Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 05.05.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des Deutschen Sparkassentages am 5. Mai 2004 in Frankfurt am Main
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/63/648163/multi.htm


Verehrter Herr Präsident, lieber Dietrich Hoppenstedt,

wenn man hier hereinkommt und auf diesen gewaltigen Hintergrund schaut, wird einem klar: Du bist Gast der größten Bank der Welt. Das ist schon eindrucksvoll, so eindrucksvoll wie das, was von den Sparkassen in der letzten Zeit geleistet worden ist. Ich werde darauf zurückkommen. Gestatten Sie mir zunächst ein paar Bemerkungen zum internationalen und europäischen Umfeld, einem Umfeld, das natürlich auch Ihre Geschäftstätigkeit beeinflusst, und nicht nur wegen der Brüsseler Beschlüsse zur Gewährträgerhaftung und zur Anstaltslast, also nicht nur wegen der Frage, wie man sich auf das Jahr 2005 einstellt, das ja ein entscheidendes Jahr für die öffentlich-rechtlich verfasste Kreditwirtschaft werden wird.

Wir haben am 1. Mai eine ganz wichtige Entscheidung treffen können, die epochale Entscheidung, zehn neue Mitglieder in die Europäische Union aufzunehmen. Von diesem historischen Schritt, die Teilung unseres Kontinents endgültig zu überwinden, haben Generationen vor uns geträumt. Wir haben nun die Aufgabe vor uns, Europa zu einem Ort dauerhaften Friedens und als Folge dessen dauerhaften Wohlergehens seiner Menschen zu machen. Es ist recht merkwürdig, dass angesichts dieser historischen Entscheidung vielfach bei uns im Land nur über Belastungen und über Schwierigkeiten, die es gibt und geben wird, diskutiert wird. Viel zu wenig jedoch wird über die großen Chancen eines einigen Europas gesprochen. Vor 60 Jahren hätte in Europa noch niemand davon zu träumen gewagt, in Frieden leben zu können. Wer, so frage ich, hätte vor 20 Jahren gedacht, dass der Eiserne Vorhang überwindbar sein würde?

Natürlich verstehe ich all jene, die sagen: Längs der Grenze wird es bei, wenn auch kontrollierter, Dienstleistungsfreiheit und Freizügigkeit Probleme geben. Aber diese Schwierigkeiten sind beherrschbar und überwindbar. Wir müssen den Menschen verdeutlichen, dass sich der Export in die neuen Beitrittsländer seit 1992 vervierfacht hat. Wir müssen den Menschen sagen, dass bei allen Schwierigkeiten, auch bei der Wettbewerbsverschärfung, die es gibt und geben wird, wir in allen diesen Märkten die Nummer 1 sind. Der Export in die Beitrittsländer aus Deutschland heraus, der ja hier Arbeitsplätze sichert, ist größer als der Export aus Deutschland heraus in die Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir sind erst am Anfang, was die Entwicklung dieser Märkte angeht. Man muss sich diese ungeheuren wirtschaftlichen Chancen vorstellen. Man muss den Menschen, die Angst haben und aus Ängsten heraus falsche Entscheidungen treffen, diese Perspektiven deutlich machen. Dann ist es natürlich Aufgabe der deutschen Gesellschaft insgesamt, sich auf die Tatsache einzustellen, dass wir jetzt in einem Markt von 450 Millionen Menschen zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften haben. Dass das strukturelle Veränderungen verlangt, ist völlig klar. Wir befinden uns politisch mitten in diesem Prozess. Es ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft, diese Herausforderung anzunehmen.

Übrigens: Wenn ich von der ganzen Gesellschaft spreche, dann meine ich auch die deutsche Bankenlandschaft. Herr Präsident Hoppenstedt, eine Ihrer Stellungnahmen, wohl aus der gestrigen Pressekonferenz, unterstreiche ich. Sie haben, wie das sonst wenig Ihre Art ist, ein Friedensangebot an die privaten Banken gemacht - das ist schon bemerkenswert für den Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbandes - , was richtig ist, und zwar deshalb, weil Sie es mit dem Hinweis verbunden haben: "Bevor ihr euch mit dem jeweils anderen beschäftigt, seht zu, dass ihr das eigene Haus in Ordnung bringt." Ich finde, dass Sie Recht haben, wenn Sie sehr selbstbewusst darauf hinweisen, dass Sie es immerhin schon geschafft haben, die Relation zwischen Aufwand und Ertrag bei 64 zu halten und in kürzester Zeit auf 60 kommen werden, mit der Folge - so habe ich gelesen und ich hoffe, das tritt auch so ein - , dass die Rendite, bezogen auf das eingesetzte Kapital, bei 11 Prozent liegt. Ich glaube, dass manch einer davon träumt, dass das im privaten Bereich auch so wäre. Insofern kann man sagen, dass die Sparkassen also auf dem richtigen Weg sind. Konsolidierung in diesem Bereich heißt auch, dass man keine Angst vor sinnvollen Konzentrationsprozessen haben sollte. Wenn man sich die Zahlen der selbständigen Sparkassen ins Gedächtnis ruft, dann wird klar, dass dieser Konzentrationsprozess fortgeschritten ist und dass er dazu geführt hat, betriebswirtschaftlich vernünftige Einheiten zu schaffen. Die Sparkassen sind, was diesen Konsolidierungsprozess angeht, der auch Ihnen obliegt, auf dem richtigen Weg. Ich finde, das darf man dann auch öffentlich betonen. Und man darf auf der Grundlage dieser Zahlen auch sagen - und muss sich entsprechend verhalten - , dass es Sinn macht, ein Drei-Säulen-Modell in Deutschland zu haben.

Aber, meine Damen und Herren, ich muss, was den öffentlichen Sektor angeht, Wasser in den Wein gießen: Den gleichen Prozess haben die Landesbanken noch vor sich. Ich erinnere mich noch daran, Herr Präsident, als Sie noch in Niedersachsen tätig waren und ich auch, wie wir über die Frage geredet haben, wie viel Spitzeninstitute wohl ein Sparkassensektor braucht. Damals gab es ein Gutachten eines Beraters. Das Gutachten stellte damals fest - McKinsey war es; der eine oder andere wird sich noch erinnern - , dass man ein Spitzeninstitut brauche, gleichsam als Dach über den Sparkassen. Vielleicht ist eines zu wenig. Dem würde ich folgen wollen, wenn das behauptet wird. Aber die, die wir jetzt haben, sind zu viel. Sie werden verstehen, dass ich mich nicht auf Zahlen festlegen kann. Aber mit drei könnte man schon zurechtkommen, meine Damen und Herren. Das sollte die Richtung sein, wenn der Konsolidierungsprozess in diesem Bereich, wenn diese Säule insgesamt, eine Zukunftsperspektive haben soll. Bezogen auf die dann neu geschaffenen Einheiten würde sich die Frage stellen: Wie soll das notwendige, erhebliche Kapital in Zukunft aufgebracht werden? Ich weiß ja, dass der Bund klamm ist und die Länder reich sind. Aber ob sie so reich sind, dass sie in diesem Wettbewerb, was die Kapitalzufuhr angeht, mithalten könnten, wage ich zu bezweifeln. Ich würde mir also vorstellen können, dass sich kluge Eigentümer in einer neu geschaffenen Formation auch fragen, ob sie denn in dieser Formation auf Dauer auf privates Kapital verzichten wollen. Aber das ist eine Diskussion, die nicht der Bund führen kann, weil er die gesetzlichen Befugnisse dazu gar nicht hat. Das ist schon Sache der Länder. Aber vernünftig wäre es, meine ich, in diese Richtung zu denken und nicht nur zu denken, sondern auch entsprechend zu handeln. Das könnte dazu führen, diese Strukturen, so reorganisiert und konsolidiert, wirklich europafähig zu machen.

Damit bin ich auch wieder bei dem Thema, dass die Aufgabe des Sich-Einrichtens auf den größer gewordenen Kontinent nicht allein Aufgabe der Politik sein darf. Ich räume ein, dass es sicherlich auch Fehler in der Politik gibt. Ich habe aber auch davon gehört, dass es auch Unterlassungen im Management gibt, und das ist nicht auf einzelne Unternehmen beschränkt. Dies könnte gelegentlich, wenn jetzt nicht gehandelt wird, denjenigen, die im Weltmarkt tätig sind, zum Vorwurf gemacht werden. Man kann sagen, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen - Gewährträgerhaftung und Anstaltslast - auf den richtigen Weg begeben haben, auf einen Weg, den man unterstützen sollte. Im Bereich der privaten Banken, dem ich mich jetzt widmen werde, sollte man sagen: Versucht nicht, Rosinenpickerei zu betreiben, sondern bringt erst eure eigenen Strukturen in Ordnung. Was heißt das, bezogen auf Deutschland? Ich glaube, dass die europäische Vereinigung durchaus auch Forderungen an die private Bankenlandschaft stellt. Wir brauchen ein privates Institut, das aus Deutschland heraus global tätig werden kann. Es gibt mehrere Möglichkeiten, und ich werde keine Vorschläge machen. Aber diejenigen, die in den Vorständen oder in den Aufsichtsräten sitzen, haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es in Deutschland ein global ernst zu nehmendes Institut gibt. Besser wären zwei, jedenfalls ein zweites, das europatauglich ist, wenn ein erstes geschaffen wird, das im globalen Wettbewerb etwa mit den amerikanischen, mit asiatischen und mit großen europäischen Banken mithalten kann. Da haben einige in Europa ihre Hausaufgaben früher gemacht als die, die in Deutschland zuständig sind.

Meine Damen und Herren, eines will ich auch sagen: Das ist nicht Politikversagen, sondern das ist schon Unterlassung von Management, und das darf nicht so bleiben. Ich hoffe, dass wir uns darüber einig sind. Deswegen von hier aus mein Appell an die Verantwortlichen, mit dem Konsolidierungsprozess im privaten Bereich nun endlich ernsthaft zu beginnen. Wir brauchen diesen Prozess, wenn wir in Europa wirtschaftlich die Rolle spielen wollen, die uns als größter Volkswirtschaft und einwohnerstärkstes Mitgliedsland zukommt. Ich habe die Hoffnung, dass das geschieht. Wir können übrigens auch nicht mehr lange warten. Man muss in diesem Jahr - wie man so sagt: - "in die Strümpfe kommen", möglichst im ersten Halbjahr dieses Jahres.

Meine Damen und Herren, natürlich will ich nicht dem ausweichen, was sinnvollerweise von der Politik erwartet werden kann, um sich auf das größer gewordene Europa einzustellen. Die Agenda 2010 haben wir zweier Entwicklungslinien wegen auf den Weg gebracht. Die eine Entwicklungslinie ist definiert durch den Prozess der Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft, also dem verschärften Wettbewerb, nicht nur zwischen Unternehmen, sondern inzwischen partiell auch zwischen Volkswirtschaften. Die andere Entwicklungslinie ist definiert durch die Tatsache, dass wir einen veränderten Altersaufbau zu verzeichnen haben, der unsere sozialen Sicherungssysteme vor unglaubliche Probleme stellt. Diese beiden Entwicklungslinien sind es, auf die mit der Agenda 2010 reagiert werden musste und reagiert worden ist. Das betrifft die Aufgabe, die sozialen Sicherungssysteme so zu reformieren, dass sie auch in Zukunft Sicherheit für die Menschen gewährleisten können. Wir haben diesen Prozess mit der Gesundheitsreform begonnen. Was die Reformierbarkeit unserer Gesellschaft angeht, kann man an dem Beispiel der Praxisgebühr sehen, dass wir zwei grundlegende Probleme haben. Erstens: Die abstrakte Reformbereitschaft ist in unserem Land sehr groß; das zeigen auch die Umfragen. Wenn aber eine einzelne Gruppe oder Individuen betroffen sind, kehrt sich das Verhältnis um. Und dieser Unterschied zwischen abstrakter Veränderungsbereitschaft und konkreter Einlösung durch jeden Einzelnen oder auch durch Interessengruppen in dieser Gesellschaft macht es schwer, Reformen durchzusetzen. Zweitens: Es gibt eine zeitliche Lücke zwischen den Belastungen, die mit dem Reformprozess verbunden sind, und den Erfolgen, die sich später einstellen. Diese zeitliche Lücke macht es jeder Regierung schwer. Übrigens ist das nicht nur ein deutsches Problem, sondern Sie sehen es in ganz Europa. Es ist ein Problem aller entwickelter, wohlhabender Gesellschaften.

Wir mussten erstens, um Beiträge in einem vernünftigen Rahmen zu halten und Lohnzusatzkosten nicht weiter steigen zu lassen, die Eigenverantwortung stärken. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass das Solidarprinzip weiter in Zukunft gelten kann. Zweitens hatten wir angesichts des veränderten Altersaufbaus unserer Gesellschaft neben die umlagefinanzierte Alterssicherung eine kapitalgedeckte Alterssicherung zu stellen. Das ist bereits in der letzten Legislaturperiode gelungen. Meine Bitte ist, Produkte auch in Ihren Instituten anzubieten, die diesen Prozess zu realisieren helfen. Wir werden jetzt, einem Gebot des Verfassungsgerichts folgend, das einführen, was man nachgelagerte Besteuerung nennt. Im Kern ist das etwas außerordentlich Vernünftiges, weil wir nicht mehr die Beiträge, die die Aktiven in die Rentenversicherung einzahlen, besteuern, sondern diese steuerfrei stellen."Nachgelagert" heißt eben, die Ergebnisse zu besteuern. Das ist eine Verpflichtung, der wir nachkommen müssen. In diesem Zusammenhang will ich auf das eingehen, was mir von heute Morgen berichtet worden ist. Da hätte hier ein früherer Kollege darüber geredet, dass man gar nicht genug Reformen machen könnte. Wenn das so sein soll, dann müsste doch das Land Hessen dafür sorgen, dass die nachgelagerte Besteuerung - ein Gebot des Bundesverfassungsgerichts - im Bundesrat nicht scheitert. Das wäre praktizierte Reformbereitschaft, meine Damen und Herren.

Wir befinden uns mitten in dem Prozess, den Arbeitsmarkt in Deutschland zu flexibilisieren und das Prinzip, die Menschen zu fördern, Wirklichkeit werden zu lassen. Wir werden deutlich machen, dass Arbeit prinzipiell immer zumutbar ist. Und wenn sie zum Lebensunterhalt nicht reicht, gibt es inzwischen - das war der Fall, längst bevor über Niedriglohnsektoren diskutiert worden ist - Maßnahmen, die helfen, dass es reichen kann. Wir werden dazu kommen, dass sich die Bundesagentur für Arbeit wirklich der Vermittlung der Arbeitslosen in Arbeit widmen kann. Bisher waren zu wenige der Beschäftigten in die Vermittlungstätigkeit eingebunden. Das muss geändert werden. Auch in diesem Prozess kann man hilfreich sein, wenn man reformorientiert ist. Man sollte sich nicht hinter Ideologien verstecken und immer neue Vorschläge machen, sondern man sollte den Reformprozess unabhängig von der parteipolitischen Färbung unterstützen. Aber wenn man das Vollkommene an die Wand malt und die Tatsache, dass das noch nicht Wirklichkeit ist, als Legitimation zur Verhinderung nutzt, dann ist das keine Unterstützung von Reformen. Das ist Blockade.

Meine Damen und Herren, wir brauchen die Agenda 2010, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu gestalten. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist: Wir brauchen die Agenda 2010, damit wir Ressourcen frei bekommen, um die Zukunftsaufgaben auch finanzieren zu können. Die zentralen Aufgaben der Zukunft sind: Bildung, Forschung und die Betreuung von Kindern. Diese ist wichtig, damit Frauen, die gut ausgebildet sind und arbeiten wollen, auch arbeiten können, weil sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren können. Das sind die Aufgaben, die wir in diesem Jahrzehnt bewältigen müssen. Wenn man sich fragt, wie man diese Aufgaben angesichts knapper Kassen finanziert, dann kann die Antwort nur sein: Wir müssen von Vergangenheitssubventionen hin zu Zukunftsinvestitionen umsteuern. Dazu habe ich die Eigenheimzulage als ein Beispiel genannt. Ich weiß, verehrter Herr Präsident, dass Sie sich kritisch damit auseinander gesetzt haben. Aber die Eigenheimzulage ist eine Subvention, deren Berechtigung sinnvollerweise überprüft werden muss. Wenn man dies vorurteilsfrei tut, dann wird man feststellen, dass damit auch Mitnahmeeffekte finanziert werden. In Zeiten von Wohnungsnot war die Eigenheimzulage natürlich eine sinnvolle Ausgabentätigkeit des Staates, aber sie ist es doch nicht in Zeiten eines erhöhten Angebots. Abgesehen von einigen Ballungszentren haben wir keine schwierige Wohnraumsituation. Im Gegenteil subventionieren wir im Osten unseres Landes sogar den Abriss von Wohnraum. Das Auslaufen der Eigenheimzulage mobilisiert mehrere Milliarden Euro, die zusätzlich in Forschung und Entwicklung investiert werden können. Ich will aber auch ein anderes klares Wort sagen: Ich glaube nicht, dass das in gleicher Weise für den Sparerfreibetrag gilt. Man muss bei der Frage, ob man Subventionen abbaut, sehr genau prüfen: Welche Wirkung hat eine Subvention, brauchen wir sie noch, und welche sozialen Folgen hätte der Abbau? Damit kommen wir in dem einen Fall zu der Schlussfolgerung, dass man an diesen Punkt herangehen muss, und in dem anderen Fall zu der Schlussfolgerung: Da lassen wir die Finger davon.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine Bemerkung zur Steuerpolitik machen. Ich will nur daran erinnern: Wir haben 1998 die Situation vorgefunden, dass der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent und der Eingangssteuersatz bei 25,9 Prozent lag. Anfang 2005 wird der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent und der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent liegen. Ich sage insbesondere jenen, die in politisch schrecklichen Irrtümern verfangen sind, weil sie ein schwarzes Parteibuch haben: Das ist etwas, was man jedenfalls einer rot-grünen Regierung nicht zugetraut hätte. Ob man es von der eigenen erhofft hat, will ich einmal dahin gestellt sein lassen. Bekommen hat man es jedenfalls in den 16 Jahren davor nicht. Wenn man in Deutschland über Steuerpolitik redet, dann sollte man auch darüber reden, dass diese Steuersenkungen eine beachtliche politische Leistung sind. Wenn ich mir ansehe, wie das im Unternehmenssteuerbereich gewesen ist, so rede ich nicht nur über die Tatsache, dass diese 42 Prozent auch den privaten Unternehmern, also den Personengesellschaften, zugute kommen - wohlgemerkt als Grenzsteuersatz. Sondern neu ist auch, dass die Kapitalgesellschaften - ich lasse jetzt die kommunalen Steuern beiseite - vom Staat mit 25 Prozent besteuert werden. Dass man inzwischen bei den Privaten die Gewerbeertragsteuer bis zu einem bestimmten Satz anrechnen kann, ist auch neu. Diese Forderung wurde aus dem Mittelstand heraus früher immer wieder erhoben, aber nie durchgesetzt. Von dieser Bundesregierung allerdings schon.

Das, was auf steuerlichem Gebiet geleistet worden ist, kann sich sehen lassen. Natürlich kann man immer noch mehr fordern. Aber eines geht schwer zusammen: amerikanische Steuersätze und deutsche Abschreibungsmodalitäten. Das wird nicht gelingen. Wenn wir über Steuer-Vereinfachung reden, will ich Vorschläge hören. Wenn wir über Steuer-Sätze reden, will ich Vorschläge hören. Ich habe im Vermittlungsausschuss im vergangenen Jahr der Opposition vorgeschlagen: Lasst uns die Steuerreform nicht aufteilen, sondern die Steuerreformstufe des Jahres 2005 vorziehen und die Steuerreform auf einmal machen. Die Ministerpräsidenten der Union haben dies abgelehnt. Einen Tag später haben sie angefangen, über niedrige Steuersätze zu diskutieren. Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, dass ich angesichts dieser Erfahrung sagen muss: Wenn einer meiner früheren Ministerpräsidenten-Kollegen mit einem eigenen Vorschlag kommt, dann muss ich wenigstens verlangen, dass sie ihn erst einmal im ersten Durchgang durch den Bundesrat bringen und sich hinter dem eigenen Vorschlag versammeln. Und erst dann kann mit mir geredet werden, ob man noch weiter gehen kann oder nicht. Alles andere heißt nun wirklich, meine politische Erfahrung zu unterschätzen. Meine Damen und Herren, man muss auch aufpassen, dass man nicht das zerredet, was im Hinblick auf die Steuern geleistet worden ist, was uns in Europa in das untere Drittel der Belastungen geführt hat. Man darf sich nicht international schlechter machen, als man wirklich ist.

Meine Damen und Herren, wir sind mit dem Agenda-Prozess und dem, was wir in der Steuerpolitik gemacht haben, auf dem richtigen Weg, um Deutschland auch im größeren Europa wettbewerbsfähig zu halten. Wir tun das zudem, um Sozialstaatlichkeit auch in Zukunft sichern zu können, und wir tun das im Übrigen aus Gerechtigkeitsgründen. Ich bin sehr dafür, über Gerechtigkeit zu diskutieren, aber man darf den Begriff der Gerechtigkeit nicht nur auf unsere, auf die heute lebende Generation beziehen. Gerecht sind wir dann und nur dann, wenn wir dafür sorgen, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder morgen und übermorgen noch etwas haben, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, was sich gesellschaftlich und politisch mit dem Agenda-Prozess verbindet. Ich hoffe, dass erkannt wird, meine Damen und Herren, dass die Modernisierung unserer Gesellschaft natürlich auch der Politik obliegt, dass aber wichtige Systeme in dieser Gesellschaft, wichtige gesellschaftliche Bereiche - ich habe über die öffentlich-rechtlichen und die privaten Banken geredet - zwar auch reformiert werden müssen, dass diese Aufgabe aber nicht bei der Politik abgeladen werden kann, sondern dass dies deren ureigene Angelegenheit ist. Sie haben sich - ich sage das mit großem Respekt - auf einen, wie ich finde, beachtlichen und richtigen Weg gemacht. Das ist der Grund, warum ich Ihnen bei Ihrer Arbeit und in Ihrer Arbeit auch in Zukunft sehr viel Erfolg wünsche. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.