Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 14.05.2004
Untertitel: Rede Bundeskanzler Gerhard Schröder zum 60. Jahrestag Bundesverband Deutscher Stiftungen in Trier am 14. Mai 2004
Anrede: Herr Ministerpräsident, Herr Oberbürgermeister, liebes Preisträgerehepaar, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/54/675654/multi.htm
die Erkenntnis, dass ein Staat die Bürger nicht rundum versorgen kann und versorgen will, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Ein solcher Staat ist nicht nur nicht bezahlbar, er wäre nach meiner Auffassung auch gar nicht wünschenswert. Das Selbstbewusstsein seiner Bürgerinnen und Bürgern würde leiden, Kreativität und Engagement würden Schaden nehmen. Wir hätten das Gegenteil von einem modernen Staat, wie ihn die Bürger wollen und wie ihn die Bedingungen des 21. Jahrhunderts erfordern.
In Zukunft werden wir noch viel mehr als bisher auf das Wissen, die Fähigkeiten und die Kreativität derer angewiesen sein, die für sich, aber damit zugleich auch für andere, für die Gemeinschaft, etwas tun wollen. Diese Kreativität muss sich zwar im öffentlichen Raum, aber ohne öffentliche Gängelung, entfalten können. Ich glaube, das ist der Grundgedanke des rheinland-pfälzischen Stiftungsgesetzes, den man nur begrüßen kann. Was die Gesellschaft besser lösen kann - und da gibt es vieles, - das muss der Staat nicht machen, mehr noch, er darf es nicht machen. Das gilt für Solidarität, für Nachbarschaftshilfe, das gilt für Wissenschaft und Kultur. Mit guten Gründen - und da bin ich bei dem Punkt, liebe Familie Daetz, der sie bewogen hat, sich zu engagieren - kennt die Demokratie keine Staatskultur. Gerade wir, die Deutschen, haben damit historische Erfahrungen unterschiedlichster Art, und wir haben aus diesen Erfahrungen gelernt.
Dieses Prinzip gilt aber auch für eine zeitgemäße Ausgestaltung eines der wesentlichen Merkmale unser politischen und sozialen Ordnung: Sie bringen mit Ihrer Tätigkeit zum Ausdruck, dass in diesem Land Eigentum eine soziale Bindung hat und behalten muss. Diese Sozialbindung lässt sich durch private Initiative von Stiftern weit besser realisieren als durch das alleinige Vertrauen auf einen Staat, der das alles regeln soll. Der Stiftungsgedanke ist wahrscheinlich die beste Möglichkeit, Eigennutz und Gemeinnutz vernünftig - und das kann ja durchaus auch heißen: Gewinn bringend - in Einklang zu bringen.
Das ist es, was wir als Leitlinie schon bei Hegel finden. In der Philosophie des Rechts hat er geschrieben: "Meinen Zweck befördernd, befördere ich das Allgemeine, und dieses wiederum befördert meinen Zweck". Klarer und deutlicher kann man diese "Philosophie des Stiftens" nicht auf den Nenner bringen. Man könnte es als eine Art Präambel für das Stiftungswesen erklären. Hier zeigt sich übrigens auch, dass die Grundlagen der europäischen und der deutschen Aufklärung noch immer gutes Rüstzeug für die Gestaltung unserer modernen Gesellschaft sind.
Meine Damen und Herren, in Stiftungen können sich neue Ideen entwickeln, während bewährte Traditionen der Solidarität und der Förderung gepflegt werden. Stiftungen engagieren sich dabei in vielfältiger Weise, sowohl was den Zweck ihrer Arbeit angeht, als auch die Form, in der sie arbeiten, ob als Bürgerstiftungen etwa oder im traditionelles Mäzenatentum. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen bietet seit fast sechs Jahrzehnten dieser Vielfalt ein gemeinsames Dach, und es ist Ihr Verdienst, meine Damen und Herren, dass der Stiftungsgedanke in Deutschland lebendig ist. Und ich verstehe, Herr Dr. Brickwedde, sehr wohl, dass Sie mit Stolz, völlig zurecht auf das hingewiesen haben, was in dieser Zeit geleistet worden ist. Sie vernetzen Stiftungen, geben Anregungen, ermutigen und, wo nötig, unterstützen Sie ihren Aufbau. Das ist eine wichtige Arbeit, die für den Einzelnen, der etwas tun möchte, unentbehrlich ist. Wir haben vernommen, dass Sie die Interessen der Stiftungen in der Öffentlichkeit vertreten. Sie tun dies, wie ich finde, auf eine sehr feine, zurückhaltende Art. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir im Gespräch bleiben, und wenn wir sinnvoll etwas verändern können, dann werden wir darüber zu sprechen haben. Auch auf europäischer Ebene arbeitet der Bundesverband Deutscher Stiftungen daran, dass europaweit stiftungsfreundlichere Bedingungen zustande kommen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren, es zeigt sich, dass bei allen Unterschieden die Stiftungen zentrale Gemeinsamkeiten haben. Ihr Engagement ist auf Dauer angelegt. Das bringt ein Stück Beständigkeit in das oft temporäre bürgerschaftliche Engagement. Basis ist dabei nicht nur das teilweise beachtliche Kapital, sondern vor allem das persönliche Engagement, das mindestens eben so wichtig und ebenfalls vorbildhaft ist. Viele Menschen stiften nicht nur Geld, sondern vor allem Ideen und Arbeitskraft. Das macht deutlich, dass die Stiftungen auf beiderlei Weise einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Sie sind ein wesentliches Element dessen, was man Zivilgesellschaft nennt.
Solidarität, Bürgersinn, Zivilcourage sind für eine Gesellschaft wie unsere, die auf Integration und auf Teilhabe möglichst vieler Menschen angelegt ist, unverzichtbar. Und gerade in Zeiten eines gesellschaftlichen Wandels - und wir sind mitten in einer solchen Zeit - ist eine starke Zivilgesellschaft, die das Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt der Gesellschaft vermittelt, es "mit stiftet" im wahrsten Sinne des Wortes, wichtig. Klappern gehört zum Handwerk ", so heißt es. Deshalb will ich auch etwa sagen zu dem, was die Bundesregierung getan hat. Wir haben die Förderung des bürgerschaftlichen Engagement für uns zu einer wichtigen Aufgabe gemacht. Wir haben die Übungsleiterpauschale erheblich verbessert. Die Freiwilligen-Dienste, hier engagieren sich inzwischen über 15.000 junge Menschen, werden weiter ausgebaut. Wir haben weiterhin das Stiftungsrecht novelliert. Die steuerlichen Aspekte des Stiftungsrecht haben wir bereits vor vier Jahre reformiert und deutlich verbessert. Die Möglichkeiten des Sonderabzuges für private, öffentliche und kirchliche Stiftungen wurden erweitert. Es können pro Jahr bis zu 20.450 € steuermindernd geltend gemacht werden. Privatpersonen und Personenunternehmen können die erstmalige Vermögensausstattung einer Stiftung bis zu einer Höhe von 307.000 € steuerlich absetzen.
Auch im Erbschaftssteuerrecht haben wir wichtige Verbesserungen erreicht. Es stellt Zuwendungen für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke von der Erbschaft- und Schenkungssteuer frei. Der Kreis der im Erbfall steuerlich begünstigten gemeinnützigen Stiftungen umfasst nun neben Wissenschaft und Kultur auch Entwicklungshilfe, Sport, die Kirchen und die Umwelt. Neu errichteten Stiftungen ist das, was man Thesaurierung nennt, gestattet, also die Erhöhung des Stiftungskapitals aus den Erträgen des Kapitals in den ersten drei Jahren. Das dient den Ansparmöglichkeiten der Stiftungen. Diese Regelung hilft vor allen Dingen auch den Bürgerstiftungen. Wir haben entbürokratisiert, und wir haben vom Ministerpräsidenten gehört, dass dies fortgesetzt wird.
Herr Dr. Brickwedde hat darauf hingewiesen, dass man die positiven Maßnahmen auch spüren kann. Die Zahl der Stiftungen erhöht sich um rund 800 pro Jahr, das sind Zuwächse wie nie zuvor. Mittlerweile gibt es in unserem Land rund 10.000 Stiftungen. Wir sind noch weit entfernt von den 100.000 Stiftungen, die es vor rund 100 Jahren in Deutschland gab. Es ist interessant, wie sehr Stiftungen die politische Kultur in unserem Land geprägt und bereichert haben, und es ist schön zu wissen, dass man an diese politische Kultur wieder anknüpfen will und anknüpfen kann. Die Gründe für das zeitweise Verschwinden sind bekannt. Sie haben zu tun mit den Kriegen, mit zwei totalitären Regimen, die einem ehemals blühenden Stiftungswesen den Boden entzogen hatten, aber auch damit, dass viele Aufgaben vom modernen Sozialstaat übernommen wurden.
Wir betrachten die Stiftungen aber nicht als die Möglichkeit des Staates, sich aus seinen sozialen Verpflichtungen zu entfernen. Wir betrachten Stiftungen und Stifter als sinnvolle, wesentliche und wirkungsvolle Ergänzungen eines sicher reformbedürftigen und zu reformierenden Sozialstaates, aber nicht als die Alternative dazu.
Wir brauchen einen modernen Sozialstaat, und bei der Reform dieses Sozialstaates müssen wir auf zwei Entwicklungslinien in unserer Gesellschaft reagieren. Die eine ist definiert durch den schärferen Wettbewerb im Zuge der Globalisierung, die andere durch einen radikal veränderten Altersaufbau in unserer Gesellschaft. Und wenn wir Sozialstaatlichkeit erhalten und Gerechtigkeit üben wollen, nicht nur für die heute lebende Generation, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder, dann müssen wir den Sozialstaat umbauen, um ihn erhalten zu können.
Das Engagement von Stiftungen stärkt auch unsere demokratisches Gemeinwesen. Wir brauchen aus der Gesellschaft heraus Zuversicht. Wir sind eine ungewöhnlich reiche Gesellschaft. Wir sind reich und können reich bleiben, wenn wir es verstehen, das Engagement der Menschen in unserem Land zu gewinnen und für vernünftige Projekte zu nutzen. Ich bin hoffnungsfroh, dass uns das gelingen wird und ich finde es ist schön, bei Menschen sein zu können, die mit ihrer eigenen Arbeit und ihrem eigenen Vermögen dafür sorgen, dass sich mehr an Gemeinsinn in schwierigen Zeiten in Deutschland entfaltet. Hierin liegt der eigentliche Sinn auch der Vergabe des heutigen Preises. Es ist gelebte und praktizierte Großherzigkeit, und das ist wohl auch der Grund, aus dem Sie die heutigen Preisträger ausgesucht haben.
Für Ihre Arbeit wünsche ich Ihnen auch künftig sehr viel Erfolg. Und ich möchte Ihnen sagen, dass die Menschen in diesem Land aufmerksam und mit großem Respekt auf Sie schauen.