Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 09.10.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Einweihung des neuen Gebäudes des Goethe-Instituts am 9. Oktober 2004 in Hanoi
Anrede: Lieber Herr Augustin, sehr verehrter Herr Minister, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/10/729610/multi.htm


es ist wahr: Wir haben in den vergangenen Tagen beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit unseren Partnern aus Asien nicht nur über das gesprochen, was man allgemein "die große Politik" nennt, sondern vor allen Dingen auch über etwas Großes wie Kultur. Dabei war ein ganz wichtiges Thema die Frage: Wie steht es mit den kulturellen Beziehungen zwischen Asien und Europa, aber natürlich auch zwischen den Ländern in Asien und in Europa?

Ich denke, wenn man sich über Ergebnisse unterhalten will, die auf den Erklärungen aufbauen, dann ist es immer sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass es Menschen geben muss, die Kultur machen. Es muss Künstler aller Sparten geben. Es muss aber auch Vermittler von Kultur geben. In diesem Zusammenhang, glaube ich, gibt es kein wichtigeres Institut, keine wichtigere Institution für Deutschland, um deutsche Kultur im Ausland zu vermitteln, als die Goethe-Institute.

Das Institut, dessen neues Haus wir heute einweihen, hat eine ungeheure Bedeutung. Ich denke, wenn wir unter uns wären, dann würden wir uns über Geld unterhalten. Da bin ich ganz sicher, Herr Augustin. Ich weiß sehr wohl, dass unter den Haushaltszwängen, unter denen wir überall stehen, manchmal die kulturelle Arbeit, was die materielle Ausstattung angeht, zu kurz kommt. Wann immer wir wieder Freiräume haben, um das zu verbessern, bin ich jedenfalls der Auffassung, dass es keine besseren Botschafter, übrigens auch nicht für die Wirtschaft gibt, als diejenigen, die deutsche Kultur, deutsche Bildungsmöglichkeiten im Ausland vermitteln. Deswegen - glauben Sie mir - halte ich jedenfalls die Arbeit, die Sie machen, für ungeheuer wichtig.

Übrigens, was die kulturellen Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland angeht, so muss man der Geschichte auch zu ihrem Recht verhelfen. Man sollte nicht verschweigen, dass die Dichte dieser Beziehungen auch mit Erfahrungen zu tun hat, die die Menschen aus Vietnam in der früheren DDR gemacht haben. Viele haben dort studiert, viele sind dort zum ersten Mal der deutschen Sprache, Deutschen überhaupt, begegnet, und viele haben etwas aus Deutschland mitgebracht, mindestens die Sprache und die Kenntnis von Literatur und Musik.

Ich finde, bei all dem, was man zu kritisieren hatte, ist das eine positive Sache, die man auch erwähnen sollte. Denn schon vor fünfzig Jahren waren es die ersten vietnamesischen Jugendlichen, die in Sachsen Deutsch gelernt haben. Daraus sind 100.000 geworden, die in diesem sehr schönen Land Deutsch sprechen und die bestimmt glänzende Botschafter unseres Landes hier in Vietnam sind.

Es gibt kein anderes Land außerhalb Europas, in dem so viele Menschen Deutsch sprechen, wie das in Vietnam der Fall ist. Übrigens, einige von ihnen sind heute unter uns, die ich besonders herzlich begrüßen möchte.

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist unser aller Verantwortung, aber natürlich vor allen Dingen die politische Verantwortung, diese außergewöhnlich engen und historisch gewachsenen Bindungen zu pflegen und zu entwickeln. Denn diejenigen, die die deutsche Sprache seinerzeit in der früheren DDR gelernt haben, kommen ja langsam in die Jahre. Das ist nun einmal so; das kann man auch nicht verhindern. Daher ist es besonders wichtig, dass wir uns über die Perspektiven unterhalten.

Wenn man das tut, kommt man auch wieder auf das Goethe-Institut hier. Ich finde es sehr schön, dass Sie, Herr Augustin, mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht nur Sprache und Literatur vermitteln, sondern auch Raum geben für die Entwicklung von Kunst und von Künstlern. Man kann ja ein bisschen von dem sehen, was die Breite Ihrer Arbeit angeht.

Wie ich erfahren habe, sind die Besucherzahlen bei Ihnen beeindruckend. Das möchte ich ausdrücklich würdigen, zeigt es doch, dass dies ein erfolgreiches Haus mit vielen engagierten Menschen ist. Mich freut besonders, dass das Interesse an Deutschland nicht abnimmt, sondern zunimmt. Deswegen ist dieses Haus natürlich umso wichtiger.

Es nimmt auch das Interesse zu, in Deutschland zu studieren. Wir haben inzwischen wieder eine ganze Reihe von Studenten in Deutschland. Derzeit studieren 1.600 junge Vietnamesinnen und Vietnamesinnen bei uns. Ich denke, das lässt sich steigern zu unserer beider Nutzen.

Übrigens: Die Selbstständigkeit der eigenen Kultur zu bewahren und sich gleichzeitig von fremden Kulturen beeinflussen zu lassen, gehört wahrscheinlich zu den schönsten Erfahrungen, die man in der Begegnung mit anderen machen kann und machen sollte. Ein Land, das seinen Bürgern kulturelle Teilhabe in einem umfassenden Sinne eröffnet, schafft dabei nicht nur ein Stück eigener Identität, sondern macht Menschen auch freier - selbstbewusst auf der einen Seite, aber auch neugierig, anderen Kulturen zu begegnen. Ich bin ziemlich sicher, dass das hier in diesem Hause sehr gepflegt wird.

Ich habe Ihnen, Herr Augustin, für Ihren Einsatz zu danken, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allemal auch. Aber ich will auch der vietnamesischen Regierung für die Unterstützung danken, die sie der Förderung der deutschen Sprache gibt. Ich habe eben mit dem Herrn Ministerpräsidenten noch einmal darüber gesprochen. Er hat sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die vietnamesische Regierung sehr daran interessiert ist, den deutschen Unterricht in den vietnamesischen Schulen zu fördern und möglichst breit anzubieten. Ich war sehr froh über diese Bemerkung.

Allen Besuchern und Gästen dieses Hauses wünsche ich, dass sie sich bei der Beschäftigung und der Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur bereichert fühlen, dass in diesem Haus nicht nur gelehrt und gelernt wird, sondern man sich in einem umfassenden Sinne wohl fühlt. Ich bin ganz sicher, dass dies der Fall sein wird.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wünsche ich Ihnen alles Gute für das Haus und für eine lebhafte Auseinandersetzung in dieser wunderbaren Begegnungsstätte.