Redner(in): Christina Weiss
Datum: 20.06.2004

Untertitel: In ihrer Rede zur Eröffnung des 16. Kongresses "medienforum. nrw" am 20. Juni 2004 in Köln hat Kulturstaatsministerin Weiss dafür plädiert, die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter auch Privatpersonen zugänglich zu machen. Es sei ein "lohnender Gedanke, die weiten Räume unseres kulturellen Gedächtnisses mit neuen Medien zu erschließen."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/671625/multi.htm


wer von Ihnen Sönke Wortmanns "Wunder von Bern" gesehen hat, wird wie ich die ganz besondere Bedeutung des damals in den 50er Jahren so neuen Fernsehers in der Eckkneipe empfunden haben. Ein beeindruckendes Gemeinschaftserlebnis war zu erleben, und das lag nicht nur am Fußball allein, sondern auch an der neuen Möglichkeit, in die Welt schauen zu können.

Seither sind die elektronischen Medien einem Wechselspiel von technischen Möglichkeiten, gesellschaftlichen Entwicklungen, inhaltlichen Innovationen und wirtschaftlichen Erwartungen untergeworfen gewesen. Ihre Relevanz ist dabei jedoch beständig gewachsen.

Trotz aller Umbrüche lässt sich eine Konstante verifizieren: Das Produkt, das wir hören, sehen und aufnehmen ist nach wie vor von besonderer Qualität und Eigenart. Es ist nicht nur eine Ware, sondern vielmehr ein Kommunikationsmittel, eine Plattform für gesellschaftliche Diskurse, ein prägender Ort für Haltungen.

Wir blicken eben durch die Medien in die Welt und bekommen ihre ungeheure Komplexität auf ein vermeintlich fassliches Maß reduziert. Wie kaum ein anderes Produkt erreichen die Medien die Köpfe und Herzen der Menschen. Sie sind geradezu ein Lebenselixier der freien Gesellschaft und sollen ihr gut tun.

Voraussetzung dafür ist eine hohe Qualität der medialen Angebote. Aktualität, Seriosität und Glaubwürdigkeit bei der Information, Innovation und Nachhaltigkeit bei der Bildung, Lustgewinn und Erbauung bei der Kultur, Anspruch und Kreativität bei der Unterhaltung sind Kriterien, an denen sich die Angebote messen lassen müssen.

Die deutschen Medien halten seit Jahrzehnten ein Niveau, das international höchsten Ruf genießt. Dazu haben die öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstalter, aber auch die Presse beigetragen. Die Messlatte liegt also weit oben, und wir wollen auch, dass das so bleibt.

Für diese erfolgreiche Entwicklung hat die Politik die Rahmenbedingungen bestimmt. Diese Aufgabe wird sie auch künftig ausfüllen. Bereits in den letzten Jahren sind hierfür bemerkenswerte Kooperationen zwischen Staat und Medienunternehmen entwickelt worden. Beide Seiten haben erkannt, dass Selbstregulierungsansätze der Medienfreiheit dienen und effektiver sind. Ich trete dafür ein, dass wir auf diesem Weg weitergehen. Die Möglichkeiten sind noch lange nicht erschöpft.

Gerade die neuen Medien brauchen offene und flexible Regeln, die freilich eine Vertrauensbasis für den Medienmarkt begründen müssen. Ich halte den Begriff vom "Vertrauen als Motor der Informationsgesellschaft" in mehrfacher Hinsicht für gut gewählt: Für den Nutzer beginnt es bereits mit dem Kauf der Geräte. Sie müssen zukunftstauglich sein. Wenn nicht von Anfang an dafür ausgerüstet, so muss der Weg zu neuen medialen Möglichkeiten doch ein offener sein. Ich halte es für ein fatales Verständnis von Marktwirtschaft, wenn der Verbraucher hier das Risiko einer unternehmerischen Fehlentscheidung zu tragen hat. Wer so handelt, wird nie die Innovationsskeptiker für sich gewinnen.

Das Nebeneinander verschiedener Übertragungswege ist sinnvoll. Bei deren Ausbau sollte es aber Strategien für eine flächendeckende Nutzung geben. Um das Multimedia-Potenzial der Infrastrukturen effektiv ausschöpfen zu können, sollten wir darauf achten, dass ein Ausbau zügig - wenn auch stufenweise - erfolgt.

Bei all den Chancen und Möglichkeiten, die die digitale Technik eröffnet, müssen Angebots- und Anbietervielfalt, die auch Kooperationen anhand transparenter Regeln erlauben, wichtige Anliegen im Medienbereich bleiben. Dazu sollte jeder seine spezielle Kompetenz einbringen.

Es darf keine Monopolisierung von Produkten und kein "Wegsperren" von Rechten geben, auf die andere für ihre Angebote angewiesen sind. Vieles können die Unternehmen hier auch selbst tun: Wir haben zum Beispiel im neuen Filmförderungsgesetz eine kürzere Rückfallfrist für Filmrechte an den ursprünglichen Rechteinhaber verankert, um neue Verwertungsmöglichkeiten zu erschließen. Dabei genießen ausdrücklich anderweitige private Vereinbarungen Vorrang, um flexible Lösungen zu ermöglichen.

Der Gedanke der Marktöffnung liegt auch den Verhandlungen zum sogenannten Korb 2 der Urheberrechtsreform zu Grunde, die derzeit in enger Abstimmung mit der Branche erarbeitet wird. Wir wollen die Nutzung von Inhalten durch alle Formen neuer Medien möglichst umfassend erleichtern. Das soll unabhängig davon möglich sein, ob die Nutzungsart beim Rechteerwerb bekannt war oder nicht. Der Urheber muss dafür eine angemessene Vergütung erhalten.

Neue Medien werden sich beim Verbraucher nur dann durchsetzen, wenn sie wirklich neuen Nutzen bringen.

Ich sehe nachhaltige Chancen in den neuen Medien. Die Inhalte unserer Gesellschaft können in nie gekannter Zugänglichkeit und Verfügbarkeit präsentiert werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dieses "Gedächtnis unserer Nation" digitalisiert abgerufen werden kann. In vielen Bereichen ist dies bereits geschehen, andere werden folgen. Das erfordert technische und insbesondere auch finanzielle Anstrengungen.

Bislang waren wir es gewohnt, viele Angebote im Internet ohne Zusatzkosten nutzen zu können. Es wäre wünschenswert, wenn dies prinzipiell so bleiben könnte. Allerdings ist es natürlich selbstverständlich, dass sich gewerbliche Angebote refinanzieren müssen. Hierfür brauchen wir Mittel und Wege, Geschäftsmodelle und Vertriebsarten. Davon könnten viele profitieren. Denken Sie nur an die augenblicklichen Schwierigkeiten in der Musikindustrie. Zeitgemäßere Vertriebsarten, die in den Vereinigten Staaten bereits erfolgreich sind, könnten sowohl die Unternehmen als auch die Nutzer befrieden.

Gerade hier gibt es einen Zwang zum Handeln. Es ist nämlich mehr als bedauerlich, dass die Musiksparte in Deutschland zahlreiche deutsche Musikerinnen und Musiker fallen lässt, wie es in einem Zeitungsartikel in der vergangenen Woche hieß.

In Zukunft wird es daher wohl eine ganze Palette von Angeboten geben, die nur zum Teil frei zugänglich, zum Teil aber entgeltpflichtig sind.

Bei alldem müssen gesellschaftsrelevante Informationen erschwinglich bleiben. Damit komme ich erneut auf die besondere Rolle der Medien zurück und möchte noch einmal unterstreichen, dass die Medien weitaus mehr sind als eine Ware.

Die demokratische Gesellschaft benötigt einen universellen Zugang zu Informationen. Deshalb sind Wissen und Kultur keine herkömmlichen Ressourcen für Geschäfte mit den neuen Medien.

Meine Damen und Herren,

es ist für mich ein faszinierender Gedanke, wenn sich die ungeheuren Schätze, die in den Archiven unserer großen Rundfunkanstalten lagern, für die Nutzung durch Privatpersonen heben ließen! Die neuen Medien wären dafür die ideale Plattform.

Natürlich ist diese Idee mit Befürchtungen verbunden. Manche erwarten einen Exklusivvertrieb durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter, der andere Anbieter würden schlicht überrollt. Man glaubt an das Entstehen einer "öffentlich-rechtlichen Marktmacht". Trotzdem ist es ein lohnender Gedanke, wie ich meine, die weiten Räume unseres kulturellen Gedächtnisses mit neuen Medien zu erschließen. Wegsperren ist ein Rückschritt.

Einzelheiten dieser Überlegung müssen noch ausgeformt werden. Mir ist auch bewusst, dass sich die Ausführung sehr schwierig gestalten könnte. Es lohnt sich aber meines Erachtens, den Gedanken der Marktöffnung und die Marktzugangsmechanismen aus dem Telekommunikationsbereich auch auf die Online-Inhalte zu münzen. So könnten beispielsweise öffentlich-rechtliche Rundfunkarchive für den privaten Nutzer geöffnet werden, ohne die Marktchancen privater Anbieter zu schmälern.

Ich bin der festen Überzeugung, dass man diese Probleme in den Griff bekommen kann: Die "kommunikative Basisversorgung" im Bereich der neuen Medien wird sich anders gestalten als beim klassischen Rundfunk. Gleichwohl ist eine Debatte darüber, wie sie sichergestellt werden kann, unverzichtbar angesichts der steigenden Nutzung von Internet und Online-Medien. Das Internet hat sich bereits zum Massenmedium entwickelt. Dieses Medium hat damit nicht mehr nur eine ökonomische Bedeutung, sondern auch eine relevante gesellschaftliche Funktion.

Die Öffentlichkeit verlangt und verdient eine Qualitätssicherung im Internet. Im Dschungel der Inhalte sollte es eine Art Kernbereich geben, der auf einleuchtende, verlässliche Weise Wirklichkeit abbildet, sich auf die Wirklichkeit bezieht und sie auch verständlich macht. Dies könnte eine Art Netzwerk sein, das von privaten wie öffentlich-rechtlichen Anbietern gespeist wird.

Die Vielfalt im Online-Bereich kann somit einfacher und besser erschlossen und eine gewisse Qualität garantiert werden."Das Internet" ist ein integrales Medium, das vom klassischen Rundfunk, über die digitale Erschließung großer Bibliotheken, Nachrichten und Bildarchive, bis hin zu Unterhaltungsangeboten wie elektronischen Spielen, alles umfasst. Daran sind viele beteiligt, und das sollte auch so bleiben.

Meine Damen und Herren,

zu einem weiteren Punkt der "Online-Qualitätssicherung" : Das Abrufen und Auffinden von verlässlichem, unabhängig ausgewähltem und bewertetem Wissen ist für die freie öffentliche Kommunikation außerordentlich wichtig. Es gehört zum Vertrauen in die Informationsgesellschaft, dass der Nutzer weiß, nach welchen Kriterien ihm das ungeheure Archiv im Internet, das viele Milliarden von Webseiten umfasst, erschlossen und präsentiert wird. In den vergangenen Monaten gab es intensive Diskussionen um das Funktionieren und um die Algorithmen von Suchmaschinen. Nach welchen Gesichtspunkten wird die Trefferliste ausgeworfen? Was steht an der Spitze, was wird auf den hinteren Rängen gelistet? Wie werden kommerzielle Verbindungen offenbar? Dem System von Suchmaschinen fehlt derzeit jede Transparenz, teilweise ist es weder neutral noch objektiv. Wo aber Transparenz fehlt, geht auch Demokratie verloren! Ich glaube nicht, dass am Ende der Gesetzgeber ein solches Problem befriedigend lösen kann. Wichtig ist, dass die Unternehmen selbst für Transparenz sorgen. Wie bereits oben gesagt, halte ich viel von einer Selbstregulierung durch die Marktakteure. Nur so lässt sich das Vertrauen der Nutzer erwerben. Es gibt hierfür schon gute Beispiele. Die E-Commerce-Unternehmen, die in besonderer Weise auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen sind, haben es in erstaunlich kurzer Zeit geschafft, sich auf wesentliche Kernfragen zu einigen. Mit den "Paris Recommendations" hat die Organisation des "Global Business Dialogue on Electronic Commerce" schon 1999 weltweite Standards u. a. im Verbraucherschutz, zum Schutz persönlicher Daten, zu Urheberrechten sowie Haftungsfragen und Verantwortlichkeiten im elektronischen Geschäftsverkehr vorgeschlagen. Das Gremium empfahl, diese Standards mit Selbstregulierungsinstrumente umzusetzen.

Ähnliches würde ich mir im Übrigen für den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde bei Online-Medien wünschen. Wir alle wissen, wie wichtig und unverzichtbar es ist, hierzu endlich zu schützen, was zu schützen ist. Ich biete Ihnen die Zusammenarbeit bei Modellen an, wie wir Kinder, Jugendliche und Erwachsene effektiv und verlässlich vor Verletzungen schützen können, ohne dabei die wertvollen Freiheiten grenzüberschreitender Kommunikation zu gefährden.

Ich bin weit davon entfernt, den neuen Medien Skepsis entgegenzubringen. Die Online-Medien bieten wirtschaftliche wie gesellschaftliche Chancen. Es kommt auf die Inhalte an! Lassen Sie es mich schlagwortartig zusammenfassen: Wirtschaft braucht Medien, Medien brauchen Kultur und auch Kultur braucht Wirtschaft.

Vielen Dank!