Redner(in): k.A.
Datum: 02.12.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/83/11783/multi.htm
Herr Abgeordneter Röttgen, vor fast zwei Jahrhunderten hat Schelling die berühmte theologische Frage gestellt: Warum ist nicht Nichts, sondern Etwas? Ich hätte mir nie vorgestellt, dass ich hier eine politologische Antwort darauf bekomme. Ihre Idee der creatio ex nihilo "Wir machen überhaupt nichts, dann wird es schon irgendwie werden" hat natürlich eine Voraussetzung: Das war der Regierungswechsel nach der Bundestagswahl. Der nächste Schritt in Fragen des Stiftungsrechtes, also der Schritt hin zu dem Etwas, den Sie jetzt schon wieder in Frage stellen, wird uns in der Tat vorwärts bringen und zu dem Etwas führen. Dieses Etwas ist dann logischerweise wesentlich mehr als nichts. Herr Abgeordneter Lammert, Sie haben die Frage gestellt, warum die Novellierung des Stiftungsrechts, das man jetzt plötzlich so emphatisch wünscht, 16 Jahre lang gescheitert sei. Sie haben dann gesagt: Sie ist gescheitert - ich zitiere Sie jetzt wörtlich, weil Sie oft das Gefühl haben, ich hätte Sie falsch zitiert - "aus welchen Gründen auch immer". Ich lese Ihnen den einzigen und wesentlichen Grund mit Erlaubnis des Präsidenten vor. Es handelt sich um einen Brief des Finanzministers Theo Waigel vom 29. Juni 1995 an den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft, der ja Ihrer Partei nicht sehr fern steht, wie man jetzt zugleich befürchten muss, wie auch hoffen darf. Da heißt es: "Ziel der Bundesregierung bei der Steuerpolitik ist es, neben der Entlastung der Bürger und Unternehmen auch eine Vereinfachung des Steuerrechts zu erreichen. Entsprechend bitte ich um Verständnis, wenn ich Vorschlägen für weitere Differenzierungen in Fragen des Stiftungs- und Spendenrechts im Steuerrecht nicht folgen möchte. Mit freundlichen Grüßen Dr. Theo Waigel" Das war der Grund dafür, dass es mit dem Spenden- und Stiftungsrecht nicht vorwärts gegangen ist. Meine Damen und Herren, die Reform des Stiftungsrechtes ist ein vorrangiges Ziel dieser Koalition. Ich stehe auch nicht an, darauf hinzuweisen, dass es auch ein vorrangiges Ziel der Vizepräsidentin dieses Hohen Hauses, Antje Vollmer, ist. Mit ihr zusammen wird dieses Projekt vorwärtsgetrieben. Sie sagen ja jetzt schon in der Opposition, Sie würden mit Vergnügen in den Speisewagen der Reform mit einsteigen wollen. Wir müssen ihn aber erst einmal auf die Schienen setzen. Dabei sind wir. Wir wollen einer aktiven Stiftungskultur in unserem Lande Vorschub leisten und neue Möglichkeiten für Mäzene, Mäzenatentum, Stifter und Kultursponsoren eröffnen. Uns werden ja immer Ankündigungen vorgehalten. Wenn sie dann eingelöst worden sind, heißt es bedauerlicherweise nicht, dass wieder einmal eine Ankündigung eingelöst worden sei. Aber Sie müssen sich leider darauf einstellen, dass wir auch diese Ankündigung umsetzen werden. Gestatten Sie mir, noch einmal den Grund dieser Ankündigung, den wir alle gemeinsam schätzen, nämlich die Beförderung einer mäzenatischen Gesellschaft, darzustellen. Dazu zitiere ich den Bundeskanzler aus seiner Rede auf der Berliner Museumsinsel vom 4. Oktober: "Mit ersten Schritten zur Reform des Stiftungsrechts wird unsere Regierung den Weg ebnen zu einer mäzenatisch eingestimmten Bürgergesellschaft - nicht, weil sich der Staat aus seiner kulturpolitischen Verantwortung trollen will, sondern, im Gegenteil, weil die großen Aufgaben der Restauration von Museen und Kulturdenkmälern in ganz Deutschland sich uns allen stellen, in gemeinsamer Verantwortung."... Kulturelles mäzenatisches Engagement des Einzelnen gilt in manchen anderen Nationen als heitere, ja stolze Teilnahme an jenem Gespräch, in dem eine Gesellschaft darüber nachdenkt, was sie ist, was sie will, was sie ordnet und was sie in Zweifel zieht. Und immer waren es die Künste, die in dieser Diskussion die interessantesten und manchmal auch die schönsten Akzente setzten. Ohne sie würden wir verstummen. Es ist erwähnt worden, dass es vor der Jahrhundertwende über 100 000 Stiftungen in Deutschland gab. Meine Herren von der Opposition, damit hat sich das numerisch kleine Bürgertum einen Freiraum der Selbstdarstellung in jener verkrusteten Gesellschaft der Aristokratie, der Bürokratie und des Militärs geschaffen. Dieser Freiraum der Selbstdarstellung hat uns das kulturelle Erbe beschert, das wir heute alle pflegen. Man muss nur zur Museumsinsel hinübergehen und sich das anschauen. Dieses Erbe aufzunehmen ist nicht mehr parteipolitisch besetzt. Lassen Sie mich das einmal ganz offen sagen: Der Stiftungsgedanke ist ein Gedanke der Neuen Mitte. Dazu zählen Sie auch, Herr Otto. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto? Dr. Michael Naumann, Staatsminister beim Bundeskanzler: Ja, gerne. Hans-Joachim Otto ( Frankfurt ) ( F. D. P. ) : Angesichts der großen Gemeinsamkeit, die Sie eben beschworen haben, und angesichts der salbungsvollen Worte des Herrn Bundeskanzlers frage ich Sie, Herr Staatsminister: Sind Sie wirklich der Auffassung, dass Sie einen solchen großen Wurf, eine Renaissance der Stiftungskultur, hinbekommen, wenn Sie schlicht und einfach einen Steuerfreibetrag von 50.000 DM einrichten? Dr. Michael Naumann, Staatsminister beim Bundeskanzler: Ich hatte Ihnen schon gesagt, die Frage "Warum ist nicht Nichts, sondern Etwas" ist der erste Schritt. Das heißt, es muss etwas da sein. ( Hans Michelbach [CDU / CSU]: Es kann aber auch nichts sein! ) Herr Michelbach, Sie können nicht, wie 16 Jahre lang praktiziert, über den großen Wurf nachdenken und dann sagen: Wir haben nichts geschafft; das ist die Chance für den großen Wurf. Das geht nicht. Das ist logisch nicht schlüssig und auch historisch falsch. Herr Abgeordneter, ich vertraue auch auf Ihre Kooperation. Im Übrigen ist es ja nicht so, dass es einzig und allein bei diesen 50.000 DM geblieben ist und bleiben wird; im Gegenteil. Ich begrüße es, dass die Innenminister der Länder auf ihrer Konferenz in Görlitz Mitte November die Einrichtung einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern zur Reform des Stiftungsprivatrechts angeregt haben. In dieser Arbeitsgruppe sollen alle Vorschläge ohne Vorbehalte geprüft und beraten werden. Das heißt, wir sind auf einem gemeinsamen Weg auch zu dem ersehnten großen Wurf. Wenn es nicht unbedingt Ihrer sein sollte, Herr Abgeordneter Lammert, so werden doch viele Ihrer Gedanken in diesem Entwurf wieder auftauchen. Wichtigste steuerrechtliche Neuerung im Koalitionsentwurf wird, wie gesagt, ein Sonderausgabenabzug für Spenden an gemeinnützige Stiftungen sein. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Stiftungen im Gegensatz zu anderen gemeinnützigen Organisationen zunächst einen Grundstock an Kapital aufbauen müssen. Daraus kann sich dann eine stetigere und besser berechenbare Förderung ergeben, als dies bei gemeinnützigen Organisationen der Fall ist, die vom jährlichen Spendenaufkommen leben. Spenden an Stiftungen bis zu einer bestimmten Höhe sollen künftig zu 100 Prozent von der Steuer abgesetzt werden können. Dadurch werden vor allem kleinere und mittlere Stiftungsgründungen und Zustiftungen begünstigt. Durch dieses neue Gesetz wird also genau jener bürgergesellschaftliche Impuls gefördert, den Herr Röttgen sich wünscht. Für denjenigen, der höhere Beiträge stiftet - das ist ganz wichtig, um keine Verwirrung im Lande aufkommen zu lassen - , bleibt es bei der Grundsatzregelung, dass der Stifter diese Beträge bis zu einer Höchstgrenze von fünf Prozent und im Bereich von Bildung und Kultur von zehn Prozent seines Einkommens jährlich steuerlich geltend machen kann, und zwar über einen Zeitraum von sieben Jahren. Eindeutig verbessern werden wir auch die Rücklagenbildung der Stiftungen. Diese Forderung aus dem Stiftungsbereich ist alt. Wer, so wie ich, für eine Stiftung gearbeitet hat, erlebt es oft genug, dass Rücklagenbildungen - ich möchte es einmal so ausdrücken - durch fantasielose Staatskanzleien verhindert werden. Es wird in Deutschland von den Stiftungsleitungen erwartet, dass sie finanziell fantasielos und kameralistisch operieren und dadurch das Stiftungskapital mittelfristig vernichten. Dieses wollen wir in Zukunft verhindern. Nicht kleinreden sollte man auch die Erweiterung des Buchwertprivilegs, das heißt die steuerfreie Einbringung von Betriebsvermögen in Stiftungen, sowie die Ausdehnung der Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer über den Bereich der Bildungs- und Kulturstiftungen hinaus auf weitere förderungswürdige Zwecke. Neben den Verbesserungen zum Stiftungssteuerrecht hat die Bundesregierung bereits wichtige steuerliche Erleichterungen zu Gunsten von mehr Bürgerengagement in der Kultur umgesetzt. Das werden Sie doch hoffentlich bemerkt haben. Sie haben nämlich im Bundesrat zugestimmt. Hierzu zähle ich insbesondere die Neuregelung des Spendenrechts. Die seit Jahren - Herr Abgeordneter Lammert, noch so ein kleines Ding ex nihilo - nicht zuletzt vom Bundesverband Deutscher Stiftungen geforderte und jetzt erst vorgenommene Abschaffung des so genannten Durchlaufspendenverfahrens - für den Laien: des Verfahrens, in dem sich der Staat die Hände an Stiftungsgeldern wärmte, die monatelang in irgendwelchen behördlichen Kassen lagen, ehe sie weitergereicht wurden - haben wir gemeinsam mit dem Bundesrat durchgesetzt. Spenden an kulturelle Einrichtungen waren bisher nur auf einem verwaltungs- und zeitaufwändigen Weg als Durchlaufspende über eine juristische Person des öffentlichen Rechts möglich. Das ist vorbei. Ab 1. Januar 2000 wird dies anders. Gemeinnützige Organisationen sind dann außerdem berechtigt, Spendenbescheinigungen selbst auszustellen. Damit gilt erstmalig: Auch Kulturstiftungen und Fördervereine, deren Mitglieder keine besondere Gegenleistung für ihren Mitgliedsbeitrag erhalten, können darüber hinaus auch Spendenquittungen über Mitgliedsbeiträge ausstellen. Das hört sich alles komplizierter an, als es ist. Dies sind genau die kleinen Schritte, die eben zu jener mäzenatischen und neuen gesellschaftlich engagierten und partizipatorischen Bürgergesellschaft beitragen, von der hier die Rede ist. Um eine neue Stiftungskultur in Deutschland zu schaffen, reicht es nicht aus, dass der Bundestag einige vernünftige Gesetze beschließt. Die Bedeutung und die Leistungen von Stiftern und Stiftungen müssen mehr als bisher ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Der pietistische Grundton, dem Sie zum Beispiel in Schwaben, einem höchst stiftungsfreudigen Landstrich unserer Nation, begegnen, ist nicht mehr zeitgemäß. Stiftern, die anonym bleiben wollen, weil sie sich von den Nachreden und dem Neid der Nachbarn hüten möchten, muss man zurufen: Tretet nach vorn! Zeigt euren Nachbarn und den Bürgern des Landes, dass ihr engagiert seid und mitmachen wollt! Wenn dann noch ein wenig alt-römische Fama abfällt, dann ist das so schlecht nicht. Im Zuge der Novellierung des Stiftungsrechts wird man auch über das Thema Vermögensverwaltung diskutieren müssen, ohne dass es hierbei sofort um Änderungen gesetzlicher Regelungen geht. Eine vorrangige Aufgabe wird darin bestehen, auch aus diesem Haus auf ein modernes Vermögensmanagement hinzuwirken. Im Unterschied zu den USA wird bei uns die ungeschmälerte Vermögenserhaltung überbetont. Ein in Maßen risikofreudigeres und professionelleres Anlageverhalten könnte auch in Deutschland nicht schaden. Es ist unverkennbar: Der angewachsene und stetig anwachsende Vermögensberg in Deutschland ist, so sollte man hoffen, ein Nährboden für Stiftungen. Die deutschen Privathaushalte verfügen nach Berechnungen des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken am Ende dieses Jahres über ein geschätztes Geldvermögen von fast sechs Billionen DM. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge in Köln aus diesem Jahr wird die Aufbaugeneration der nachfolgenden Generation bis zum Jahre 2004 rund eine Billion DM Geldvermögen, rund 700 Milliarden DM aus Immobilienwerten und rund 300 Milliarden DM aus fälligen Lebensversicherungen vererben. Experten schätzen die künftige jährliche Erbmasse in Deutschland auf 250 Milliarden DM. Diesem stetig anwachsenden privaten Reichtum steht ein Staat gegenüber, der - das ist ganz klar - seit Jahren von Haushaltsnöten geplagt wird. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Der Staat soll nicht aus seinen kulturellen Verpflichtungen entlassen werden. Dies ist absolut nicht gewollt. Es ist aber sehr wohl klar, dass dieser Staat, wenn ich der Analyse von Herrn Röttgen folgen soll - und auch möchte; wir lesen beide Beck - , nicht im luftleeren Raum existieren kann, sondern für die Bürger und die Gesellschaft da ist. Die Gesellschaft selbst wird sich in ihrer Selbstordnung und in ihrem kulturellen Selbstverständnis ohne die Hilfe des Staates ebenfalls nicht artikulieren können. In dieses Spannungsverhältnis soll ein renoviertes Stiftungsrecht ordnend und fördernd eingreifen. Ein solches modernes Stiftungsrecht hat - ich wiederhole es - 16 Jahre lang auf seine creatio ex nihilo gewartet.