Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 02.12.2004
Untertitel: Ansprache von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde des Landes Schleswig-Holstein an Siegfried Lenz am 2. Dezember 2004 in Lübeck
Anrede: Verehrter, lieber Siegfried Lenz! Verehrte, liebe Frau Lenz! Lieber Helmut Schmidt! Frau Ministerpräsidentin, liebe Heide! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/53/755053/multi.htm
Was soll ich dem, was in so wunderbarer Weise über Sie beide von ganz engen Freunden gesagt worden ist, hinzufügen? Das meisterhafte Werk hat der Verleger, haben Helmut Schmidt und die Ministerpräsidentin gewürdigt. Wegen dieser großen schriftstellerischen Kunst sind Sie zu Recht vielfach ausgezeichnet worden. Mit so herausragenden Literaturpreisen wie dem Thomas-Mann-Preis oder dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Das sind zwei Auszeichnungen, die von besonderem Rang sind und die die Anerkennung und Wertschätzung zum Ausdruck bringen, die Sie bei Kritikern, aber vor allen Dingen bei Ihren Lesern haben. Es gibt kaum Schriftsteller oder Dichter, die eine so treue und über die lange Jahre sie begleitende Leserschar haben wie Sie. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch das Land Schleswig-Holstein ist etwas Besonderes, weil eben nicht nur der Schriftsteller geehrt wird, dessen Sprachgewalt zu Recht gewürdigt wurde, sondern weil der Mensch und Staatsbürger Siegfried Lenz geehrt wird. Natürlich denken die meisten von uns beim Schriftsteller Siegfried Lenz an die "Deutschstunde". Ein wahrhaft großer Roman und immer wieder ein besonderes Lesevergnügen. Aber nicht nur das. Nicht erst in dieser Geschichte von Siggi Jepsen, die hier im Land zwischen den Meeren spielt, haben Sie sich intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihrer Aufarbeitung auseinander gesetzt. Und zwar so, dass viele Menschen, die durch wissenschaftliche Abhandlungen vielleicht gar nicht erreichbar sind, erreicht worden sind. Sie haben über die Verstrickung des Einzelnen in ein Unrechtsregime, in Schuld und Verfolgung geschrieben, über die Verrohung und Pervertierung menschlicher Verhaltensweisen in der Nazi-Diktatur. Das sind Motive, die Sie immer wieder aufgegriffen haben. Sie haben das in einer Sprache getan, die Junge und Alte gleichermaßen fesselt und fasziniert. Sie sagen es offen, direkt, verständlich, schnörkellos und deshalb so eindringlich und für viele nachvollziehbar. In Ihren Romanen und Erzählungen, lieber Siegfried Lenz, reflektieren Sie seit mehr als 50 Jahren stets zeitnah Entwicklungen unseres Landes. Sie sind in dieser Zeit gleichsam zu einem liebevoll-kritischen "Protokollanten" deutscher Geschichte geworden. Übrigens, wenn Sie so wollen, die andere Seite im Werk von Siegfried Lenz findet ebenfalls viel Zuspruch: Ich denke an diesen so typischen feinsinnigen, warmherzigen und augenzwinkernden Humor in den "Masurischen Geschichten", im "Geist der Mirabelle" oder in "So zärtlich war Suleyken". Jeder hat es hier heute wieder gemerkt, wie dieser typische und feinsinnige, beinahe zärtliche Humor auch meinem großen Vorgänger Helmut Schmidt so zu Eigen ist. Bei unseren Begegnungen hat mir das auch ganz besonders imponiert: Ihre Aufrichtigkeit und Ihre Menschlichkeit. Und nicht zu vergessen: Ihre Bescheidenheit. Das soll schon in der legendären "Gruppe 47" so gewesen sein. Sie haben sich auch dort nie in den Vordergrund gedrängt. Diese angenehme norddeutsche, man kann auch sagen: hanseatische, Unaufgeregtheit, diese dezente und noble Zurückhaltung, die uns Norddeutschen allen zu Eigen ist, wie wir wissen, hat Sie immer ausgezeichnet. Es ist schön, bei dieser kleinen Feierstunde dabei zu sein, denn - und auch das ist deutlich geworden - mit Ihnen wird ein Moralist ausgezeichnet. Aber einer, der Moralist ist, weil er an Prinzipien festhält, ohne wirklich zu moralisieren. Ein Humanist, der konsequent und kompromisslos für Toleranz, Solidarität, aber eben auch für Zivilcourage eingetreten ist und der ein ausgezeichneter politischer Botschafter unseres Landes ist, der sich schon früh eingemischt hat. Der die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt unterstützt hat, der Willy Brandt bei seinem Polen-Besuch 1970 begleitet hat und mit seiner Sprache und auf seine Art nach Kräften dazu beigetragen hat, Frieden und Aussöhnung in Europa zu ermöglichen. Also ein wirklich bedeutender Mann, dem ich herzlich zu dieser Ehrenbürgerwürde gratuliere und dem ich noch viele Jahre zusammen mit seiner Frau, ein gutes Schaffen und ein gutes Leben wünsche.