Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 29.09.2004

Anrede: Liebe Frau Sikorski-Großmann, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/53/725953/multi.htm


Ich bin gerne gekommen, um Ihnen zu 175 Jahren zu gratulieren. Das ist wirklich ein stolzes Jubiläum und ein guter Anlass zu feiern und auch ein guter Anlass, um festzuhalten, dass die Musikentwicklung in Deutschland ohne das Wirken der Verlegerinnen und Verleger für Musik nicht vorstellbar wäre. Mit dem Verband, besser: mit den Mitgliedsunternehmen, die ihm angeschlossen sind, beginnt das, was man kommerzielle Verwertung von Musik nennt. Diese ist übrigens zu beiderseitigem Nutzen, für den Verleger oder die Verlegerin durch die Veröffentlichung der Werke zu eigenen, durchaus handfesten Zwecken, aber eben auch für den Komponisten, der durch die Vergabe von Verlagsrechten besser in die Lage versetzt wurde, von dem, was er oder sie macht, also von seiner oder ihrer schöpferischen Arbeit, zu leben. Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich an dieser Stelle nicht zu tief in den sehr sensiblen Bereich der Zusammenarbeit von Verlegern und Künstlern vordringe. Tucholsky hat über seinen Verleger geschrieben, dieser saufe auf Samt,"während unsereiner auf den harten Bänken dünnes Bier schluckt." Das hat er als Künstler, als Schriftsteller gesagt. In der Musikbranche - dessen bin ich ganz sicher, meine Damen und Herren - ist das natürlich völlig anders.

Eines indessen bleibt wohl richtig: Für die Entwicklung des freien Komponistenberufes und des bürgerlichen Musiklebens war dieses Zusammenwirken von großer Bedeutung. Es hat auch nichts an Bedeutung verloren. Dabei ist und bleibt der Schutz des geistigen Eigentums die Grundlage für ein künstlerisch und wirtschaftlich gleichermaßen ertragreiches Musikleben. Daran gilt es zu erinnern, wenn man über Musiktauschbörsen diskutiert oder sich auch - wir sind gerade damit beschäftigt - die Frage stellt, ob und wenn ja, in welchem Umfang Privatkopien zulässig sein dürfen. Ich will kein Hehl daraus machen: entgegen dem, was manchmal gedacht und auch formuliert wird, bin ich schon der Auffassung, dass ein Gesetz, das Urheberrechte schützt, wirklich Urheberrechte schützen soll und keinen Freibrief darstellen darf, Urheberrechte - erlauben Sie mir, dies sehr deutlich zu sagen - zu klauen.

Meine Damen und Herren, es wäre aber unlauter, Musikverleger nur auf die Rolle als Verwerter im urheberrechtlichen Sinne zu reduzieren. Viele von Ihnen - das ist auch wieder wahr und hat mit der 175-jährigen Geschichte zu tun - sind selbst namhafte Komponisten, jedenfalls wichtige Mentoren, Förderer, aber eben auch Freunde und Freundinnen von Künstlerinnen und Künstlern. Da wären Nikolaus und Fritz Simrock wie auch Willi und Ludwig Strecker zu nennen oder auch, wenn mir das heute gestattet ist, Professor Hans Sikorski. Das Erkennen von Begabungen, das Vertrauen in die Kreativität eines Künstlers und im Zweifel die Entscheidung für die Kunst sind die andere, eine durchaus angenehme Seite des Verlegertums. Zur Arbeit des Verlegers gehört zudem Mut, übrigens ein Mut, ohne den mancher große Künstler nicht zu Weltruhm gelangt wäre. Man kann also durchaus sagen, dass die Verlegerinnen und Verleger von Musik auch so etwas wie Kulturpolitiker sind, und dies von Berufs wegen.

Meine Damen und Herren, eine Initiative des Deutschen Musikverlegerverbandes möchte ich hervorheben, die uns allen am Herzen liegen sollte. Dabei geht es um die musikalische Bildung und Erziehung von Kindern und um den künstlerischen Nachwuchs. Ich will den Verlegern, die sich an dieser Initiative beteiligen, einen, wenn auch weitsichtigen Eigennutz nicht unbedingt absprechen. Ich denke aber auch, dass diejenigen, die intensiv mit Musik zu tun haben, genau wissen, was wir, was unsere gesamte Gesellschaft ohne diese Musik preisgeben, auch verlieren würde.

Sie haben Ihrer heutigen Veranstaltung ein Nietzsche-Zitat vorangestellt."Ohne Musik", heißt es da,"wäre das Leben ein Irrtum." Musik wird heute dank technischer Innovation mehr denn je gehört. Ein Irrtum aber wäre der Glaube, dass deshalb der Zustand des Musiklebens bei uns besonders gut sei. Der Deutsche Musikverlegerverband hat, wie ich finde, zu Recht wiederholt auf die großen Probleme im Musikleben hingewiesen, vor allem auf die Situation der musikalischen Bildung und Erziehung sowohl im Elternhaus als auch in der Schule. Beides, denke ich, und ich betone wirklich: beides muss verbessert werden. Man kann das nicht immer nur in den Schulen abladen, obwohl das gelegentlich gerne geschieht.

Musik darf gerade in einer Mediengesellschaft nicht auf die Rolle eines emotionalen Lock- oder auch Bindemittels reduziert werden, und das nicht nur, weil es unsere gemeinsame Aufgabe ist, das Wissen um und über Musik, auch um und über ihre Geschichte, zu mehren. Sondern gerade bei Kindern geht es darum, dass man hören lernt, dass Verständnis dafür erwächst, was Musik, vor allem aktives Musizieren, an geistiger, auch an emotionaler Bereicherung bewirken kann. Nicht zu vergessen ist übrigens die soziale Kraft, die Menschen durch Musik erfahren, weil Musik und Musizieren auch gemeinsame Werte und Interessen ausdrücken, übrigens auch Verständigung bedeuten, weit über die eigenen Grenzen hinaus.

Meine Damen und Herren, ich gratuliere also dem Deutschen Musikverlegerverband herzlich zu diesem großen Jubiläum. Ich finde, Ihr Engagement als Verband gemeinsam mit anderen Verbänden im Deutschen Musikrat war wichtig, ist wichtig und wird wichtig bleiben. Sie können wirklich mit Recht in Anspruch nehmen, dass Sie in Ihrer Arbeit und mit Ihrer Arbeit eine der großartigsten kulturellen Traditionen in unserem Land repräsentieren.