Redner(in): Christina Weiss
Datum: 21.10.2004

Untertitel: Bei den Medientagen München 2004 hielt Staatsministerin Weiss eine Rede zur Eröffnung einer Diskussionsrunde über den Deutschen Film im Ausland. Dabei hob sie die mit der Neufassung des Filmförderungsgesetzes erreichten Verbesserungen der Absatzförderung hervor.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/77/733177/multi.htm


der Rote Teppich von Cannes und Hans Weingartners klapperiger VW-Bus davor, der Goldene Bär für Fatih Akin und das Kompliment von Frances McDormand "Your Film is really Rock'n'Roll", ein Kinowunder wie "Good bye, Lenin" und dazu allerhöchste Noten in der sonst so schadenfrohen ausländischen Filmpresse. Schnipsel der Erinnerung an Momente schönster Freude über Erfolge des deutschen Films in der internationalen Arena. Es fällt schwerer, den deutschen Film zu ignorieren, ihn Schlechtzureden, aber ist der als schwer heilbar eingestufte Patient endlich genesen und ins Weltkino entlassen worden? Darüber wollen wir heute diskutieren, vor allem darüber, was sich ganz bürokratisch ordentlich Außenvertretung des deutschen Films nennt.

Wir freuen uns zwar darüber, dass unser Kino wieder Geschichten erzählt, die mutig und eigenwillig sind, im Ausland zu Urteilen und nicht mehr nur zu Vorurteilen animieren, aber wie stark ist denn unser Filmexport wirklich? Die Glücksmomente der jüngsten Vergangenheit verzerren das Bild ein wenig und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der deutsche Film im internationalen Geschäft noch immer nur halbherzig präsentiert und miserabel beworben wird.

Die nackten Zahlen: Für die meisten deutschen Filme sind Leinwände im Ausland ein unendlich fernes Ziel. Hierzulande gibt sich der Zuschauer, das unberechenbare Wesen, mehr als launisch und obendrein noch unpatriotisch. Mehr als zehn bis achtzehn Prozent Marktanteil erreichen heimische Produktionen selten. Außerdem ist die ästhetische Wahrnehmung sehr vom Kartell des Vergangenen geprägt. Der internationale Ruf ist mit Werken von Fassbinder, Herzog, Schlöndorff oder Wenders beleumundet, aber nicht von den Filmen Wolfgang Beckers, Tom Tykwers, Caroline Links, Christian Petzolds oder Fatih Akins. Leider, möchte man sagen.

Natürlich wissen wir, dass beispielsweise der französische Film als behütetes, fürsorglich behandeltes Kulturgut im eigenen Lande viel zählt und einen Marktanteil von etwa 35 Prozent behauptet, doch insgesamt schaffen nur zehn Prozent der europäischen Filme den Sprung zum Nachbarn. Schlimmer noch: Die Filme, die in Europa erfolgreich vermarktet wurden, lassen sich an einer Hand abzählen.

Wir haben der eisernen Dominanz des amerikanischen Mainstream-Kinos und seiner gigantischen Marketingmaschine nichts entgegenzusetzen. Noch mal zur Erinnerung: Bis zu fünfzig Prozent der Produktionskosten fließen in die Vermarktung von amerikanischen Filmen.

Was tun? Wenn wir nicht einfach vor den Geschäftsritualen Hollywoods kapitulieren wollen, brauchen wir eine Agenda des Aufbruchs: Wir müssen zunächst ein maßgeschneidertes Auslandsmarketing für den deutschen Films skizzieren und später danach fragen, wer es entwerfen soll. Ich denke dabei an die europäische wie nationale Kultur- und Medienpolitik, an die deutsche Filmwirtschaft, vor allem aber an die kreativsten Köpfe hier wie dort.

Zunächst zu den Rahmenbedingungen:

Die Film- und Fernsehwirtschaft muss ich von dieser neuen Dramaturgie nicht mehr überzeugen. Ich erhoffe mir von ihr breite Unterstützung und werde sie auch einzufordern wissen. Viel Kreativität, viele Ideen, aber auch Handwerk sind vonnöten, um im Ausland die ganze Breite aktueller deutscher Filmproduktionen auffächern zu können. Gleichzeitig sind wir gehalten, unser filmisches Erbe zu pflegen und der Welt davon Kunde zu geben.

Hierfür haben wir wichtige Grundlagen in der Novelle des Filmförderungsgesetzes gelegt:

Es gehört ab jetzt zu den genuinen Aufgaben der Filmförderungsanstalt, den deutschen Film international zu positionieren und zu verbreiten.

Dieser Zielvorgabe haben sowohl die Vergabekommission als auch die anderen Gremien der Filmförderungsanstalt zu entsprechen. Auch wenn man nicht jedes Projekt auf seine Exportierbarkeit hin abklopfen kann, so ist es doch wichtig, bei der Stoffidee gleich an einen möglichen Auslandseinsatz zu denken. Das ist schließlich auch ein Geheimnis des amerikanischen Erfolges.

Wie Sie wissen, konnte ich die Absatzförderung der Filmförderungsanstalt verdoppeln. Ein Viertel davon soll in den Auslandsabsatz fließen.

Ich füge hinzu, dass zusätzlich aus den Mitteln meines Hauses mehr als 2 Millionen Euro für den schwungvollen Neustart von "German Films" aufgebracht werden. Es ist meine Hoffnung, dass wir damit zu einer zupackenderen Form des internationalen Auftritts finden. Komplementär dazu ist die FFA durch geänderte gesetzliche Verteilungsschlüssels für ihre Ausgaben ebenfalls in der Lage, ihre Fördermittel für "German Films" kräftig anzuheben.

Festivalerfolge deutscher Filme werden sich nach dem neuen Gesetz auch auf die Referenzfilmförderung niederschlagen.

Schließlich sieht das Gesetz vor, ein zentrales Beratungsgremium zur Außenvertretung des deutschen Films einzurichten. Diese Runde steht unter meiner Leitung und soll Grundsatzaspekte des internationalen Geschäfts erörtern.

Erste Erfolge sind zu verbuchen: Aus der guten, alten Export-Union ging die "German Films and Marketing GmbH" hervor. Das ist nicht nur einfach ein neuer Name, dahinter verbirgt sich auch ein neues Konzept, das seine Tauglichkeit erweisen wird. Das Marketing erhält neue Kraft, weil es sowohl die Fernsehproduktion, als auch Kurz- und Dokumentarfilme einschließt. Auf diese Weise lässt sich der deutsche Film insgesamt als Kulturgut vermarkten.

Eines aber ist klar: "German Films" als gemeinsame Zukunftsinvestition von Politik und Branche wird nicht die Bewerbung einzelner Produkte vornehmen - dies bleibt Sache der Exporteure und Weltvertriebe. Vielmehr haben wir nach einem attraktiven und griffigen Label gesucht und auch gefunden, um zu preisen, was des Preisens würdig ist, vor allem aber, um in die Managementebenen internationaler Vertriebsunternehmen vorzustoßen.

Dies schließt natürlich nicht aus, dass "German Films" ein Servicecenter bei Nominierungen für herausragende Festivals oder Preise sein kann oder im gesonderten Einzelfall auch beim Kinostart auf Schlüsselmärkten hilft. Uns geht es aber nicht so sehr um kommerziellen Erfolg eines einzelnen Films, sondern um eine wachsende Aufmerksamkeit für das deutsche Kino insgesamt.

Der Festivalarbeit genießt höchste Priorität. Hier kann es nicht um eine flächendeckende Präsenz gehen, sondern darum, mehr Beachtung für deutsche Filme auf den regional relevanten Märkten zu erwirken. Und bitte: Vernachlässigen wir die Fernsehfestivals nicht! Die anspruchsvolle Qualität deutscher TV-Produktionen können wir synergetisch für den Kinofilm nutzen.

Wir sollten uns aber auch mit all unserem Werben um internationale Aufmerksamkeit nicht verkämpfen. Ein Schlüsselmarkt für den deutschen Film bleibt Europa. Hier wird sich der Erfolg von "German Films" erweisen. Der Austausch europäischer Filme gehört zu meinen besonderen Anliegen. Einerseits leistet das Kino wirklich einen vernehmbaren Beitrag zur europäischen Integration, andererseits wächst nur durch Kooperation eine Alternative zum Hollywood-Mainstream. Diese Form von "filmischer Europapolitik" sollte sich in der Arbeit der Auslandsvertretungen niederschlagen. Zudem rate ich dringend zu einer effektiven Zusammenarbeit mit europäischen Verbänden wie der European Film Promotion, der European Film Academy oder der European Coordination of Film Festivals.

Und ich rate dazu, Filme mit Untertiteln zu versehen und sie in einen europäischen Austausch zu bringen. Der deutsche Synchronisierungswahn muss nicht unbedingt immer hochgehalten werden.

Bei den Deutschen Filmwochen sollte man sich weiterhin auf Europa konzentrieren. Nach der amtlichen Ausfuhrstatistik des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle liegen die Hauptabsatzgebiete für deutsche Filme in Osteuropa, in Frankreich und in Österreich. Ein Drittel aller Filmexporte wickeln wir mit Osteuropa ab. Die Bedeutung dieses Marktes hat die Export-Union in den letzten Jahren zunehmend erkannt. Ich bin mir aber sicher, dass wir unsere Chancen dort noch deutlich verbessern können. In den Vereinigten Staaten hingegen werden unsere Filme zwar stärker beachtet, mehr aber auch nicht. Und doch: Erfolgreiche US-Starts helfen der Vermarktung in Europa.

Und noch etwas belegt die Ausfuhrstatistik: Deutsche Filme werden gern vom Fernsehen rekrutiert. Der Weg eines Films in das Kino der Nachbarn ist hingegen, und hier wiederhole ich mich, immer noch ein besonders schwerer. Hier müssen wir auf europäischer Ebene ansetzen und vielleicht auch das Media-Programm stärken. Vor allem aber wäre es im Dienst der Sache, noch mehr europäische Koproduktionen zu vereinbaren. Das hat die Filmwirtschaft auch erkannt, wie nicht zuletzt die Teilnahme deutscher Produzenten an der Eurimages-Förderung zeigt.

Allerdings wäre es schön, wenn in Zukunft der Anteil deutsch-majoritärer Koproduktionen steigen würde. Wobei ich mir des Problems der noch immer nicht gelösten Betriebsstättenproblematik im Medienerlass durchaus bewusst bin.

Ein Wort zur Struktur der neuen Gesellschaft "German Films" :

Der Gesellschafterkreis wurde um die Verbände, die den Fernsehfilm, den Kurzfilm und den Dokumentarfilm repräsentieren, erweitert. Außerdem sind jetzt auch die Länderförderungen und die Stiftung Deutsche Kinemathek vertreten. Der deutsche Film ist also in all seinen Facetten repräsentiert.

Jetzt kommt es darauf an, in den Gremien den nötigen Schub zu erzeugen, damit "German Films" auch wirklich im globalen Geschäft reüssieren kann. Zugleich soll die Gesellschaft verlässlicher und kompetenter Partner für die Unternehmen der Filmwirtschaft bleiben.

Diese Organisationsreform allein wird jedoch nicht ausreichen. Der deutsche Film braucht alle Mittler auswärtiger Kulturarbeit. Ich denke hier besonders an die kompetenten Filmreferenten der Goethe-Institute. Auch das im Aufbau befindliche Deutsche Filmportal ist ein guter Multiplikator. German Films " verfügt nunmehr über ein solides finanzielles Polster: Ab 2005 erhält die Gesellschaft rund 5,8 Millionen Euro und steht damit deutlich besser da als ihre Vorgängerin. Die Export-Union hatte nur 3,5 Millionen Euro zur Verfügung. Auch wenn das alles noch lange nicht reichen wird, um uns mit anderen Mitbewerbern zu messen, so ist doch wenigstens ein Anfang gemacht. Dass uns dies in diesen verknauserten Zeiten gelungen ist, freut mich ganz besonders.

Lassen Sie mich noch etwas zum Kooperationsrat sagen, der zweiten Säule der neuen "Filmbotschaft" : Auch hier sind die Entwicklungen weit gediehen. Mich haben bereits einige Ideen für das neue Auswärtsspiel des deutschen Films erreicht und ich freue mich darauf, mit Ihnen weiter an den Konzepten zu feilen. Die konstituierende Sitzung steht bevor, die Einladungen dazu erhalten Sie in Kürze.

Meine Damen und Herren,

Film ist im besten Fall ein prägendes kulturelles Erlebnis, aber auch ein höchst flüchtiges Wirtschaftsgut. Im medialen Zeitalter ist kaum ein anderes Produkt so leicht verderblich, wenn es mit dem Absatz hapert. Mit Hollywood werden wir ernsthaft nur konkurrieren können, wenn wir Filme produzieren, die sich von anderen unterscheiden, die Charaktere, Stimmungen und Botschaften haben, die nicht das Bild bedienen, das sich andere vom deutschen Kino gemacht haben.

Ich freue mich, dass sich die deutsche Filmlandschaft heute wieder vielfältiger ausnimmt und wir international wieder satisfaktionsfähig geworden sind. Die Beziehungskomödienwelle der neunziger Jahre hat so gut wie nichts Exportierbares hervorgebracht und die ausländischen Vorurteile über den deutschen Humor eher bestätigt. Die Wende kam, so finde ich, mit Tom Tykwers "Lola rennt". Nicht nur weil dessen Ästhetik sich so radikal von allem entfernte, was man bis dahin mit einem typisch deutschen Film verband, sondern weil Tykwer so repräsentativ für die jüngeren Künstler ist, die aus dem Schatten der Autorenfilmer heraustreten. Die momentane Akzeptanz dieser Vielfalt ist die große Chance für den deutschen Film.

Wenn staatliche Förderung und filmische Kreativität miteinander eine glückliche Verbindung eingehen, wird man die Erfolge des deutschen Kinos im Ausland nicht mehr als Raritäten abtun. Das wäre schon wirtschaftlich vielversprechend. Der deutsche Film wird dann auch das leisten, was ich mir vor allem wünsche: Nämlich kultureller Botschafter und zugleich Sympathieträger für Deutschland zu sein. Sowohl in Europa als auch in Übersee.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen und wünsche uns allen Mut und Elan und Selbstbewusstsein für das, was vor uns liegt. Vielen Dank!