Redner(in): Christina Weiss
Datum: 21.06.2004

Untertitel: In ihrer Rede zur Eröffnung des 27. Kongresses der "International Publisher Association" fordert Kulturstaatsministerin Weiss, "sich sowohl auf die Chancen elektronischen Publizierens als auch auf die Leistungen des Buches zu besinnen, die ihm und nur ihm völlig konkurrenzlos innewohnen." Der Kongress findet vom 21. bis 24. Juni unter dem Motto "Publishing for a better World" in Berlin statt.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/96/673196/multi.htm


ich freue mich, Sie im Namen der Bundesregierung sehr herzlich hier in Berlin begrüßen zu können - nach so langer Zeit. Heute schlägt nach Ende des mörderischen 20. Jahrhunderts in Berlin wieder ein europäisches Herz. Diese Stadt ist Scharnier zwischen Ost und West und insofern kommt ihr eine besondere - eine verbindende - Rolle im wiedervereinten Europa zu.

Auch in Berlin werden in den nächsten Jahren die Weichen gestellt, die den alten - lange geschundenen - Kulturraum Europa in ein intellektuell verbundenes Europa der Zukunft führen können.

An den entscheidenden Schalthebeln stehen nicht zuletzt Verlegerinnen und Verleger, die mit ihrer Tätigkeit den geistigen Austausch, dem gegenseitigen Verstehen den Boden bereiten. Sie sind in unserer modernen Kulturgesellschaft mit großen Herausforderungen konfrontiert. Zwar waren Bücher schon immer an eine Minderheit adressiert, die es zu gewinnen galt, aber heute wird die Aufmerksamkeit selbst der treuesten Leserinnen und Leser mehr und mehr auch von anderen - den neuen - Medien in Anspruch genommen.

Unser Leben ist ohne das World Wide Web als Bild- und Informationsquelle, sogar als Kommunikationsort und virtueller Marktplatz einfach nicht mehr denkbar. Das will auch niemand ändern - könnte es auch gar nicht. Denn unter dem Aspekt der schnelleren Verfügbarkeit von Informationen sind Internet und auch Fernsehen dem Buch gegenüber zweifellos im Vorteil. Doch die vielgehörte Sorge, Internet und Fernsehen seien auf dem besten Wege, das Buch als gesellschaftliches Leitmedium abzulösen, ist aus meiner Sicht übertrieben. Solches Lamentieren verschließt sich gegenüber den wechselseitigen Einflüssen und der gegenseitigen Befruchtung, die zwischen diesen Medien möglich ist.

Allerdings lässt sich beobachten, dass auch die Inhalte im Internet quasi verlegerischer Steuerung bedürfen. Denn nur Qualität und Transparenz werden sich auf Dauer in der Konkurrenz behaupten und den Anforderungen eines intelligenten Publikums genügen. Wer, wenn nicht Verlegerinnen und Verleger, verstünde mehr von der Kunst, attraktive Themen und Ideen zu entdecken und überzeugend anzubieten?

Verstehen Sie mich nicht falsch: ich spreche vom Nebeneinander von elektronischen und Print-Medien. Die Bereiche Print und Online verzahnen sich zunehmend, das Internet ist auch in der Verlagsbranche längst zu einem wichtigen Marketinginstrument geworden.

Anstatt also über Konkurrenz zu klagen, kommt es jetzt darauf an, sich sowohl auf die Chancen elektronischen Publizierens als auch auf die Leistungen des Buches zu besinnen, die ihm und nur ihm völlig konkurrenzlos innewohnen. Im Gegensatz zur Flüchtigkeit von Fernsehen und Internet ist es vor allem die Fähigkeit des Buches, bleibende, gültige und langfristig tradierbare Inhalte zu verbreiten.

Nur das Buch als Bildungsmedium ist in der Lage, nicht nur aktuelles Informations- und Bildmaterial, sondern auch die großen Zusammenhänge zu vermitteln. Und wird nicht gerade das komplexere Denken immer wichtiger? Darüber hinaus hat das Buch auch einen materiellen Vorzug: Denn für viele Menschen ist es ein "Must Have", ein begehrenswerter Gegenstand - sie wollen es nicht nur lesen, sondern auch besitzen. Es hat eine besondere haptische Präsenz, ja: eine gewisse Aura. Soll sich das Buch gegen seine Konkurrenz behaupten, ist darum auch Phantasie in puncto Herstellung und Ausstattung gefragt.

Der Wert eines zum Lesen verführenden Buches ist unschätzbar hoch, aber dieser Wert muss sich auch in Zahlen messen lassen. Wie die deutsche Wirtschaft insgesamt, litt auch die Medienwirtschaft in den letzten Jahren unter deutlichen Umsatzeinbrüchen und der allgemeinen Nachfrageschwäche. Neuere Zahlen stimmen mich hingegen zuversichtlich, dass die Flaute bald überwunden ist.

Zu diesen positiven Entwicklungen trägt auch in Deutschland seit zwei Jahren die gesetzliche Buchpreisbindung bei. Um den Verlagen eine vernünftige Kalkulationsgrundlage und Rechtssicherheit zu gewährleisten, wurde der damit verbundene klare Eingriff in die freie Marktwirtschaft allseits gern in Kauf genommen. Ich teile die Meinung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, dass Bücher nicht nur Wirtschafts- , sondern auch Kulturgüter sind, die gesondert behandelt werden müssen.

Das aktuelle Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts im Fall Bentlin / Ebay zur Frage der Buchpreisbindung im Internethandel zeigt wiederum - und das freut mich ganz besonders - dass auch dieses Gesetz hilft, die spezifischen Interessen Ihrer Branche gegenüber dem Internet zu verteidigen.

Bleibende Unsicherheit für die ökonomische Lage Ihrer Branche ist dagegen mit dem Stichwort "Basel II" verbunden. Gerade für die Verlage ist die Kreditversorgung des Mittelstandes von existenzieller Bedeutung, und das Ergebnis der Verhandlungen über eine neue internationale Eigenkapitalvereinbarung für Kreditinstitute ist derzeit noch offen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Baseler Richtlinien auswirken werden. Ich hoffe mit Ihnen, dass sich Ihre diesbezüglichen Sorgen letztlich als unbegründet erweisen.

Doch nun will ich nicht länger über Geld sprechen. Nicht allein die finanzielle Seite ist ausschlaggebend dafür, dass Bücher ein "Must Have" bleiben und damit der Verbreitung kultureller Inhalte dienlich sein können. Auch eine wandelbare und zugleich profilierte Verlagskultur ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg Ihres Produkts.

Verlage werden geprägt von den Menschen, die dort arbeiten. Mit einem Wort von Kurt Wolff: "Der Verleger ist nicht anonym, sondern synonym mit seiner Tätigkeit". Der Wechsel der Generationen mit ihren jeweils andersartigen Lebenserfahrungen ist auch in Ihren Unternehmen spürbar. Verleger heute müssen die Vorteile, die sich Ihnen im krossmedialen Marketing bieten, nutzen. Es gilt wie eh und je die Wiedererkennbarkeit der einzelnen Verlage mit ihren charakteristischen Programmen und Marktauftritten zu pflegen.

Bei einer immer größer werdenden Zahl von Neuerscheinungen sind es die Verlagsprofile, die dem Leser bei der Buchauswahl eine bessere Orientierung bieten, als so mancher apodiktisch präsentierte Kritikerkanon. Es kommt darauf an, eine Vertrauensbasis zu dem Leser zu erarbeiten: Vertrauen in die Qualität des lesbaren Angebotes. Wer die charakteristischen Verlagstraditionen des eigenen Unternehmens kultiviert, büßt auch auf einem expandierenden Markt die Identität nicht ein.

Dazu sind Menschen wie Sie, meine Damen und Herren, notwendig, die Lust darauf haben, einem Buch ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Ich wünsche Ihnen anregende Diskussionen und Ideen, die die Branche langfristig weiterführen. Viel Erfolg für diesen großen Kongress!