Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 14.07.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des SPD-Kongresses zur innovativen Mobilitätspolitik "Durch Innovation Mobilität sichern" am 14. Juli 2004 in Düsseldorf
Anrede: Herr Ministerpräsident, Herr Bundesminister, lieber Franz Müntefering, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/683925/multi.htm


Man muss vor diesem Publikum nicht besonders betonen, dass ein funktionierendes Verkehrssystem für eine Volkswirtschaft, die wettbewerbsfähig sein will, aber auch für eine Gesellschaft, die Mobilität will und braucht, völlig unverzichtbar ist. Aber es gilt am Anfang auch festzustellen, dass wir bezogen auf unser deutsches Verkehrssystem keinen Grund haben, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. Es ist modern, und es ist im Vergleich mit anderen hoch leistungsfähig. Aber es ist notwendig, dass wir dieses System wettbewerbsfähig erhalten wollen und müssen. Wenn wir das wollen, müssen wir es entwickeln. Dabei ist Folgendes besonders wichtig: Wir setzen auf Mobilität. Mobilität ist ein unverzichtbares Element in einer globalen Wirtschaft. Mobilität - das muss man denen sagen, die es nur als ein ökonomisches Problem begreifen - ist auch ein elementares Bedürfnis der Menschen. Um Mobilität zu erhalten und, wo immer nötig und möglich, auszubauen, brauchen wir eine leistungsfähige Infrastruktur, innovative Logistikkonzepte, Innovation im Mobilitätssektor und eine bessere Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger.

Die Verkehrsinfrastruktur und die Leistungskraft der Verkehrswirtschaft erbringen einen enorm wichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft und für die Wirtschaftskraft insgesamt. Diese Infrastruktur, die es ermöglicht, das sicher zu stellen, kostet den Staat allerdings erhebliche Summen. Jährlich geben wir dafür mehr als 11 Milliarden Euro aus. Bei der Bahn hat die Bundesregierung massiv in das jahrzehntelang vernachlässigte Bestandsnetz investiert. Im vergangenen Jahr hat der Bund rund 4,5 Milliarden Euro für das Schienennetz aufgebracht. In den Straßenbau hat der Bund im vergangenen Jahr 4,6 Milliarden Euro - das ist fast das Gleiche wie im Schienennetz - investiert. Ich sage das auch deshalb, um deutlich zu machen, dass die gern gepflegte Mär, aus bestimmten ideologischen Gründen würde das eine gegen das andere aufgerechnet, schlicht nicht stimmt. Dort, wo es notwendig ist, bauen wir das Straßennetz aus. Der sechsstreifige Ausbau der Autobahn A 4, aber auch der Kölner Ring sind Beispiele dafür. Daran wird deutlich: Wir setzen die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur auf hohem Niveau fort. Auch in diesem Jahr stellen wir für den Straßenbau wieder rund 4 œ Milliarden Euro zur Verfügung.

Um die hohen Kosten von Ausbau, Erhalt und Betrieb der Verkehrsinfrastruktur aufbringen zu können, darf man, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur auf bewährte, auf alt hergebrachte Konzepte setzen. Ich räume gerne ein, dass es ein gelegentlich nicht einfacher Diskussionsprozess auch bei uns gewesen ist, auf neue Konzeptionen umzusteigen. Wenn wir wirklich beim Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur vorankommen wollen, dann darf der Staat sich nicht drücken. Aber wir müssen mehr und mehr auch privates Kapital mobilisieren. Das heißt, wir müssen zunehmend auf das Instrument "Public Private Partnership" zurückgreifen. Wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Staat einerseits und privater Wirtschaft anderseits in organisierter Form und so, dass der eine sich nicht auf Kosten des anderen saniert oder auch sich nur eine goldene Nase verdient. Das muss eine faire Zusammenarbeit sein. Das kann man erreichen. Wir wollen und müssen dieses Instrument angesichts des Problemdrucks, den wir nicht nur hier im Ruhrgebiet, im Rhein-Ruhr-Gebiet, in Düsseldorf, sondern überall im Bundesgebiet haben, mehr nutzen.

Damit - das ist eine Erfahrung, die wir gemacht haben - können Verkehrswege deutlich schneller und vor allen Dingen auch kostengünstiger verwirklicht werden. In anderen europäischen Ländern ist das Modell inzwischen längst erprobt. Die Kinderkrankheiten, die auch damit verbunden waren, lassen sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die andere gemacht haben, sehr wohl abstellen. Ich will trotz der Schwierigkeiten, die es dabei immer einmal wieder gegeben hat, schon darauf hinweisen, dass in Großbritannien jedes fünfte öffentliche Infrastruktur-Projekt in den Modellen von "Public Private Partnership" realisiert wird. Wir haben bei der Klausur der Bundesregierung in Neuhardenberg miteinander vereinbart, dieses Modell für den Ausbau der Infrastruktur weit stärker als in der Vergangenheit zu nutzen, weil wir nur angesichts knapper Haushaltsmittel den erforderlichen Infrastrukturausbau realisieren können. Klar ist, dass ein wichtiger Einsatzbereich der Ausbau stark belasteter Autobahnen sein wird. Wir werden die Autobahn A1 gemeinsam mit privaten Investoren sechsstreifig ausbauen.

Meine Damen und Herren, es gibt nur wenige Bereiche, die so stark von Innovation, das heißt von technologischen Vorsprüngen gekennzeichnet sind, wie der Mobilitätssektor. Eine besondere Bedeutung hat für uns das europäische Satelliten-Navigationssystem "Galileo", das unter wirtschaftlicher Führerschaft Deutschlands in und für Europa realisiert wird. Mit seinen 30 Satelliten wird "Galileo" die Voraussetzung für ein modernes Verkehrsmanagement, für eine effiziente Logistik und für technisch anspruchsvolle Bahnleitsysteme leisten. Ich bin fest davon überzeugt,"Galileo" wird sich immer mehr zu einem Motor der technologischen Entwicklung und des weiteren Wachstums der gesamten Branche entwickeln. Deswegen haben wir es auch aufgebaut; am Anfang durchaus in starker und misstrauisch beäugter Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber inzwischen gibt es eine Einigung zwischen der Europäischen Union und den USA. Diese Einigung stellt sicher, dass das System "Galileo" als europäisches System künftig gleichberechtigt neben GPS stehen wird.

Dies macht auch deutlich, dass wir den Bereich der Verkehrstechnologie nicht nur unter dem unmittelbaren Nutzen betrachten dürfen, sondern dieser Bereich ist, wenn man so will, ein strategisches Feld einer Industriepolitik, die wir in und für Europa durchsetzen müssen. Wenn Deutschland dabei vorneweg ist, muss und soll uns das durchaus freuen. Wir wollen das jedenfalls. Dass es geht, wenn auch gelegentlich mit Schwierigkeiten, zeigt sich auf einem Feld, das ich durchaus ansprechen will, nämlich das der LKW-Maut. Da ist viel geschrieben, gesendet und manchmal auch schadenfroh gelacht worden, übrigens häufig über die Falschen. Es war nicht Manfred Stolpe, der den Auftrag bekommen hatte, die Technologie dazu zu entwickeln. Das waren schon sehr wichtige, wertvolle und im internationalen Wettbewerb stehende deutsche Unternehmen. Weil das trotz aller Schwierigkeiten so ist, bin ich der Auffassung, dass wir das System realitätstauglich machen müssen und werden. Wir werden es einsetzen. Wir werden als Deutsche beweisen, dass wir das können und dass wir auf diese Weise ein ehrgeiziges, neuartiges und funktionierendes System aufbauen, das dann, aber auch nur dann weltmarktfähig ist und durchaus exportfähig sein wird. Das jedenfalls ist der Ehrgeiz, den wir haben. Dieser Ehrgeiz lässt sich nur realisieren, wenn diejenigen, die die Technologie zu liefern haben - das sind nicht die Politiker, egal von welcher Seite - , das auch hinkriegen. Es gibt alle Anzeichen dafür, dass das gelingen wird und dass man dann wirklich etwas vorweisen kann, das die Kraft der deutschen Wirtschaft auf diesem Feld auch zeigt.

Meine Damen und Herren, für die Sicherung der Mobilität ist die Verfügbarkeit von Kraftstoffen von zentraler Bedeutung. Auch dies ist ein Innovationsthema. Aber ich will eine Bemerkung zu einem weiteren Feld machen, das mehr außen- und sicherheitspolitischer Natur ist. Die russische und die deutsche Regierung haben in der vergangenen Woche die Rahmenbedingungen für ein Projekt geschaffen, die eine Zusammenarbeit auf dem Felde der Energieversorgung sowohl bei Öl als auch bei Gas ermöglichen. Das wird für die nächsten 10, 15, 25 Jahre von strategischer Bedeutung sein. Es ist gelungen, einen großen Gasproduzenten in Russland, Gasprom, mit E. on zusammen zu bringen. Auf diese Weise ist zum ersten Mal erreicht worden, dass ein ausländisches Unternehmen nicht nur Produkte kaufen darf, sondern sich auch mit der Förderung und dem Vertrieb im Land befassen kann und natürlich dann auch gemeinschaftlich auf anderen Märkten auftritt.

Was das angesichts der Unsicherheiten im Nahen und Mittleren Osten bedeutet, die noch nicht überwunden sind, sollte man nicht ganz aus den Augen verlieren. Was damit gelungen ist und was, wie ich glaube, ein Erfolg werden wird, hat etwas mit dem zu tun, was der Parteivorsitzende Franz Müntefering genannt hat, nämlich für künftige Generationen den Grundstock für Wohlstand zu legen. Dass die Energieversorgung dabei eine zentrale Rolle spielt, kann man, so denke ich, nicht bestreiten. Ich sage das deswegen, weil wir unabhängig von dem, was wir bei Öl und Gas tun, auch eine ergänzende Strategie brauchen, und zwar nicht "weg vom Öl", aber durchaus "nach dem Öl". Was müssen wir da machen? Wir erarbeiten gemeinsam mit der Wirtschaft eine Strategie für alternative Kraftstoffe und eine Strategie für alternative Antriebe. Das hat sehr viel mit Zukunftsvorsorge zu tun.

Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung geht es uns darum, einerseits die Versorgungssicherheit zu erhöhen und andererseits einen Beitrag zur Verminderung der Treibhausgase zu leisten. Das wird notwendig sein. Ich habe damals - noch in einer anderen Eigenschaft - als niedersächsischer Ministerpräsident und Aufsichtsrat eines mittelständischen Unternehmens, das Autos baut - ich kann das hier nicht nennen, weil ich Herrn Mattes natürlich nicht in Bedrängnis bringen will - , immer einmal wieder den Traum vertreten, wie es eigentlich wäre, wenn Ford und Volkswagen, um nur diese beiden zu nennen, es hinkriegten, jedem Chinesen einen Golf oder Focus zu verkaufen. Wenn man sich vorstellt, was dort an Mobilitätsbedürfnissen von 1,3 Milliarden Menschen existiert, kann man ermessen, was das in der Perspektive für den Klimaschutz in der Welt bedeuten würde, wenn das mit den hergebrachten Kraftstoffen und Antrieben und den entsprechenden Emissionen gemacht würde. Deswegen ist das Entwickeln alternativer Kraftstoffe eine Angelegenheit, die uns alle angeht und zu einer industriepolitischen Strategie gehört. Dazu gehören Kraftstoffe aus Biomasse, langfristig wohl auch aus Wasserstoff. Wer heute nicht darüber nachdenkt, macht, dessen bin ich sicher, einen riesigen Fehler. Ich will deutlich machen, dass das auch ein Baustein einer Mobilitätsstrategie ist.

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch als Antwort auf den zunehmenden Güterverkehr innovative Verkehrs- und Logistikkonzepte. Die Transportbranche befindet sich im Moment in einem enormen Veränderungsprozess, den die deutsche Branche auch ganz gut bewältigt. Die traditionellen Transportunternehmen entwickeln sich zunehmend zu wirklich vernetzten Logistikunternehmen. Aber das kann noch besser werden, weil man immer noch nicht die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien so nutzt, um Leerfahrten wirklich weitgehend vermeiden zu können. Aber in diese Richtung wird es gehen, wird es auch gehen müssen.

Das ist übrigens ein Prozess, den auch die Deutsche Bahn AG schon frühzeitig erkannt hat und mit dem Kauf und der Integration beispielsweise von Stinnes wichtige industriepolitische und strategische Entscheidung getroffen hat. Wir brauchen in Zukunft ein europäisches Bahnunternehmen, das im eigenen Markt stark ist und von da in andere Märkte ausstrahlt. Wir brauchen dieses Bahnunternehmen, das attraktive Dienstleistungen im Bereich der Logistik aus einer Hand anbietet. Das wollen wir. Da sind wir uns sowohl mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG als auch mit der zuständigen Gewerkschaft wirklich in allen Punkten einig.

Allianzen, wie wir sie aus dem Flugverkehr kennen, sollten auch im europäischen Güterverkehr verwirklicht werden. Es ist heute nicht der Tag, um über den Börsengang der Bahn zu reden. Ich will auch in dem Zusammenhang sehr deutlich machen: Wenn die wettbewerblichen Voraussetzungen stimmen - und unsere dürfen nicht benachteiligt werden - , dann wollen wir das. Wir wollen es so schnell als möglich. Aber es muss sozusagen funktionieren. Wir sind in einem sehr intensiven Diskussionsprozess mit der Bahn. Es wird Sache - ich sage das ausdrücklich - der Bundesregierung sein, das zu entscheiden. Wir werden es auch selber entscheiden, ohne dass wir etwa Rat zurückweisen würden, der uns gelegentlich angeboten wird. Ob wir ihn immer haben wollen, ist eine ganz andere Frage. Aber kein Rat, der angeboten wird, wird zurückgewiesen.

Meine Damen und Herren, wie leistungsfähig ein Verkehrssystem ist, bemisst sich nicht nur an der Größe des Straßen- oder Schienennetzes, sondern auch daran, ob jeder Verkehrsträger entsprechend seinen Stärken optimal zum Einsatz kommt. Für die Zukunft der Mobilität ist die optimale Verknüpfung der Verkehrsträger entscheidend, also das integrierte Verkehrssystem. Das betrifft nicht nur die Verknüpfung von Schiene und Straße, sondern auch von Schiene und Luftverkehr. Der neue ICE-Bahnhof direkt unter dem Terminal des Flughafens Köln / Bonn ist hierfür ein, wie ich glaube, gelungenes Beispiel. Der Bund hat das Projekt mit mehr als 260 Millionen Euro mitfinanziert. Wir als Bundesregierung wissen - wenn wir es nicht wüssten, würden wir vom Ministerpräsidenten des größten und wirtschaftsstärksten Bundeslandes immer wieder darauf hingewiesen werden - , dass das Rhein-Ruhr-Gebiet eines der größten Verkehrsaufkommen in Europa hat. Für einen solchen Ballungsraum ist ein integriertes Verkehrssystem mit einem starken öffentlichen Nahverkehr unverzichtbar. Wir sind ständig zwischen nordrhein-westfälischer Landesregierung und der Bundesregierung darüber in Diskussion.

Das öffentliche Verkehrssystem in der Region - auch das ist uns allen klar - muss weiter verbessert werden. Dabei ist insbesondere die Verbesserung der Achse Dortmund-Duisburg-Düsseldorf-Köln wichtig und prioritär. Wir wollen für diese Verbindung einen leistungsfähigen Rhein-Ruhr-Express - und wir werden das schaffen - , und zwar nicht nur als ein schnelles und pünktliches Verkehrsmittel, sondern auch als ein innovatives Verkehrssystem, das bei Energieeffizienz, aber auch bei Lärmschutz Maßstäbe setzt. Dafür sollen jetzt zügig die Voraussetzungen geschaffen werden. Die Engpässe auf der Strecke müssen beseitigt und - und das ist entscheidend - die Knoten Köln und Dortmund sowie die Strecke Düsseldorf - Duisburg müssen ausgebaut werden. Das muss und wird sichtbar werden, meine Damen und Herren. Der Verkehrsminister wird im Rahmen einer Realisierungsstudie prüfen lassen, wie dann die Strecke weiter verstärkt werden kann und wird. Bundestag und Bundesrat haben in der vergangenen Woche das Ausbaugesetz für die Schiene beschlossen. Auf dieser Grundlage kann jetzt zügig geplant und - das ist wichtig - sehr schnell Baurecht geschaffen werden. Die Bundesregierung unterstützt dieses für diese Region so wichtige Mobilitätsprojekt finanziell, und wir werden alles tun und überall mithelfen, um es wirklich zügig realisieren zu können. Uns ist klar, dass das das Entscheidende für die Menschen in der Region und auch für die Landesregierung in Düsseldorf ist.

Die Sicherung der Mobilität ist - ich hoffe, das ist deutlich geworden - eine der großen Zukunftsaufgaben in unserem Land. Wer sich aber nur darauf beschränkt zu sagen: "Wir brauchen dafür mehr Geld", der liegt falsch, und zwar nicht nur, weil ein grenzenloser Ausbau finanziell, aber auch ökologisch nicht möglich wäre, sondern auch, weil eine wirklich zukunftsweisende Mobilitätsstrategie heute heißt, auch die vorhandene Infrastruktur effizienter zu nutzen. Das bedeutet, die Verkehrsträger deutlich optimaler miteinander zu verknüpfen. Nur auf diese Weise, meine sehr verehrten Damen und Herren, erreichen wir beide Ziele: Die Menschen können sich ihre Wünsche nach Mobilität erfüllen. Die materiellen Belastungen für die gesamte Gesellschaft halten sich in vertretbaren Grenzen. Beide Ziele müssen übereinandergebracht werden. Das wollen wir. Das werden wir. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.