Redner(in): Christina Weiss
Datum: 01.05.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss eröffnet das 41. Theatertreffen im Haus der Berliner Festpiele am 1. Mai 2004 und bezeichnet das Theatertreffen als Olympiade des deutschsprachigen Theaters.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/55/646555/multi.htm


ich will heute ausnahmsweise mal vom Glück reden. Das Wort "Glück" hat zur Zeit nicht gerade Konjunktur. Das gilt für die eher depressive und gereizte Außenwelt der Politik und Ökonomie. Es gilt erst recht für die Innenwelt des Theaters. In den zehn Begründungen der Theatertreffenjury für ihre Einladungen kommt das Glück jedenfalls nicht vor.

Vom Theater wird heute eher in Metaphern von Zwang und Mangel geredet. Alle, die es lieben oder für das Theater arbeiten, betrachten es wie ein Schifflein in höchster Seenot und fangen an, protestantische Choräle zu singen, damit das schutzlose Opfer vielleicht doch durch einen göttlichen Eingriff oder wenigstens durch einem Deus Ex Machina gerettet wird. Gleichzeitig wollen sie denjenigen, die sonst noch am Ufer stehen und die vielleicht eher gelangweilt oder schadenfroh zuschauen, ein schlechtes Gewissen machen, weil sie nicht geholfen haben. Theater muss sein "sagt etwa der Deutsche Bühnenverein, und es klingt eher wie Mutters Begleitkommentar zu einer Lebertranverabreichung. Und was passiert, wenn wir unsere Theatersuppe nicht essen wollen? Gibt es dann morgen etwa schlechtes Wetter? Auch der Name des" Bündnis für Theater ", dem ich als Staatsministerin für Kultur ja selbst angehöre, erinnert doch ein bisschen an eine Trutz-und-Schutzgemeinschaft.

Von dieser Semantik ist auch das Motto des Theatertreffens angesteckt: "Die letzte Tankstelle vor der Wüste". Es suggeriert, dass als wir spätestens am 18. Mai ein wüstes Land erreichen, in dem der verdurstende Kunstfreund nur noch vom Skelett jenes berühmtesten aller Theaterpferde begrüßt wird, für das Richard der Dritte sein Königreich gegeben hätte. Gleichzeitig schwingt auch eine geschäftstüchtige Drohung mit. Bei einem Schild wie "Letzte Tankstelle vor der Autobahn" weiß jeder gleich: Wenn ich hier nicht halte, kommt mich das später teuer zu stehen. Glück " dagegen steht unter Kitschverdacht. Und die Theaterberichterstatter, die den Gebrauch des Wortes scheuen, haben immer die abschreckenden Beispiele jener Kollegen vor Augen, die es trotzdem versucht haben und die sich dann rettungslos in der Begrifflichkeit des Weihnachtsmärchens und des Kasperletheaters verhedderten.

Lassen Sie mich deshalb zunächst vom ganz konkreten, pragmatischen Glück erzählen, die mir das Theater und sein wichtigstes Fest, eben dieses Berliner Theatertreffen beschert haben. Es war 1994, ich war Kultursenatorin in Hamburg und bei Frank Baumbauer bemerkte ich einen aufkeimenden Unwillen, seinen Vertrag als Intendant des Deutschen Schauspielhauses zu verlängern. Wir erinnern uns, dass damals Zeitungsdebatten angezettelt wurden, die rhetorisch fragten: "Leeres Theater gutes Theater?" In deren Kreuzfeuer standen natürlich Baumbauer und sein Team. Denn deren ambitioniertes Programm wurde - daran erinnert sich in Hamburg keiner mehr freiwillig - zunächst nicht allzu gnädig beim Publikum aufgenommen.

Die Wende kam mit der Wahl zum "Theater des Jahres". Das wäre wahrscheinlich nicht so leicht passiert, wenn nicht schon vorher drei Inszenierungen zum Theatertreffen eingeladen worden wären. Das gab nämlich auch auswärtigen Kritikern, die damals noch längst nicht so massenhaft nach Hamburg pilgerten wie ein Jahr später, Gelegenheit, zu bestaunen, was der Intendant in kurzer Zeit aus dem vorher ziemlich depressiven Haus gemacht hatte. Durch diese doppelte Beglückung hellte sich nicht nur das Gemüt Baumbauers auf. Sondern es setzte sich auch bei der Society ein Prozess der Mundpropaganda in Gang. Ein Stolz kam auf, der sich als so stabil erwies, dass auch ein paar spätere Flops das Haus und seine Aura nicht zerstören konnten. Man nahm sie vielmehr als das, was sie waren: Als Ausdruck von Risikobereitschaft. Und die ganze Stadt fühlte sich dank des Theaters ein bisschen wilder und wagemutiger. Das nenne ich Glück.

Sie sehen daran, dass das Theaterglück ein teilbares ist, bei dem sich bestenfalls Produzenten und Konsumenten zu einer großen Verzückungsgemeinschaft zusammenschließen. Und wie bei manchen Speisen, bei trockenen Weinen oder herben Bieren muss man auch beim Theater oft erst lernen, Glücksgefühle zu empfinden. Einige von denjenigen, die beim Baumbauer-Abschiedsfest im Jahre 2000 die allerletzte kleine Inszenierung von Christoph Marthaler beweinten, waren sieben Jahre zuvor beim "Wurzel-Faust" noch geflohen. Aber die Regelmäßigkeit, mit der dem Haus von außen Qualität bescheinigt wurde, ermutigte auch sie, den dargebotenen Theaterspeisen eine neue Chance zu geben. Und mancher hätte sonst sein Glück niemals bemerkt, solch ein genussspendendes Haus in der Stadt zu haben. Auch in diesem Jahr sind beim Theatertreffen wieder Aufführungen aus Städten dabei, in denen die Theater zuletzt nicht immer vom Glück verfolgt wurden. Ihnen allen wünsche ich, dass sie aus Berlin wie einst Frank Baumbauer neue Kraft und Leidenschaft mitnehmen.

Wenn ich hier vom Glück rede, dann tue ich das mit der Narrenfreiheit der Kulturstaatsministerin. Bei uns steht das Glück, in dessen Glanze Deutschland blühen soll, zwar in der Nationalhymne, so wie in Amerika das Streben nach Glück in der Verfassung steht. Doch Politiker sehen sich hierzulande selten als Glücksbringer. Solche unseriösen Dinge überlässt man allenfalls einer kleinen Abteilung von Risikomanagern, der vorzustehen ich das Glück habe.

Ich darf Ihnen versprechen, dass dieses Theatertreffen keineswegs die "Letzte Tankstelle vor der Wüste" bleiben wird. Es ist erfreulich, dass die Kulturstiftung des Bundes die Olympiade des deutschsprachigen Theater in ihre Leuchtturmförderung aufgenommen hat.

Wenn vorhin von der Teilbarkeit des Theaterglücks die Rede war, muss eines Partners gedacht werden, der die Zahl der Teilhaber gewaltig erhöht. Die Zusammenarbeit mit 3sat hat sich zu einem der schönsten Glücksfälle des Theatertreffens entwickelt. Der Sender überträgt in diesem Jahr vier Aufführungen für alle, die keine Karten mehr bekommen haben oder zu weit weg sind. Dafür sei Dank.

Bedanken möchte ich mich auch bei allen, die dieses Theatertreffen möglich gemacht haben: Bei den Organisatoren, der Jury, den Produktivkräften des Glücks vor und hinter den Kulissen, den teilnehmenden Bühnen und vor allem den Künstlern. Weil für sie der Auftritt bei diesem Fest oft genug noch einmal zu einer riskanten Bewährungsprobe geraten kann, wünsche ich ihnen - nein nicht "Viel Glück!", denn ich weiß, dass das Unglück bringen soll. Sondern ich sage: Toi, toi, toi.