Redner(in): Christina Weiss
Datum: 16.07.2004

Untertitel: Am 16. Juli 2004 eröffnete Kulturstaatsministerin Weiss das Kabarettarchiv in Mainz.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/684671/multi.htm


es gibt nicht wenige Tage, an denen die Zeitungen eine Abwesenheit von Humor beklagen, in der sie das Land in einer Dauerdepression versinken sehen oder die Stimmung auf dem Tiefpunkt vermutet wird. Nichts, so scheint es, kann uns mehr aufheitern. Die Kanäle voller Klamauk, Klamotten und Kaspereien helfen uns nicht wirklich weiter. Und dann stirbt auch noch in einer Woche mit Bernd Pfarr und Chlodwig Poth ein "Gutteil der deutschen Hochkomik", wie die F. A. Z schreibt. Hat sich Deutschland das Gemüt verrenkt, könnte man, angelehnt an Erich Kästner, fragen. Wie anders ist es zu erklären, dass die Öffentlichkeit förmlich zusammenzuckte, als der neue Bundespräsident seine Antrittsrede mit Witz und Ironie aufhellte. Wem in dieser Zeit zum wirklichen Scherzen zumute ist, der wird bestaunt, als sei er das Opfer einer seltenen Verstrahlung geworden. Wenn wir nun heute das neue Domizil des Deutschen Kabarett-Archivs feiern, dann schlägt erst recht die Stunde der Misanthropen. Sie werden unterstellen, dass der Deutschen heitere Seiten nur noch im Museum zu entdecken sind. Man wird sich an selige Zeiten erinnern, in denen es wesentlich weniger zu lachen gab, der Humor aber in voller Blüte stand. Ach, was sind wir bekümmert.

Das ist natürlich alles übertrieben, denn wir haben immer noch kräftig zu lachen, auch wenn einer der Säulenheiligen dieses Hauses, Werner Finck, zunehmend Bestätigung erfährt. Sein Vermächtnis nämlich lautet: "Die schwierigste Turnübung ist immer noch, sich selbst auf den Arm zu nehmen." Recht hatte der Mann, dem wir heute einen Stern schenken wollen. Und wir ehren damit einen Künstler, der danach strebte, die Menschen zum Lachen zu bringen, damit sie einen und sich selbst nicht ernst nehmen. Denn, so wusste Finck: "Wenn man sie ernst nimmt, hat man keinen Erfolg." Also fand er das Tragische komisch und machte es dadurch kleiner. Finck war es auch, der erkannte, wie viel die über einhundertjährige Geschichte des Brett'ls, der selbsternannten Übertreiber und des guten Geistes über das deutsche Gemüt aussagt. Er unterstützte die grandiose Initiative Reinhard Hippens, der in den fünfziger Jahren damit begann, emsig Materialien zu sammeln, die kundtaten, welchen Weg der deutsche Witz genommen hatte. Hippens Lebenswerk avancierte zum wichtigsten und aufschlussreichsten Archiv der deutschsprachigen Kleinkunstszene, das vom Bund seit gut vier Jahren unterstützt wird.

Immer wieder groß geredet und klein gemacht, bejubelt und totgesagt, lebt das Kabarett bis heute. Achtzigtausend Namen sind in Mainz verzeichnet. Wer will, kann den Spuren der intellektuellen Spötter folgen, die eine Kunstform etablierten, die mit Emotionen und Wissen des Publikums spielte. Wer in den Akten voller Scherzartikel stöbert, der erkennt auch, was das deutschsprachige Kabarett reich gemacht hat, seit Ernst von Wolzogen die Geburtswiege schaukelte: Phantasie in der Sachlichkeit, geistreiche Ideen, Esprit im Denken, volkstümliche Schlagfertigkeit, perfekt arrangierte Songs und ein literarischer Anspruch. Wir erkennen aber auch, was wir durch den geistigen Feldzug der Nationalsozialisten verloren haben. Wir spüren diese gedankliche Leere bis heute. Nirgendwo wird diese Leere so offenbar wie in der großen, kleinen Kunst. Mit Wehmut hören wir zum Beispiel die Lieder der Comedian Harmonists, wo sich noch Utensilien auf Kastilien reimte. Die Nationalsozialisten erkannten im Humor sehr wohl eine Waffe des Widerstandes und verfolgten die mutigen Hoffnungsgeber in finsterster Zeit mit gnadenloser Brutalität. Aber wir wissen von Werner Finck: "Wer lachen kann, dort wo er hätte heulen können, bekommt wieder Lust zum Leben."

Es ist ein gutes Omen, dass das Deutsche Kabarett-Archiv sein neues Domizil ausgerechnet im Proviantamt genommen hat und die weiten Hallen des Gedächtnisses nunmehr noch näher an die vielleicht berühmteste Kleinkunstbühne Deutschlands, das Mainzer "Unterhaus", gerückt sind. Wenn man den Proviant der Vergangenheit mit auf die Reise in die Zukunft nimmt, so kann das dem deutschen Humor nur zuträglich sein. Denn es waren immer auch die Zwischentöne, die das Nachdenken zum Klingen brachten, Momente des Innehaltens, die überhaupt nicht komisch waren und die das Bewusstsein umso mehr schärften. Es könnte sein, dass der Humor einer neuen Fürsorge bedarf. Denn billige Gags sind das Gegenteil von lustvoller Satire. Bei Meistern der feinen Ironie wie Hanns Dieter Hüsch, dem anderen Säulenheiligen des Kabarettarchivs, lässt sich lernen, wie unsere Existenz, unser Kommen und Gehen in eine Komödie passt, die noch immer tragisch genug ist. Man begreift, wie er die Welt verändern will - mit viel Geduld und mit Scherzen. Oder mit Hüsch gesagt: "Wenn man von unseren Tagen so nach rückwärts schaut, was doch das menschliche Gehirn im Lauf der Zeiten so erfinden kann, das geht auf keine Gänsehaut."

Ich bin sehr gespannt, in welcher Weise das 21. Jahrhundert im Deutschen Kabarett-Archiv Berücksichtigung finden wird. Denn das Brett'l ist keineswegs wurmstichig und morsch geworden, es sucht nach Talenten, die sich bewusst in die große Tradition stellen und mit gutem Geist und gutem Willen dem Humor auf die Sprünge helfen. Denn Humor ist eine Haltung dem Leben gegenüber, und er kann Hoffnung geben. Wenn, ja wenn er nicht dem Zynismus weicht. Es gibt sie, diese Talente, die sensibel genug für gute Komik sind.

Ich bin sicher, dass das Deutsche Kabarett-Archiv nicht zu einem Museum des feinen Humors wird, sondern Forschungsstätte einer lebendigen Kunstgattung bleibt. An Ideen herrscht gewiss kein Mangel. Und vielleicht wundern wir uns eines Tages, warum wir wieder so fröhlich sind. Vielen Dank.