Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 06.10.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnung des deutsch-indischen "Science Circle" am 6. Oktober 2004 in Neu Delhi
Anrede: Verehrter Herr Minister, meine sehr verehrten Professorinnen und Professoren, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/52/725252/multi.htm


Erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie uns hier so freundlich empfangen haben und noch mehr Dank dafür, dass Sie so entschieden diese wichtige Aufgabe im Interesse der beiden Länder und der Menschen in beiden Ländern wahrnehmen. Indien, verehrter Herr Minister, übt auf uns Deutsche eine große Faszination aus: als ein Land mit einer beeindruckenden Vielfalt von Völkern, Kulturen und Religionen, aber eben auch als die größte Demokratie der Welt und als ein Land mit einer wachsenden Volkswirtschaft, die große Möglichkeiten für Zusammenarbeit bietet.

Im Mittelpunkt meiner Gespräche mit der neuen indischen Führung wird die Frage stehen, wie wir die sehr guten umfassenden Beziehungen beider Länder politisch, ökonomisch, aber auch auf wissenschaftlichem und auf kulturellem Gebiet vertiefen und, wo immer möglich, ausbauen können. Wir jedenfalls sind entschlossen, das gewaltige Potenzial, das wir miteinander haben und das durch Partnerschaft zu erschließen ist, noch besser als in der Vergangenheit zu nutzen.

Beide Länder stehen in einem internationalen Wettbewerb. Sie sind diesem Wettbewerb ausgesetzt und stehen, obwohl die Entwicklungen unterschiedlich verlaufen sind, vor ähnlichen Herausforderungen - jedenfalls auf dem Gebiet, das uns hier heute zusammengebracht hat. Es geht uns beiden darum, möglichst vielen Menschen die Teilhabe an den Früchten einer globalisierten Welt zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir wirtschaftliche Modernisierung in einem sehr umfassenden Sinne mit sozialem Fortschritt und sozialem Ausgleich verbinden. Wissen und wissenschaftlich technologische Errungenschaften werden dabei eine herausragende Bedeutung haben. Sie spielen die zentrale Rolle in diesem Prozess, und je stärker wir Wissenschaft und Forschung fördern, desto eher werden wir in diesem Prozess zu den Gewinnern gehören.

Wir wissen beide - obwohl unsere Länder ganz unterschiedlich strukturiert sind - , dass das größte Kapital in beiden Ländern die Kreativität unserer Menschen und ihre Leistungsbereitschaft sind. Diese Menschen sind Motor der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Entwicklung. Also es ist in unser beider Interesse, wenn wir Bildung und Forschung als Schlüssel für Fortschritt begreifen, auch für Sicherheit im 21. Jahrhundert. Das macht auch die Bedeutung der Gründung von "Science Circle" aus. Wir wollen Forscher und Akademiker aus beiden Ländern künftig noch enger zusammenführen. Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und den Forschungseinrichtungen intensivieren, und wir wollen die Grundlagen dafür legen, dass Indien und Deutschland, auch im Bereich der Wissenschaft, noch engere Partner werden.

Wir können dabei auf solide Grundlagen aufbauen: Die bilaterale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie wurde schon vor rund 30 Jahren begründet. Sie hat viele Erfolge gehabt und weitere werden folgen. Gegenwärtig arbeiten indische und deutsche Forscher in mehr als 100 gemeinsamen Forschungsprojekten zusammen. Es besteht ein ganz reger Besuchsaustausch von Forschern und Akademikern, und zwar in beide Richtungen. Rund 2.500 DAAD-Stipendiaten und 1.300 Humboldt-Stipendiaten bilden auf indischer Seite das Rückgrat des wissenschaftlichen Netzwerks, das uns miteinander verbindet. Übrigens auch die Zahl der indischen Studentinnen und Studenten an deutschen Hochschulen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Bereits über 3.000 junge Inderinnen und Inder studieren an deutschen Hochschulen.

Ich bin sicher: Der "Science Circle" wird der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit neue Impulse verleihen, und zwar nicht nur durch dichtere Netzwerke zwischen den akademischen Eliten und den Hochschulen beider Länder, sondern auch - und das wird immer bedeutsamer - zwischen den Hochschulen und der privaten Wirtschaft. Ich freue mich sehr, dass sich die Max-Planck-Gesellschaft, der DAAD und die Helmholtz-Gesellschaft zukünftig stärker in Indien engagieren wollen.

Meine Damen und Herren, die große gesellschaftspolitische Verantwortung von Wissenschaftlern und Lehrenden liegt darin, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen am Wissen teilhaben können. Eine aufgeklärte wissenschaftliche Elite, die in die Gesellschaft hineinwirkt und für das Gemeinwohl Verantwortung übernimmt, ist die Voraussetzung, um Unterentwicklung und Armut zu überwinden. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, um im internationalen Wettbewerb in diesem Jahrhundert zu bestehen.

Deswegen will ich meine kurzen Bemerkungen mit einem großen Kompliment an Sie beenden. Mit Ihrer Arbeit im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung leisten Sie ganz im Sinne einer umfassenden Teilhabe möglichst vieler Menschen am Wissen und damit auch an den Chancen in der Gesellschaft einen entscheidenden Beitrag auch zur Zukunft des jeweiligen Landes. Das ist der Grund, meine Damen und Herren, warum wir alle dem "Science Circle" bei der Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben viel Erfolg wünschen. Ich denke, das gilt nicht nur für diese neue Institution, sondern das gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern.

Indien und Deutschland verbindet eine große Tradition wissenschaftlich kultureller Zusammenarbeit, auch in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Ich sehe als es meine Aufgabe an, in der Politik für Rahmenbedingen zu sorgen, damit dieses Vertrauen der Gesellschaften zueinander und die daraus folgende gemeinsame Arbeit in Zukunft noch besser als bisher vonstatten gehen können. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit.