Redner(in): Michael Naumann
Datum: 16.12.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/90/11790/multi.htm


Dr. Michael Naumann, Staatsminister beim Bundeskanzler: Ich hoffe, es ist möglich, präventiv allen Zwischenrufen der Opposition mit einem einzigen Satz zu begegnen: Sie hatten 16 Jahre lang Zeit. Das haben Sie oft genug gehört. Aber gerade in diesem Fall ist für mich die außerordentliche Überraschung gegeben, dass Sie einem zutiefst bürgerlichen Anliegen, nämlich der Einrichtung einer bürgergesellschaftlichen Initiative, die vom Staat unterstützt wird, und der Verbesserung der Situation der Stiftungen, die für den kulturellen Bereich unseres Landes zuständig sind und sich verantwortlich fühlen, buchstäblich keine Bresche in das Geflecht unserer Steuergesetzgebung geschlagen haben. Für mich ist der heute eingebrachte Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Reform des Stiftungsrechts ein entscheidender Durchbruch. Es ist sicherlich richtig, dass noch längst nicht alles getan ist; es kann aber auch kein Zweifel daran bestehen, dass das, was wir heute beraten, seit vielen Jahren den Aufforderungen der Verbände und den Hoffnungen der Kulturschaffenden in unserem Land entspricht. Wir beginnen eine neue Stiftungsoffensive, die mehr als zwei Jahrzehnte lang hat auf sich warten lassen. Dass dies hier möglich, ist vor allem der Initiative der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, zu verdanken. In Kombination mit dieser Koalition, mit der Sozialdemokratischen Partei, die auf diesem Feld - das muss man auch sagen - vom Vorsitzenden des Rechtsausschusses erstklassig beraten wurde, der die berühmten Bretter gebohrt hat, also mit Ludwig Stieglers Hilfe, wird es uns gelingen, einen absoluten Markstein in der Geschichte des Stiftungsrechts in Deutschland zu setzen. Darauf stolz zu sein haben wir allen Grund, auch wenn wir wissen, dass dies noch nicht das ganze Geschäft sein wird. Die Sache ist klar: Der neue Sonderausgabenabzug für Spenden an Stiftungen bis zu 40 000 DM wird seine Wirkung nur dann voll entfalten können, wenn alle Beteiligten, natürlich auch die kulturpolitisch interessierten Abgeordneten dieses Hauses, auch die der Opposition, ihren Teil dazu beitragen, dass die Idee der Stiftung wieder in ihre alten Rechte gesetzt wird. Um die Jahrhundertwende gab es in Deutschland etwa 100 000 Stiftungen. In diesen Stiftungen hat das Bürgertum - wenn ich zu Ihnen schaue, Ihre Klientel, aber auch unsere - genau das versucht und getan, was uns heute das kulturelle Erbe unserer Gesellschaft mitbeschert hat. Es hat sich nämlich einen liberalen Freiraum erkämpft gegen den Wilhelminismus, gegen die verkrusteten Formen des deutschen Nationalstaates mit den drei bekannten Säulen Beamtentum, Militär, Aristokratie, den beherrschenden Strukturen der damaligen Gesellschaft. Sich mit Stiftungen gleichsam einen Freiraum bei der Mitgestaltung des Staates zu erkämpfen war das Verdienst der damaligen Stifter. Vielen von ihnen müsste heute in dieser Stadt, ganz besonders auf der Museumsinsel, gedacht werden, auf dass der Gedanke der Stiftung, der bekanntlich in das Mittelalter hineinreicht, in Deutschland wieder die Popularität erlangt, die er eigentlich verdient. Viele Kulturstiftungen in Deutschland tragen ehrwürdige Namen. Wir brauchen den reichen Mäzen. Jedes Land braucht das. Die Idee des Schenkens und des Stiftens, die in den letzten Wochen, wie ich finde, furchtbarerweise und - wenn Sie so wollen - hoffentlich nur vorübergehend einen Hautgout bekommen hatte, ist jeder Gesellschaft, die etwas von sich selbst hält, nicht unbekannt. Wir wollen im Grunde genommen eine Idee, die auch zum Weihnachtsfest ihren merkwürdigen, bisweilen auch übertriebenen Ausdruck findet, die Idee des menschlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft auch politisch verankern und verbessern. Das heißt, wir fordern all diejenigen Bürger auf, die 55 Jahre nach Kriegsende inzwischen ein außerordentliches Vermögen angehäuft haben, sich dem Gedanken der Stiftung zu nähern und ihr Vermögen an eine gemeinnützige Stiftung weiterzugeben, soweit es möglich ist. Diese Gesetzesinitiative, die wir vorbereiten, wird die Anreize für diese mäzenatischen Tätigkeiten verstärken und erhöhen. Der Staat kann die wirklich großen Vermögen nicht mit dem Steuerbonus allein locken. Dazu gehört - ich sagte es schon - die Schaffung eines stiftungsfreundlichen Klimas, das sich nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbehörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern zeigen muss. Das heißt, der Bürokratismus in der Gewährung von Stiftungen muss aufhören. Es muss zügiger gewährt werden, und vor allem müssen die Stiftungen ihre Leistungen dadurch, dass sie sie transparent machen, übrigens auch zur Verhinderung von Missbrauch, den Bürgern klar machen. Es kommt darauf an, dass die Stiftungen den Bürgern klar machen, was sie leisten, dass sie nicht im Verborgenen wirken, sondern öffentlich auf ihre guten Taten hinweisen, zu deutsch: ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Stiftungen sind nicht nur Finanzierungsinstrumente, sondern eröffnen neue Teilhabemöglichkeiten. Vor 20 Jahren haben wir von Partizipation der Bürger am kulturellen, am gesellschaftlichen Leben gesprochen. Die kulturelle Vielfalt eines Landes bemisst sich nicht allein an der Zahl der Staatsopern, sondern in erster Linie und vor allem daran, dass sie selbst eine Art Forum des Selbstgespräches einer Gesellschaft ist. Das heißt: Die Kultur eines Landes misst sich daran, inwieweit sie "von unten", das heißt: von den Bürgern, getragen wird. Die kulturelle Vielfalt entsteht im pluralistischen Spiel der künstlerischen Kräfte und auch des Publikums. Der Staat sollte in einer freiheitlich verfassten Gesellschaft gar nicht erst versuchen, das kulturelle Niveau im Sinne klassischer Förderpolitik, also allein durch Haushaltsmittel, zu garantieren. Das kulturelle Niveau definiert sich durch die Leistungen der Künstler. Die Leistungen der Künstler zu unterstützen, und zwar nicht nur vom Staat, sondern auch vom Bürger, genauer gesagt: vom Publikum, ist deshalb eine vornehme Aufgabe, weil sich die Künste - denken Sie nur an die Finanzierungskrisen, die diese Stadt gerade bei ihren Opern erlebt - und die Künstler nicht in der Position befinden sollten, Kunden des Staates zu sein. Das heißt: Stiftungen sind Instrumente der vermittelten Freiheit auch der Künste. Der Staat lebt vom Engagement seiner Bürger. Es zeichnet gerade den freiheitlichen Staat aus, dass er privaten Initiativen den notwendigen Raum belässt, bürokratische Hemmnisse abbaut und, wenn möglich, privates Engagement nicht nur schützt, sondern aktiv fördert, etwa durch seine Steuergesetzgebung. Das tun wir; das ist in der Tat - um den alten Wahlkampfslogan zu beleben - die Politik der Neuen Mitte. Wir wissen, dass das Beispiel Amerika immer wieder herangezogen wird, um eine florierende und funktionierende Stiftungskultur zu belegen. Das brauchen wir nicht im Verhältnis 1 zu 1 auf unser Land zu übertragen; das wollen und können wir auch nicht. Wir dürfen ruhig davon ausgehen, dass sich die über Jahrzehnte, genauer gesagt: über mehrere Jahrhunderte gewachsenen Strukturen der Interdependenz von Staat und Künsten cum grano salis bewährt haben. In Deutschland werden jährlich ungefähr 17 Milliarden DM auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene zur Förderung der Künste ausgegeben. In den Vereinigten Staaten sind es staatlicherseits 800 Millionen DM, und das angesichts eines so riesigen Landes. Allerdings unterstützen und finanzieren die Stiftungen in Amerika de facto über 90 Prozent des kulturellen Lebens. Das ist etwas, was wir für uns nicht unbedingt anstreben wollen und auch nicht können. Es ist gerade dieses Nebeneinander von staatlicher und, so hoffe ich, in Zukunft auch privater Förderung, die eine Mischung der Finanzierung der Künste erlauben wird, die die Künste freier von staatlicher Einflussnahme machen wird und gleichzeitig die gewachsenen Strukturen nicht gefährdet. Lassen Sie mich die Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen, dass ich mir wünsche - das wünschen übrigens ebenso die Stiftungen, im Grunde genommen wir alle hier im Parlament und auch die Journalisten - , dass wir im Rahmen der neuen Gesetzgebung noch etwas anderes verändern. Es gibt noch immer den überraschenden Sachverhalt, dass in diesem protestantisch geprägten, bescheidenen Milieu der Schenker und Stifter eine gewisse Zurückhaltung besteht, wenn es darauf ankommt, die eigene Leistung bekannt zu machen. Aber ich denke, wer dem Staat, wer den Künsten im Staat, in der Gesellschaft durch seine Dotationen und Stiftungen unter die Arme greift, dessen Name sollte gerühmt werden. Er gehört zu den Menschen, die den alten republikanischen Spruch "tua res agitur" richtig interpretieren. Darauf kommt es an. Lassen Sie mich zum Abschluss auf einen Stifter hinweisen, den zu nennen sich durchaus gebührt. Er steht stellvertretend für viele andere. Es braucht Mäzene wie den vom Bundespräsidenten mit der Maecenas-Ehrung des Arbeitskreises selbstständiger Kultur-Institute ausgezeichneten Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg. Dieser brachte die an ihn rückübertragene, zu DDR-Zeiten enteignete Gemäldesammlung von Maximilian Speck von Sternburg - rund 200 Gemälde im Wert von 100 Millionen DM - in eine Stiftung ein und stellte sie als Dauerleihgabe dem Museum der bildenden Künste in Leipzig zur Verfügung. Vor dieser mäzenatischen Leistung verneige ich mich. Sie ist vorbildlich für alle anderen. Ich gehe davon aus, dass mit unserem Stiftungsreformgesetz der erste Schritt dazu getan wird, dass unsere Gesellschaft in einem weit stärkeren Maße, als das bisher der Fall ist, jene Leistungen nachahmt, zum Wohle des ganzen Landes.