Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.10.2004

Untertitel: Zur Eröffnung der "spielzeiteuropa 04/05" mit dem Stück "cruel and tender" von Luc Bondy im Haus der Berliner Festspiele des Bundes äußerte sich Kulturstaatsministerin Weiss in einem Grußwort.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/19/725319/multi.htm


als ich in diesem Jahr das Theatertreffen eröffnete, habe ich von der Wildheit, dem Wagemut und der Risikofreude mancher Bühnen gesprochen. Eigentlich müsste ich mich heute wiederholen, denn "spielzeiteuropa", die neue Reihe der Berliner Festspiele des Bundes, taugt wirklich dazu, den Blick zu weiten, zu überprüfen, was die Theatersaison auf dem Kontinent - und nicht nur dort - hergab.

Herzlich willkommen also zu einem globalen Theatertreffen! Bis Februar werden wir Gelegenheit haben, hier rund 15 internationale Theater- und Tanztheaterproduktionen aus Europa, dem Nahen Osten, Kanada, den Vereinigten Staaten zu sehen. Außerdem, und darauf freue ich mich besonders, wird es vier Uraufführungen geben, die durch die Unterstützung der Festspiele möglich wurden - ein finanzieller und künstlerischer Kraftakt, den sich kaum noch ein Festival leisten mag und leisten kann. Das liegt auch, aber nicht nur am Geld, vor allem aber am Mut zum ästhetischen Risiko. Ich finde, es steht den Berliner Festspielen gut an, diese Chance zu ergreifen, und der Bund wird sie dabei - wie gehabt - gern unterstützen.

Diese Programmreihe reaktiviert in Berlin eine Spielstätte, in der ab jetzt das internationale Theater nicht bloß regelmäßig, sondern in wunderbarer Kontinuität zu Gast sein wird. Glücklich bin ich in diesem Zusammenhang, weil dieses schöne Gebäude von Fritz Bornemann über einen längeren Zeitraum hinweg wieder seinem ursprünglichen Zweck zugeführt wird. Die Berliner Festspiele sind dabei, es als flexibel nutzbare, für die unterschiedlichsten Genres der Darstellenden Künste offene Schnittstelle sowohl zwischen Ost und West wie zwischen arrivierten und experimentellen Arbeiten zu etablieren. Wir hoffen, dass sich durch dieses kontinuierliche kulturelle Netzwerk gerade mit den neuen EU-Beitrittsländern kreative Wechsel-beziehungen entwickeln, von denen alle Beteiligten profitieren.

Zwar bleibt Theater eine Kunstform, die sehr viel mit regionaler Verbundenheit zu tun hat und sich aus konkreten Lebensbedingungen, gesellschaftlichen Stimmungen, aus dem fragilen Hic et nunc speist. Je genauer das Theater allerdings die Zeit und den Ort zu beschreiben vermag, denen es entstammt, je präziser es in seiner sozialen, ästhetischen, emotionalen Bestandsaufnahme wird, desto stärker ist zugleich seine Wirkung darüber hinaus.

Aus dieser Dialektik von Nähe und Ferne, von Detailstudie und Perspektive treten uns etwa die Figuren der griechischen Tragödie wie lebendige Verwandte entgegen, die uns nach wie vor jede Menge zu sagen haben. Martin Crimp wird uns da mit "Cruel and tender", seiner modernen Adaption von Sophokles' "Die Trachinierinnen", ein aktuelles Beispiel geben. Die Londoner Inszenierung von Luc Bondy am Young Vic Theatre ist von Publikum und Kritik mit großem Beifall aufgenommen worden. Auch diese nun nach Berlin gereiste Aufführung ist, obwohl ihr Inhalt schrecklich und ihr Kolorit düster ist, ein Anlass, um glücklich zu sein. Denn wir sind froh, dass es sie gibt, und wir dabei sein dürfen.

Frank Castorf, dessen Inszenierung von Döblins "Berlin Alexanderplatz" im Rahmen der "spielzeiteuropa" im Januar im Palast der Republik gezeigt werden wird, hat den Begriff Metropole einmal wie folgt definiert: Metropole - das ist vor allem eine Haltung: Welt zu sich einladen ". Insofern ist Berlin wieder ein Stück vorangekommen.