Redner(in): Christina Weiss
Datum: 24.11.2004

Untertitel: Im Rahmen der Hauhaltsdebatte im Deutschen Bundestag unterstrich Kulturstaatsministerin Christina Weiss am 24.11. die Bedeutung von Kultur als "lebensnotwendige Grundlage unseres Zusammenlebens": "Wir können nicht einerseits den Werteverlust unserer Gesellschaft beklagen und andererseits die Kultur mit ihrer prägenden Kraft im Grundgesetz unerwähnt lassen!"
Anrede: Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/70/750170/multi.htm


"Das Richtige", sagt Bert Brecht,"braucht den kleinsten Fingerzeig noch!" Obwohl er damit nicht ausdrücklich die Kultur gemeint hat, trifft der Satz auch den Kern unserer heutigen Debatte. Denn die Frage, ob Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden sollte, hat in den letzten Wochen und Monaten an Aktualität gewonnen. Die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" hat sich dazu mit einem würdigen Vorschlag geäußert. Auch ich bin sehr dafür, dass wir der Kultur in unserem Grundgesetz den ihr gebührenden Platz einräumen, nämlich im Artikel 20 b mit dem Satz: "Der Staat schützt und fördert die Kultur." - wie von der Enquete-Kommission vorgeschlagen. Eine Kulturnation wie Deutschland kann und darf es sich nicht leisten, diesen essentiellen Bereich in ihrer Verfassung unerwähnt zu lassen - zumal wir bereits den natürlichen Lebensgrundlagen und den Tieren im Artikel 20 a ein paar Worte zugedacht haben. Meine Damen und Herren, Kultur ist eine der lebensnotwendigen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Wir können nicht einerseits den Werteverlust unserer Gesellschaft beklagen und andererseits die Kultur mit ihrer prägenden Kraft im Grundgesetz unerwähnt lassen! Natürlich darf man sich von einer Staatszielbestimmung nicht zu viel versprechen. Niemand könnte daraus ableiten, dass der Gesetzgeber oder die Exekutive ganz bestimmte Maßnahmen der Förderung treffen müssen. Dennoch würde die Aufnahme in das Grundgesetz das Selbstverständnis unseres Landes berühren und die Pflege der Kultur zumindest als abstrakte Pflicht normieren. Es wäre ein Fingerzeig auf das Richtige, und zwar nicht der kleinste. Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche identitätsstiftende Kraft von der Kultur ausgeht, konnten wir nach dem schrecklichen Brand in der Anna Amalia Bibliothek beobachten. Eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft erreichte Weimar und brachte fast 4 Millionen Euro an Spenden zusammen. Hunderte von freiwilligen Helfern hatten während und nach dem Brand Bücher gerettet, Trümmer beseitigt und mit ihrem Einsatz bewiesen, wie sehr sich die Menschen mit ihrem kulturellen Erbe identifizieren. Das klassische Weimar ist das Herz unserer Kulturnation - und die Anna Amalia Bibliothek ihr Gedächtnis. Mit dem Brand wurde daher nicht nur der wunderbare Rokokosaal schwer beschädigt, sondern auch ein enormer geistiger Schaden angerichtet. Jetzt gilt es, die Wunden so schnell und so weit wie möglich zu heilen und finanzielle Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Wiederbeschaffung der Bücher zu unternehmen. Ich freue mich, dass hierüber ein umfassender Konsens besteht - in Thüringen, und vor allem auch in diesem Hause. Und ich möchte das zum Anlass nehmen, allen Fraktionen dieses Parlaments für die konstruktive und kritische Zusammenarbeit bei den Haushaltsberatungen zu danken. Es ist uns gemeinsam gelungen, wichtige Akzente zu setzen - die Anna Amalia Bibliothek ist da nur das beste Beispiel. Der Schutz des Weltkulturerbes in Weimar verlangt jedoch noch mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es muss sichergestellt werden, dass sich ein solcher Verlust von Kulturgütern nicht wiederholt! Die Schutzmaßnahmen in allen Objekten der Stiftung können mit den zusätzlichen Bundesmitteln überprüft und dort, wo es notwendig ist, verbessert werden. Dies ist aber nicht nur in Weimar dringend notwendig. Der Schutz herausragender Kulturgüter, allen voran derjenigen des Weltkulturerbes, zu der auch die Bibliothek gehört, wird in den nächsten Jahren unser vordringliches politisches Ziel bleiben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Berliner Akademie der Künste steht im nächsten Jahr vor einem strukturellen Neubeginn. Die Akademie ist eine Institution, die das geistige Leben Deutschlands maßgeblich mitgeprägt hat. Sie blickt auf eine große, über 300jährige Tradition zurück. Als unabhängige Künstlersozietät ist sie nach den vergleichbaren Institutionen in Rom und Paris die älteste Einrichtung ihrer Art in Europa. Sie spiegelt in ihrer Geschichte und Gegenwart die Entwicklung und den Reichtum von Kunst und Kultur in Deutschland. Sie ist damit nicht nur ein Kernelement der Hauptstadtkultur, sondern entfaltet ihren Glanz auch weit über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus. Mit der Übernahme in die finanzielle und rechtliche Verantwortung des Bundes - im völligen Einvernehmen übrigens mit dem Senat von Berlin und der Regierung des Landes Brandenburg - soll die Akademie als autonome Kultureinrichtung auch künftig die Sache der Künste fördern und in die Gesellschaft vermitteln. Durch ihre Veranstaltungen vermittelt sie wesentliche künstlerische Strömungen der Gegenwart. Und durch ihr einzigartiges interdisziplinäres Archiv trägt sie erheblich zur Pflege des kulturellen Erbes bei. Angesicht der nationalen wie internationalen Ausstrahlung der Akademie hoffe ich sehr, dass auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 17. Dezember das Errichtungsgesetz für die Akademie unterstützen wird. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Wort zur Medienpolitik: Deutschlands bester Botschafter im Ausland kann bei seiner Arbeit ab 1. 1. 2005 auf ein neues Fundament bauen. In dem geänderten Deutsche-Welle-Gesetz hat der Auslandssender eines der modernsten Mediengesetze Europas. Es gibt Auskunft über das Selbstbewusststein, mit dem wir in der Bundesrepublik Deutschland Rundfunk organisieren, und über die Leitideen, die wir damit verfolgen. Die Deutsche Welle hat den Auftrag, Deutschland als "europäisch gewachsene Kulturnation sowie als freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat" darzustellen. Dies ist ein kulturpolitisches Novum von Tragweite: ein Bundesgesetz definiert unser Land als Kulturnation. Wie alle Kulturnationen in Europa ist auch die deutsche europäisch gewachsen und von den Einflüssen und dem Selbstverständnis unserer benachbarten Staaten und Kulturen geprägt. Deshalb muss unser kulturelles Selbstbild die eigene Geschichte genauso im Blick behalten wie unsere Gegenwart im vereinten Europa. Meine Damen und Herren, am 9. Mai 2005 jährt sich zum 200. Male der Todestag Friedrich Schillers. An jenem Tag planen wir auf der Brücke zwischen Frankfurt / Oder und Slubice das Deutsch-Polnische Kulturjahr zu eröffnen. Ganz im Geiste des Dichters wollen wir uns dann - populär und modern - an jene Ideale erinnern, die jede Kulturnation auf diesem Kontinent auszeichnen: Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit. Das sind auch und vor allem: kulturelle Errungenschaften. Es ist Kultur. Von einem Weimarer Klassiker mit Sprache und Leben erfüllt, Basis unseres Zusammenlebens und Grundlage unserer Demokratie. Und deshalb gehört die Kultur ins Grundgesetz. Vielen Dank.