Redner(in): Christina Weiss
Datum: 11.11.2004
Untertitel: Statement von Staatsministerin Christina Weiss auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Markus Schächter, ZDF, und Fritz Pleitgen, WDR, zu den Entwicklungsmöglichkeiten in der digitalen Welt am 11. November 2004 in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/34/743534/multi.htm
auf meine Initiative hin werden sich die Kulturminister der Europäischen Union auf ihrem Rat am 16. November 2004 in Brüssel mit den Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter beschäftigen. Warum habe ich diese Initiative - selbstverständlich auch im Interesse der Länder - ergriffen? Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Medienpluralismus zu sichern, das ist für mich unabhängig von der Art des einzelnen Mediums das wichtigste medienpolitische Ziel und gleichzeitig ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Der Rundfunk bedarf der Obhut der Gesellschaft, er wird von ihr unterstützt, er soll der Demokratie dienen, der Kulturvermittlung und der Bildung. Diese besondere Rolle des Rundfunks, dessen Vermarktung eben nicht allein wirtschaftlichen Kriterien gehorcht und nach dem Regelwerk der Effizienz funktioniert, ist von der Europäischen Union im Amsterdamer Protokoll verankert. Danach ist es allein die Aufgabe der Mitgliedstaaten, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu definieren und ihre Programme zu finanzieren. Das ist bei uns bekanntlich Aufgabe der Länder. Das gilt nicht nur für Hörfunk und Fernsehen, sondern auch für die Online-Angebote, also für die Möglichkeiten der digitalen Welt. Wer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk jetzt nicht die Tore zur digitalen Welt öffnet, vernagelt ihm die Zukunft. Die öffentliche Kommunikation ist ohne das Internet nicht mehr denkbar, das Netz wird aber in seiner Bedeutung noch immer unterschätzt. Im letzten Jahr war die Hälfte der Bevölkerung der damals 15 Mitgliedstaaten online. Immer mehr Jugendliche nutzen zur Information ausschließlich das Internet. Darauf muss auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen verlässlichen Informationsangeboten reagieren. Die Meinungsbildung findet eben auch im Netz statt. Das Internet hat sich vom Individual- zum Massenkommunikationsmittel entwickelt. Online-Dienste funktionieren aber nicht nur durch den Markt. Ebenso wie beim Rundfunk besteht bei einer überwiegend privatwirtschaftlichen Finanzierung die Gefahr, dass andere als Masseninteressen vernachlässigt werden, die Programmplanung stark an den Interessen der Werbewirtschaft orientiert ist und es schließlich zu einer unausgewogenen Berichterstattung kommt. Mit einem Satz: Es besteht die Gefahr, dass kommunikationsfremde Faktoren den publizistischen Prozess der Aufklärung beeinflussen. Zu diesen strukturellen Defiziten kommt, dass es bei journalistisch-redaktionellen Internetangeboten in immer größeren Ausmaß zu einer Vermischung von publizistischen und kommerziellen Interessen kommt. Der Nutzer hat kaum die Möglichkeit, herauszufinden, ob bei der Redaktion der Webseite die publizistischen Grundstandards eingehalten wurden oder nicht. Aus der Bedeutung der Online-Angebote für die Meinungsbildung und den bestehenden Marktdefiziten folgt, das wir auch für den Online-Bereich eine in Artikel 5 des Grundgesetzes mit Verfassungsrang ausgestattete nationale Gewährleistungsverantwortung tragen. Und hier muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Beitrag leisten können. Rundfunkanstalten entwickeln sich immer mehr zu Kommunikationsunternehmen. Zwar sind die öffentlich-rechtlichen Anbieter nicht die alleinigen Lordsiegelbewahrer für verlässliche und vielfältige Informationen, aber sie müssen die Möglichkeit der Teilhabe an den neuen Verbreitungswegen haben. Nur so können sie ihren Kultur- und Bildungsauftrag erfüllen. Diese nationale medienpolitische Verpflichtung hat die Kommission zu achten. Meine Initiative soll nicht als Angriff auf private Angebote verstanden werden. Auch deren Verdienstquellen sollen nicht gemindert werden. Die Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Veranstalter sind werbefrei und dürfen nicht zu ecommerce-Zwecken genutzt werden. Ich gehe davon aus und empfehle dringend, dass diese Beschränkungen auch tatsächlich eingehalten werden. Meine Damen und Herren, ich verteidige unsere duale Rundfunkordnung, in der öffentlich wie private Veranstalter ihren gleichberechtigten Platz haben. Beide Systeme haben unsere Rundfunklandschaft geprägt, sie ist ein Ausdruck unserer Kultur. Im internationalen Vergleich ist unsere Rundfunklandschaft in ihrer Vielfalt von weltweit seltenem Reichtum. Das soll so bleiben. Dafür brauchen wir ein ausgewogenes Rundfunkangebot, das alle Nutzerschichten erreicht. Ich werde daher den Vorstellungen entgegentreten, die Angebotspalette des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszudünnen. Es kann nicht sein, dass es Angebote gibt, die den Privaten vorbehalten bleiben und ARD und ZDF im Internet dort nicht auftreten dürfen. Das duale Prinzip gilt eben auch für das Netz. Auch hier gelten eiserne Qualitätsanforderungen, die Meinungsvielfalt, glaubwürdigen Journalismus und Ausgewogenheit garantieren. Es ist unser Ziel, eine Kommunikationsordnung zu verteidigen, die höchste Standards in der Berichterstattung ermöglicht und gesellschaftlich kontrolliert wird. Wie gesagt: das gilt auch für das gebührenfinanzierte Internet. Es steht der Kommission nicht zu, sich über den Umweg des Wettbewerbsrechts eine "Kompetenz-Kompetenz" für den Medienbereich zu schaffen. Es ist und bleibt unsere nationale Aufgabe, den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch für den Online-Bereich auszugestalten. Ich werde mich in Brüssel dafür einsetzen, dass wir Kulturminister - ebenso wie das Europäische Parlament im April diesen Jahres - klarstellen, dass der Rundfunkbegriff des Amsterdamer Protokolls nicht uminterpretiert, sondern entsprechend der veränderten Medienwelt verstanden wird. Natürlich werden wir nicht sofort eine Resolution verabschieden, aber wir können eine Diskussion mit dem Ziel einer Resolution auf den Weg bringen.