Redner(in): Christina Weiss
Datum: 05.11.2004

Untertitel: In einem Grußwort zum 50. Jubiläum beschreibt Kulturstaatsministerin Christina Weiss die spannungsreiche Geschichte der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/740826/multi.htm


erwarten Sie von mir bitte keine Grußbotschaft, sondern eher eine Annäherung an einen Ort, der mit Grußbotschaften von Regierungsvertretern so seine Erfahrungen hat. Man kommt, wenn man die Position dieser Hochschule bestimmen will, am Namensgeber nicht vorbei. Ich las vor wenigen Tagen bei Konrad Wolf einen erstaunlich zeitlos-aktuellen Satz: "Für mich ist die schleichende, alltäglich-selbstverständliche Brutalität in den Beziehungen viel aufregender und bedrohlicher als jeder unverhüllte Extremfall, diese Mischung aus Gleichgültigkeit, Empfindungsarmut, Ich-Bezogenheit, aus der sich die Katastrophen vorbereiten, deren Ursachen dann keiner mehr entschlüsseln kann." Dieser Satz fiel 1980, in einem Gespräch über den Film "Solo Sunny". Ein Satz, der weit vor und weit zurückreicht. Ein Satz, der mehr denn je gilt. Ein Satz, aus dem Filmstoffe werden - könnten. Zu jeder Zeit. In jedem Land. Der Satz hat mich dennoch überrascht. Ich hatte ihn nicht erwartet - vom Akademiepräsidenten der DDR, dem ZK-Mitglied, dem Schutzpatron Ihrer Hochschule. Ich saß in der Falle: Eine Biographie auf Schlagworte verkürzt. Die Debatten darüber kennen Sie besser als ich! Auch jene, in der sich die Hochschule umbenennen sollte, als könne man damit eine "Stunde Null" erzwingen. Dabei gibt es kein besseres Synonym für diese Filmhochschule als Konrad Wolf: Es steht für die unlösbare Verbindung von Politik und Kunst. Für die darin liegenden Möglichkeiten, Überforderungen und - Begrenzungen. Es wäre vermessen zu sagen, ich wüsste, wie diese Filmhochschule, diese Villen-Insel mit Mauer-Blick, beschaffen war. Aber ich ahne es. Eine Hochschule für Künstler in Grenzlage - das war einmalig. Wo sonst begab sich Filmnachwuchs so früh, so unmittelbar in eine Grenzsituation, die nach Karl Jaspers immer eine fühlbare Grenze des eigenen Daseins beschreibt? Wo sonst stieß eine scheinbare Idylle so sichtbar auf ihre Desillusionierung? Wo sonst schuf sie sich dennoch im Rückgriff auf einen begrenzten Freiraum einen Ort der begrenzten Möglichkeiten? Einen Ort, an dem Zeit und Geld zweitrangig schienen, an dem die Nabelschau oft den Fernblick ersetzte, an dem Filme wie "Gewehre der Arbeiterklasse" entstanden und "Drei fiktive Briefe" verboten wurden. Ein Ort, an dem alle Fragen erlaubt schienen, die keiner laut zu stellen wagte. In diesen permanenten Grenzerfahrungen, glaube ich, wuchs dennoch eine Widerständigkeit heran, hinter der sich eine andere, solide geschulte Qualität subversiv aufbaute: Sehen, was andere übersehen. Hinhören, wo andere weghören. Das, meine Damen und Herren, ist die wichtigste Hinterlassenschaft für die Zukunft. Eine Zukunft, die ja längst begonnen hat. Mit Künstlern dieser Hochschule, die ihr Handwerk verstehen. Die sich mit "Kleingeld" in der Tasche nach Hollywood wagen und auf "Halber Treppe" nicht stehen bleiben. Da wächst die Hoffnung, dass dieser Nachwuchs auch das Wort "Bildungsfernsehen" ganz neu beleben kann. Mit Bildern, die sich als aufregende, beunruhigende, lebendige Widerhaken festsetzen. Solange wir jedoch im Nahkampf mit dem Reality-TV und quotenfixierten Fernsehintendanten eine "Ver-bildung" erleben und uns dabei die Bilder der Wirklichkeit abhanden kommen, braucht es eine wie auch immer geartete "Schule des Sehens". Wir wollen aus diesem Grunde ein "Medienkompetenzzentrum" in Sachsen-Anhalt errichten. Der kompetente Zuschauer wächst zwar an der Kompetenz der Filmemacher, aber ein wenig Beihilfe zur Nachhilfe sei erlaubt. In diesem Sinne gratuliere ich der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" sehr herzlich zum Geburtstag und hoffe auf weitere Talente, die den Ruf und die Kompetenz des deutschen Films mehren. Vielen Dank!