Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 24.11.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehalten bei der Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2005 am 24. November 2004 im Bundestag.
Anrede: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/82/754382/multi.htm


Unser Zwiegespräch war anders. Michael Glos, Sie hatten mir versprochen, heute friedlich und sachlich zu sein. - Nach seiner Auffassung war er es. Aber ich glaube, da wird es unterschiedliche Auffassungen in Ihrer eigenen Fraktion geben. - Nein? Das ist ja noch bedauerlicher. Das zeigt, dass das Differenzierungsvermögen in Ihrer gesamten Fraktion außerordentlich unterentwickelt ist. Das wird sich heute noch zeigen. Ich möchte gerne zwei Punkte vorab richtig stellen, Herr Glos. Ich finde es zum einen nicht richtig, wie Sie Herrn Stoiber zitiert haben und dass Sie dann auch noch meinen, er habe nicht gemeint, was er gesagt habe. Es ist ein typischer "Stoiber" gewesen, nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Das kennen wir von ihm. Zum 3. Oktober würde ich Ihnen gern ein paar Dinge sagen, die andere betreffen; ich hoffe, ich zerstöre nicht deren Karrieren. Ich habe mir das herausgesucht und will es Ihnen mitteilen. Da gab es einen Sozialexperten, der sich in der "BZ" vom 10. März 1994 zum 3. Oktober geäußert hat. Peter Ramsauer, CSU-Sozialexperte: Selbstverständlich müssen wir auch bereit sein, Feiertage zu streichen, beispielsweise den 1. Mai. Der 3. Oktober könnte auf einen Sonntag gelegt werden. Es darf keine Tabus geben. Übrigens, Herr Singhammer, Sie wollen ja einen Karrieresprung machen. Ich will Ihnen deswegen auf dem Weg dorthin mitgeben, was Sie zu diesem Thema gesagt haben: Singhammer würde für die Mehrarbeit Feiertage opfern, keine kirchlichen zwar, aber weltliche wie den Tag der Arbeit oder den Tag der Deutschen Einheit. Über den 1. Mai und den 3. Oktober gibt es tatsächlich eine Diskussion, sagte der CSU-Abgeordnete. An die könnte man rangehen. Meine Damen und Herren, ich erwähne das nicht, um diese Debatte weiterzuführen, sondern ich erwähne das, damit Sie mit dem Patriotismusvorwurf etwas vorsichtiger umgehen. Diejenigen, die derart im Glashaus sitzen, sollten nun wahrlich nicht mit Steinen werfen. Das geht, wie gezeigt, immer nach hinten los. Ich komme zum zweiten Thema. Dies betrifft den sachlichen Gehalt - sofern einer vorhanden war - dessen, was Herr Glos zur Ökonomie gesagt hat. Wie urteilsfähig er in diesen Fragen ist, will ich gern mit Rückgriff auf eine andere Begebenheit erläutern. In einer der letzten Debatten über ökonomische Fragen, Herr Glos, haben Sie sich in ganz bestimmter Weise mit dem Außenwert des Euro beschäftigt. Sie werden sich erinnern: Er stand damals im Verhältnis zum Dollar bei 84 Cent. Da hat Herr Glos gesagt - das beweist seine Urteilsfähigkeit in ökonomischen Dingen - : Ich will jetzt gar nicht im Einzelnen darlegen, wie sich der Euro entwickelt hat. Gegenüber dem vietnamesischen Dong beträgt die Abwertung 21 Prozent, gegenüber dem dominikanischen Peso - es fliegen ja ungeheuer viele Leute in die Karibik - beträgt die Abwertung 19 Prozent. Ich könnte Ihnen eine lange Liste nennen. Weiter sagte er: Ausschlaggebend ist also der Marktwert des Euro. Der Marktwert des Euro könnte besser sein, wenn wir in Deutschland, im wirtschaftlichen Herzland Europas, eine bessere Regierung hätten. So viel zu Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit. - Ich will das jetzt im Zusammenhang vortragen; ich bin gerade so gut dabei. Sie werden das verstehen, Herr Glos. Der Euro - das macht mich wegen unseres Exportes durchaus besorgt - liegt jetzt im Verhältnis zum Dollar bei etwa 1, 30. Worauf ist das entlang Ihrer ökonomischen Einsichten zurückzuführen? Offenkundig darauf, dass die Regierung so ungeheuer gut ist, dass der Außenwert des Euro ständig steigt. Ich sage Ihnen aber: Das hat doch mehr mit der Situation auf den internationalen Finanzmärkten - übrigens in der einen wie in der anderen Richtung - zu tun als mit dem, was Sie prognostiziert haben. Ich erwähne das hier nur, um das Publikum davon zu unterrichten, wie weit her es mit Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit ist. Ich würde angesichts dessen doch raten, sich damit zu begnügen, was der Sachverständigenrat der Bundesregierung zu diesen Fragen gesagt hat. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung - auch das sollte Thema dieser Debatte sein - hat sein Jahresgutachten unter das Motto "Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland" gestellt. Ich finde, dass das - darüber haben wir in dieser Debatte heute zu diskutieren - eine sehr gute, sehr zutreffende und solide Kennzeichnung der Lage der Nation sowohl im Hinblick auf das Ökonomische als auch das Politische ist. Die Frage, die wir hier zu debattieren haben - wir dürfen keinen Klamauk machen, wie Sie ihn eben vorgeführt haben - , ist doch wohl: Welche Beiträge können die Politik und die Gesellschaft schlechthin - dazu gehören sowohl Wirtschaft als auch Gewerkschaften - erbringen, um die Herausforderungen zu meistern, um die Chancen zu nutzen, um Erfolge zu haben? Das sollte der Kern der Debatte sein. Anstatt diese Diskussion zu führen, haben wir von Ihnen vorhin nur das gehört - von Herrn Merz brillant, von Ihnen, Herr Glos, eher holzschnittartig vorgetragen - , was wir von Ihnen schon kennen. In jedem Fall zeichnen Sie das Bild eines Deutschlands im Jammertal. Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes. Für Sie ist das Teil einer Machtauseinandersetzung in unserem Land. Das ist nachvollziehbar, Sie müssen aber bedenken, dass Sie mit der Zeichnung von Zerrbildern Deutschlands nicht nur erlaubte Machtauseinandersetzung betreiben, sondern Deutschland diskreditieren. Indem Sie Deutschland nach innen diskreditieren, tun Sie es naturgemäß auch nach außen. Das freut niemanden in Deutschland, das freut nur unsere Wettbewerber überall in der Welt. Das sage ich vor dem Hintergrund der so genannten Patriotismusdebatte; denn wenn eines unpatriotisch ist, dann das eigene Land so schlecht zu reden, wie Sie es gegenwärtig tun, nur um Machtauseinandersetzung zu betreiben. Auch insoweit halte ich es mit dem Sachverständigenrat, der zur Situation unter Textziffer 484 gesagt hat - ich zitiere - : Gegenwärtig besteht in Deutschland eine gewisse Tendenz zur Schwarzmalerei. Selbst das Positive, wie beispielsweise die verbesserte preisliche Wettbewerbsfähigkeit und die Ausfuhrerfolge, werden unter dem Menetekel vermeintlich drastischer und negativer Folgen für die heimischen Arbeitsplätze in düsteren Farben gemalt. Hierzu besteht alles in allem kein Grund. Wer alles nur noch schwarz sieht, verliert auch den Blick dafür, welche Wege zu beschreiten notwendig und lohnenswert sind. Natürlich gibt es Licht- und Schattenseiten. Wir sollten aber auch über das reden, was gut gewesen ist und weiterhin gut ist. Wiederum zitiere ich den Sachverständigenrat: Mit einem Anteil von rund 10 v. H. wurde im Jahr 2003 fast wieder das Niveau erreicht, das zu Beginn der neunziger Jahre vorgelegen hatte. Es geht um den Export. Dies zeigt aber auch, was wir im Laufe der 90er-Jahre verloren haben. Wir haben das wieder aufgeholt. Das drückt aus, dass wir es in der Phase der Stagnation geschafft haben, Marktanteile in der Welt zu gewinnen und nicht zu verlieren. Dieser Prozess geht weiter. Die Exporterfolge dieses Jahres und die für das nächste Jahr erwarteten Erfolge werden wieder dazu führen, dass wir im Export Rekordernten einfahren können. Das erwähne ich nicht, um in Anspruch zu nehmen, dass das allein auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen ist. Niemand wird das sagen können. Es muss aber erwähnt werden, weil dahinter eine Kraft der Volkswirtschaft steht und nicht eine Schwäche, wie Sie sie an die Wand malen. Was denn anderes als Kraft? Im ersten Halbjahr 2004 ist der Export, bezogen auf das Rekordjahr 2003, noch einmal um 10 Prozent gestiegen. Das zeigt doch, dass wir, jedenfalls was unsere außenwirtschaftlichen Möglichkeiten angeht, auf dem richtigen Weg sind. Das muss und soll doch denjenigen Mut machen, die diese Leistungen in Deutschland erbracht haben. Für diese Leistungen sind doch nicht wir, sondern die Menschen draußen verantwortlich. Denen kann und muss man auch einmal sagen, dass wir auf diese Leistungskraft stolz sind. Niemand wird angesichts dessen die Tatsache leugnen wollen, dass wir bei der Binnenkonjunktur leider noch nicht so weit sind, wie wir sein wollten und sein müssten. Das hat aber doch nichts damit zu tun, dass man das andere kleinschreibt. Bei der Binnenkonjunktur können Sie das an den steigenden Ausrüstungsinvestitionen sehen. Darüber hinaus können Sie das an der Tatsache erkennen, dass der private Konsum nicht mehr sinkt. Ich weiß zwar, dass er noch stagniert; das reicht mir auch noch nicht. Aber es ist die Basis für eine Verbesserung. Wenn Sie sich die Oktoberzahlen der Automobilindustrie anschauen und sich über die Orders, die dort eingehen, informieren, werden Sie feststellen können, dass wir den Trend nach oben stützen sollten, statt ständig das Gegenteil zu tun. Das geht doch nicht. Ein solches Vorgehen ist auch nicht patriotisch. Vor diesem Hintergrund müssen und sollen wir auch über die Schattenseiten reden. Wir müssen uns dabei aber bemühen, sie zu überwinden. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit zu hoch und natürlich gibt es noch zu wenig Ausbildungsplätze. Natürlich gibt es Strukturprobleme in den Unternehmen, die Sie genannt haben. Natürlich beunruhigt uns das, was bei Opel an Arbeitsplatzsicherung von den Beschäftigten erkämpft werden muss, und natürlich beschäftigt uns alle in Deutschland die Karstadt-Frage. Aber natürlich weiß auch jeder - niemand wird diskreditiert, wenn man das ausspricht - , dass es hier massives Missmanagement gegeben hat. Politik kann eben nicht alles richten, sondern kann nur und muss vernünftige Rahmenbedingungen setzen. Wir haben auf die Herausforderungen, die ich genannt habe, sehr wohl reagiert. Wir sind doch die Ersten gewesen, die mit der Agenda 2010 ein umfassendes Strukturprogramm vorgelegt haben, das die notwendigen Reformen eingeleitet hat, um die Schattenseiten in unserem Land, die es natürlich auch gibt - ich sage aber noch einmal: Es gibt sie nicht ausschließlich - , Schritt für Schritt zu überwinden. Es war richtig, dass der Finanzminister gestern darauf hingewiesen hat, dass es diese Regierung, diese Koalition gewesen ist, die mit ihrer Steuerpolitik dafür gesorgt hat, dass - jedenfalls potenziell - mehr Konsummöglichkeiten vorhanden sind. Es werden 56 Milliarden Euro mehr für die Unternehmer und die Konsumenten zur Verfügung stehen, wenn die letzte Stufe der Steuerreform zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Das ist doch kein Pappenstiel, meine Damen und Herren, das ist eine Chance, die Wirtschaft nach vorn zu bringen. Diese Tatsache muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Über die ökonomisch vernünftige, aber auch sozial gerechte Ausgewogenheit dieses Steuerprogramms muss sich doch niemand, aber auch wirklich niemand Gedanken machen. Diese Koalition ist es gewesen, die den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent zu Ihrer Zeit auf 15 Prozent - ab 1. Januar 2005 - gesenkt hat. Wir sind es gewesen - ich weiß, dass wir dafür von den Gewerkschaften und gelegentlich auch aus den eigenen Reihen stark kritisiert wurden - , die den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent - ab 1. Januar 2005 - gesenkt haben. Unsere Steuerquote gehört zu den niedrigsten in Europa. Ich halte das für richtig. Aber wenn es richtig ist, dann muss man auch darüber reden und darf nicht das Gegenteil davon fordern. Wir haben dafür gesorgt, dass die Rentenbeiträge, die in Gefahr waren, auf über 21 Prozent zu steigen, bei 19,5 Prozent festgeschrieben werden konnten. Natürlich hat das schmerzhafte Einschnitte erfordert; das ist doch gar keine Frage. Natürlich hat das auch dazu geführt, dass Belastungen unvermeidlich gewesen sind. Diese Belastungen haben es uns im abgelaufenen Jahr politisch nicht einfach gemacht. Wir haben das aber durchgesetzt, weil es für die Zukunft Deutschlands notwendig ist und weil es patriotisch ist, das Land voranzubringen und es auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Wir sind es doch gewesen - Walter Riester, mit dessen Namen diese Reform verbunden ist, sitzt ja dort -- ja, meine Damen und Herren, auch nach jahrzehntelangem Gezerre war niemand dazu in der Lage - , die neben der Umlagefinanzierung - die zwar wichtig bleibt, die die Finanzierung aber angesichts unterschiedlicher und differenzierter Erwerbsbiografien in Schwierigkeiten bringt - das System der Kapitaldeckung aufgebaut haben. Mehr als 4 Millionen Privatpersonen haben bisher davon Gebrauch gemacht. Mehr als 50 Prozent der aktiv Beschäftigten bekommen Betriebsrenten. Das sind Erfolge, die man nicht kleinreden darf; man muss sie deutlich machen. Wir sind es doch gewesen, die die beklagenswerte Tatsache, dass die Menschen in der Vergangenheit zu früh in Rente geschickt worden sind - woran wir alle beteiligt waren - , geändert haben. Wir haben deutlich gemacht, dass wir das wollen - weil wir die Älteren unter uns aus materiellen Gründen, um der Menschen selbst willen länger in Beschäftigung halten müssen, als es jemals zuvor der Fall gewesen ist. Es macht wenig Sinn, über die Altersgrenze bei der Rente unter nominalen Gesichtspunkten zu reden. Nominal liegt sie bei 65 Jahren; das wissen wir alle. Real liegt diese Grenze aber bei 60 Jahren. Wenn wir es schaffen, die reale der nominalen Grenze um ein paar Jahre anzunähern, dann haben wir, was die Nachhaltigkeit des Rentensystems angeht, Erhebliches geleistet. Damit sollten wir uns in unseren Debatten beschäftigen. Nun zur Gesundheitspolitik. Ich finde, dass die Maßnahmen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wirklich ein Erfolg sind. Wir werden, was die Aspekte Transparenz und Markt angeht, zum Beispiel bei den Apotheken aktiv werden. Dazu wird die FDP sicherlich noch etwas sagen. Wir wären gerne etwas weiter gegangen, was die Marktorientierung der Leistungserbringer angeht, die - das glauben jedenfalls Sie - im Wesentlichen Ihre Klientel ist und die Sie deshalb immer vor dem Markt zu schützen bereit sind; das ist ja das Problem, das wir haben. Dieses Thema haben wir angepackt und unsere Maßnahmen wirken. Im ersten Halbjahr 2003 hatten die Kassen ein Defizit von 2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2004 war von einem Überschuss in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro die Rede. Dieser Turnaround hat also eine Größenordnung von 4,5 Milliarden Euro. Das würde sich manches Unternehmen wünschen. Ich finde, dass die Gesundheitspolitik von Frau Schmidt erfolgreich ist. Sie ist standhaft geblieben und hat sie gegenüber den Interessengruppen durchgesetzt. Ich jedenfalls bin ihr dafür sehr dankbar. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben den Menschen sagen müssen, dass wir eine neue Balance zwischen der solidarischen Absicherung bei Krankengeld und Zahnersatz und der Eigenvorsorge brauchen. Wir werden auch das durchsetzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das wieder zu Unmut führen wird - darauf werde ich auch bei einem anderen Thema noch zu sprechen kommen - , aber vor diesem Unmut darf man nicht weglaufen. Man muss geduldig erklären, warum diese Maßnahmen im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind und warum wir das, was wir machen, machen müssen. Wir müssen das tun, auch wenn es für diejenigen, die betroffen sind, manchmal bitter ist. Auch in der Arbeitsmarktpolitik gab es jahrelang Diskussionen. Aber diese Koalition ist es doch gewesen, die mit Hartz IV und den anderen Arbeitsmarktreformen für mehr Flexibilität gesorgt hat, was sie auch weiterhin tun wird. Diese Regierung sagt: Diejenigen, die heute Sozialhilfe bekommen, aber arbeitsfähig sind, erhalten das Arbeitslosengeld II - nicht nur, weil sie dadurch versorgt sind, sondern auch, weil sie nur dann die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen und in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Das ist der Zusammenhang. Wir wollen niemanden in ein anderes Versorgungssystem verschieben, sondern wir wollen durch diese Reform dafür sorgen, dass diejenigen, die arbeitsfähig sind, Arbeit bekommen und die Arbeit, die zumutbar ist, auch annehmen müssen. Darum geht es uns. Eines ist klar: Wir werden noch harte Diskussionen über diese Reform, die Millionen von Menschen betrifft, durchzustehen haben. Das sage ich insbesondere denjenigen, die sich nicht in die Büsche schlagen können: meiner eigenen Fraktion und der Koalition. Natürlich wird das nicht einfach werden, es steht noch bevor, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir das leisten können - weil wir es leisten müssen. Die Einsicht, dass Reformen notwendig sind, wächst. Die Kluft, die bei Reformmaßnahmen in doppelter Hinsicht besteht, beginnt sich zu schließen: die Kluft zwischen der abstrakten Bereitschaft, Veränderungen mit zu tragen, und der abnehmenden Bereitschaft, wenn es konkret wird, wenn man selber betroffen ist; die Kluft auch zwischen den manchmal schmerzhaften Entscheidungen, die jetzt sein müssen, und den Erfolgen, die erst später eintreten werden. Diese Kluft schließt sich. Das ist der Grund dafür, dass die Menschen in Deutschland beginnen, den Reformprozess auch dort, wo er konkret wird und wo sie selber betroffen sind, nachhaltig zu unterstützen. Das ist eine Perspektive, die Mut macht, auf diesem notwendigen Weg weiter voranzugehen. Ich kann mir natürlich nicht verkneifen, insoweit auch einmal darauf einzugehen, was von der anderen Seite des Hauses zu erwarten ist, und zwar in punkto Steuern und in punkto Gesundheit. Wir haben ja eine Idee geschildert bekommen, die die Menschen in weiten Bereichen durchaus fasziniert hat, eine Idee, die mit dem Namen von Herrn Merz verbunden ist: die Steuererklärung gleichsam auf einem Bierdeckel aufschreiben zu können. Ich finde, die Frage der Vereinfachung hat natürlich etwas Faszinierendes in einem komplexen System, das für viele schwer durchschaubar ist und häufig nur noch von Experten wirklich in vollem Umfang durchschaut wird. Diese Idee ist natürlich faszinierend. Aber was ist aus der Idee - ich unterstelle ihm durchaus, dass er das ernsthaft verfolgt hat - geworden? - Ist ja gut, das zu hören. Ich will doch einmal feststellen, dass in dem Gezerre um das andere Thema das, was Sie sich vorgestellt haben, Herr Merz, zerredet und wegverhandelt worden ist. Anders ausgedrückt: Man hat Ihnen die Bierdeckel, die Sie gebraucht hätten, schlicht weggenommen. Das ist das Problem, unabhängig von der Frage, ob das wirklich geht. An die Stelle des Konzeptes "Bierdeckel" ist der Abgang von Herrn Merz getreten. Es geht bei der Union noch weiter: Da haben Sie eine gewaltige Gesundheitsreform groß angekündigt. Was ist daraus geworden? Sie haben wirklich ein bürokratisches Monstrum zustande gebracht, wie man es schlechter kaum machen kann! Ich will Ihnen gar keine darüber hinausgehende eigene Bewertung zumuten, sondern nur sagen, was der Sachverständigenrat zu Ihrem Modell gesagt hat; darin sitzt ja einer der Erfinder der von Ihnen vertretenen Grundidee - die ich im Übrigen für falsch halte - : Insgesamt werden die Nachteile des gegenwärtigen Systems kaum beseitigt und die Vorteile eines Pauschalbeitragssystems kommen kaum zur Geltung. Das System wird äußerst kompliziert und noch undurchsichtiger als das gegenwärtige. Kurzum: Dieses Modell ist ein Kompromiss, von dessen Umsetzung abzuraten ist. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Wenn man vor diesem Hintergrund die Regierungsfähigkeit der Opposition prüft, dann kann man nur sagen: Sie haben in beiden Bereichen bewiesen, dass Sie konzeptionell zu nichts in der Lage sind. Sie haben aber nachhaltig bewiesen, dass Sie in der Lage sind, Ihre besten Leute gehen zu lassen. Das ist das eigentliche Problem, das die Opposition hat. Was die Innenpolitik angeht, noch ein paar Bemerkungen zur aktuellen Diskussion um die Integration. Ich warne vor einem: davor, die Debatte über die Frage - ich komme darauf noch zurück - , ob man Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - denn nur um die geht es ja - aufnehmen soll, mit der Integrationsdebatte im Inneren unseres Landes zu verquicken. Ich warne davor, weil das in keinem Fall im deutschen Interesse sein kann: nicht was die Friedlichkeit im Inneren unserer Gesellschaft angeht und schon gar nicht, was die deutschen außerpolitischen Interessen angeht. Also lassen Sie uns das trennen. Vor diesem Hintergrund noch ein paar Bemerkungen, die das unterstützen, was der Parteivorsitzende der SPD neulich den Mitgliedern meiner Partei geschrieben hat: Worum geht es dabei? Es geht dabei zunächst einmal darum, deutlich zu machen, dass wir, von Ausnahmen abgesehen, die wir alle kennen, bei der Integration jener fast 3 Millionen Türken, die bei uns leben, im Grunde mehr Glück als Pech gehabt haben. Es geht auch darum, einmal festzustellen, dass sich die große Masse unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger - welcher Nationalität auch immer - zwar nicht in jeder Frage so verhält, wie wir uns das vielleicht im Einzelnen wünschen - das ist aber nicht das Pro-blem - , dass sie sich aber gesetzestreu verhält und sich an die Leitlinien unserer Verfassung hält. Das ist das, was wir verlangen müssen und verlangen sollten, aber auch nur verlangen dürfen. Jenseits dessen geht es um Respekt davor, wie wir hier leben - das ist gar keine Frage - , aber auch um Respekt vor dem, was andere Kulturen zu einem Leben in einer Gesellschaft wie der unseren beizutragen haben. Ich denke, wir sollten unsere Integrationsbemühungen immer auch mit dem Hinweis darauf verbinden, dass wir, von ärgerlichen Erscheinungen abgesehen - ich sage es noch einmal - , bezogen auf die bisherigen Integrationsleistungen im Großen und Ganzen zwar noch nicht zufrieden, aber doch froh darüber sein können, dass es in Deutschland nicht zu Eruptionen wie in bestimmten Vorstädten in manchen anderen großen Gesellschaften gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das beibehalten müssen. Jenseits dessen sollten wir klar machen - das kann man durchaus auch einmal selbstkritisch sagen - , dass es wahrscheinlich ein Fehler gewesen ist, nicht sehr viel früher darauf hinzuweisen - Sie haben das ja auch nicht getan - , dass die wichtigste Voraussetzung für die Integration in eine Gesellschaft, in die man hineingeht, die Sprache ist. Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dass die Sprache gelernt werden muss. Das sollten wir als Gesellschaft auch abverlangen. Interessant ist nun, dass wir das mit dem von der Union lange bekämpften Zuwanderungsrecht zum ersten Mal tun. Ich glaube, wir müssen dieses modernste aller Zuwanderungsrechte, die es in Europa und weit darüber hinaus gibt, jetzt offensiv nutzen. Das gilt für die Regelungen zur Sprache in ganz besonderer Weise. Es geht bei dieser Frage immer um eine vernünftige Balance zwischen dem, was wir von anderen Kulturen lernen können, und dem, was wir vor dem Hintergrund der Werte unserer Verfassung abverlangen können und müssen. Für jede Art innen- oder außenpolitischen Kreuzzug eignet sich dieses Thema zuallerletzt. Sie haben nun angekündigt, Sie wollten eine Wertedebatte führen. Gerne! Ich habe mir einmal die Erörterungen auf dem CSU-Parteitag in Bayern angeschaut. Das war wahrlich keine reine Freude. Ich gebe aber zu, dass das auf allen Parteitagen so ist. Dort ist ein ganz interessanter Versuch gemacht worden, über den wir, da bin ich mir ziemlich sicher, auch in Bezug auf die Entscheidungen für 2006 sehr intensiv miteinander diskutieren werden. Es wurde versucht, eine neue Dimension in der Wertediskussion zu erreichen. Wenn man sich die Reden angehört hat, in denen Konsequenzen formuliert wurden, die angeblich oder tatsächlich aus bestimmten Menschenbildern folgen, und diese mit den Beschlüssen des Parteitages, bei denen es um die harte Wirklichkeit ging, vergleicht, dann stellt man fest, dass - das sage ich Ihnen voraus - , diese Wertedebatte sehr interessant wird. Sie reden abstrakt über Solidarität und über die Würde des Menschen - damit meinen Sie ja wohl auch die arbeitenden Menschen - , wenn es dann aber konkret wird, reden Sie über die Abschaffung des Kündigungsschutzes und über die Abschaffung der Mitbestimmung. Diese Art einer verqueren und unehrlichen Wertedebatte werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich sage Ihnen: Zu dieser Diskussion werden wir die bei Ihnen auftauchenden Differenzen zwischen den Werten im Himmel einerseits und der brutalen Wirklichkeit auf der Erde andererseits genau abklopfen. Das wird eine sehr interessante Debatte werden, damit wir uns da völlig richtig verstehen. Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur anderen Seite dessen machen, was wir als Reformpolitik für dieses Land vorschlagen und zu großen Teilen durchgesetzt haben. Es geht nicht nur darum, die sozialen Sicherungssysteme, die wir Gott sei Dank in Deutschland und in Europa haben, hier und in Europa zu erhalten und zukunftsfest zu machen. Nein, es geht zugleich darum, Ressourcen für wichtigste Zukunftsaufgaben freizusetzen, die wir, so glaube ich, miteinander teilen. Es geht um Forschung und Entwicklung. Wir haben die Ausgaben in diesem Bereich seit 1998 um mehr als ein Drittel steigern können. Das ist nicht wenig, aber das ist auch nicht genug; das gebe ich zu. Zurzeit liegen die Ausgaben bei 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist mehr, als die anderen großen europäischen Länder bereitstellen, aber weniger als in den skandinavischen Ländern. Wir müssen in dieser Dekade auf 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes kommen und das wollen wir auch. Es gibt einen Weg, wie wir das schaffen können. Deswegen mein Appell: Blockieren Sie diesen Weg nicht länger! Wir müssen die rückwärtsgewandte Eigenheimzulage abschaffen, damit wir diese Mittel in Forschung, Entwicklung und Bildung investieren können. Bis 2010 sind das 15 Milliarden Euro. Wie denn sonst, wenn nicht auf diese Weise, sollen wir das schaffen? Wir müssen in Betreuung von Kindern investieren, und zwar nicht nur um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zu realisieren, auch wenn das allemal ein wichtiges Ziel ist. Vielmehr müssen wir auch dafür sorgen, dass die Kreativität und die Leistungsbereitschaft von Frauen ökonomisch genutzt werden können. Ich sage es noch einmal: Wer glaubt, Fehler in diesem Bereich allein durch Zuwanderung ausgleichen zu können und so für die in der Wirtschaft fehlenden Arbeitskräfte zu sorgen, irrt, weil das die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft bei weitem übersteigen würde. Das brauchen wir auch, aber nicht nur. Deswegen halte ich es für außerordentlich wichtig, dass das, was wir gegenwärtig vorbereiten, von den Kommunen umgesetzt wird, nämlich dass die 1,5 Milliarden Euro von den 2,5 Milliarden Euro, die wir den Kommunen im Zuge der Hartz-IV-Reformen zur Verfügung stellen, wirklich für die Betreuung der unter Dreijährigen eingesetzt werden. Das ist wichtig. Polemik gegen den Bund, der in dieser Legislaturperiode für die Betreuung in den Schulen 4 Milliarden Euro lockermacht, aber dafür angeblich nicht zuständig ist, nutzt doch überhaupt nichts. Stattdessen sollte das Geld sinnvoll investiert werden. Darum geht es, und das wäre besser, als hier Polemik zu betreiben. Ich finde, die Debatten über die Frage, welchen Wert Ausbildung für die jungen Menschen hat, haben genutzt. Der Ausbildungspakt, den wir geschlossen haben, beginnt zu greifen, auch wenn er noch nicht idealtypisch ist; das ist gar keine Frage. Aber die Zahl der in den Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze steigt. Das ist ein großer Erfolg, den wir miteinander erzielt haben, womit ich unsere Seite dieses Hauses zusammen mit der Wirtschaft meine. Wenn wir klar machen, dass all das, was wir den Menschen in Deutschland an schmerzlichen Entscheidungen und Zumutungen auferlegen müssen, damit verbunden ist, dass wir Zukunftsfähigkeit durch Investitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Bildung und Betreuung schaffen müssen und wollen, dann werden sich - da bin ich sicher - die Bewusstseinslagen für die Notwendigkeit von Reformprozessen in immer noch reichen Gesellschaften weiter positiv verändern. Davon bin ich überzeugt. Zu dieser Generaldebatte möchte ich auch ein paar Bemerkungen zur internationalen Politik machen. Es ist wahrlich kein leichtes internationales Umfeld, in dem wir unsere Position zu finden und zu behaupten haben. Ich stimme all denjenigen zu, die sagen - deswegen hat es von uns darüber kein einziges Wort gegeben - , es sei Sache des amerikanischen Volkes, seinen Präsidenten zu wählen. Ich habe immer hinzugefügt: Wir werden mit jedem, der dort gewählt wird, gut zusammenarbeiten. Das gilt ausdrücklich auch für den wiedergewählten amerikanischen Präsidenten. Die Diskussionen auf allen Ebenen über diese Zusammenarbeit laufen besser, als Sie sich das vorstellen können. Das werden Sie auch erleben. Es geht dabei um einige Entwicklungen in der internationalen Politik, die noch in diesem, erst recht aber im kommenden Jahr auf uns zukommen werden. Die werden nicht unerheblich sein. Wir sind im Irak noch nicht so weit, dass man auch nur in Ansätzen von einer friedlichen Entwicklung reden könnte. Trotzdem hoffen wir auf die Wahlen und wir unterstützen alles - der Außenminister hat das gerade auf der Konferenz in Scharm al-Scheich getan - , damit die Wahlen im Januar des nächsten Jahres stattfinden können. Das wäre doch wichtig. Wir sind daran interessiert - unabhängig von der Frage, wie wir zum Krieg standen, und unabhängig von der Frage, wie wir zum Einsatz deutscher Soldaten stehen - , dass es eine vernünftige, friedliche Entwicklung im Irak gibt. Wir tun auch etwas dafür, aber eben nicht mit Soldaten. Ich habe festzustellen - ich habe das in der letzten außenpolitischen Rede von Herrn Schäuble schon gemerkt; jetzt ist es auch wieder bei Herrn Glos deutlich geworden - , dass wir uns unterscheiden: Sie wollen, dass deutsche Soldaten in den Irak kommen, zwar nur in Stäben, aber in den Irak, und wir wollen das nicht. Darüber werden wir eine faire Auseinandersetzung führen. Ich scheue sie nicht. Ich weiß, warum wir Nein gesagt haben und warum wir das in aller Fairness und Offenheit unseren Partnern vermittelt haben. Ich habe in diesen Fragen immer wieder darauf hingewiesen - dabei bleibe ich auch - , dass niemand Deutschlands Beitrag zur friedlichen Entwicklung in der Welt gering schätzen sollte. Wir sind diejenigen, ohne die die Wahlen in Afghanistan nicht so hätten ablaufen können, wie sie abgelaufen sind. Ich sage das sehr selbstbewusst, ohne jeden Anflug von Überheblichkeit. Ohne uns, ohne unsere Bundeswehr wäre das nicht so gelaufen. Das weiß man in Amerika und anderswo. Ohne uns, ohne unsere 4 000 Soldaten auf dem Balkan, hätten wir dort Konflikte ganz anderer Art. Deshalb bin ich stolz auf diejenigen, die das dort leisten, auf die Soldaten der Bundeswehr. Im Übrigen hoffe ich, dass anerkannt wird - von unseren Partnern wird das auch anerkannt - , was wir tun. Wir waren die Ersten, die in den Emiraten angefangen haben, und zwar erfolgreich, irakische Polizei und irakisches Militär auszubilden. Wenn Sie nicht nur die Berichte der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch die der anderen lesen, werden Sie merken, dass diese Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten für einen friedlichen, einen sicheren Irak von höchster Qualität ist und in der internationalen Staatengemeinschaft in höchstem Maß anerkannt wird. Darauf können wir mit Fug und Recht stolz sein. Darauf können wir verweisen und wir sollten es tun. Wir sind es doch gewesen, die dem Drängen nachgegeben und gesagt haben: Müssen wir nicht einem potenziell wohlhabenden Land wie dem Irak, das seinen Ölreichtum aber auf absehbare Zeit nur schwer wird nutzen können, dadurch helfen, dass wir Schulden stunden bzw. erlassen, schlicht deshalb, damit das Geld, das erlassen ist, nicht für Zahlungen an Gläubiger verbraucht werden muss, sondern für den Wiederaufbau des Landes verwendet werden kann? Im Grunde gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder man macht es auf diese Weise oder die internationale Staatengemeinschaft zahlt auf Geberkonferenzen Beiträge, die sie zusagt. Wir haben das zusammen mit unseren Partnern in der Welt, mit den Amerikanern, mit den Franzosen, mit den Briten, mit den Russen im Pariser Club getan. Ich glaube, das ist ein Beitrag, den wir deutlich machen sollten, ein Beitrag, der dem Wiederaufbau eines friedlichen Irak dient und der von Deutschland im Rahmen seiner Möglichkeiten geleistet worden ist. Ich hoffe und erwarte auch, dass wir jetzt in eine Phase kommen, in der im Nahen Osten jener Konflikt, der sehr häufig nicht Ursache für internationalen Terrorismus ist, diesem aber viel Zulauf ermöglicht, gelöst werden kann. Ich meine den Konflikt zwischen Palästina und Israel. Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass es jetzt auf der palästinensischen Seite Hoffnung gibt. Ich hoffe, dass dies auch auf der israelischen Seite der Fall ist; auch dafür gibt es Signale. Vor allen Dingen gibt es Signale vom amerikanischen Präsidenten, dass man sich dieses Themas intensiv annehmen will. Ohne die Amerikaner wird es nicht gehen. Das Quartett ist wichtig. Das gilt auch für die anderen in diesem Quartett: die Europäer, die Russen und die Vereinten Nationen; aber ohne einen entschiedenen Beitrag der Vereinigten Staaten von Amerika wird der israelisch-palästinensische Konflikt nicht zu lösen sein. Deswegen können wir alle nur hoffen, dass es gelingt, die neue amerikanische Administration, die die alte ist, dazu zu bewegen, diesen Konflikt als ein zentrales Aufgabenfeld anzunehmen. Denn nur sie kann es leisten; andere können es nicht alleine schaffen. In dem Maße, wie dies geschieht, werden wir es nach meiner Überzeugung schaffen, den Zulauf verarmter und auch fehlgeleiteter Massen zu Terroristen zu unterbinden. Der Konflikt, der bisher nicht gelöst werden konnte, bietet Terroristen immer wieder Möglichkeiten, ihn zu nutzen. Deswegen ist die Lösung dieses Konflikts so außerordentlich wichtig. Ich bin außerordentlich dankbar und halte es für eine sehr große Leistung nicht zuletzt unseres eigenen Außenministers, dass es im Verein mit den Franzosen und den Briten gelungen ist - jedenfalls sieht es so aus - , den Konflikt über den Iran, der sich abzeichnete, zu deeskalieren und dafür zu sorgen, dass die Iraner aus freien Stücken den Brennstoffkreislauf nicht schließen. Die Europäer haben auch mit Angeboten einer entwickelten Zusammenarbeit dafür gesorgt, dass in dieser so gebeutelten Region kein neuer Krisenherd entsteht. Lassen Sie mich - damit das nicht falsch aufgefasst wird - etwas dazu anmerken, was ich an unserem Verhältnis zu Russland für wichtig halte. Ich habe die Äußerungen von Herrn Schäuble in Moskau zu diesem Thema zur Kenntnis genommen. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass in diesem Hause bis auf Einzelheiten, die Sie kritisiert haben - ich habe das verfolgen können - , möglicherweise Übereinstimmung darüber besteht, dass wir gut daran tun, geduldig eine strategische Partnerschaft zwischen der EU - das bedeutet allemal, wenn nicht sogar zuallererst Deutschland - und der Russischen Föderation aufzubauen. Ich glaube, es muss nicht nur aus ökonomischen Gründen und längst nicht nur aus energiepolitischen Gründen nicht zuletzt in dem Jahr, in dem der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begangen wird, deutlich gemacht werden, dass es notwendig ist und in unserem ureigensten Interesse liegt, eine solche Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und Europa bzw. zwischen Russland und Deutschland zuwege zu bringen. Es ist viel von den tatsächlichen oder vermeintlichen freundschaftlichen Beziehungen die Rede. Es sind tatsächlich freundschaftliche Beziehungen. Ich bin erstens fest davon überzeugt, dass der russische Präsident Russland zu einer Demokratie entwickeln will und dass er das aus innerer Überzeugung tut. - Das können Sie zwar anzweifeln, aber es ist meine Überzeugung. - Mit dem Begriff "lupenrein" ist das so eine Sache. Wer ist das schon außer Ihnen? Da wäre ich etwas zurückhaltend. Er ist nach meiner Auffassung fest davon überzeugt, dass dies die Perspektive für sein Land ist, für ein gewiss nicht einfach zu regierendes Land, das im Übrigen - wenn Sie sich die Landkarte vor Augen führen - in den letzten Jahren bzw. im letzten Jahrzehnt nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen hat, etwas für die Partnerschaft mit dem Westen zu tun. Ich denke dabei an die Partnerschaften, die wir in der NATO mit Russland eingegangen sind und die auch - weil sie richtig waren - akzeptiert worden sind. Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass er und ich das gemeinsame Ziel haben, das, was im letzten Jahrhundert geschehen ist, den Blutzoll, der wegen einer verkehrten Politik und wegen der Aggression, die von Deutschland ausgegangen ist, von beiden Völkern gefordert wurde, ein für allemal zu beenden und es zu schaffen, durch eine so strategisch gemeinte Beziehung dauerhaft den Frieden zwischen Deutschland und Russland zu sichern. Das ist meine Vision, von der ich nicht abgehen und die ich weiter strikt verfolgen werde. Das heißt doch nicht - das sei nicht nur deshalb gesagt, weil Michael Glos es erwartet - , dass man nicht in aller Deutlichkeit kritisieren könnte und müsste, was in der Ukraine passiert ist. Ich habe doch nichts abzustreichen von dem, was die OSZE-Beobachter mitgeteilt haben, wonach es zu massiven Wahlfälschungen gekommen ist. Dass die Europäische Union genauso wie der Bundesaußenminister für die Bundesregierung deswegen in aller Deutlichkeit reagiert hat, kann ich gern unterstreichen. Das hat er auch in meinem Namen getan. Damit habe ich nicht das geringste Problem. Lassen Sie uns dabei mithelfen, dass die dort ohne unser Zutun entstandene Situation - wo die Demokraten stehen, kann ja nicht zweifelhaft sein - nicht außer Kontrolle gerät. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten gern meinen Beitrag dazu leisten, dass die Situation friedlich gelöst wird und dass all diejenigen, die daran ein Interesse haben, unterstützt werden. Das ist für mich gar keine Frage. Aber bei aller Klarheit in der Kritik an Wahltäuschungen und Wahlmanipulationen haben wir alle ein Interesse daran, dass die Situation nicht gewaltsam eskaliert. Neben der Kritik an den dortigen Vorgängen muss das jetzt auch ein Teil unserer Aufgabe sein. Dr. Wolfgang Schäuble ( CDU / CSU ) : Ich frage Sie, ob, in Bezug auf die Ukraine die von uns gemeinsam für richtig gehaltene Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation sich jetzt nicht darin bewähren könnte, dass man gemeinsam mit der Russischen Föderation für eine Achtung der Prinzipien einer demokratischen Wahl eintritt. Ich glaube, darin besteht eine Chance, die Ukraine zu stabilisieren und es nicht zu einer neuen Konfrontation im Ringen um Einflusssphären zwischen West und Ost kommen zu lassen. Wenn Präsident Putin, wie Sie sagen, ein überzeugter Demokrat ist, sollte er von Ihnen gewonnen werden können, für die Einhaltung demokratischer Grundsätze in der Ukraine einzutreten. Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Ich finde, dass die Bemerkungen und die Feststellungen, die in Ihrer Frage liegen, erstens richtig sind und zweitens verfolgt werden müssen und auch verfolgt werden; dessen können Sie sicher sein. Die Antwort auf die Frage, ob das zu dem Ergebnis führen wird, das Sie wie ich gern hätten, bleibt offen. Sie haben interessanterweise etwas angesprochen, was vielleicht in der außenpolitischen Debatte noch einmal zum Ausdruck kommen wird: Es geht hier nicht nur um die Ukraine, sondern auch um Einflusssphären. Ich gehöre zu denjenigen, die immer sagen würden: Wenn Einfluss dauerhaft sein soll - dass aus realpolitischen Gegebenheiten darum gekämpft wird, kann man kaum vermeiden - , kann er nur gegründet werden auf diejenigen, die auf dem richtigen Weg sind, nicht auf diejenigen, die offenkundig auf dem falschen Weg sind. Da bin ich ganz bei Ihnen. Meine Damen und Herren, ich möchte ein paar abschließende Bemerkungen zu den europäischen Fragen machen. Die zentrale Frage ist: Wie gehen wir mit der EU-Verfassung um? Ich bin froh darüber, dass es im Gegensatz zu anderen Ländern in diesem Haus, von geringen Ausnahmen abgesehen, über die Notwendigkeit, den Verfassungsprozess auch in Deutschland zu einem guten und schnellen Ende zu bringen, keine unterschiedlichen Meinungen gibt. Ich kenne die Debatten über plebiszitäre Instrumente. Wir werden über die europäische Verfassung vermutlich im parlamentarischen Verfahren hier wie im Bundesrat beraten und beschließen und sollten auch so verfahren. Es wäre gut, wenn Deutschland schon früh im nächsten Jahr sagen könnte: Wir gehören zu den Ersten, die im Einklang mit unserer Integrationspolitik, die von allen getragen wird, die Verfassung ratifiziert haben. Sie haben sich wiederum kritisch zur Erweiterung der EU geäußert, Herr Glos. Ich nehme an - das wäre keine Überraschung - , dass Frau Merkel das auch tun wird. Ich will nur noch einmal klar meine Meinung sagen. Die Türkei braucht eine Perspektive, nicht nur weil wir 40 Jahre gesagt haben, dass wir ihr eine eröffnen werden, wenn die Kopenhagen-Kriterien erfüllt sind - das ist sicherlich wichtig - , sondern auch weil es um unsere ureigenen Interessen - ökonomische sowie politische - geht. Schauen Sie sich die Lage in der dortigen Region an! Ich habe über den Iran geredet. Ich hätte auch über den südlichen Kaukasus reden können. Ich musste über den Irak reden. Niemand von uns weiß, wann der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist. Es gibt also Schwierigkeiten in dieser Region. Vor diesem Hintergrund ist es von ungeheuer großer Bedeutung für die nationalen Interessen Deutschlands, dafür zu sorgen, dass die Türkei ein prowestlich ausgerichteter Faktor der Stabilität wird und bleibt. Das ist der eigentliche Grund - machen Sie sich keine anderen Hoffnungen - , warum wir im Dezember dieses Jahres zusammen mit allen unseren Freunden aus Europa für die Aufnahme von Verhandlungen mit einer zehn- bis fünfzehnjährigen Perspektive streiten und da-rüber entscheiden werden. Lieber Herr Glos, machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler wie bei der letzten Erweiterungsrunde, als es um die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten ging. Auch damals haben Sie - längs der bayerischen Grenzen - vor Wanderungsbewegungen gewarnt. Wir haben dagegen mit vernünftig ausgestalteten Übergangsregelungen reagiert. Das war damals so und ist problemlos verlaufen und das wird wieder so sein. Machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler, die Menschen mit falschen Informationen und Prognosen auf die Bäume zu treiben. Ich denke, dass inzwischen jeder weiß, wie wichtig unser Verhältnis zu Frankreich ist und wie bedeutsam es ist, dass wir uns eng abstimmen, was gegen niemanden gerichtet ist. Häufig kommen noch andere Staaten hinzu, zum Beispiel Spanien und Großbritannien. Das wird auch angesichts eines Europas der 25 ein richtiges und vernünftiges Konzept sein. Sie sehen doch, dass die Bundesregierung, der Außenminister ebenso wie ich, sensibel mit dem Verhältnis Deutschlands zu Polen umgeht und gelegentlich die Sensibilität - ich füge hinzu: gegen Einzelne aus Ihren Reihen - verteidigen muss, was wir auch tun. Wir würden uns freuen, wenn Sie, die Opposition als Ganzes und insbesondere ihre Führung, gelegentlich mitmacht. Ich hatte meine Rede mit dem Hinweis auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrates begonnen. Dort ist die Rede von Erfolgen, die wir nicht nur nach außen haben, und von Herausforderungen, die wir im Innern haben. Herausforderungen sind sicherlich vorhanden und werden auch bestehen bleiben. Aber die rot-grüne Koalition ist die Konstellation - seien Sie sich dessen sicher - , die für die Erfolge nach außen, in der internationalen und insbesondere in der europäischen Politik, verantwortlich ist und die die einzige Kraft ist, die mit den Herausforderungen, die der Sachverständigenrat genannt hat, fertig werden kann. Das ist unsere Gewissheit. Das sollte der Kern der Debatte über unseren Haushalt sein. Vielen Dank.