Redner(in): Christina Weiss
Datum: 03.05.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss spricht auf der Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung "Deutsche Welle auf neuen Wegen? Die Zukunft des deutschen Auslandsrundfunks" am 3. Mai 2004 in der Landesvertretung Brandenburg in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/69/646569/multi.htm


die Freude ist überall spürbar, seit zwei Tagen ist die Europäische Union eine Gemeinschaft von 25 Partnern. Sie ist größer, vielfältiger, östlicher und als politischer Faktor in der Welt bedeutender geworden. Die Feierlichkeiten sind von soviel Begeisterung, Schwung und Fröhlichkeit getragen, dass wir alle sicher sein können, dass Europa nicht nur eine Idee, eine ferne Utopie ist, sondern bei uns allen ankommt.

Die europäischen Mühen der Ebenen sind natürlich erkennbar, aber es lohnt sich, im europäischen Geist einen Ausgleich der Interessen, der verschiedenen Deutungen von Vergangenheit und Gegenwart zu versuchen, denn es sitzen Partner an den Tischen der europäischen Gremien, die das Gemeinsame erkannt haben und ausbauen wollen.

Die europäische Integration beginnt jetzt erst richtig.

Und in dieser inspirierten Phase diskutieren wir heute über den deutschen Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, die seit einem Jahr aus dem neuen Funkhaus in Bonn in 31 Sprachen in die Welt sendet und von Berlin aus Fernsehbilder über den Globus schickt.

Von Beginn an hat die Möglichkeit, Menschen an unterschiedlichen Orten durch elektronische Kommunikation zu verbinden, fasziniert.

Brechts Visionen in seiner Radiotheorie, Sender und Empfänger austauschbar zu machen, einen Dialog auch innerhalb der Massenkommunikation anzustoßen, beginnen im Zeitalter der Digitalisierung und des Internets Wirklichkeit zu werden.

Die Deutsche Welle berichtet aus und über Deutschland seit 51 Jahren. Rundfunk, der die Grenzen der Nationalstaaten überwindet, gibt es seit seinen Anfängen. Rundfunkwellen achten keine Grenzzäune!

Die Deutsche Welle bringt sich in das Konzert der Auslandssender anderer Staaten ein. Derzeit werden weltweit in rd. 100 Ländern internationale Auslandsdienste betrieben. Allein für die Hörer in Europa werden von internationalen Sendern täglich bis zu 6.000 Sendestunden ausgestrahlt, ein Großteil davon in Form von Hörfunk auf Kurzwelle. Der Worldservice der BBC schätzt seine weltweite Hörerschaft auf etwa 150 Mio. Menschen wöchentlich, gefolgt von der Voice of America mit 80 Mio. und der Deutschen Welle mit etwa 30 Mio. Hörern. Die meisten Auslandssender haben ihren Schwerpunkt in Europa, dem Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien. Die Deutsche Welle gehört zu den größeren Auslandssendern der Welt neben der BBC in London, Voice of America ( USA ) , Radio International China und Voice of Russia; dazu gehört auch Radio France Internationale.

Inzwischen sind viele kleinere Sender, vor allem aus den EU-Partnerstaaten besser wahrnehmbar. Sie alle nutzen die neuen Medien, reduzieren sich also nicht auf die klassischen Angebote des Rundfunks, auf Hörfunk und Fernsehen, sondern haben ihre Online-Angebote, die sog. Telemedien als dritte Säule erheblich ausgebaut. Das ist nicht etwa ein Ausnutzen neuer Techniken um ihrer selbst willen, sondern entspricht der Aufgabe eines Kommunikationsveranstalters, seine Zielgruppen dort abzuholen, wo sie stehen: Die Nutzung des Internets als Informations- und Bildungsplattform schreitet mit Riesenschritten in vielen Teilen der Welt voran und selbst da, wo die notwendige Infrastruktur noch nicht flächendeckend vorhanden ist, sind es jedenfalls die Multiplikatoren und Informationseliten, die zu Online-Medien in zunehmendem Umfang Zugang haben.

Das heißt freilich nicht, dass die klassischen Übertragungswege unbedeutend werden. Die Palette der Lösungen auf die Frage, die jeder Medienanbieter beantworten muss: "Wen kann und will ich auf welchem Übertragungsweg mit welchem Programm in welcher Region am besten und kostengünstigsten erreichen?" ist aber entscheidend größer geworden.

Bei der am 24. März vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzesnovelle kam es mir daher darauf an, die neuen technischen Möglichkeiten für den Auftrag der Deutschen Welle nutzbar zu machen. Deshalb ist dem Bereich der Telemedien ausdrücklich eine eigenständige Rolle zugewiesen.

Die Deutsche Welle ist ein unabhängiger und moderner Sender, dessen eigener Anspruch es sein sollte, Deutschland als weltoffene, unverkrampfte europäische Kulturnation und als freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat zu präsentieren.

Geradezu die "Seelenachse" der Novelle ist die neue Generalklausel. Sie darf als Zielvereinbarung gelten, wonach die Deutsche Welle

Hörfunk

Fernsehen

Telemedien

anbietet. Zudem soll der Sender wie ein Forum wirken für die Auffassungen und Sichtweisen zu wesentlichen Themen der Kultur und Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft. Aus dem Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich, dass die Förderung der deutschen Sprache ein wesentliches Ziel der Gesetzesnovelle ist.

Ein medienpolitisches Kernstück des Gesetzes - und durchaus eine wegweisende Neuerung - ist es, den Programmauftrag der Deutschen Welle durch eine Selbstverpflichtung zu konkretisieren.

Die medienpolitischen Diskussionen der letzten Jahre - auf nationaler wie auf europäischer Ebene - waren durch das Bemühen geprägt, die Aufgaben, die öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat, stärker als bisher auszudifferenzieren.

Dahinter stand sicher zum einen das Bemühen, die Felder privater und öffentlich-rechtlicher Medienanbieter parzellenschärfer zu definieren.

Ich verbinde mit dieser Diskussion aber vor allem zwei Ziele: Eine genaue Beschreibung dessen, was man leisten will, hebt die Güte des Produkts und stärkt die Bindung des Nutzers. Und wenn sich der Nutzer auch noch an der Definition und Verbesserung des Programms beteiligen darf und soll, wird er sich viel eher von dessen Unverzichtbarkeit überzeugen können.

Am Ende wird die Legitimation der Deutschen Welle mit ihrer Finanzierung aus Steuermitteln wesentlich gestärkt werden.

Das neue Gesetz verpflichtet den Sender also zu einer programmlichen Selbstverpflichtung: Über vier Jahre soll eine Aufgabenplanung entwickelt werden vom Intendanten im Zusammenwirken mit den beiden Aufsichtsgremien der Deutschen Welle, in der über Zielgebiete, Zielgruppen, Verbreitungswege und Angebotsformen schlüssige Gesamtkonzepte dargelegt werden. Damit verbunden ist eine Kalkulation der Betriebs- und Investitionskosten.

Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung lassen die Deutsche Welle nicht allein, sondern wollen als Dialogpartner in diesen Vier-Jahres-Rhythmus eingebunden werden. Das Gesetz bittet Legislative und Exekutive, zu der Unternehmensstrategie des Vier-Jahres-Planes Stellung zu nehmen. In gleicher Weise ist die Öffentlichkeit im In- und Ausland aufgefordert, sich zu äußern. Am Ende steht eine modifizierte und unter Berücksichtigung aller Stellungnahmen präzisierte Aufgabenplanung, die dann die Tätigkeit der Deutschen Welle orientieren wird.

Die "Schlussredaktion" der Aufgabenplanung, also das erste und das letzte Wort, hat der für den Sender verantwortliche Intendant, nicht die Politik. Das sagt das Gesetz ganz deutlich. Das sog. Beteiligungsverfahren schließt mit dem Bundeszuschuss ab, der nach entsprechender Beschlussfassung des Deutschen Bundestages erfolgt.

Mir ist wichtig, dass die Deutsche Welle Planungssicherheit bekommt in dem Umfange, wie dies haushaltsrechtlich möglich ist. Bisher gibt es schon die ständige Praxis, zumindest seit 1999, dass die Deutsche Welle den Bundeszuschuss zur Selbstbewirtschaftung erhält. Als ich das Gesetz in der Regierungsbefragung am 24. März vor dem Deutschen Bundestag vorstellte, sind von den Fraktionen Hinweise gekommen, aus denen ich die Hoffnung nehme, dass die bisherige ständige Praxis auch eine normative Festigkeit bekommt, die ich der Deutschen Welle wünsche. Die Finanzierungssicherheit über vier Jahre wird dann die Finanzgarantie, die jetzt schon im Gesetz steht, präzisieren.

Wenn man zudem berücksichtigt, dass die Deutsche Welle ständig ihre Tätigkeiten evaluiert und in einem Vier-Jahres-Zeitraum mit einem Evaluierungsbericht darstellen muss, ist mit dieser "Organisation des Dialoges" aller, die an einem deutschen Auslandssender Interesse haben, ein modernes Mediengesetz entstanden, das vielleicht von manchen ARD-Anstalten und dem ZDF als modellhaft angesehen wird.

Ich erwarte, dass die Deutsche Welle einen wesentlichen Beitrag für die europäische Integration leisten wird. Erfreulich ist, dass dies breiter politischer Konsens im Deutschen Bundestag ist, denn die Deutsche Welle ist innerhalb und außerhalb der EU ein wichtiges Medium, um Vorstellungen und Sichtweisen der verschiedenen Kulturen, Regionen und Regierungen miteinander bekannt zu machen. Die Deutsche Welle ist für mich auch ein wichtiger Europasender in den nächsten Jahrzehnten und sie sieht sich wohl selber so! Die europäische Integration, vor allem die Einbindung der mittelost- und osteuropäischen Staaten kann auch von der Deutschen Welle gefördert werden; die Zusammenarbeit mit ARD und ZDF wird dabei an Intensität zunehmen.

Natürlich bleibt die journalistische Reaktion auf die Krisen der Welt eine wesentliche weitere Aufgabe der Deutschen Welle. Die politische Entwicklung in Afghanistan wurde und wird auch dadurch begünstigt, dass die Deutsche Welle als erster Nachrichtensender überhaupt in Kabul präsent war und ist und in den beiden afghanischen Landessprachen aus der Region für die Region sendet. Dies ist ein Beispiel für Friedenspolitik durch Information.

Die nationale wie internationale Kooperation ist in den Bereichen der Kultur- und Wissenschaftspolitik genauso erforderlich wie in der Außenwirtschaftspolitik. Die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Welle und ARD und ZDF, mit den wichtigen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und den bedeutenden Wirtschaftsverbänden in Deutschland wird der Deutschen Welle einen Gestaltungsraum eröffnen, der erkennen lässt, dass die verschiedenen Sparten der Politik selten voneinander getrennt werden können, sondern ein integratives Ganzes bilden mit dem Ziel, für ein modernes und weltoffenes Deutschland zu werben. Allerdings - und dies ist mir besonders wichtig - der geradezu pädagogische Impetus, für Deutschland zu werben, hat seine Grenze in einem freiheitlichen und regierungsunabhängigen Journalismus. Im Zweifel für die Freiheit " ! Das Deutschlandbild kann nur so anmutig und so farbig sein, wie es von der Politik und den Menschen gezeichnet wird. Nicht Euphemismus, sondern Wahrhaftigkeit: nur das kann journalistisches Profil sein. Dies zu wahren ist Aufgabe eines freiheitlichen Gesetzes, das nunmehr in der parlamentarischen Beratung ist.

Der deutsche Auslandssender braucht einen großen politischen und gesellschaftlichen Konsens, um so operieren zu können, wie wir es uns wünschen. Deshalb hoffe ich, dass die sich abzeichnende fraktionsübergreifende Übereinstimmung erhalten bleibt und das Gesetz in diesem Jahr vom Deutschen Bundestag beschlossen werden wird.