Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 08.09.2004
Anrede: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/10/712410/multi.htm
Herr Glos, früher waren Ihre Auftritte überwiegend lustig und selten peinlich. Heute war es umgekehrt.
Das sage ich mit der gleichen freundlichen menschlichen Sympathie, die ich Ihnen entgegenbringe. Aber politisch war das, was Sie hier abgeliefert haben, wirklich daneben.
Ich will das nur an einem Beispiel, das Sie gebracht haben, näher erläutern. Sie haben sich über Volkswagen verbreitet und über die Tatsache, dass Volkswagen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammenarbeitet, die sich an Volkswagen beteiligen wollen. Aus meiner langen Tätigkeit im Aufsichtsrat von Volkswagen weiß ich, dass nach der Satzung und dem VW-Gesetz, das ja, jedenfalls bei Ihnen, nicht unumstritten ist, gegen die niedersächsische Landesregierung relativ wenig läuft. Die niedersächsische Landesregierung wird aber nicht von Sozialdemokraten gestellt. Ich bedauere das sehr. Im Präsidium des Aufsichtsrates von Volkswagen sitzt Herr Wulff und im Aufsichtsrat sitzt Herr Hirche. Auch Sie von der FDP sind beteiligt. Gegen beider Stimmen würde eine im Übrigen durchaus vernünftige Beteiligung der Emirate nicht laufen. Wen kritisieren Sie da eigentlich?
Ich glaube, es ist an der Zeit, zu den Problemen im Lande zurückzukommen, über die man in diesem Hohen Haus zu debattieren hat. Unser Land ist, wie übrigens andere europäische Länder auch, drei großen Herausforderungen ausgesetzt, mit denen wir fertig werden müssen. Dabei haben wir uns auf den Weg gemacht.
Zunächst stellt sich die Herausforderung in der internationalen Lage. Wir haben Grund, über die Herausforderung zu reden, die Terrorismus heißt - und nicht nur zu reden. Wir haben daneben ungelöste regionale Konflikte, mit denen auch deutsche Politik fertig werden muss. Die Stationen des Terrors, einer Bedrohung, die nach der des Kalten Krieges neu ist und mit der die zivilisierte Welt fertig werden muss, sind doch bekannt: New York und Wash-ington, Djerba und Bali, Madrid und jetzt Moskau und Beslan.
Ich plädiere dafür, Terrorismus nicht danach zu unterscheiden, wo er örtlich stattfindet, sondern Terrorismus als eine Angelegenheit zu betrachten, die bekämpft werden muss, und zwar gleichgültig, wo sie stattfindet.
Das hat meine Position zu dem, was in Russland geschehen ist, bestimmt und das wird meine Position weiter bestimmen. Wenn man über die Ursachen redet, dann darf man nicht Täter zu Opfern machen. Gelegentlich lese ich Ähnliches. Ich sage nicht, dass das hier gesagt worden ist, aber gelegentlich habe ich den Eindruck, dass man je nachdem, wo Terrorismus stattfindet, unterschiedliche Maßstäbe ansetzt.
Natürlich - da sind sowohl der französische Präsident als auch ich mit dem russischen Präsidenten einig - muss es in Tschetschenien eine politische Lösung geben.
Aber diese Lösung muss doch ganz bestimmten Kategorien folgen, zum Beispiel der, dass wir ein Interesse daran haben, dass die territoriale Integrität der Russischen Föderation nicht infrage gestellt wird. Wir haben ein eigenes Interesse daran, dass das nicht passiert. Was würde denn wohl die Folge sein, wenn die territoriale Integrität Russlands über diesen Konflikt infrage gestellt würde? Jedenfalls keine, die mehr an Stabilität in der Welt und in Europa bedeutete. Das gilt es doch zu beachten, wenn man diese Frage beantworten will.
Wenn man politische Lösungen will, dann muss es Gesprächspartner geben. Will mir jemand wirklich erklären, dass diejenigen, die für den Mord an unzähligen Kindern verantwortlich sind, Gesprächspartner für eine politische Lösung sein können? Das kann doch niemand erklären.
Deswegen meine Bitte dort wie überall: Terrorismus, der das Leben unschuldiger Menschen, von Kindern zumal, nicht achtet, darf nirgendwo eine Chance haben und ist nirgendwo Partner für seriöse internationale Politik.
Es ist richtig: Dieser Herausforderung, die in der internationalen Politik liegt, kann man nur mit einem multilateralen Ansatz begegnen. Es wird doch immer klarer in der internationalen Politik, dass ein anderer nicht geht. Das ist der Grund, warum der Bundesaußenminister und die ganze Regierung diesen multilateralen Ansatz sowohl beim Kampf gegen den Terrorismus als auch bei der Lösung oder bei der Mithilfe zur Lösung regionaler Konflikte stützen.
Wir erleben doch gerade, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass im Irak nicht weniger, sondern mehr Stabilität ist. Deutschland leistet seinen Beitrag. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir helfen, eigene Sicherheitskräfte, ob Polizei oder Militär, auszubilden. Natürlich geschieht das nicht im Irak; denn es gilt das, was ich gesagt habe, nämlich dass wir dort keine Soldaten hinschicken. Aber wir helfen doch bei der Lösung solcher Fragen.
Wir haben deshalb keinen Grund, uns irgendwelche Vorwürfe machen zu lassen, übrigens auch, Herr Glos, uns Selbstvorwürfe zu machen. Es gibt keinen Grund dafür. Deutschland ist das Land, das seine internationalen Pflichten, seine Bündnispflichten auf Punkt und Komma erfüllt. Ich füge hinzu: Wir können stolz darauf sein. Wir stehen selber materiell dafür ein, dass diese Pflichten erfüllt werden. Das ist nicht überall so.
Das gilt nach wie vor auf dem Balkan, das gilt in Afghanistan. Wir werden demnächst darüber zu reden haben, wenn es um die Verlängerung der Mandate geht.
Das gilt auch für das, was Deutschland bei neuen regionalen Konflikten leistet, zum Beispiel im Iran. Dieser Konflikt ist höchst besorgniserregend. Wer ist es denn, der mit dem französischen und dem englischen Außenminister versucht, diesen Konflikt zu dämmen, ihn nicht ausbrechen zu lassen?
Es ist doch der Bundesaußenminister und kein anderer, der sich im Iran darum bemüht, dieses Land dazu zu bewegen, den Brennstoffkreislauf nicht zu schließen.
Es ist viel über die Zusammenkunft in Sotschi geredet worden. Dabei ist aber auch eines klar geworden, nämlich dass die Russen das gleiche Interesse wie wir daran haben, dass es keine neue atomare Macht gibt, die Iran heißt. Diesem Interesse dienen wir. Diesem Interesse dienen die Reisen, die der Bundesaußenminister macht. Sie sollten stolz darauf sein und sie nicht diskreditieren, meine Damen und Herren.
Ich denke, dass angesichts der neuen Herausforderungen klar ist, dass es diese Bundesregierung gewesen ist - wir reden schließlich über Halbzeitbilanzen und Bilanzen im Allgemeinen - , die selbstbewusst und in eigener Verantwortung definiert hat, was sie international zu leisten imstande und bereit ist. Wir haben auf dem Balkan, in Afghanistan und anderswo zusammen mit unseren Bündnispartnern gegen den internationalen Terrorismus gekämpft, auch mit militärischen Mitteln. Es war doch schwierig genug, das in diesem Hohen Haus - und zwar im gesamten Hohen Haus - durchzusetzen. Daran kann ich mich noch erinnern. Aber weil wir unsere Pflichten erfüllen, haben wir auch das Recht, dann Nein zu sagen, wenn wir von der Sinnhaftigkeit nicht überzeugt sind. Das ist es, was eigenes Handeln ausmacht.
Die zweite Herausforderung heißt Globalisierung. Sie heißt Globalisierung und meint eine Einbindung in die internationale Arbeitsteilung, wie es sie niemals gegeben hat, mit der Folge eines verschärften ökonomischen Wettbewerbs, wie er auch noch nie der Fall gewesen ist. Wir haben eine europäische und eine innenpolitische Antwort darauf zu geben. Das gilt übrigens gleichermaßen für die dritte große Herausforderung, nämlich den radikal veränderten Altersaufbau in unserer Gesellschaft.
Zuzugeben ist doch, dass das schon in den 90er-Jahren sichtbar war. Es haben nicht alle so darauf reagiert, wie darauf hätte reagiert werden müssen und wie zum Beispiel in Schweden reagiert worden ist. Aber tun Sie doch jetzt nicht so, als ob in den 90er-Jahren nur die Sozialdemokraten und die Grünen für die Tatsache verantwortlich gewesen wären, dass nicht zureichend reagiert worden ist! Das waren doch allemal auch Sie.
So viel Nachdenklichkeit sollte man schon erwarten können.
Beides - die Globalisierung und der veränderte demographische Aufbau unserer Gesellschaft - sind die zwei großen Herausforderungen neben der internationalen. Es ist richtig, dass die ökonomische und die politische Antwort auf beide Herausforderungen, die in den europäischen Ländern gleich groß sind, heißen muss: Europa auf der einen Seite und Umbau unserer Gesellschaft nach innen auf der anderen Seite.
In beiden Bereichen handelt diese Regierung und sie handelt durchaus viel versprechend, auch, was die europäische Dimension angeht. Wer ist es denn gewesen, der veranlasst hat, dass in Europa wieder über Industriepolitik geredet wird, und zwar nicht in dem Sinne, dass der Staat anzuordnen hätte, was geschieht, sondern in dem Sinne, dass man sich auch wieder um das Rückgrat einer Wirtschaft, nämlich die industrielle Produktion, kümmert, statt sich nur auf die Situation von Finanzmärkten und Ähnliches zu beziehen?
Das waren doch wir Deutschen zusammen mit den Franzosen und Engländern.
Wer ist es denn gewesen, der gesagt hat, wir brauchen jemanden in der Kommission, der in allererster Linie für die Frage verantwortlich ist, wie es industriell weitergeht, und der für einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie verantwortlich ist? Dazu ist ein deutscher Kommissar - der Stellvertreter des Kommissionspräsidenten - berufen worden. Das hat etwas mit der Europapolitik zu tun, die wir machen und die durchaus erfolgreich ist. Das kann man auch an solchen Punkten ablesen.
Ich gestehe zu, dass es hilfreich war, Frau Merkel, dass auch Sie sich engagiert haben. Warum sollte ich das denn nicht zugestehen? Natürlich war das hilfreich. Aber es ist doch ein Erfolg der deutschen Politik, den man nicht einfach wegdiskutieren kann, weil es in die bayerische Volksseele passt.
Eine europäische Verfassung hätte es außerdem ohne deutsche Initiativen nicht gegeben. Der Verfassungsprozess ist auf unseren Vorschlag in Nizza in Gang gesetzt worden. Ich sage Ihnen: Wir werden die Ersten bzw. unter den Ersten sein, die den Verfassungsentwurf zu ratifizieren haben. Ich habe jedenfalls den Anspruch, dass das in Deutschland passiert.
Ich möchte kurz über die Frage reden, wie das geschehen soll. Herr Glos, das, was Sie beabsichtigen, ist doch allzu durchsichtig. Sie sagen mit Bezug auf die Abstimmung über den Verfassungsentwurf: Wir wollen das deutsche Volk direkt beteiligen. Sie wollen es also nur an einem einzigen Punkt beteiligen. Sie sagen das natürlich auch in der Hoffnung, dass Sie dann sozusagen den Fuß in die Tür für Regierungshandeln bekommen; denn die Entscheidung, ob Beitrittsverhandlungen mit einem Land aufgenommen werden oder nicht, gehört zum Regierungshandeln und ist nichts anderes. Das, was Sie machen, ist doch, wie gesagt, allzu durchsichtig. Ich finde es in Ordnung, dass die Koalition sagt: Wenn schon direkte Beteiligung, dann aber gründlich.
Natürlich sind auch diejenigen ernst zu nehmen, die sagen, das müsse man sich gut überlegen. Gar keine Frage, ich bin für einen entsprechenden Diskussionsprozess. Aber es ist scheinheilig, das deutsche Volk nur bei der Abstimmung über den Verfassungsentwurf direkt beteiligen zu wollen und ansonsten nicht. Das wird mit uns nicht zu machen sein.
Wie immer diese Diskussion endet, der Ratifikationsprozess wird frühzeitig eingeleitet. Das ist die feste Vereinbarung der Regierungskoalition. Das ist auch notwendig und stünde Deutschland gut an. Übrigens läge es in der Tradition der Europapolitik aller deutschen Regierungen, wenn wir hier besonders drängen würden. Das sollten wir tun.
Was Jacques Chirac angeht: Der französische Präsident wird in eigener Verantwortung entscheiden, ob ein Referendum in Frankreich durchgeführt wird oder nicht. Im Übrigen können Sie ganz beruhigt sein. Natürlich hat er mich informiert, bevor das öffentlich wurde. Aber das ist eine souveräne französische Entscheidung, aus der wir uns heraushalten sollten.
Eines ist besonders wichtig: Wie auch immer ratifiziert wird, ob rein parlamentarisch oder im Rahmen direkter Demokratie, man sollte keine unterschiedlichen qualitativen Maßstäbe an das jeweilige Verfahren anlegen.
Die zweite und dritte Herausforderung in Deutschland, aber auch in allen anderen europäischen Ländern, bestehen, wie gesagt, in der Globalisierung und im demographischen Wandel. Unsere Antworten darauf haben wir mit der Agenda 2010 - dieser Prozess ist zwar auf den Weg gebracht worden, aber keineswegs abgeschlossen - und mit unserer Steuerpolitik gegeben. Damit überhaupt keine Missverständnisse aufkommen: Ich verteidige ausdrücklich das, was der Bundesfinanzminister mit unser aller Zustimmung in der Steuerpolitik macht.
Da Sie von Wahrheit und Klarheit geredet haben, möchte ich gerne ein paar wenige Daten nennen. Als wir in die Regierung kamen, lag der Spitzensteuersatz - dieser interessiert Sie augenscheinlich besonders - bei 53 Prozent. Im Jahre 2005, also in ein paar Monaten, wird er bei 42 Prozent liegen. Ich gebe zu, dass er bei 43 Prozent gelegen hätte, wenn wir seinerzeit nicht miteinander hätten reden müssen, Herr Brüderle. Das ist zuzugestehen. Immerhin wird er bald 10 Prozentpunkte unter dem damaligen Niveau liegen. Das reicht. Mehr Spielraum haben wir nicht, wenn wir die Staatsaufgaben noch finanzieren wollen.
Wenn wir über Gerechtigkeit in der Steuerpolitik reden, dann ist etwas anderes - das wird hier nie erwähnt - noch viel wichtiger. Als wir 1998 in die Regierung kamen, lag der Eingangssteuersatz bei 25,9 Prozent. 25,9 Prozent! Dafür war Herr Waigel verantwortlich. Am 1. Januar 2005 wird er bei 15 Prozent liegen. Das ist gerecht, weil dies den Geringverdienenden nutzt. Das wollen wir.
Sie hätten doch Gelegenheit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Gewerbesteuer - sie betrifft die kleinen und mittleren Unternehmen besonders - bei Personengesellschaften auf die zu zahlende Einkommensteuer angerechnet wird. Das habt ihr doch nicht gemacht; daran habt ihr noch nicht einmal im Traum gedacht. Das hat diese Koalition durchgesetzt. Das ist wirtschaftsfreundlich und nichts anderes.
In puncto Steuer, Unternehmensbesteuerung, aber auch Besteuerung der Privatpersonen hat die Koalition überhaupt keinen Grund, in Sack und Asche zu laufen und sich von Ihnen eine Debatte aufdrängen zu lassen, die mit der Wirklichkeit nun überhaupt nichts zu tun hat.
Jetzt reden wir über das, was in dem Prozess, der mit Agenda 2010 beschrieben ist, ansteht. Wir sind es doch gewesen, die bereits in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt haben, dass neben der Umlagefinanzierung bei der Rente eine Kapitaldeckung aufgebaut werden kann. Der Prozess, die Säule Kapitaldeckung, die neben der Umlagefinanzierung das Dach der Rentenversicherung hält, dicker zu machen, als sie gegenwärtig ist, dauert natürlich länger. Das geht nicht von heute auf morgen. Das kann auch niemand wirklich erwarten. Aber wir sind es doch gewesen, die das gemacht haben.
Zum Nachhaltigkeitsfaktor habe ich etwas gesagt. In der Tat, er musste sein. Wir sind es gewesen, die einen Fehler - das ist zuzugeben - korrigiert haben.
Ich weise nur darauf hin, dass das, was Sie seinerzeit vorgehabt haben, zu den Wirkungen, die der Nachhaltigkeitsfaktor hat, nicht geführt hätte.
Beschäftigen wir uns doch einmal mit der Gesundheitspolitik. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie das so gelaufen ist, als die Seele wegen der 10 Euro im Quartal für einen Arztbesuch kochte. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Ulla Schmidt standhaft verteidigt hat, was gemeinsam beschlossen worden ist und wie sich viele von Ihnen zur Seite gedrückt, um nicht zu sagen: in die Büsche verkrochen haben.
Da wir gerade bei der Gesundheitspolitik sind: Das System ist mittlerweile transparenter. Es gibt Ansätze - aber eben nur Ansätze - , dafür zu sorgen, dass die Kassen mit den Ärzten Verträge abschließen können. Dass allerdings weniger Transparenz als nötig und weniger Freiheit als möglich in diesem System sind, das haben doch Sie zu verantworten.
Der Versuch der FDP, den Besitz von Apotheken auf vier zu beschränken, das heißt, den Markt in diesem Bereich nicht freizugeben, grenzt schon ans Lächerliche. Das ist eine marktwirtschaftliche Orientierung, bei der es einem kalt den Rücken herunterläuft.
Ich bin im Übrigen dafür, dass man den Menschen deutlich macht, dass mehr Transparenz im System und die Tatsache, dass wir gemeinsam - das ist zuzugeben - eine neue Balance zwischen Eigenverantwortung einerseits und Solidarität andererseits geschaffen haben, Wirkungen zeitigen. Das ist doch bereits gestern deutlich geworden. Erstes Halbjahr 2003: Defizit der gesetzlichen Krankenkassen 2 Milliarden Euro. Das hätte doch auf die Beitragssätze gedrückt, wenn man es so gelassen hätte. Erstes Halbjahr 2004: Überschuss der gesetzlichen Krankenkassen 2,5 Milliarden Euro. Das ist ein Turnaround von 4,5 Milliarden Euro. Das hat mit der neuen Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität, die gefunden worden und die in sich durchaus gerecht ist, zu tun. Solidarität ist nicht aufgegeben worden. Angesichts der Situation unserer Gesellschaft - das hat mit dem Altersaufbau zu tun - musste das gemacht werden; sonst wären die Systeme auf Dauer nicht finanzierbar geblieben. Das wird uns auch noch bei anderen Punkten begegnen. Ich komme darauf zurück.
Wir haben gesagt - wir haben darüber ein Telefongespräch geführt - : Um eine Gemeinsamkeit zu erreichen, machen wir beim Zahnersatz das, was die Union vorgeschlagen hat. Sie wissen das. Ich habe mich darauf eingelassen und die Koalition hat sich auch darauf eingelassen. Jetzt stellen wir zusammen fest, dass diese Variante, die eingeführt worden ist, den Kassen in jedem Fall ein Maß an Verwaltungskosten aufbürdet, das wirklich nicht vernünftig ist. Wenn das so ist, dann muss man auch die Kraft haben, zu sagen: Wir korrigieren das. Wir haben das gemeinsam gemacht, also korrigieren wir es auch gemeinsam.
Ich warne nur davor, dann, wenn es ein besseres System gibt - das hat die Ministerin vorgeschlagen - , zu sagen: Wir wissen noch nicht so richtig, ob wir uns darauf einlassen können; das können wir erst im Oktober entscheiden. Das ist nicht der richtige Umgang mit der Problematik, meine Damen und Herren.
Notwendig wäre dagegen, zu sagen: Lassen Sie uns das, was wir mit zu viel an Verwaltungskosten befrachtet haben - durchaus gemeinsam - , gemeinsam korrigieren und eine vernünftigere Lösung finden! Lassen Sie es uns bald machen; denn es eilt, zum einen, weil es in die Maastricht-Kriterien eingeht, zum anderen aber auch, weil Klarheit über den weiteren Weg herrschen muss. Lassen Sie uns das gemeinsam machen und zögern Sie das nicht hinaus!
Ich verstehe die Abstimmungsnotwendigkeiten in Ihren beiden Parteien. Aber im Laufe des parlamentarischen Prozesses müsste es zu schaffen sein, so weit zu kommen, dass die Abstimmung vollzogen wird und wir miteinander eine vernünftigere Lösung durchsetzen können.
Auch dort wird die Reform weitergehen müssen, ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht, was mehr Transparenz und mehr Markt - auch bei den Apotheken - angeht. Diese Frage wird Sie, meine Damen und Herren, noch einholen; ich bin ganz sicher.
Ich komme zu dem dritten Punkt, der Teil der Agenda ist. Das ist das, was mit dem Namen Hartz IV verbunden ist. Die Notwendigkeit, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen, ist von niemandem bestritten worden. Im Blick auf die Debatte darüber, wer wann Aufklärung geleistet hat, habe ich einmal herumgefragt, wann denn das Gesetz abschließend im Bundesrat beschlossen worden ist. Kaum einer - außer mir natürlich - ist auf Mitte Juli gekommen.
Als wir wussten, wie das Gesetz aussehen würde - es war ein schwieriges Vermittlungsverfahren, das nicht im letzten Dezember, kurz vor Weihnachten, sondern im Juli 2004 endete - , begann sozusagen die Phase der Umsetzung in die notwendigen Verordnungen und Richtlinien. Das musste auch schnell gemacht werden; denn zum 1. Januar 2005 muss Klarheit herrschen.
Jetzt ein paar Bemerkungen zu den Wirkungen und zu der Art und Weise, wie damit umgegangen wird. Ich glaube, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe richtig ist. Darüber, denke ich, gibt es auch keine großen Unterschiede in den Auffassungen in diesem Hause. Wenn das so ist, reduziert sich das Ganze doch auf die Frage, ob die Umsetzung so, wie sie im Gesetz vorgesehen ist und die erst zum 1. Januar 2005 beginnen soll, dem gemeinsamen Anliegen entspricht.
Dann sollte man einmal buchstabieren, was denn im Moment so diskutiert wird, insbesondere von der verehrten Opposition.
Da wird gesagt, das Schonvermögen sei nicht großzügig genug angesetzt. Ich will Ihnen dazu nur zwei Beispiele nennen. Dass ein Ehepaar, die Ehegatten jeweils 45 Jahre, mit zwei Kindern neben Haus und Hausrat, was bei der Transferzahlung nicht berücksichtigt wird, 47 500 Euro an Schonvermögen hat, gibt es - wir haben das überprüft - in keinem anderen europäischen Sozialstaat.
Ich füge hinzu: Das neue Arbeitslosengeld II, die frühere Arbeitslosenhilfe also, ist eine steuerfinanzierte Leistung. Dieses Geld wird keineswegs nur von den Spitzenverdienern aufgebracht. Dieses Geld wird auch aus den Steuern der Verkäuferin, des Gesellen im Handwerk, des Krankenpflegers, von wem auch immer aufgebracht. Angesichts dieser Tatsache durch die Gegend zu laufen und zu sagen, das sei zu wenig, wird der Lage nicht gerecht.
Besonders makaber ist es im Übrigen, dass die gleichen Ministerpräsidenten, die jetzt Veränderungen durchführen wollen - ob sie Müller, Meier oder Schulze heißen - , im Vermittlungsverfahren dafür gesorgt haben, dass nicht weniger, sondern mehr an Schärfe und Druck ins System gekommen ist. Das ist doch keine Art, Politik zu machen.
Dann fordern die Gleichen, dass das Arbeitslosengeld I je nach Dauer der Beitragszahlung länger bezahlt werden muss. Sie bestreiten mit dieser Aussage Landtagswahlkämpfe. Dabei hätten Sie doch im Vermittlungsverfahren etwas sagen können.
Keiner von denen, die jetzt die Fahne hoch reißen, hat dazu ein einziges Wort gesagt. So kann man doch nicht politisch arbeiten, insbesondere dann nicht, wenn man sich angeblich das Prinzip Verlässlichkeit auf die Fahne geschrieben hat. Das geht doch nicht.
In den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ist es unter der nächsten Ziffer um den Zuverdienst gegangen. Jetzt wird von allen gesagt, hier müsse mehr ermöglicht werden. Ich erinnere mich noch an das Vermittlungsverfahren; wir waren doch alle dabei. Wie ist es da denn gelaufen? Diejenigen, die weniger Zuverdienstmöglichkeiten gefordert und angesichts der Machtverhältnisse im Bundesrat auch durchgesetzt haben, laufen jetzt herum und sagen, sie hätten sich bessere Zuverdienstmöglichkeiten vorgestellt.
Das ist doch nicht auf einen Nenner zu bringen, meine Damen und Herren. Doch die gleichen Leute reden davon, dass sie Vertrauen schaffen wollen.
Richtig makaber wird das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Herr Koch aus Hessen öffentlich und in den Vermittlungsgesprächen gefordert hat, dass es überhaupt keine Zuverdienstmöglichkeiten geben dürfe; dabei hat er auf Erfahrungen in Wisconsin, also auf ein amerikanisches Beispiel, hingewiesen. Die gleichen Leute, die so etwas gesagt haben, laufen jetzt durch die Republik und diskreditieren das ganze Vorhaben, indem sie Forderungen nach weiter gehenden Möglichkeiten stellen, obwohl sie das vorher abgelehnt haben. Sie glauben doch selber nicht, Herr Glos, dass man das als vertrauensbildend bezeichnen kann.
Ich will auch, damit das nicht einseitig wird, ein Wort zu der Frage der von uns vorgesehenen zumutbaren Arbeit, die angenommen werden muss, sagen. Ich glaube, dass es ungeheuer schwierig wäre, für alle denkbaren Fälle abstrakt im Gesetz zu definieren, wann eine Arbeit zumutbar ist und angenommen werden muss. Deswegen hat der Bundesarbeitsminister dafür gesorgt - und das ist richtig - , dass die Fallmanager, also diejenigen, die die Vermittlungstätigkeit ausüben - in Zukunft wird einer 75 junge Leute betreuen; bei den Älteren sind wir noch nicht so weit, da kommt einer auf 140 Fälle; aber das ist auch schon ganz gut - , einen möglichst weiten Ermessensspielraum haben. So können sie selber im Einzelfall eine Definition vornehmen und mit dem Arbeitslosen in einer Eingliederungsvereinbarung aushandeln, was zumutbar ist und was nicht. Ich setze darauf, dass damit verantwortlich umgegangen wird.
Die Beispiele, die jetzt in die Welt gesetzt werden, sind absurd. Natürlich wird es Aufgabe im Rahmen der Monitoringprozesse sein, zu kontrollieren, ob das vernünftig gemacht wird und ob Gruppen oder Einzelne so vom Gesetz betroffen werden, wie es vorgesehen ist. Wenn nicht, muss man über die Prüfung von Einzelfällen und über das Monitoringverfahren dafür sorgen, dass die Ziele des Gesetzes erreicht werden. Das ist unsere Aufgabe. Aber mit dieser Aufgabe kann doch erst begonnen werden, wenn das Gesetz in Kraft ist, wenn es wirkt, nämlich ab 2005. Das kann man nicht prophylaktisch machen.
Ich glaube, dass man sich wirklich die Zeit nehmen sollte, eine der größten Sozialreformen, die in der Geschichte der Bundesrepublik gemacht worden sind, weil sie gemacht werden musste, sehr sorgfältig auf ihre Wirkungen abzuklopfen, und bereit sein sollte, korrigierend einzugreifen, wenn Wirkungen erzielt werden, die das Gesetz nicht vorsieht. Aber schon vorher über die Veränderung der Reformen zu reden halte ich für ganz falsch und deswegen wird das auch nicht geschehen.
Falsch wäre es indessen, diese große Reform, die wir brauchen, um unsere eigene Zukunftsfähigkeit sicherzustellen und die sozialen Sicherungssysteme in Ordnung zu bringen und zu halten, nur auf den Leistungsbereich und die dort notwendigen Veränderungen zu beschränken. Im Übrigen kann sich auch dieser im europäischen Maßstab sehen lassen. Ziel des Gesetzes ist doch etwas ganz anderes, nämlich die stetig anwachsende Langzeitarbeitslosigkeit besser als in der Vergangenheit zu bekämpfen. Das ist das eigentliche Ziel des Gesetzes.
Dieses Ziel erreichen wir durch Fördern. Im ersten Schritt wollen wir die ständige Zufuhr in die Langzeitarbeitslosigkeit bei denen, die jung sind, abstellen. Deutschland steht im europäischen Maßstab, was Jugendarbeitslosigkeit angeht, sehr gut da. Aber wir wollen noch besser werden. Deswegen schaffen wir ab 1. Januar 2005 einen Rechtsanspruch für junge Leute unter 25 Jahren auf entweder Ausbildung oder Arbeit oder Qualifizierung. Das dient dem Ziel, die Zufuhr in die Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen.
Ein Wort zum Fördern im Zusammenhang mit der Debatte in Deutschland. Wir werden im nächsten Jahr alles in allem und flexibel einsetzbar knapp 10 Milliarden Euro - ich glaube, es sind genau 9,63 Milliarden Euro - zur Verfügung haben, von denen 42 Prozent dort eingesetzt werden, wo die Arbeitslosigkeit größer ist als anderswo, nämlich im Osten unseres Landes.
Wie man vor diesem Hintergrund behaupten kann, für den Osten des Landes werde nichts Spezielles getan, entzieht sich nun wirklich jedem Verständnis.
Aber eines ist genauso klar: Die gewaltige Aufgabe, die wir vor uns haben, lässt sich nur durchführen, wenn Kommunen, Länder und Bund, und zwar unabhängig von der parteipolitischen Färbung der jeweiligen Regierung, in dieser Frage zusammenarbeiten. Hier geht es um ein Stück Zukunftsfähigkeit des Landes. Wer meint, darüber aus parteipolitischem Kalkül oder angesichts von Wahlkämpfen hinwegsehen zu können, der tut etwas gegen die Interessen unseres Landes und nicht dafür.
Die Aufgabe kann nur gemeinsam durchgeführt werden und das muss unabhängig von der parteipolitischen Färbung von Landes- oder Kommunalregierungen geschehen. Das ist eindeutig.
Abschließend ein paar Bemerkungen zu den Folgen dessen, was wir an Umbauarbeit in den sozialen Sicherungssystemen aus den Gründen, die ich genannt habe - verschärfter Wettbewerb, Stichwort: Globalisierung, und radikal anderer Altersaufbau unserer Gesellschaft - , geleistet haben. Wichtig ist, dass niemand glauben darf, wenn die Gesetze beschlossen sind, kann man sich zurücklehnen. Das geht aus zwei Gründen nicht: Es wäre ein Irrtum, zu glauben, Reformprozesse in reichen Gesellschaften - entgegen dem, was Herr Glos gesagt hat, ist dies eine Gesellschaft, die wohlhabend ist und voller Kraft steckt, auch und gerade im internationalen Maßstab; ich werde noch ein paar Punkte dazu nennen - ließen sich bewerkstelligen, indem man hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschiedet. Die Erfahrung, die wir gegenwärtig machen, ist doch, dass bei einer so großen und wichtigen Reform die Umsetzung in der Gesellschaft die eigentliche Aufgabe jeglicher reformerischen Arbeit ist. Das ist, glaube ich, ein Gesichtspunkt, dem man sich ganz neu widmen muss, weil das ganz andere Arbeitsweisen als die hier gepflegten verlangt. Wir befinden uns mitten in dem Prozess, das zu verklaren.
Die zweite Erkenntnis muss sein: Angesichts der fortschreitenden und immer schnelleren Veränderung der ökonomischen Basis unserer Gesellschaften sind Reformprozesse nie am Ende. Es ist vielmehr eine permanente Aufgabe, zu überprüfen, ob die Überbausysteme in der Politik noch mit den radikalen, schnellen Veränderungen an der ökonomischen Basis unserer Gesellschaften Schritt halten können. Das ist das eigentlich Entscheidende, worum es geht.
Wir tun das, damit die sozialen Sicherungssysteme auch in Zukunft haltbar bleiben, damit auch unsere Kinder und deren Kinder noch in den Genuss einer - in unseren Gesellschaften ist es immer eine relative - Sicherheit kommen. Immerhin ist es eine Sicherheit, die in der Geschichte unseres Landes noch nie erreicht worden ist. Darum machen wir jetzt die Umbauarbeit und darum nehmen wir die Schwierigkeiten in Kauf. Ich weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten, die Sie genannt haben. Ich weiß auch - das ist keine Frage - um die schmerzhaften Wahlniederlagen. Aber ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir jetzt nicht handeln würden, dann würde es zu spät sein, wer auch immer das Heft des Handelns dann in der Hand halten würde.
Wir tun das, weil die Agenda 2010, wie seinerzeit angekündigt, auch ein anderes Gesicht, sozusagen die Kehrseite der Medaille, hat. Dieses Gesicht bedeutet schlicht: Der Umbau ist nicht nur nötig, um die Sicherungssysteme in Ordnung zu halten. Er ist auch nötig, damit wir gesellschaftliche Ressourcen freisetzen, um sie in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu investieren. Das ist der andere Teil der Agenda 2010. Dieser andere Teil beinhaltet die Notwendigkeit, dass wir in Forschung und Entwicklung investieren. Wir müssen das 3-Prozent-Ziel erreichen. Aber angesichts der Schwarzmalerei will ich sagen: Für Forschung und Entwicklung werden im europäischen Durchschnitt 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgegeben. In Deutschland sind es rund 2,5 Prozent. Schweden hingegen gibt 4,3 Prozent dafür aus. Wir kommen nicht auf diese Zahl, aber wir müssen in diese Richtung gehen.
Wir sind zwar schon besser als der Durchschnitt, aber wir müssen noch besser werden und müssen sehen, dass wir schnell das Ziel von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen.
Wie geht das? Es geht durch Subventionsabbau. Da sind auch Sie gefordert. Denn Subventionsabbau heißt, Ressourcen, die man in der Vergangenheit für Subventionen eingesetzt hat, für Zukunftsinvestitionen auszugeben.
Damit bin ich bei der Eigenheimzulage. Sie können unter Beweis stellen, dass Sie mithelfen wollen, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen, indem Sie die Blockade aufgeben, mit der Sie die Eigenheimzulage belegt haben.
Wir müssen - das ist nur innerhalb des föderalen Systems zu schaffen - mehr in Bildung investieren. Das gilt übrigens auch für die Ausbildung. Damit bin ich beim Ausbildungspakt. Natürlich gibt es noch eine Lehrstellenlücke. Niemand bedauert das mehr als wir. Aber dass 10 000 Ausbildungsverträge mehr als im letzten Jahr bereits jetzt unterschrieben sind, ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Die rechnerische Lücke von 30 000, die es immer noch gibt, muss bis zum Jahresende geschlossen werden. Das ist Aufgabe der Wirtschaft.
Die Tatsache, dass große angelsächsische Zeitungen Deutschland inzwischen als Investitionsstandort Nummer eins ansehen - das können Sie in "Newsweek" nachlesen; ich bin auch bereit, Ihnen das vorzulesen, Herr Kollege Glos - , hat eminent mit der Qualifizierung unserer Leute zu tun. Diese hat wiederum mit der Fähigkeit und der Bereitschaft zu tun, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das ist etwas, was wir im eigenen Interesse und auch im Inte-resse der Wirtschaft leisten müssen.
Der dritte Punkt. Wir brauchen die Ressourcen, um sie vor allen Dingen in Betreuung zu investieren. Wir brauchen sie, weil es sich diese Gesellschaft überhaupt nicht leisten kann - in Zukunft noch viel weniger - , die Qualifikation, die Kreativität und die Leistungsbereitschaft von Frauen nur deshalb ökonomisch nicht zu nutzen, weil es an Betreuungsplätzen fehlt. Das können wir uns nicht leisten. Außerdem kommt hinzu, dass es nicht gerecht ist.
Das sind die Bereiche, um die es schwerpunktmäßig geht und für die wir Ressourcen mobilisieren müssen und Ressourcen mobilisieren werden.
Wenn man sich einmal anschaut, was von dem Schauergemälde übrig geblieben ist, das Herr Glos gemalt hat, und wenn man die Zahlen wirklich betrachtet, dann sieht man, dass wir zwar keinen Anlass haben, euphorisch und selbstgerecht in die Zukunft zu blicken, dass wir aber Anlass haben, selbstbewusst und entlang eigener entwickelter Stärke die Zukunftsaufgaben anzugehen. Wir haben beim Wachstum zur Eurozone aufgeschlossen. Die Industrieproduktion in Deutschland wächst deutlich schneller als im europäischen Vergleich.
Übrigens, dass wir Exportweltmeister sind, hat doch auch etwas mit der Kraft der deutschen Wirtschaft und nicht mit ihrer Schwäche zu tun. Warum sagen wir das nicht?
Dies hat auch etwas mit der Lohnpolitik der deutschen Gewerkschaften zu tun, die dazu geführt hat, dass die Lohnstückkosten schon die ganzen 90er-Jahre über, auch in der Phase der Stagnation, im Grunde gleich geblieben sind - es gab eine Steigerung von 0,1 Prozent pro Jahr - und dass damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in einem Maße wie nie zuvor zugenommen hat. Wir haben auch in der schwierigsten Phase der Weltwirtschaft, in der Stagnationsphase, die Gott sei Dank überwunden ist, abzüglich der Wechselkursbereinigung real Marktanteile gewonnen.
Das ist doch ein Zeichen von Kraft, auf die wir stolz sein und worauf wir unabhängig von allen parteipolitischen Auseinandersetzungen auch einmal hinweisen sollten.
Wir haben das bei einer Inflationsrate erreicht, die die stabilste und geringste in Europa ist, was uns bei den Zinsen gelegentlich Schwierigkeiten macht. Weil wir eine so geringe Inflationsrate haben, haben wir das höchste reale Zinsniveau. Das ist ein Problem, was die Refinanzierung unserer Unternehmen angeht. Aber es ist doch auch etwas, worauf man hinweisen kann, was man nicht einfach vergessen darf.
Wie sieht es schließlich - darüber wird immer wieder geredet - bei den Patenten aus? Wir liegen im europäischen Maßstab weit an der Spitze. Wir sind besser als die Konkurrenten, auch besser als die großen europäischen Konkurrenten. Ja, es ist wahr: Amerika und Japan sind noch besser. Wir sollten und wollen dazu aufschließen. Deswegen investieren wir in Forschung und Entwicklung.
Meine Damen und Herren, ich gehöre wirklich nicht zu denjenigen, die nicht wüssten, wie schwer die Arbeitslosigkeit auf diesem Land lastet und wie sehr uns das umtreiben muss. Wir sind deswegen weit davon entfernt, nur ein rosiges Bild zu malen. Aber zu sagen, dieses Land sei ein einziges Jammertal, nur weil Ihnen die Regierung nicht passt, das ist hanebüchener Unsinn.
Was wir tun müssen und was wir tun werden, ist, die Positionierung Deutschlands als eines selbstbewussten, bündnistreuen Landes in der internationalen Politik nicht aufzugeben. Was wir nach innen tun müssen, ist, den Umbau unserer sozialen Sicherungssysteme voranzubringen, weil sie nur so auf Dauer zu sichern sind. Was wir im Übrigen zu tun haben, ist, Ressourcen in den Bereichen einzusetzen, die ich genannt habe.
Dabei können wir auf eine ungeheure Kraft in der deutschen Gesellschaft und auch in der deutschen Wirtschaft bauen - nicht in dem Sinne, dass man sich damit zufrieden geben könnte, aber schon in dem Sinne, dass man sie als Ausgangspunkt für eine Zukunft nutzt, die wir nun wirklich nicht schwarz in schwarz malen müssen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.