Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 05.11.2004

Untertitel: Rede von Staatsminister Rolf Schwanitz anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft des Bundesrates durch den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Herrn Matthias Platzeck, am Freitag, den 5. November 2004, in Berlin.
Anrede: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/51/740051/multi.htm


der Bundesrat hat Sie, Herr Ministerpräsident Platzeck, in seiner Sitzung am 15. Oktober für das neue Geschäftsjahr zu seinem Präsidenten gewählt. Dazu gratuliere ich Ihnen herzlich. Zugleich möchte ich Ihnen die Glückwünsche des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung übermitteln. Ich bin überzeugt, dass sich die gute Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Bundesregierung unter Ihrer Präsidentschaft fortsetzen wird. Ihnen, Herr Ministerpräsident Althaus, als dem bisherigen Bundesratspräsidenten möchte ich seitens der Bundesregierung Dank für das abgelaufene Präsidentschaftsjahr aussprechen. Unter Ihrer Leitung hat der Bundesrat im abgelaufenen Geschäftsjahr mit dazu beigetragen, dass eines der größten Reformvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht wurde: Die Modernisierung des Arbeitsmarktes. Mit der Neuorganisation der Bundesanstalt für Arbeit, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, der Erneuerung der Handwerksordnung und Förderung von Kleinunternehmen und dem Kommunalen Optionsgesetz haben wir notwendige Voraussetzungen für mehr Beschäftigung in Deutschland geschaffen. Wir haben das Ziel erreicht, weil sich jenseits aller Kontroversen in Sachfragen am Ende auf allen Seiten der Wille zur Einigung durchgesetzt hat. Lassen Sie uns daran auch unter der neuen Präsidentschaft anknüpfen! Denn mit der Verabschiedung der Arbeitsmarktreformen ist der notwendige Modernisierungsprozess längst nicht abgeschlossen. Genauso wichtig wie die Verabschiedung des Reformpakets ist dessen reibungslose Umsetzung. Vieles von dem, was wir gemeinsam beschlossen haben, wird in wenigen Wochen den Alltag der Menschen bestimmen. Von der Umsetzung der Gesetze hängt maßgeblich deren Akzeptanz und damit auch deren Erfolg ab. Die Chancen dafür stehen gut. Haben noch im ersten Halbjahr 2004 die kritischen Stimmen zu Hartz IV überwogen, spricht sich inzwischen eine Mehrheit der Deutschen für die Arbeitsmarktreformen aus. Ich bin überzeugt: Allmählich findet ein Mentalitätswandel in Deutschland statt. Wir erleben die Abkehr vom Sozialstaatsdenken der alten Bundesrepublik, in der soziale Probleme zu oft durch zusätzliche Transfer-Leistungen aus Steuern oder Sozialversicherungen gelöst wurden. Sei es auf der Grundlage realen Wirtschaftswachstums oder zunehmend durch Verschuldung. Die Menschen spüren, dass dieser Mechanismus nicht mehr greift. Dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Und die Bereitschaft wächst, notwendige Veränderungen mitzutragen. Es ist unsere Aufgabe, und damit meine ich Bund und Länder gleichermaßen, diesen Mentalitätswandel zu unterstützen. Wir stehen jetzt, wenn man so will, im Wechsel von der Reformrhetorik zum Reformvollzug. Bezogen auf Hartz IV heißt das: Statt Ängste für politische Kampagnen zu instrumentalisieren, müssen wir gemeinsam alles daran setzen, dass die beschlossenen Maßnahmen reibungslos umgesetzt werden. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Verwaltung. Hier steht auch die Politik in der Verantwortung. Die Umsetzung des Reformpakets wird in der Zeit Ihrer Präsidentschaft, Herr Platzeck, ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein. Aber wir wollen und werden weitere Reformen angehen. Das gilt insbesondere in den Bereichen Bildung und Forschung. Dazu gehören quantitativ und qualitativ bessere Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder ebenso wie Spitzenuniversitäten und Exzellenznetzwerke in Deutschland. Und wir wollen die Innovationskraft des Landes stärken. Es gehört zum politischen Gemeingut, dass Deutschlands Zukunft stark von der Innovationsfähigkeit seiner Hochschulen und Betriebe abhängt. Gerade weil wir parteiübergreifend um die Bedeutung von Innovationen für unser Land wissen, sollten wir gemeinsam mögliche Spielräume zur Förderung von Innovationen nutzen. Die Bundesregierung hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Mit der Abschaffung der Eigenheimzulage könnten wir dringend benötigte Mittel für eine Innovationsoffensive freimachen. Ich möchte nachdrücklich dafür werben, dass wir - im Interesse des gesamten Landes - auch an diesem Punkt zu einem Konsens finden. Die zweite große Weichenstellung, an der wir gemeinsam arbeiten, ist die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Deutschland strebt nicht nur in der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung mehr Effizienz an, auch die Struktur des Bundesstaates muß effizienter ausgestaltet werden. Über die grundsätzliche Zielrichtung sind wir uns einig: Gesetzgebungskompetenzen müssen entflochten und klar zugeordnet werden. Dem stimmen alle zu. Schwieriger wird es bei der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist. In den letzten 12 Monaten sind in der Föderalismuskommission hierzu viele Vorschläge diskutiert worden. Alle Seiten sind sich nach meinem Eindruck dabei näher gekommen, ohne jedoch die unterschiedlichen Standpunkte, das Trennende, zu überwinden. Ich glaube, die Plausibilität eines Vorschlags bemisst sich nicht daran, ob er geschlossen oder ohne Widerspruch vorgebracht wird, sondern ausschließlich danach, in wie weit er zur Lösung der Probleme geeignet und für das Gemeinwesen sachdienlich ist. In diesem Sinne haben alle Seiten, wie man so freundlich sagt, ihr Leistungsvermögen noch nicht völlig ausgeschöpft. Bund und Länder sollten und können jedoch ein neues Miteinander finden. Dabei ist das Loslassen von Gewohntem, das Sich Einlassen auf das Neue immer auch mit Schmerzen und Ängsten verbunden und zwar für beide Seiten. Mut zu mehr Unterschiedlichkeit und Vielfalt ist genauso wichtig wie die Bereitschaft, auf liebgewordene Einfluss- und Verhinderungsmöglichkeiten zu verzichten. Nur wenn beide Seiten dabei ihr Herz über die Hürde werfen, kann eine solche Reform gelingen. Die Zeit Ihrer Präsidentschaft, Herr Platzeck, ist darüber hinaus auch eine Zeit stärkerer Diskussionen über die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in unserem Land. Ich begrüße diese Debatte, 15 Jahre nach der Deutschen Einheit, ausdrücklich. Uns allen ist bewusst, dass es zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, so wie wir es im zweiten Solidarpakt vereinbart haben, keine Alternative gibt. Denjenigen, die auf dieser Wegstrecke schwere Lasten zu schultern haben, müssen wir sagen, dass es nirgendwo in Europa eine vergleichbare nationale Kraftanstrengung gibt. Gerade weil dies so ist, ist ein Akt der Selbstverständigung über unsere Angleichungsziele und über die regionalen Unterschiede in unserem Land richtig und geboten. Genauso wichtig ist mir in diesem Zusammenhang jedoch eine Verständigung über die Pflicht und das Recht des Bundes in diesem Prozess. Wenn die Rechte des Bundes bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nach Artikel 72 unseres Grundgesetzes auf eine reine Nothilfe im Krisenfall verengt würden, fällt die gesamte Entwicklungs- und Zukunftsdimension, die in dieser Aufgabe steckt, jedenfalls für den Bund unter den Tisch. Dies war nach meinem Eindruck weder beim Abschluss des zweiten Solidarpaktes noch bei der Verfassungsänderung 1994 von den Beteiligten gewollt. Deshalb hoffe ich auf einen doppelten Ertrag aus der aktuellen Diskussion: Zum einen hoffe ich auf mehr Realismus und den Mut auch in Ostdeutschland, sich von Illusionen zu trennen. Zum anderen aber auch auf die Bereitschaft, dem Bund wieder die rechtlichen Möglichkeiten zu geben, die er in diesem Prozess tatsächlich braucht. Die Menschen in unserem Lande jedenfalls, davon bin ich fest überzeugt, hätten für eine reine Länderaufgabe und für einen Bund, der sich bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf die Rolle eines Nothelfers beschränken muss, überhaupt kein Verständnis. Meine Damen und Herren, von den anstehenden Gesetzesvorhaben möchte ich zum Abschluss eines besonders hervorheben: Die Gesetzgebung zur EU-Verfassung. Letzte Woche haben die Regierungschefs in Rom den Vertrag unterzeichnet, diese Woche hat das Bundeskabinett das Ratifizierungsgesetz verabschiedet und in Richtung Bundesrat auf den Weg gebracht. Innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Neun-Wochen Frist wird der Bundesrat Mitte Februar dazu Stellung nehmen. Es wäre meines Erachtens ein wichtiges Signal an unsere Partner in der Europäischen Union, wenn Bundestag und Bundesrat die neue EU-Verfassung zügig ratifizieren würden. Fast zeitgleich mit dem erwähnten Gesetz werden, so hoffe ich noch immer, die Grundgesetzänderungen einzubringen sein, die die Beschlüsse der Föderalismuskommission umsetzen sollen. Beides wäre ein wichtiger Beweis für eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie für die Reformfähigkeit nach innen und nach außen. Ich habe die Hoffnung, dass gerade von Ihrer Präsidentschaft, Herr Platzeck, wichtige Impulse für die vor uns liegende Föderalismusdebatte ausgehen können. Man möge es mir nachsehen: Gerade die Präsidentschaft eines ostdeutschen Ministerpräsidenten bestärkt mich in dieser Zuversicht. Das Sich-Einstellen auf das Neue, der Umgang mit Veränderung gehört in Ihrem Land, wie in den anderen neuen Ländern auch, seit vielen Jahren sozusagen zum Tagesgeschäft. Welchen Wert dabei ein kooperativer, solidarischer Föderalismus hat, muss nicht erst mühsam erklärt oder erlernt werden. Dieser Erfahrungshorizont erscheint mir geradezu ideal im Blick auf die aktuellen Diskussionen und die vor uns liegenden Entscheidungen. Am deutschen Föderalismus ist in letzter Zeit von vielen Seiten Kritik geübt worden. Wir haben es gemeinsam in der Hand, den Menschen zu zeigen, dass unser föderales System den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist. Ich bin sicher, dass Bund und Länder dabei ihrer Verantwortung gerecht werden und wünsche Ihnen, Herr Präsident Platzeck, für Ihre Präsidentschaft eine glückliche Hand.