Redner(in): Christina Weiss
Datum: 26.06.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss eröffnete die Ausstellung "Gottesruhm und Zarenpracht" aus den Museumssammlungen des Moskauer Kreml im Berliner Martin-Gropius-Bau.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/58/673858/multi.htm


der Katalog zu dieser Ausstellung ist, Sie werden es gemerkt haben, wirklich kein leichter. An die vier Kilo wird er schon wiegen und bewegt sich damit sozusagen in der gehaltvollen Dostojewski-Klasse.

Kein Wunder, präsentiert uns diese außergewöhnliche Schau doch nicht mehr und nicht weniger als die Schätze des Kreml. Gottesruhm und Zarenpracht ", der erläuternde Titel, markiert einen Geltungsbereich vom Himmel bis zur Erde, von den unveränderlichen Geboten bis zu den ständig nachzubessernden Gesetzen. Insofern ist die Ausstellung über den Kreml auch der - man darf es, glaube ich, tatsächlich so pathetisch sagen - glorreiche Höhepunkt in den" Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen 2003/2004 ", die vom russischen Präsidenten Putin und vom deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau im Februar 2003 in Berlin eröffnet wurden.

Nun ist die Kreml-Schau, nachdem sie knapp vier Monate in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vor einem so zahlreichen wie staunenden Publikum gezeigt wurde, auch in Berlin zu bewundern.

Es ist wirklich ein Staunenmachen, das die hier versammelten Sehenswürdigkeiten hervorrufen.

Schließlich handelt es sich dabei um über dreihundert hochkarätige Objekte, die außer in Bonn und jetzt in Berlin, noch nie außerhalb Moskaus zu besichtigen waren. Es sind Ikonen und Porträtgemälde, Bücher und historische Karten, liturgische Gerätschaften, Geschmeide und Textilien, militärisches Zubehör wie Waffen und Rüstungen, Goldschmiedearbeiten und Manuskripte, Orden, Thronkissen oder Pferdegeschirr, zudem exquisite Geschenke ausländischer Gesandtschaften an die jeweiligen Zaren.

Hier ist fast alles Gold, was glänzt, ansonsten zumindest kostbar verarbeitetes Silber, wie bei dem aus Angst vor den 1237 eingedrungenen mongolischen Reiterscharen vergrabenen Silberschatz, dessen letzte Reste erst im Jahr 1988 aufgefunden wurden.

All dies stammt aus der Rüstkammer des Kreml, dem ältesten russischen Museum, das im Jahr 2006 sein 200-jähriges Bestehen feiern wird, wie auch aus anderen Museen dieses enormen architektonischen Ensembles, das 1990 in die UNESCO-Liste des Weltkultur- und Naturerbes aufgenommen wurde.

Der Kreml, das ist schon lange ein Synonym für Russland überhaupt, für seine politische Macht und extensive Stärke.

Aus der kleinen Festung, die auf einem der Hügel des heutigen Moskau errichtet und 1147 erstmals urkundlich erwähnt wurde, entwickelte sich im Lauf von rund achthundert Jahren eine gewaltige Anlage. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden sogar italienische Renaissance-Architekten für zusätzliche Um- und Ausbauten zu Rate gezogen.

Die sich kontinuierlich ausdehnende Infrastruktur dieser Stadt in der Stadt umfasste Kathedralen und Paläste, Straßen und Plätze. Und natürlich die berühmten Kreml-Werkstätten, denen es gelang, eine eigenständige Ästhetik innerhalb der russisch-orthodoxen Sakralkunst auszubilden. Denn neben dem Symbol für das russische Staatswesen ist der Kreml überdies auch das Zentrum des russisch-orthodoxen Glaubens wie der russischen Kultur geworden. Gerade an diese beiden, im Ausland weniger intensiv wahrgenommenen Komponenten des Mythos Kreml erinnert die Ausstellung in nachdrücklicher Weise.

Als hübsche Fügung mag es da erscheinen, dass sie ausgerechnet von Elena Gagarina kuratiert wurde, der Generaldirektorin des Staatlichen Kulturhistorischen Museums "Moskauer Kreml", deren Vater 1961 als erster Mensch in den Weltraum flog. Wie Juri Gagarin damals die alte Erde aus einer ganz aktuellen Perspektive - nämlich aus einer Raumkapsel im Orbit - , betrachtete, zeigt sie uns nun den Kreml in seinen vielfältigen Aspekten und mit seinen Schwindel erregenden Prunkstücken aus einer ebenfalls heutigen Perspektive.

Indem sie die ausgewählten Exponate ins Wechselspiel mit den historisch markanten Ereignissen aus der Zeit vom 12. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts setzt, gewinnt die Ausstellung einen dynamischen fächerübergreifenden Bezugsrahmen.

Zugleich öffnet die Schau diesen erst aus Holz errichteten, später aus Stein erweiterten Inbegriff von russischer Macht und Herrlichkeit, der einst verschlossen war hinter dicken Mauern und versteckt unter rotgolden funkelnden Zwiebeldächern.

Sie lässt uns also Altes und Neues zusammen entdecken und regt uns darüber hinaus an, die beiden Seiten der Medaille zu bedenken: Verschwenderischer Glanz der Herrscher hier, drückendes Elend der Beherrschten dort. Wir können nicht nur in Schönheit schwelgen, sondern uns außerdem ganz wunderbar Kenntnisse über Land und Leute, Leben und Kunst, Konstanz und Vergänglichkeit erwerben. Denn je mehr wir voneinander wissen und das Fremde zu verstehen lernen, desto eher können wir friedlich und konstruktiv miteinander umgehen.

Auch das war uns bei diesen Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen mit ihren bis Jahresende über 500 Veranstaltungen aus allen Kulturbereichen in über dreißig Städten Deutschlands und Russlands ein großes Anliegen, und das wird es auch bei den kommenden bleiben. Über Moskau geht nur der Kreml, und über dem Kreml ist nur noch Gott ", wusste der russische Volksmund schon lange zu berichten. In all der Pracht, die sich hier vor uns ausbreitet, ist es allerdings eine schlichte alte Fotografie, die ich zum Thema Kreml besonders ins Herz geschlossen habe, und die mir sofort einfällt, wenn ich an ihn denke. Auf dieser Schwarz-Weiß-Aufnahme posiert eine Gruppe von Zivilisten unter der so genannten" Zar-Puschka ". Es handelt sich dabei um eine riesige, 1586 in Bronze gegossene Kanone von stattlichen vierzig Tonnen Gewicht. Sie soll die größte der Welt sein. Neben ihr türmt sich ein Berg von Kugeln auf. Diese Kugeln haben einen Durchmesser von genau einem Meter, das dazugehörige Kanonenrohr aber bloß von 99 Zentimetern.

Insofern, und das ist das Schöne daran, konnte die monströse Waffe ausschließlich der Repräsentation respektive der Abschreckung dienen. Aus ihr wurde nie auch nur ein einziger Schuss abgefeuert.

Ich danke Ihnen.