehr einem Jahr einen neuen Stellenwert hat. Das wird bisweilen auch im politischen Tagesgeschäft - jenseits der Feuilletons und deren berufenen Kritikern - deutlich. Immerhin ist es trotz der schwierigen Haushaltssituation des Bundes und der eingeleiteten, notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen gelungen, in der Kulturpolitik neue Akzente und Schwerpunkte zu setzen. Kunst und Kultur stehen am Ende dieses Jahrhunderts vor neuen Herausforderungen. Die Globalisierung der Wirtschaft mit ihren Rückwirkungen auf soziale, ökonomische und politische Prozesse auf nationalstaatlicher Ebene betreffen in vielfältiger Weise auch und gerade den Kulturbereich. Hinzu kommen die Folgen der Umbrüche in Europa und die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands, die es gleichermaßen zu bewältigen gilt. In anderen Worten: Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels, die mit neuen Anforderungen für die Kulturpolitik verbunden ist. Die Akteure - ob Künstler oder Publizisten, ob Unternehmen oder Institutionen - werden diesen Anforderungen nur dann gewachsen sein, wenn sie dafür geeignete Rahmenbedingungen vorfinden. Verantwortungsvolle Politik hat hier anzusetzen, will sie dem - oft selbstformulierten - Anspruch der Zukunftsorientierung und Nachhaltigkeit gerecht werden. I. Kultur und Politik eine erste BilanzKultur ist der Name für alle Formen von Zweifel, von kritischer Überwindung des jeweils Normalen, der Name für geistige Innovation, für satirisches Gelächter, für Phantasie, für intellektuelle Herausforderungen - aber doch auch für Trost, für Entspannung und für all jene Formen von Unterhaltung, die nicht automatisch verdummen. Kultur hat etwas über alle Grenzen hinweg Verbindendes. Sie ist somit die schönste Form politischer Freiheit in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft. Politik ohne Kultur ist unfrei, sprachlos und ohne Sinn. Kultur und Politik sind auf vielfältige Weise miteinander verwoben. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert darf sich Kulturpolitik gerade deshalb nicht in einer Nischenfunktion erschöpfen, gleichsam als schöngeistiges Feigenblatt für eine ansonsten auf Wirtschafts- und Finanzfragen fokussierte Politik. Im Gegenteil, Kultur beansprucht einen festen Platz auf der politischen Agenda. Kulturpolitik hat sich dabei auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was wesentlich in der Kultur ist, bestimmen die Künstler: Die Autoren, Schriftsteller und Musiker, die Schauspieler, Regisseure und ihre berufenen Kritiker. Diesen zu den Podien zu verhelfen, die sie zu ihrer künstlerischen Entfaltung benötigen, ist Aufgabe demokratischer Kulturpolitik. Sie zeichnet sich zugleich aus durch Kritikfähigkeit und Zurückhaltung. Mittlerweile bereichert wieder eine engagierte Debatte um Deutschlands Kulturpolitik den politischen Diskurs in unserem Lande. Diese neue, bisweilen konfliktreiche Form des gesellschaftlichen Selbstgesprächs mit vielen Stimmen ist auch ein Beitrag zur politischen Kultur. Das war und bleibt die Absicht der Bundesregierung: Der Innovationskraft und Phantasie, die den Künsten vor aller anderen menschlicher Tätigkeit zu eigen ist, jenen Raum zu öffnen, der in der Idee des Kulturstaates beschlossen ist. Das setzt allerdings voraus, daß die Politik bereit ist, zuzuhören, zuzuschauen, zu verstehen. Die kulturpolitische Bilanz der Bundesregierung nach zwölf Monaten im Amt kann sich sehen lassen. Bereits in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 haben die Regierungsparteien angekündigt, Kultureinrichtungen und -projekte in den neuen Bundesländern besonders zu fördern. Wir haben deshalb das Aufbauprogramm Kultur in den neuen Ländern aufgelegt - mit einem Umfang von 120 Mio. DM in 1999/2000 ein wesentlicher Schwerpunkt in der Kulturpolitik des Bundes. Für den Zeitraum bis 2003 sind weitere 120 Mio. DM vorgesehen. Diese Gelder werden ergänzt durch Mittel der Länder und Kommunen in gleicher Höhe. In den kommenden Jahren stehen so für die Kulturförderung in den neuen Bundesländern zusätzliche Mittel in Höhe von über einer halbe Milliarde Mark zur Verfügung. Damit können wir vielen Kultureinrichtungen zu einem Modernisierungsschub verhelfen. Und ich bin mir gewiss, dass die öffentlichen Finanzmittel einen Anschub für Investitionen auslösen werden. Hier geht es buchstäblich um kulturelle Erneuerung. Die kulturelle Förderung der Hauptstadt Berlin zählt ebenfalls zu den Schwerpunkten dieser Bundesregierung. Berlin war stets eine Stadt gleichsam transitorischer Kultur. Die Vielfalt an Museen, Theatern, Galerien, Opern, Orchestern, an freien Bühnen und einer kreativen Off-Szene ist ebenso ungewöhnlich wie repräsentativ für das kulturelle Selbstverständnis des Landes. Da die bisherige Kulturförderung aus dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag Ende 1999 ausläuft, haben bereits Gespräche über eine Fortsetzung der Förderung begonnen. Ziel ist es, die für die Präsenz des Bundes besonders wichtigen kulturellen Einrichtungen finanziell so auskömmlich auszustatten, dass sie im Wettbewerb mit anderen Metropolen in Deutschland und Europa bestehen können. Für die Jahre 2000 bis 2003 sind hierfür jeweils 100 Mio. DM vorgesehen. Bereits im Jahr 1999 hat die Bundesregierung ihre Ankündigung umgesetzt und Berlin außerhalb des geltenden Hauptstadtvertrages weitere 60 Mio. DM zur Förderung von Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt. Zu den gesamtstaatlichen Aufgaben der Kulturpolitik gehört auch die Pflege der Gedenkstätten in Deutschland. Die Bundesregierung stellt sich dieser Verantwortung. Ziel ist es, gemeinsam mit den Ländern die Rahmenbedingungen für die Gedenkstättenarbeit zu verbessern. Die Bundesregierung will deshalb die bisher geltende Befristung bei der Förderung von Gedenkstätten aufheben. Des weiteren soll die Förderung auf die alten Bundesländer ausgedehnt werden. Zur Finanzierung dieser weiterentwickelten Gedenkstättenkonzeption, die über die bisherige Bundesförderung - im Haushaltsjahr 1999 ca. 20 Millionen Mark - hinausgeht, sollen im Bundeshaushalt für 2000 zusätzliche 10 Millionen Mark, für die Jahre 2001 und 2002 zusätzlich je 15 Millionen Mark und für 2003 zusätzliche 20 Millionen Mark eingestellt werden. Diese Beispiele zeigen, dass der Bund in der Kulturpolitik nicht nur Impulse und Anstösse zu liefern vermag. Mit einem Etat von etwa 1,754 Mrd. DM haben wir 1999 auch klare Akzente setzen können. Die Möglichkeiten des Bundes bei der Förderung von Kunst und Kultur sind zwar begrenzt, aber dennoch vorhanden. Und die kulturpolitische Bilanz nach einem Jahr zeigt, dass vorhandene Handlungspielräume auch genutzt werden. Das Zukunftsprogramm, mit dem diese Bundesregierung wichtige Weichenstellungen für die Zukunft unseres Landes vornimmt, erfordert notwendige Einschnitte in allen Politikbereichen. Die Kulturpolitik ist davon nicht ausgenommen. Gleichwohl wird im Kulturbereich nicht willkürlich gekürzt. Für das Jahr 2000 ist ein Kulturetat in Höhe von 1,657 Milliarden Mark vorgesehen. Das liegt noch immer deutlich über den 1,571 Milliarden Mark von 1998, die die alte Bundesregierung für Kulturausgaben vorgesehen hatte. Angesichts der schwierigen Haushaltssituation, die wir bei Amtsübernahme vorgefunden haben, ist dies mehr als bemerkenswert. II. Kulturpolitik in einem veränderten internationalen UmfeldDie Frage, wo Europa liegt und welche Rolle Deutschland heute in Europa einnimmt, beschäftigt nicht nur die politischen und intellektuellen Eliten. Nach der Vereinigung Deutschlands entfaltete sich ein Diskurs über dieses Thema. Die Rede war häufig von einer angeblich fälligen Normalisierung der Rolle Deutschlands. Wo also steht Deutschland heute Und welche Bedeutung hat die Kultur für das Selbstverständnis und die Selbstvergewisserung von uns Deutschen in einer sich wandelnden WeltVor wenigen Wochen haben wir an den 10. Jahrestag des Falls des Eisernen Vorhangs erinnert, an die dramatischen Stunden des Falls der Berliner Mauer. Viele hofften damals auf eine rasche Überwindung der Gegensätze in Europa, auf die Durchsetzung von Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten überall auf unserem Kontinent, auf die Entwicklung der westeuropäischen zu einer gesamteuropäischen Gemeinschaft. Viele unserer Hoffnungen wurden bestätigt, andere enttäuscht. Das Jahr 1991 brachte dann die Wiederkehr des Krieges nach Europa. Wir Europäer haben es nicht geschafft, vier Balkankriege mit mehr als 200 000 Toten, Hunderttausenden von Verletzten und Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen zu verhindern. Zehn Jahre nach Öffnung der Mauer ist immer noch die Rede von Ost und West. Die Unterschiede in der Befindlichkeit, auch im Geschichtsbewusstsein, die gegenseitigen Ressentiments werden wohl noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Diese Unterschiede sind nicht nur die Folge von vierzig Jahren Teilung, sondern auch von zehn Jahren Erfahrungen mit der Einheit. Was wir voneinander wissen, ist oft noch zu oberflächlich und vorurteilsbeladen. Ost- und Westdeutsche werden sich noch länger einander zu erklären haben, ohne sich gleich rechtfertigen zu müssen. Bei allen Schwierigkeiten und Widrigkeiten, die in den vergangenen zehn Jahren unser Zusammenleben erschwert haben, ist doch einiges im Osten Deutschlands auf den Weg gebracht worden. Diese Leistung macht sich nicht nur fest an den mehr als 1,5 Billionen Mark, die von West nach Ost transferiert wurden ( und zum Teil wieder in den Westen zurückflossen ) . Was die Bürger in den neuen Bundesländern gewagt, was sie dort entwickelt haben und was sie dabei auch an Rückschlägen eingesteckt haben, ist bewundernswert. Dieses Engagement weiterhin zu fördern, ist auch künftig einer der Schwerpunkte unserer, auch meiner Arbeit. Das Aufbauprogramm Kultur in den neuen Bundesländern habe ich vorhin bereits erwähnt. Die deutsche Einheit wäre ohne die feste Einbindung in den europäischen Einigungsprozess und in das Atlantische Bündnis nicht möglich geworden. Aber ebenso wenig wäre sie zustande gekommen ohne den Beitrag der Völker in unseren osteuropäischen Nachbarstaaten - der Ungarn, der Tschechen, der Polen. Mit dem Fall der kommunistischen Systeme in Europa öffnete sich der Raum für gänzlich neue Perspektiven, die mehr als fünfzig Jahre durch ideologische, politische und militärische Barrieren verstellt waren. Jetzt erst bestand die reale Möglichkeit, Europa als Ganzes wahr- und anzunehmen und die Heimkehr nach Europa, wie Vàclav Havel dies einmal bezeichnet hat, als konkrete Aufgabe zu betrachten. Auf Parallelen zwischen der deutschen Einheit und dem europäischen Integrationsprozess hat der neue Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit in Wiesbaden am 3. Oktober 1999 hingewiesen: Die Schwierigkeiten, die Sie dabei zu gewärtigen hatten, spiegeln in vieler Hinsicht die Herausforderungen wider, vor denen die Europäische Union bei der Erweiterung von 15 auf 20, 25 oder vielleicht sogar 30 Mitgliedstaaten steht. Die Union kann sich bei der Erweiterung viele Anregungen aus der Art und Weise holen, in der Sie die Vereinigung Ihres Landes bewältigt haben. Die Erweiterung der EU ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Europäische Union im 21. Jahrhundert. Wie dürfen dabei die wirkliche Bedeutung dieses Prozesses nicht aus den Augen verlieren: Das ganze Europa soll zum ersten Mal in der Geschichte geeint werden. Wir bringen damit nicht nur Staaten zusammen, sondern vor allem Völker mit unterschiedlichen Sprachen und historischen Erfahrungen. Wir erfreuen uns an der Vielfalt der Kulturen in Europa, die es zu erhalten gilt. Wir müssen eine Union der Herzen schaffen, mit anderen Worten: Das Bewusstsein, Europäer zu sein, fördern. Deutschland steht dabei in einer besonderen Verantwortung. Denn gerade wir Deutschen, die wir an der Nahtstelle die Teilung Europas so schmerzlich erfahren haben, können nun beweisen, dass wir die Chancen der Einigung beherzt zu ergreifen vermögen - und das nicht nur für uns tun. Dies zu leisten ist vor allem auch Aufgabe der Kulturpolitik. Ein vereintes Europa, das durch die Wirtschafts- und Währungsunion und die Aufnahme von Verhandlungen mit den beitrittswilligen Staaten einen weiteren Schritt vorangekommen ist, würde jedoch keine Zukunft haben, wenn es sich lediglich als einen ökonomischen Interessenverband begreifen würde. Wenn die europäische Kultur einzig die Kultur des Geldes bleibt, ist Europa als Idee verloren und die Währungseinheit als Verbindungselement früher oder später auch. Das Europa der Zukunft muss auch und gerade eine Kulturgemeinschaft sein. Für das Zusammenleben in kultureller Vielfalt ist ein hohes Maß an wechselseitiger Rücksichtnahme und Solidarität erforderlich. Auf dem weiteren Weg der europäischen Zusammenarbeit brauchen wir diese Tugenden. Den in der Europäischen Union zusammengeschlossenen Völkern gebührt die Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und Traditionen. Die Globalisierung, aber auch die immer neuen technischen Durchbrüche und die Verstärkerrolle der Medien haben zur Folge, dass die verschiedenen Kulturen schneller und intensiver aufeinander einwirken, als jemals zuvor. Darin liegen Chancen: Kulturen bereichern sich gegenseitig - das hält sie lebendig und bewahrt sie vor musealer Erstarrung. Aber es gibt auch die Risiken der kulturellen Entfremdung: Die globale Massenkultur provoziert Widersprüche - nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb der Kulturen. Unsere entgrenzte Welt führt nicht immer notwendig zu nützlicher Integration. Sie kann auch zu schmerzlichen Verlusten an Identität führen. Die Menschen brauchen aber die Verwurzelung in Geschichte und Kultur. Aus Ressentiments und trotziger Selbstbehauptung können Intoleranz und Abweisung entstehen. Deshalb stehen kulturelle Identität und kulturelle Unterschiede heute ganz oben auf der politischen Agenda. Die daraus resultierenden Aufgaben und Herausforderungen für die Kulturpolitik auf nationalstaatlicher Ebene sind unübersehbar. III. Kultur und Wirtschaft an der Schwelle zum 21. JahrhundertIn Zeiten, in denen gespart werden muss, wird Kultur häufig an den Rationalitätskriterien monetärer Kalkulationen gemessen. Kultur sieht sich hinterfragt, ob sie ihr Geld wert sei. Auch für die Kultur gilt dann das Kalkül, dass sich ihre Kosten rechnen müssen auf einem Markt, der in der ökonomischen Theorie gegenüber anderen Organisationsprinzipien als rationalster Mechanismus der flexiblen Verteilung von Gütern und der Befriedigung von Bedürfnissen gilt. Jedoch, nicht jede kulturelle Leistung ist auf Märkten ab- und durchsetzbar. Diese Gefahr besteht in erster Linie für Avantgarden und Experimente. Ästhetische Innovationen und soziokulturelle Modelle suchen ihre Adressaten oft bewusst bei jenen, die auf den Arbeits- und Warenmärkten eher schwach sind, aber dennoch oder gerade deshalb auf Kulturangebote angewiesen sind. Gegen die auch im kulturellen Milieu in Mode gekommene Markt-Euphorie ist einzuwenden, dass sowohl ästhetisch innovative wie sozial engagierte Kulturangebote - eben weil sie sich nicht über den Markt vermitteln lassen - in besonderem Maße auf öffentliche Mittel und öffentliche Meinung angewiesen sind. Kultur ist kein Standortfaktor, wie der Sprachgebrauch uns immer wieder weiszumachen versucht, wenngleich Kultur auch eine wirtschaftliche Dimension hat. Kultur schafft Einkommen und Beschäftigung und ist - entgegen immer wieder geäußerten Ansichten - kein Kostgänger des Staats, sondern leistet beträchtliche Zahlungen an die öffentlichen Kassen. Erhebungen belegen dies. So hat das IFO-Institut im vergangenen Jahr eine Untersuchung über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur im Auftrag des damals noch für die Kultur zuständigen Bundesministeriums des Innern durchgeführt und ist dabei zu interessanten Ergebnissen gelangt. Einige Eckdaten: ·Rund 547.000 Personen waren 1997 in künstlerischen und sonstigen Kulturberufen erwerbstätig. Das entspricht 1,5 % aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland. ·Zwischen 1993 und 1997 hat sich die Anzahl der Erwerbstätigen in künstlerischen und sonstigen Kulturberufen um 92.000 Personen erhöht. Diese Entwicklung gewinnt vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung besonderes Gewicht. In der Gesamtwirtschaft war nämlich die Zahl aller Erwerbstätigen ( nur ) von 36,4 Millionen Personen auf 36,8 Millionen Personen gestiegen. Damit ist den Kulturberufen etwa ein Viertel des gesamten Beschäftigungszuwachses in Deutschland zuzurechnen. ·Die größten Anbieter von ( sozialversicherungspflichtigen ) Arbeitsplätzen für Künstler und Publizisten waren im Jahr 1997 die Theater und Orchester, das Verlags- und Pressewesen sowie die Fernseh- und Rundfunkanstalten gefolgt von der Filmwirtschaft. ·Über eine Million Personen waren 1997 mit der Schaffung, Verbreitung und Bewahrung von Kunst und Kultur befasst. ·Der Kunst- und Kulturbereich leistete einen Beitrag von rund 85 Mrd. DM zur Entstehung von Einkommen im Inland. ·Die Anlageinvestitionen dieses Bereiches beliefen sich auf über 12 Mrd. DM. Bemisst man den Anteil des Kunst- und Kulturbereichs an der wirtschaftlichen Leistung aller Wirtschaftsbereiche, so zeigt sich folgendes Ergebnis: ·Der Kunst- und Kultursektor hatte einen Anteil von 2,5 % an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung. ·Sein Anteil an allen Erwerbstätigen lag bei 3,0 % . ·Sein Anteil an den gesamtwirtschaftlichen Anlageinvestitionen betrug 1,7 % . Kunst und Kultur werden in hohem Maß durch den Staat gefördert. 1996 betrugen die Nettoausgaben für Kultur insgesamt 17,9 Mrd. DM. Über Eintrittsgelder für Theater und Museen oder sonstige ( unmittelbare ) Einnahmen strömten 2,1 Mrd. DM wieder zurück, so dass rund 15,8 Mrd. DM für den gesamten Kulturbereich aus Grundmitteln ( Steuern und Kredit finanzierte Ausgaben ) ausgegeben wurden. Stellt man die Übertragungen des Staates ( Grundmittel ) den Übertragungen des Kulturbereichs ( Steuern und Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen und ihrer Beschäftigten ) gegenüber, so ist ein deutlicher Leistungsüberschuss des gesamten Sektors an den Staat zu erkennen. Welche Aufgaben erwachsen daraus für die Politik Ziel verantwortlicher Politik ist es, die Wirtschaft in zunehmendem Maße aktiv in die Kulturentwicklung einzubinden. Ein wichtiges Mittel hierfür ist das Kultursponsoring, wie es von Theatern, den Veranstaltern großer Pop-Konzerte und Musikfestivals sowie für Projekte der bildenden Kunst bereits betrieben wird. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber Marktmechanismen im Kulturbereich muss wirtschaftliches Engagement nicht automatisch zu einer ziellosen Kulturpolitik führen. Vielmehr kann das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Ereignissen mit Eventcharakter und denen stetiger Kulturarbeit zur Fortentwicklung der Gesellschaft führen und ein vielfältiges Kulturleben fördern. Eine besondere Perspektive, die zugleich Ausdruck einer modernen, in die Zukunft gerichtete Kulturpolitik ist, bietet dabei das Stiftungswesen. Ein vorrangiges Anliegen der Bundesregierung ist deshalb die Reform des Stiftungsrechts. Im Koalitionsvertrag haben wir vor allem eine Verbesserung der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen vereinbart. Steuerpolitische Hemmnisse für eine aktive Sponsoring- und Stiftungskultur sollen beseitigt, neue Möglichkeiten für Mäzenaten, Stifter und Kultursponsoren eröffnet und steuerrechtlich attraktiv gemacht werden. Die Regierungskoaltion wird in Kürze ihre Reformvorstellungen im Detail vorstellen. Als ersten Schritt werden wir uns auf steuerrechtliche Verbesserungen konzentrieren. Das beinhaltet die Umsetzung zentraler Forderungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und des Deutschen Kulturrates zum Steuerrecht. Den - auch aus Sicht der Stiftungen wichtigeren - steuerrechtlichen Teil der Stiftungsrechtsreform werden wir vorziehen, weil zum zivilrechtlichen Teil - also den Regelungen über Stiftungsgründung und Stiftungsaufsicht - noch eingehende Erörterungen mit den hiervon betroffenen Bundesländern erforderlich sind. Mit der Reform des Stiftungsrechts soll nicht der Rückzug des Staates aus der Kulturförderung eingeläutet werden. Vielmehr geht es darum, zusätzlich zu staatlichen Mitteln finanzielle und geistige Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft zu mobilisieren. Gerade Stiftungen sind wegen ihrer Unabhängigkeit und Beständigkeit besonders gut geeignet, nachhaltig und verläßlich positiv in diese Richtung zu wirken. Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: Man muss Gutes tun, damit es in der Welt sei. Ich möchte dem hinzufügen, dass die Stifter und Förderer neben den ideellen Werten, die Sie durch ihr Engagement zum Ausdruck bringen, auch eine Chance haben, gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten. Und diese Möglichkeit dürfte ihren eigenen Reiz haben. IV. AusblickDie Reform des Stiftungsrechts ist eine der zentralen Aufgaben für die Kulturpolitik des Bundes in den kommenden Monaten. Doch auch auf anderen Gebieten werden wir Schwerpunkte und Akzente zu setzen haben. Ich nenne hier nur einige Projekte, die uns in der nächsten Zeit beschäftigen werden: ·Die weitere Förderung kultureller Einrichtungen und Projekte in der Hauptstadt sowie in den neuen Bundesländern, ·die Umsetzung des Bundestags-Beschlusses zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas in der Mitte Berlins, ·den Ausbau der Genozid-Forschung in der deutschen Wissenschaftslandschaft, ·den Neukonzeption der Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz, ·die Förderung von Künstlern und die Bereitstellung von Einrichtungen und Instrumenten zur Untstützung kulturellen Schaffens. Kultur ist ein fortwährender, individueller und gesellschaftlicher Prozess. Ähnlich verhält es sich mit der Kulturpolitik: Ebenso wie die Kultur selbst ist auch die Kulturpolitik einem steten Wandel unterzogen. Das betrifft die Rahmenbedingungen und ( finanziellen ) Voraussetzungen ebenso, wie konkrete Anforderungen und Zielvorgaben. Der demokratisch verfasste Kulturstaat hat die Verpflichtung, diesen Wandel zu stützen und zu schützen. Im Mittelpunkt aktiver staatlicher Kulturpolitik steht die Förderung der Künste. Die Künstler bilden das Fundament der Kultur. Wichtige Aufgabe staatlicher Kulturförderung ist deswegen nicht nur die Bewahrung und Pflege des Ererbten, sondern vor allem auch die Förderung der Entstehung von Neuem, das wiederum an die nächsten Generationen weitervererbt werden kann. Oder in den Worten des Komponisten Wolfgang Rihm: Eine Kultur, die das Vorhandene nur verbraucht, hinterlässt als Spur lediglich Müll. Kluge Kulturpolitik wird helfen, die Brücke in eine glücklichere Zukunft zu schlagen. Für Erlösung von allem gesellschaftlichen Übel ist sie allerdings nicht zuständig. Sie gedeiht in einer sozial gerechten, freien Gesellschaft und ist zugleich deren Bedingung. Vielen Dank.