Redner(in): Christina Weiss
Datum: 02.11.2004

Untertitel: Bei der Pressekonferenz zu "40 Jahre JazzFest Berlin" am 2. November 2004 im Haus der Berliner Festspiele hob Staatsministerin Christina Weiss hervor, dass das durch die Kulturstiftung des Bundes geförderte Festival auch weiterhin durch den Bund unterstützt wird.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/47/738747/multi.htm


wenn man die Chronik zu 40 Jahren Berliner JazzFest durchblättert, sieht man viele beeindruckende Bilder. Es sind Bilder voller Konzentration, voller Energie. Mal wirken die Musiker entrückt, mal distanziert, mal humorvoll lässig. Die meiner Meinung nach schönste Aufnahme zeigt den Weltmusik-Vorreiter Don Cherry bei einem Soundcheck in der Berliner Philharmonie. Er bläst energisch in eine Flöte, während er seine kleine Tochter auf den Schultern trägt. Neneh Cherry, der spätere Popstar, blickt sehr neugierig auf das, was ihr Vater da anstellt. 1969, als dieses Photo entstand, hieß es bereits, der Jazz sei eigentlich tot. Daß er immer noch kerngesund ist, sich möglicherweise aber eine neue Adresse und ein anderes Gesicht zugelegt hat, beweist das Berliner JazzFest jedes Jahr aufs Neue.

Der Jazz erzähle vom Leben, schrieb Martin Luther King in seinem Geleitwort für die erste Auflage des Festivals im Jahre 1964. Er erklärte auch: "Jeder hat den Blues". Was heute wie ein Allgemeinplatz klingt, hatte damals eine besondere Bedeutung. Die so genannte Hochkultur schaute auf den vermeintlich primitiven Jazz herab; mit dem Blues wollte sie nichts zu schaffen haben. Daß die ersten Berliner Jazztage ausgerechnet in der Philharmonie, dem heiligsten aller Musiktempel, stattfanden, war ein unerhörtes Signal. Ausgesandt zudem aus einer Stadt, die zwanzig Jahre zuvor noch als Machtzentrale einer menschenverachtenden und zutiefst intoleranten Ideologie gedient hatte.

Joachim-Ernst Berendt, der erste Leiter des Festivals, stammte aus einer Generation, die den Jazz explizit als Widerstandsmusik gegen das Nazi-Regime verstanden hatte."Wer swingt, der marschiert nicht", lautete damals der Schlachtruf. Mit den "Jazztagen", die später in "JazzFest" umbenannt wurden, installierte Berendt in der Berliner Philharmonie nun gewissermaßen ein alljährliche Befreiungsfeier. Nur einen Steinwurf entfernt von der Mauer, die die Welt in zwei Blöcke teilte. Für viele Musiker aus Osteuropa wurde sie durch die Jazztage und das JazzFest durchlässig gemacht. Und umgekehrt nahm auch die westliche Jazzwelt das Festival stets als etwas ganz Besonderes wahr: als Podium für Experimente, als Ort für ungewöhnliche Zusammenstellungen, als Marktplatz der Ideen und Entdeckungen. Ein besseres Symbol für die Offenheit Deutschlands ließ und lässt sich nicht denken. Das JazzFest gehört unbestritten zu den attraktivsten, vor allem aber innovativsten Festivals Europas und wird daher auch als genuiner Teil der Berliner Festspiele vom Bund gefördert. Das bleibt so, verlassen Sie sich darauf.

Meine Damen und Herren,

als Esperanto der globalen Musikkultur ist der Jazz zum wichtigsten und flexibelsten Verständigungsmedium des vergangenen Jahrhunderts aufgestiegen. Wie keine andere Kunstform kann er vermittels seines improvisatorischen Charakters ad hoc auf die Gegenwart reagieren. Ein Bild ist irgendwann zu Ende gemalt, ein Buch irgendwann zu Ende geschrieben. Der Jazz jedoch erfindet sich und seine Werke beständig neu. Er muss es tun, auch wenn er damit verstört, mit Gewohnheiten bricht und sich, wie in den vergangenen Dekaden geschehen, immer mehr der Definierbarkeit entzieht. Man kann darüber trefflich streiten, was Jazz ist und was nicht, was große Kunst oder Routine. Beim Berliner JazzFest hat man es all die Jahre mit Feuereifer in der Philharmonie, im Haus der Kulturen der Welt und im Haus der Berliner Festspiele getan; die künstlerischen Leiter nach Berendt - George Gruntz, Albert Mangelsdorff, Nils Landgren, John Corbett und nun Peter Schulze - können davon den ein oder anderen Blues singen. Diese Erregung, die zum Leitmotiv des Festivals geworden ist, sollte man ruhigen Gewissens als Zeichen der ungebrochenen Vitalität deuten. In diesem Sinne wünsche ich dem Berliner JazzFest, daß es sich seinen Mut zu Grenzerweiterungen bewahrt. Der Jazz erzählt vom Leben. Wir hören neugierig zu.