Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.05.2004
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss führt am 6. Mai 2004 in Berlin mit ihrer Rede in die Podiumsdiskussion "Ein Europa - wieviel Kultur(en)?" mit den Kulturministern der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten ein.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/92/648892/multi.htm
wir freuen uns immer noch über die historische Stunde, als der europäische Kulturraum wieder zusammenfand. Willkommen zurück, könnte man unseren neuen Partnern zurufen. Denn sie gehörten immer dazu, daran konnte auch der Eiserne Vorhang nichts ändern. Jetzt endlich kann die EU für ganz Europa sprechen. Die Kultur- und Wertegemeinschaft ist wieder komplett. Wir stehen vor der Herausforderung, die mentalen Gegensätze zwischen West und Ost durch gegenseitiges Verständnis füreinander zu überwinden. Die Vielfalt der Sprachen und der Kulturen empfinden wir als Bereicherung, und es wird auf uns ankommen, wie wir dies fördern. Natürlich gibt es auf beiden Seiten des einstmals geteilten Kontinents auch Skepsis. Hierzulande, so habe ich im ZDF-Politbarometer erfahren, befürchten 47 Prozent der Befragten "Nachteile auf längere Sicht" durch die kontinentale Wiedervereinigung.
Auf beiden Seiten wissen nur noch wenige, was uns einst verbunden hat. Wir brauchen einen Wahrnehmungssprung, einen Mentalitätswandel, wir brauchen ein verändertes, ein erweitertes kulturelles Bewusstsein. Denn wenn die europäische Kultur einzig die Kultur des Geldes wäre, ginge Europa als Idee verloren und die Währungseinheit als Verbindungselement früher oder später auch.
Dann - und nur dann - werden wir die Herausforderungen und Chancen des neuen Europa begreifen, sie annehmen und zu unserem gemeinsamen Nutzen gestalten können. Wer könnte dafür besser sorgen als die Kulturminister? Ich freue mich sehr, dass wir uns heute in Berlin treffen, um zu besprechen, wie das konkret gelingen kann.
Wie kann es gelingen, sich auf die kulturellen Werte zu besinnen, in ihnen Orientierung zu finden und Herausforderung zu entdecken. Ich habe mich, wie Sie wissen, schon früh dafür eingesetzt, ein Programm "Kulturelle Leuchttürme im Osten Europas" aufzulegen. Leuchttürme spenden Licht im Dunkel. Die Metapher steht für Aufklärung. Es geht um Institutionen, die über das ganze Land ausstrahlen. Ein Blaubuch könnte den kulturellen Raum Europas verzeichnen.
Wir hier in der Bundesrepublik Deutschland haben mit einem solchen Kompendium gute Erfahrungen gemacht, als wir vor fast vierzehn Jahren damit begannen, die Kulturlandschaft Ostdeutschlands zu analysieren und schwere Formen der Vernachlässigung zu beheben. Viele Kultureinrichtungen sind im Zuge dieser Blaubuch-Bewegung umstrukturiert und saniert worden. Mit Selbstbewusstsein und vor allem der Besinnung auf die eigene Kraft haben sich die kulturellen Spitzeneinrichtungen in Ostdeutschland entwickelt. Die Bundesregierung hat hier geholfen, weil es sich um Institutionen von "gesamtstaatlicher Bedeutung" handelt. Eigentlich liegt die kulturellen Pflege in den Händen der Länder sowie der Städte und Gemeinden.
Die Aufnahme in das "Blaubuch" ist ein besonderes Gütezeichen, das nicht zuletzt auch im Hinblick auf Europa zeigt, wo die besonders prägnanten Solitäre in unserer Kulturlandschaft zu finden sind. Ob diese Idee auch in den zehn beigetretenen Ländern auf einen fruchtbaren Boden fallen wird, hängt sicher von den bisherigen Erfahrungen und den konkreten Verantwortlichkeiten für den Bereich der Kultur ab. Ich würde mich freuen, wenn es trotzdem gelänge, ein "Blaubuch" für die EU-Beitrittsländer aufzulegen, um auf die großen kulturellen Reichtümer in Ihren Ländern zu verweisen, die unsere europäische Kultur über Jahrhunderte geprägt haben.
Das neue Marketing für die europäische Idee wird ganz sicher auch vom Kulturtourismus abhängen.
Aus diesem Grunde bin ich sicher, dass sich der Rat der europäischen Kulturminister Ende Mai darauf verständigt, dass die neuen Mitgliedstaaten in die Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstädte Europas einbezogen werden.
Europa kann nur "von unten" wachsen. Wir brauchen west-östliche Partnerschaften, um das erweiterte Europa zu verstehen. Die Kultur spielt dabei die herausragende Rolle. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie meine Kolleginnen und Kollegen die Dinge sehen.