Redner(in): Christina Weiss
Datum: 04.06.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss hat am 4. Juni 2004 die Sammlung des international bedeutenden Fotografen Helmut Newton eröffnet.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/40/662940/multi.htm


Berlin hat ein neues Museum! Ein Museum, das Helmut Newton und der Fotografie gewidmet ist. Helmut Newton und die Fotografie - in diesem Fall ist das eine ganz spezielle Einheit: Ohne Helmut Newton wäre die Fotografie nicht da, wo sie heute ist.

Und ohne Helmut Newton gäbe es auch dieses Museum nicht, zumindest nicht in der Form, wie es sich heute Abend ankündigt und in wenigen Wochen vollendet wird.

Als Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz freut es mich besonders, dass hier im Haus Jebensstraße 2 die private Stiftung Helmut Newton und die Staatlichen Museen zu Berlin künftig unter einem Dach gemeinsam das gleiche Ziel verfolgen: nämlich eine Bibliothek des Sehens zu entwickeln und der Fotografie ein Forum zu geben - in allen ihren künstlerischen Ausprägungen, Themen und Stilen.

Ich will allerdings auch nicht verhehlen, dass sich die Freude über dieses neue Zentrum für Fotografie für mich mit Schmerz, Traurigkeit und Wehmut mischt. Als wir vor etwas mehr als einem halben Jahr an dieser Stelle zusammen-kamen, um das Projekt vorzustellen, gab es niemanden, der ernsthaft bezweifelt hätte, dass sein Namensgeber an diesem Abend mit uns feiern würde. Sie wissen, dass es das Schicksal anders wollte.

Nun ist dieses Haus nicht nur ein Museum für Helmut Newton und seine Kunst geworden, sondern auch Teil der Erinnerung an ihn.

Hier, in der Jebensstraße, schliesst sich ein Lebenskreis, wie er dramatischer, aufregender, aber auch hoffnungsvoller kaum denkbar ist. Nicht weit von dort, wo wir jetzt stehen, ist Helmut Newton geboren und aufgewachsen.

Hier ist er zur Schule gegangen, ist mit seinen Freunden über den Kurfürstendamm gebummelt. Hier hat er bei der berühmten, später von den Nationalsozialisten deportierten Else Simon, genannt Yva, seine erste fotografische Ausbildung erhalten. Dann wurde er aus Berlin vertrieben. Singapur, Melbourne, Paris, Monte Carlo waren weitere Lebensstationen.

In Australien hat er Sie, verehrte June, kennengelernt und geheiratet.

Amerika wurde seine neue Heimat.

Aber ist Helmut Newton deshalb ein Amerikaner geworden? Ja und nein. Sein Humor blieb berlinisch-deftig, sein Sehen und seine Kunst waren dagegen von Traditionen diesseits und jenseits des Atlantiks geprägt.

Als hoch bezahlter Star-Fotograf ist Helmut Newton in den sechziger Jahren und danach öfter sogar wieder nach Deutschland gereist. Ob es ihm schwer gefallen ist - vielleicht. Berlin blieb seine Stadt, und so sind am Grunewaldsee und verschiedenen anderen Orten in Berlin einige seiner bekanntesten und besten Fotoserien entstanden.

Dennoch war seine Entscheidung, sein Archiv hierher zu geben, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denn: Wie sehr es ihn bewegt haben muss, als Vertriebener zurückzukehren, sich wieder mit Deutschland einzulassen, wissen wahrscheinlich nur sehr wenige Menschen.

Wichtig war ihm die Geste, die daraus spricht, die zur Versöhnung ausgestreckte Hand. Über diese Geste bin ich sehr froh und dankbar. Sie ehrt dieses Land und seine Menschen. Sie ist aber auch eine Verpflichtung.

Wir sollten niemals vergessen, welche Verbrechen Deutsche verübten. In diesem Bewusstsein müssen wir gleichzeitig aber auch nach vorne schauen. Das ist die Botschaft, die Helmut Newton mit seinem überaus großherzigen Akt verbunden hat. Diesem Vermächtnis gerecht zu werden, ist unsere Aufgabe für die Zukunft, und es erfüllt mich mit Freude zu wissen, dass dieses Haus ab jetzt für immer Helmut Newtons Namen tragen wird.

Dieses Gebäude dokumentiert das Weggehen und Wiederkommen eines großen Künstlers. Es ist, so lässt sich sagen, von Emotionen aufgeladen.

Ein Sehnsuchtsort vielleicht. Vor 65 Jahren, als man ihn aus der Stadt vertrieb, fiel sein letzter Blick auf das ehemalige Landwehrkasino. Hier nahm er Abschied und hierher kehrt er nun zurück nach Hause.

Meine Damen und Herren,

als Fotograf hat Helmut Newton provoziert und polarisiert. Vor allem aber war er einer derjenigen, die die Fotografie so populär gemacht haben, wie sie heute ist. Mit seinen Arbeiten für die französische, die amerikanische, die italienische und die deutsche Vogue hat er ein Millionenpublikum erreicht.

Seine Bildbände stießen in Auflagenregionen vor, die der Kunst normalerweise verwehrt bleiben. Ihm ist es gelungen, Menschen für seine Fotos zu begeistern, die sich sonst vielleicht nicht für Kunst interessiert hätten.

Helmut Newton hat in seinem Werk virtuos zwei Sphären vereint, die sich sonst oft genug feindselig gegenüber stehen: künstlerische Qualität und Massengeschmack. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, den Blick zu schärfen für gekonnte Inszenierungen und mehrdeutige, vielschichtige Inhalte.

Das alles hat er mit der ihm eigenen, unvergleichlichen Eleganz und Noblesse getan. Man merkte ihm in jedem Moment, in jedem Bild an, wo er seine Wurzeln hat: in der mondänen europäischen Metropole, die Berlin in den Zwanziger Jahren war.

Daran zu erinnern, wird eine der großen Aufgaben des neuen Hauses sein. Überhaupt verspreche ich mir sehr viel von diesem "Museum des Sehens", das hier in der Jebensstraße entstehen wird. Nicht zuletzt auch in Hinsicht auf die städtebaulichen Verbesserungen, die damit einher gehen werden.

Bisher war die Rückseite des Bahnhofs Zoo kein Ort, an dem man gern ver-weilt, um sich der ästhetischen Bildung hinzugeben. Das wird sich nun ändern:

Die Stadt, die sich hier von einer ihrer unwirtlichsten Seiten zeigte, wird neu belebt. Passanten und wartende Zugreisende, Einheimische und Touristen werden jetzt den Weg hierher finden - und das wird der Gegend sicherlich gut tun.

Dass all dies möglich wurde, ist in allererster Linie der Großzügigkeit der Helmut Newton-Stiftung zu verdanken. Sie bringt nicht nur Helmut Newtons Arbeiten, sein Archiv und seine persönliche Sammlung ein, sondern hat auch die Kosten für den Umbau dieser Räume übernommen.

Dafür möchte ich ihr meinen herzlichen Dank aussprechen.

Wir sind heute in Deutschland und besonders in der Hauptstadt Berlin mehr denn je darauf angewiesen, dass private Mäzene ihre Schätze und Besitztümer in die öffentliche Hand legen.

Ich würde mir wünschen, dass diese Initiative dazu beiträgt, diese Erkenntnis weiter zu verbreiten. Wir brauchen mehr bürgerschaftliche Beteiligung, wenn wir das hohe Niveau der kulturellen Einrichtungen im Land halten wollen.

Mein Dank gilt natürlich auch dem Land Berlin, das dieses Gebäude zur Verfügung gestellt hat, sowie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die beide schnell und entschlossen reagiert haben, als sich nach langem Hin und Her um das geplante Zentrum für Fotografie endlich eine praktikable Lösung abzeichnete.

Ganz besonders möchte ich jedoch einer Frau danken, ohne die wir hier heute nicht versammelt wären. Wie Sie, liebe June, dieses Vorhaben nach dem tragischen, unerwarteten Tod ihres Mannes mit Verve, Elan und mitreißendem Engagement vorangetrieben haben, das war für alle, die es miterleben durften, äußerst beeindruckend und ein großes Glück.

Als Fotografin, die selbst weltweiten Ruhm genießt, wissen Sie am besten, dass herausragende Bilder nur dann ihre Wirkung ganz entfalten, wenn sie von möglichst vielen betrachtet werden können.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und dem Museum für Fotografie nicht abreißende Besucherströme. Ich bin mir sicher, Sie werden ihr Publikum in anhaltende Begeisterung versetzen. Helmut Newton würde es freuen.