Redner(in): Christina Weiss
Datum: 05.11.2004

Untertitel: Beim Besuch des Depots des Deutschen Historischen Museums in Berlin-Spandau am 5. November 2004 unterstrich Kulturstaatsministerin Weiss die Bedeutung von Gedenkstätten und Museen für eine fundierte und facettenreiche Darstellung der Geschichte.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/72/740672/multi.htm


jedes Jahr im November, wenn im kollektiven Gedächtnis der 4. und der 9. November 1989 aufgerufen werden und das Termingeschäft abgewickelt wird, gibt es neue Vorschläge, in welcher Weise die friedliche Revolution in den Geschichtsmuseen oder an den authentischen Orten dargestellt werden sollte. Es gibt Erinnerungen und Legenden, Chroniken und Mythen. Wir haben Sie heute hier in das Depot des Deutschen Historischen Museums eingeladen, weil die Demonstranten vom 4. November 1989 die Transparente des Protestes vor den Türen des Berliner Zeughauses abgelegt hatten. Im Depot des DHM lagern nun die intelligenten, wortwitzigen und couragierten Zeugnisse lange vermisster Mündigkeit, Dokumente erkämpfter Demokratie, Botschaften der Freiheit. Die Demonstranten von damals wollten, dass dokumentiert wird, was des Dokumentierens würdig ist. Auch wenn immer gern Versäumnisse unterstellt werden oder private Initiativen ihre eigene, hysterisierte Geschichtsdarstellung betreiben: nur die Gedenkstätten und Museen sind wirklich in der Lage, die jüngste Vergangenheit wissenschaftlich fundiert und in allen Facetten darzustellen. Gerade in Zeiten gut gepflegter Nostalgie und einer immer unbekümmerteren Rückschau auf die vermeintliche Geborgenheit in der DDR, leuchten die Geschichtsmuseen die verriegelte Gesellschaft ganz aus, erforschen die Nischen und analysieren die Repression, rücken die Opposition ins Licht und erklären das Regelwerk staatlicher Einschüchterung. Als Teil der deutschen Geschichte wird die DDR in allen Aspekten in den Dauerausstellungen des Deutschen Historischen Museums und des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. In einer Vielzahl von Dauerausstellungen haben beide Museen zudem spezielle Themen deutscher Nachkriegsgeschichte im Vergleich der beiden deutschen Staaten dargestellt. Teil der Stiftung Haus der Geschichte ist zudem das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig, dessen Schwerpunkt die Geschichte von Diktatur und Widerstand in der DDR ist. Die drei genannten Einrichtungen werden vollständig vom Bund finanziert - in diesem Jahr mit 32,3 Millionen Euro. Außerdem ist es der Bundesregierung wichtig, an authentischen Orten über die deutsch-deutsche Geschichte aufzuklären. Zu nennen sind hier die Gedenkstätte im ehemaligen zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen und das Deutsch-deutsche Museum Mödlareuth zur Geschichte der innerdeutschen Grenze. Ferner beteiligt sich der Bund an den Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Einrichtungen der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ( Gedenkstätten Torgau und Bautzen ) . Hierbei handelt es sich um Orte mit sog."doppelter Vergangenheit", also Orte, an denen bereits vom NS-Regime Menschen gefangen gehalten, misshandelt und ermordet wurden und die später von den Kommunisten weiter genutzt wurden. Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes hat seit dem Jahr 2000 wichtige Projekte ermöglicht. In den vergangenen Jahren wurden etwa 4,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ich bedauere sehr, dass die Gedenkstättenkonzeption die Erinnerungsarbeit an die SED-Diktatur bislang nur wenig vorantreibt. So liegen bislang für das Jahr 2005 lediglich zwei Anträge vor. Meine Behörde hat im Zeitraum von 2000 bis 2004 insgesamt 33,3 Millionen Euro ausgegeben, um Einrichtungen und Projekte zu unterstützen, die sich der Erinnerung an Stalinismus und SED-Unrecht annehmen. Gleichwohl bestehen natürlich auch noch in anderen Bundesressorts Möglichkeiten, Projekte zu fördern. Vor allem ist hier an die wirklich gute, weil analytische Arbeit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu erinnern. Meine Damen und Herren, ich in sehr gespannt darauf, in welcher Weise das Deutsche Historische Museum in seiner neuen Dauerausstellung die Geschichte der Bundesrepublik und der DDR abbilden wird. Wir brauchen gerade in Berlin dringend einen Ort, der davon Zeugnis ablegt, wie Deutschland auseinander driftete und wieder zusammenfand, warum es einen Palast der Republik gab und was im Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße geschah, was die Kampfgruppen der Arbeiterklasse im Sinn hatten und was die Bohéme am Prenzlauer Berg, wie sich Widerständigkeit lernen lässt und warum die freiheitliche Demokratie so hart erkämpft ist. Fragen über Fragen, die gestellt und beantwortet werden müssen. Und zwar nicht nur im November. Ich danke Ihnen.