Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 29.04.2004
Untertitel: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 29. April die Teilnehmer der OSZE-Antisemitismuskonferenz im Kanzleramt empfangen:(es gilt das gesprochene Wort)
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/644536/multi.htm
Herr Präsident Katzav,
sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz!
Ich darf Sie recht herzlich in Berlin begrüßen.
Der Kampf gegen den Antisemitismus ist der deutschen Demokratie ein besonderes Anliegen und eine besondere Verpflichtung. Berlin ist der Ort, an dem vor nur wenig mehr als einem halben Jahrhundert unvorstellbare Verbrechen gegen die europäischen Juden geplant und angeordnet wurden. Die bis heute unfassbare, mit perfider Systematik betriebene Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung und schließlich Vernichtung der europäischen Juden ist und bleibt ein in der Geschichte einmaliger Zivilisationsbruch.
Solche Verbrechen - aber auch den ihm zugrunde liegenden Rassenwahn - nie wieder zuzulassen, ist ein Grundmotiv unseres Strebens nach Freiheit, Toleranz und Humanität. Die Tatsache, dass wir in dieser Stadt heute diese internationale Konferenz ausrichten, zeugt vom enormen Fortschritt im Kampf gegen den Antisemitismus.
Meine Damen und Herren,
Antisemitismus ist kein Phänomen, das ausschließlich der Vergangenheit angehört. Sondern eine andauernde Gefahr, der wir wachsam begegnen müssen. Deshalb begrüße ich es, dass diese Konferenz sich nicht mit Appellen zufrieden gibt sondern konkrete Schritte gegen Antisemitismus diskutiert hat.
Praktische Beispiele, wie erfolgreich gegen anti-jüdische Vorurteile oder Übergriffe angekämpft werden kann, sind für alle, die dieses Thema ernst nehmen, unverzichtbar. Selbstverständlich sind Prävention, Aufklärung und Verfolgung antisemitischer Straftaten Sache von Polizei und Justiz. Die Juden, aber auch die gesamte Gesellschaft müssen vor antisemitischer Hetze und Gewalt sicher sein.
Der Kampf gegen den Antisemitismus ist aber allein mit den Mitteln von Polizei und Strafrecht nicht zu gewinnen. Wenn wir verhindern wollen, dass Ideologien der Intoleranz und des Rassenhasses sich ausbreiten, ist die gesamte Gesellschaft gefordert. Dazu braucht es Bildung, Zivilcourage und die Bereitschaft zum öffentlichen Engagement. Es braucht das Bekenntnis zu den universalen Werten der Gleichheit und der Menschenrechte, die von den Nazis mit dem Völkermord an den Juden gleichsam mit ausgerottet werden sollten.
Wir brauchen aber auch einen offenen Dialog, der die Menschen verschiedener Kulturen und Religionen miteinander verbindet. Einen Geist der Toleranz und der Zusammengehörigkeit, der es verhindert, dass Minderheiten ausgegrenzt werden.
Der aber zum Beispiel auch klare Grenzen zieht zwischen einer rationalen Auseinandersetzung mit der Politik einer israelischen Regierung - Sie, Herr Präsident Katzav, haben die Legitimität sachlicher Kritik wiederholt betont - , und einer nicht hinnehmbaren Hetze gegen Israel und die Juden.
Meine Damen und Herren,
gestatten Sie mir eine außenpolitische Anmerkung:
Das Engagement für eine friedliche und gerechte Lösung im Nahen Osten ist ein zentraler Bestandteil unserer Außenpolitik. Deutschland unterstützt die "Road Map" und die darin enthaltene Zwei-Staaten-Lösung. Wir setzen uns ein für eine zwischen beiden Seiten vereinbarte und die Interessen beider Seiten berücksichtigende Lösung - auf Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
Eine Lösung, die Frieden und Sicherheit im Nahen Osten dauerhaft garantiert.
Meine Damen und Herren,
vielleicht hatten Sie in den vergangenen Tagen Gelegenheit, Orte jüdischen Lebens in Berlin zu besuchen. Ich bin sehr dankbar, dass die jüdische Stimme in Deutschland lebendig präsent ist und dass jüdisches Leben in Deutschland in seiner Vielfalt wächst. Das ermutigt und bestärkt uns. Damit verbunden ist aber auch ein beständiger Appell, das Fundament unseres Staates und die Menschenrechte konsequent zu verteidigen. Dafür zu sorgen, dass jüdisches Leben in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist.
Meine Damen und Herren,
diese Konferenz hat ein klares Bekenntnis der OSZE-Staaten, ihrer Kooperationspartner und der großen Zahl von Nichtregierungsorganisationen formuliert. Es geht darum, zusammen dauerhaft gegen Antisemitismus, gegen alle Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz vorzugehen.
Dieses Bekenntnis ist eine Verpflichtung für uns.
Ich darf Ihnen versichern, dass Sie dabei in der Bundesregierung einen verlässlichen und engagierten Partner haben.