Redner(in): Christina Weiss
Datum: 17.06.2004
Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss begründet in ihrer Rede zum Unions-Antrag "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen" (BT-Drs. 15/3048) die ablehnende Haltung der Bundesregierung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/48/670348/multi.htm
der Antrag, um den es in dieser Debatte geht, trägt den Titel "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen". Dies klingt zunächst einmal unverfänglich und unstrittig, denn es dürfte Konsens in diesem Hause sein, dass die Gedenkstättenförderung eine Kernaufgabe der Kulturpolitik und durchaus sehr erfolgreich ist.
Studiert man jedoch den Antrag, könnte durchaus der Eindruck entstehen, dass das Feld der Erinnerungskultur schlecht bestellt ist. Zwar gibt es vage Hinweise auf die bekannte Konzeption der Bundesregierung; allerdings dienen diese nur dazu, neue Vorwürfe zu erheben. Sie gipfeln in der Behauptung, die Bundesregierung habe ihre eigenen Vorschläge und Ansätze nicht umgesetzt.
In Interviews, in verschiedenen Beiträgen, nicht zuletzt in den Antworten auf Schriftliche Fragen und in einer Vielzahl von Briefen habe ich ebenso wie meine beiden Vorgänger immer wieder darauf hingewiesen, wo und in welchem finanziellen Rahmen der Bund Gedenkstätten fördert.
Alljährlich erreichen die zuständigen Stellen in den Bundesländern Hinweise, in welcher Zeitspanne Förderanträge vorgelegt werden sollten und welchen formalen und inhaltlichen Kriterien sie gehorchen müssen.
Es kann also wirklich niemand unbekümmert behaupten, er wüsste nicht, welche Möglichkeiten bestehen. Genauso wenig sollte unterstellt werden, der Bund würde seine Mittel nach Gutdünken vergeben.
Die Geschichte des vorliegenden Antrages verrät bereits sein Ziel. Wir wissen alle, dass dieser Antrag kein neuer ist, dass aber die erste Fassung zurückgezogen wurde. Der zweifelhafte Text war in den Sog der heftigen Debatte um die gesetzliche Grundlage der Stiftung Sächsische Gedenkstätten geraten und hatte einen Streit darüber entfacht, wie mit dem Gedenken an die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert zu verfahren sei. Während man in Sachsen noch über die Konsequenzen aus dieser Diskussion nachsinnt, glauben die Verfasser des erneut vorgelegten Antrags, durch die Streichung der inkriminierten Bezüge auf die Stiftung Sächsische Gedenkstätten die alten Vorwürfe tilgen zu können.
Nach wie vor aber sind die Hinweise von nicht zu verdrängender Deutlichkeit: die Verfasser wollen einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Geschichtsbetrachtung und konsequenterweise auch in der Geschichtspolitik erwirken. Zum einen bedeutet dies eine Gleichsetzung der Opfer des Nationalsozialismus, der Opfer des SED-Regimes und der deutschen Zivilopfer, die Bombenkrieg und Vertreibung zu erleiden hatten. Zum anderen bestimmt künftig die Bundesregierung, was gefördert wird.
Ende der 1980er Jahre entspann sich der "Historikerstreit" über die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen. Gleichzeitig sah sich unser Land mit einer heftigen Auseinandersetzung um die Gründungen des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des Deutschen Historischen Museums konfrontiert.
Vor diesem Hintergrund kamen wir damals parteiübergreifend zu dem sinnvollen Schluss: es darf und wird kein regierungsamtliches Geschichtsbild geben. Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man nun im Antrag der CDU / CSU-Fraktion lesen muss: Bei der inhaltlichen Arbeit wirken Bund und das jeweilige Land gleichberechtigt zusammen, die Wissenschaft wird angemessen beteiligt."Was die Politik als historisch richtig und wichtig einstuft, darf von der Wissenschaft also bestätigt werden? Wenn dann im weiteren Text großzügig die" Pluralität der Konzeptionen "sowie" dezentrale Lern- und Zugangsmöglichkeiten "und" die Zusammenarbeit der Gedenkstätten mit Schulen und anderen Trägern politischer Bildungsarbeit "zugestanden wird, so wird diese Garantie - wie es heißt -" trotz der zentralen finanziellen Verantwortung " gewährt.
Damit sind wir dann endgültig im Bereich deutscher Spruchweisheit angelangt: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."
Meine Damen und Herren: das kann und darf es doch nicht sein. Die Gedenkstättenarbeit in Deutschland ist international geachtet und wird hervorragend beleumundet. Ich darf noch einmal auf die Grundlagen hinweisen, die diese stabile Erinnerungskultur ermöglicht haben:
Gedenkstättenarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Die heute bestehenden Einrichtungen sind aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden. Diese gesellschaftliche Einbindung der Gedenkstättenarbeit muss auch in Zukunft gewährleistet bleiben.
Gemäß der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes liegt die Zuständigkeit für den Erhalt und die Pflege der Gedenkstätten zunächst bei den Ländern.
In Fällen herausragender nationaler und internationaler Bedeutung kann der Bund fördernd tätig werden. Dies setzt wissenschaftlich fundierte Anträge voraus, die von den jeweiligen Sitzländern der Einrichtungen mit der Zusage der hälftigen Finanzierung an den Bund weitergeleitet werden. Bei der Vergabe seiner Mittel schließlich wird der Bund von einem unabhängigen Expertengremium beraten.
Auf diesem Fundament basiert die Gedenkstättenförderung seit 1999. Sie widmet sich den Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes ebenso wie den Orten, an denen der Opfer der SED-Diktatur gedacht wird. Ich bedauere es, dass die Gedenkstätten zur Erinnerung an das SED-Unrecht zu wenige Anträge einreichen.
Dies liegt aber gewiss nicht an der Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung. Man kann diesem Umstand auch nicht beikommen, indem man eine Liste zu fördernder Einrichtungen erstellt.
Ein solches Procedere untergräbt die gesellschaftliche Akzeptanz der Gedenkstätten. Völlig zu Recht wird in dem Antrag ja auch der vom SED-Regime verordnete Antifaschismus als wirkungslos und kontraproduktiv kritisiert.
Erschwerend kommt hinzu, dass die undifferenzierte Gleichsetzung verschiedener Opfergruppen als Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen an den europäischen Juden interpretiert wird und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland dadurch Schaden nimmt.
Bevor man verändert, sollte man sich der Folgen bewusst sein. Und man sollte sich überlegen, ob dies überhaupt vonnöten sind. Für die Gedenkstättenförderung des Bundes vermag ich keinen Änderungsbedarf zu erkennen.