Redner(in): Christina Weiss
Datum: 05.12.2004

Untertitel: Bei der jährlichen Veranstaltung des Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins stellte Kulturstaatsministerin Weiss ihr Lieblingsbild der Berliner Gemäldegalerie vor.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/80/756680/multi.htm


hätte ich vor einem Jahr spontan "mein Lieblingsbild" benennen sollen, wäre mir als erstes wohl die Arbeit von Hanne Darboven eingefallen, der ich jeden Morgen meinen ersten - zumindest jedoch meinen zweiten - Blick schenke. Womöglich hätte ich aber auch Joseph Kosuths "It was it" gewählt, dessen Neonschrift mein Büro im Kanzleramt bescheint und jedem Besucher versichert, dass "die Angst vor dem Tod" nur ein "Denkfehler" ist. Als mich der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein allerdings bat, mein Lieblingsbild jenseits der Moderne in der Berliner Gemäldegalerie zu finden, ließ ich mich gern auch auf dieses Werben ein: Immer wieder einmal flüchtete ich aus meinem prall gefüllten Terminkalenderleben in dieses wundervolle Haus, um hier zu finden, was ich auch an modernen Werken so schätze: neben der künstlerischen Meisterschaft ist das vor allem die Güte, vielseitig zu sein, sich offen zu halten für Interpretationen. Mein Lieblingsbild muss dem Betrachter mehr bieten als ein Sujet auf den ersten Blick. Es muss den Gedanken und Assoziationen Spielraum geben, sie anregen, sie entführen geradezu. Ein Bild darf viele Möglichkeiten der Be-Deutung bieten, die sich immer wieder neu auffüllen, sich an gelebten, gesehen und gelesenen Erfahrungen neu aufladen. Mein Lieblingsbild muss von jener Polysemie sein, die Umberto Eco 1962 für ein "offenes Kunstwerk" beschrieb. Es muss so sein wie Bernardo Strozzis "Salome" ! Meine Damen und Herren, bitte erlauben Sie mir, dass ich mich an dieser Stelle kurz, aber herzlich bedanke: bei Ihnen, sehr verehrter Herr Professor Lindemann, bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - vor allem aber beim Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, dem dieses wundervolle Bild gehört. Sie haben es gemeinsam trotz mancher - durchaus verständlicher - Bedenken möglich gemacht, dieses einmalige und einmalig schöne Kunstwerk hier in der Wandelhalle zu präsentieren. Damit ehren Sie nicht nur mich: Sie ehren vor allem Ihre Gäste, und ich danke Ihnen auch in deren Namen herzlich! Mein Lieblingsbild, sehr verehrte Damen und Herren, muss offen sein, sagte ich - ein Meisterwerk voll Polysemie. Wie Sie sich vorstellen können, fand ich unter diesen Voraussetzungen in der Gemäldegalerie eine ganze Reihe von "Lieblingsbildern" : Rubens heilige Cäcilie etwa - oder Vermeers Dame mit dem Perlenhalsband. Aber auch Mantegnas Maria mit schlafendem Kind und das Selbstbildnis der Anna Dorothea Therbusch hätte ich Ihnen heute gern vorgestellt. Dass die Wahl zwischen all diesen "Frauenbildern" letztlich doch auf Strozzis "Salome" fiel, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Vieldeutigkeit bei diesem Gemälde bis in die Bezeichnung verfolgen lässt, galt die "Salome" doch bis vor Kurzem noch als "Judith". Das Doppelleben als "Salome" und / oder "Judith" erlaubt mir außerdem, Ihnen mein "Lieblingsbild" unter dem Thema "Männer mordende Frauen" vorzustellen. Ich lade Sie also ein, sich mit ein paar archetypischen Mörderinnen bekannt zu machen, die uns vom Trojanischen Krieg über die Heilige Schrift bis zu Heinrich von Kleist und Oscar Wilde begleiten werden. Ausgangspunkt und Ziel dieser Reise bleibt Bernardo Strozzi. Judith oder Salome - mit welchem Mord soll ich beginnen? Bernardo Strozzi hat es dem heutigen Betrachter schwer gemacht, sich zu entscheiden. Und auch der Kunstfreund des frühen 17. Jahrhunderts hatte womöglich Probleme bei der Entschlüsselung dieses Gemäldes. Zumindest blieb das Berliner Bild in dem rund 550 Gemälde fassenden, an Wiederholungen reichen Oeuvre des 1581 geborenen Malers ein Einzelstück. Ein Einzelstück jedoch, dass es in sich hat: Strozzi, der wie Caravaggio und Frans Hals, wie Velázquez und Rubens malen konnte, zeigt sich in diesem Bild nicht nur als großer, eigenständiger Meister der Lichtführung und der Stofflichkeit, als ein Maler, der mit schnellem Strich so sehr begeistern konnte wie mit detailreichem Naturalismus. Strozzis Idee, die zur Entstehungszeit der "Salome" bereits perforierte Membran zwischen der Ikonographie der jüdischen Heldin Judith und der des Opfertods Johannes' aufzulösen, war 1630 - wenn nicht gerade revolutionär - so doch äußerst spitzfindig. Sie verlangt vom Betrachter neben einer guten Beobachtungsgabe vor allem einen geübten Umgang mit der Bildtradition sowie die Kenntnis des zeitgenössischen Diskurses zum Thema "Femmes Fortes". Doch zuerst: was sehen wir?! Zwei Frauen - in Kleidung wie Malweise deutlich als Herrin und Dienerin zu unterscheiden - sinnieren im Anblick eines abgetrennten Männerkopfes. Der Kopf liegt - wie von einem Spot-Light beleuchtet - auf einem kostbaren Teller. Während die Magd im Hintergrund das Opfer melancholisch zu betrauern scheint, agiert die Hauptfigur verwirrend: In einer manierierten Körperhaltung - halb stehend, halb nach hinten gebeugt sitzend - präsentiert sie sich und ihre prächtige, auffällig inszenierte Kleidung, während auch ihre Aufmerksamkeit ganz dem Toten gilt. Gedankenversunken hebt sie mit der Rechten eine Locke des Opfers an. Ihr Blick ist unbestimmt versunken - doch trauernd scheint er nur in zweiter Linie. Die geröteten Wangen, das leichte, durchaus sinnliche Lächeln geben der grausigen Szene sogar einen Hauch Erotik. Zu wenig zwar, um prägend zu sein, zu viel jedoch, um unbemerkt zu bleiben. Eine dramatische Szene ist hier zu einer effektvoll inszenierten und kunstvoll ausgeleuchteten Ruhe gelangt. Allein das wundervoll drapierte Gewand der Herrin bleibt ungebändigt. Kräftige Farb- und Lichtkontraste runden das Bild ab. Obwohl uns der Bildtyp - die im 16. Jahrhundert in Oberitalien für Judith- und Salome-Darstellungen entwickelte halbfigürliche "Überreichungsszene" - einen ersten Anhaltspunkt zur Benennung der Dargestellten gibt, ist vorerst offensichtlich, dass sich Strozzi in diesem Bild mehr auf das Malerische als auf das Ikonographische konzentrierte. Selbstbewusst schlägt der im Entstehungsjahr des Gemäldes von Genua nach Venedig geflüchtete Franziskanermönch einen malerischen Bogen von der Genueser zur Venezianischen Malerei und beweist mit der Unbestimmtheit des Sujets, dass er auch intellektuell auf der Höhe seiner Zeit agierte: Einerseits steigerte er die mit den "Überreichungsszenen" längst schon etablierte Isolierung der Motive "Judith präsentiert den Kopf des Holofernes" und "Salome präsentiert den Kopf des Johannes" ins Unbestimmte. Andererseits reagierte er sensibel auf die in Literatur und Malerei immer beliebter werdenden Neuinterpretationen der Täter- und der Opferrollen bei Judith bzw. Salome, die zwischen Radikalisierung und Erotisierung schwankten. Als Strozzi sein Bild schuf, war aus der keuschen Witwe Judith, die sich zur Rettung ihrer belagerten Stadt Bethulia ins Zelt des Feldherrn Holofernes geschlichen hatte, um dem Tyrannen gottesfürchtig und mit "zwei Hieben in den Hals" den Kopf abzutrennen, eine mitleidlos mordende Verführerin geworden. Und auch an die Unschuld Salomes, von der die Bibel berichtet, glaubte die Kunstwelt des Barock nicht mehr. Beide Frauengeschichten hatten ihre archetypischen Motive - Mord aus Bedrängnis bzw. Mord aus Rache - verloren. Konnte Judiths Tat bis zum 15. Jahrhundert zweifelsfrei als Sieg der Tugend über das Laster dargestellt und verehrt werden, galt sie im 16. und 17. Jahrhundert bereits als "Weiberlist". An die Stelle der Verehrung einer mutigen, sich aufopfernden Frau trat die Lust am Grauen der unmenschlichen Tat. Von Cranach über Rubens - später bei Corinth und Munch - wurde der Tötungsakt gar als Liebesakt gedeutet, wobei niemand die in der Judith-Geschichte verborgene Kastrationsangst des "starken Geschlechts" so stark befeuerte wie Artemisia Gentileschi - auf die Verbindung von Liebes- und Tötungsakt werde ich später noch mal zurückkommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zwar offensichtlich, dass sich Strozzi in meinem Lieblingsbild vor dem Naturalismus Gentileschis scheut. Er sucht ihn auch nicht: weder in den sechs eindeutigen Judith-Gemälden seiner Hand, noch bei den neun Davids mit dem Goliath-Kopf oder seinen vier Salomes, zu denen ich gleich komme. Die Umdeutung des Archetyps Judith von der Heldin zur Mörderin und des Archetyps Salome von der Verführten zur Verführerin war aber auch seinen Bildern immanent: So vereinte er in seinen eindeutigen "Judith" - Darstellungen zwar alle erzählerischen Elemente vorschriftsmäßig: die schöne Witwe, die den Kopf des Holofernes präsentiert, die alte Dienerin, die Tatwaffe. Aber aus der frommen "femme homme" ist auch bei Strozzi bereits eine "femme fatal" geworden, aus dem Tyrannen Holofernes ein Opfer von Verführung und Verrat. Letzteres zumindest belegt der lustvolle Griff der Judith ins schwarze Opferhaar, der sich zart in unserem Bild zu wiederholen scheint. Dieses Motiv aber gehört zum Bildreservoir der Delila, die mit Hinterlist den Samson verführt! Betrunken erklärt Samson in einer Liebesnacht der gern als Dirne präsentierten Delila, dass sein Haar die Quelle seiner Kraft sei. Delila greift zur Schere... und der liebestrunkene Samson ist verloren. Judiths Griff ins Haar des Holofernes imitiert Delilas Angriff auf die holde Männlichkeit und wird sich auch bei vielen Salome-Darstellungen wiederholen. Heute ist das Delila-Motiv zwar fast so vergessen wie die Geschichte der Königin Berenike, deren Macht ebenfalls dem Haar entsprang. Um so überraschter war ich, diesem Motiv ausgerechnet in einem zeitgenössischen Roman zu begegnen! Und doch: in Susanne Fenglers Buch "Fräulein Schröder" bildet das "Haar der Berenike" den Subtext zum Verständnis jenes Machtgerangels, das in der Zentrale einer großen, von einer Frau geführten bürgerlichen Partei im Sommer 2002 tobte. Aber das hier nur am Rande. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bundeswahlkampf 2002 und das Haar der Berenike - wohin hat uns die Polysemie bereits entführt?! Dabei war mein Verweis auf die Judith-Darstellungen doch nur der Weg, in meinem Lieblingsbild die Salome zu entdecken! Aber Strozzi agiert mehrdeutig: Was macht also unsere schöne Dame zur Salome? Was macht aus einem toten Holofernes einen toten Johannes? Die Dienerin hilft uns nicht weiter, denn sie gehört zwar zur Judith-Saga, findet sich seit dem 16. Jahrhundert aber auch bei Salome, wie Girolamo Romaninos Salome von 1516/17 belegt, die Sie in diesem Haus bewundern können. Und auch die Schüssel oder Schale für den abgetrennten Kopf ist polyvalent: Zwar gehört sie ursprünglich zur Salome-Geschichte, wo sie sich sogar zur "Johannisschüssel" verselbstständigt, von denen der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein bekanntlich ein besonders schönes Exemplar besitzt. Seit Michelangelo und Botticelli kennt aber auch die Bilderwelt der Judith die "Salome-Schüssel", die dort den unrepräsentativen Sack ersetzt, in den Holofernes Kopf ursprünglich gehörte. Und so bleibt als erstes untrügerisches Zeichen, das in Richtung Salome weist, das Schwert der Judith, das in beiden Bildern hier fehlt. Nun hat uns schon der Altvater der Ikonographie - Erwin Panofsky - belehrt, dass es zwar durchaus möglich sei, die Judith-Dienerin bei Salome und die Salome-Schale bei Judith zu finden. Brigitte Reineke wies in ihrem Buch "Eros und Tod" zudem vor kurzem darauf hin, dass es einen abgeschlagenen Männerkopf ganz ohne Schale nur bei den Judith-Bildern geben könne. Ein Judith-Schwert hat bei einer Salome jedoch nichts zu suchen! Wie auch, kommt Salome - anders als Judith - als selbst agierende Täterin doch gar nicht erst in Betracht! In der Bibel folgt die noch namenlose Salome beinah naiv dem Willen ihrer Mutter Herodias: Als ihr nach einem nicht näher beschriebenen, wohl doch aufreizenden Tanz ein Wunsch des zum Stiefvater aufgestiegenen Onkels offen steht, fordert Salome von Herodes Antipas den Kopf des Täufers. Sie bedient damit die Rachegelüste ihrer Mutter, die den Täufer zum Schweigen bringen will, weil dieser die inzestuöse Ehe zwischen Herodias und Herodes gegeißelt hatte - auch das ein Archetyp Männer mordender Frauen. Obwohl dem betörenden Tanz der Salome das sexuelle Element nie abzusprechen war, und die Nähe zu den Männer mordenden bzw. Männer überwindenden Frauen Judith, Delila oder Jael auch der Salome eingeschrieben scheint, vollzog sich Salomes Wandlung vom naiven Werkzeug zur keuschen Geliebten - zur gekränkt zurückgewiesenen Verführerin - weniger rasant als im Falle Judith, die schon früh auch eine "Bella" war. Erst mit der Vereinzelung der Überreichungsszene ergab sich die Chance - und letztlich auch die Notwendigkeit - , die Salome aus der Rolle des naiven Werkzeugs zu befreien. Diese nutzte natürlich auch Bernardo Strozzi für seine Salome-Darstellungen, die eine zwar trauernde, aber auch aufreizend dekolletierte Salome zeigen. - Während Judith im Laufe der Neuinterpretation also an Charakter verlor, gewann Salome an Eigenständigkeit. Unterschwellig scheint dabei das Wirken einer mittelalterlichen Sage immanent, die auf den im 12. Jahrhundert in Gent lebenden Scholastiker Nivardus zurückgehen soll. Sie erkennt in der "mehr leichtsinnigen als boshaften" Salome, wie sie Jacob Grimm bei Flavius Josephus entdeckte, eine liebende Jungfrau, die sich auch vom abgetrennten Kopf des Täufers nicht trennen, ihn umfassen und küssen will, ihn mit Tränen benetzt. Der Kopf des Johannes habe sich daraufhin - so die Geschichte - von seiner Schale erhoben. Weitere Verästelungen der Sage berichten dann sogar davon, dass Salome selbst in die Luft aufgestiegen sei, weshalb sie der paneuropäische Aberglaube - dann allerdings wieder unter dem Namen Herodia - als Dämonenführerin, als Anführerin der Hexenfahrt und als Urheberin des Wirbelwindes kennt. Das alles ist - abgesehen von der leichten Erregung der Salome - in "meinem Lieblingsbild" natürlich nicht dargestellt - verborgen wirkte es dennoch. Das wird um so deutlicher, wenn man das Bild mit den anderen "Salomes" aus Strozzis Werkstatt vergleicht: Viermal gab Strozzi seiner Salome einen hässlichen alten Mann zur Seite, der als Henker oder Herodes die Szene klar konnotiert. Nur einmal fügt sich der schönen Jungfrau mit den geröteten Wangen eine junge Magd bei. Nur einmal gewinnt die Szene mehr sexuelle Spannung, nur einmal profitiert die Salome vom Verdacht, eine Judith zu sein: hier in meinem Lieblingsbild. Seit einer Röntgenuntersuchung des Bildes wissen wir zwar, dass auch unter der so jungen wie schönen Begleiterin ein alter hässlicher Mann steckt, der das Bild eindeutig zu einer Salome-Darstellung macht. Als ein offenes Kunstwerk hat uns das Bild auf dem schmalen Grat zwischen Judith und Salome dennoch den Weg für eine weit über das Erkennbare hinaus weisende Interpretation geebnet, in der Salome als Liebende statt Tötende erscheint. Besonders das 19. Jahrhundert wird es lieben, die Erotisierung der Salome voranzutreiben: Vor allem der aufreizende Tanz der Salome rückte nun in den Vordergrund des Bildinteresses, auch wenn Gustave Moreau 1876 nochmals auf den mittelalterlichen Mythos des schwebenden Johannes-Kopfes zurückgriff. Die Malerei machte die Salome zum Kind des Orients, das betörend exotisch sein musste. Literaten dagegen begannen zur selben Zeit, nach den Neurosen dieser Figur zu suchen, allen voran - Sie wissen es: Oscar Wilde. Ihm geriet die Salome zur Lolita-gleichen Verführerin, die alles daran setzte, den Mund Ihres Opfers Jokanaan zu küssen. Achtmal fordert sie von Ihrem Stiefvater den Kopf des Eremiten. Als sie ihn endlich in Händen hält, hat auch ihre letzte Stunde geschlagen: Herodes lässt auch sie töten... Wilde mutete seiner Zeit viel zu und lieferte mit seiner "Salome" Richard Strauss einen explosiven Opernstoff, der dann 1905 zu einem veritablen Bühnenskandal geriet... Meine sehr verehrten Damen und Herren, Obwohl sich über die "starken Frauen" der abendländischen Kunstgeschichte, die nicht alle Männer mordend waren, noch viel erzählen ließe, obwohl nach Judith, Salome und Delila auch Esther, Jael und Lucretia gern ihre Polysemie unter Beweis stellen würden, erlauben Sie mir nach all den Kunst-Geschichten um mein Lieblingsbild einen ( zweiten ) kurzen Ausflug in die Literatur: Ohne Penthesilea ist - zumindest für mich - die Judith / Salome-Geschichte nicht komplett. Dabei heißt es nun, das Pferd von hinten aufzuzäumen, denn in der Kunstgeschichte hat die Königin der Amazonen - wie ich sie lieben lernte - kaum Spuren hinterlassen. Wenn doch, wie in Pompeji, auf Rubens Brüsseler Gobelins oder bei Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, ist sie nur Teil der Achillgeschichte. Diese lebt von einem Drama: Achill verliebt sich in die sterbende Penthesilea, die er selbst im Nahkampf niederstreckte. Da das klassische Schicksal der Penthesilea - vom Amazonenkrieg abgesehen - nichts mit Männer mordenden Frauen zu tun hat, beginnt die Geschichte "meiner" Penthesilea erst 1808. Heinrich von Kleists gleichnamiges, viel gescholtenes, zu oft aber unterschätztes Stück verkehrt - auf eine abgelegene Überlieferung gestützt - das Geschehen: Zwar besiegt Achill auch hier die Penthesilea, in die er sich sofort verliebt. Penthesilea selbst aber hatte es darauf abgesehen, den Achill zu freien - zum "Rosenfeste" zu entführen, wie es heißt. Das ist ihr in der Tradition der Amazonen jedoch nur erlaubt, wenn es ihr gelingt, den Mann zu unterwerfen: "Fluch mir, empfing ich jemals einen Mann, // den mir das Schwert nicht würdig zugeführt." Wie alles bei Kleists Penthesilea verkehrt sich auch an dieser Stelle das Spiel von Sieger und Besiegtem, vom liebend Siegenden und dem, der der Liebe willens untergehen mag. Nachdem Achill die verletzte Penthesilea zuerst glücklich gemacht hatte, indem er ihr vorgab, sie habe ihn besiegt, muss die Wahrheit doch ans Licht, als die Amazonen die Griechen im Kampf bezwingen. Zwar will sich Achill in einem neuen Kampf freiwillig von Penthesilea besiegen lassen, um ihr die Chance zu geben, ihn zu freien. Dieser geschenkte Sieg kann der Amazonenkönigin aber nichts gelten. Sie tötet den Achill im Wahn und - aus Liebe. Das heißt, sie tötet ihn nicht nur, sie reagiert gleichermaßen klassisch wie modern mit einer pathologischen Geste: "Sie liegt, den grimmigen Hunden beigesellt, // Sie, die ein Menschenschoß gebar, und reißt, - // Die Glieder des Achill reißt sie in Stücken!" Anders als in der Kunstgeschichte kann sich heute, da es keine Obsession und keine Perversion mehr gibt, die uns das Fernsehen nicht bebildert, zwar fast jeder eine bluttriefende Vorstellung dieses Liebestötens machen. Für die Lyrik des Wahnsinns indes fehlt, so fürchte ich, inzwischen schon vielen das Verständnis."Küßt ich ihn tot?" fragt Kleists Penthesilea,"So war es ein Versehen. Küsse, Bisse. // Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, // Kann schon das eine für das andere greifen!" Ganz anders war es im frühen 19. Jahrhundert: Hier war es eben die Überreaktion der Penthesilea, die Grenzüberschreitung der tötenden Frau als Frau, für die es keine Gnade, für die es kein Bild geben konnte: Eine Frau tötet aus Liebe, weil sich ihr Liebe mit Gewalt verbindet - oder weil sie so vollkommen liebt, dass das starke Geschlecht ihr schwach - ZU schwach - erscheint. Penthesilea fühlt sich erniedrigt, weil Achill aus Liebe Rücksicht üben will, weil er ihre Stärke nicht akzeptieren, sie als Gegnerin im Kampf nicht anerkennen kann. Das musste im Rollen- und Antikeverständnis des Jahres 1808 verwirrend wirken, und nach Goethes vernichtender Kritik war die erste Buchausgabe der Penthesilea noch nach 80 Jahren lieferbar: Auflage 750 Stück. Inzwischen hat sich die Zeit mit Kleists Werk ausgesöhnt. Moderne und Klassik dürfen sich postmodern befruchten. Judith, Salome und Penthesilea sind Schwestern der Tat. Mit Penthesileas Mord allein ist der letzte Halt, der letzte Archetyp des Tötens aufgegeben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Judith oder Salome, diese Frage war für mich bis vor kurzem mit Strozzis Werk verbunden. Die Membran zwischen beiden bleibt zerstoßen und ich kann dieses Werk trotz besseren Wissens als Judith und als Salome lieben. Zwar gebe ich gern zu, dass mir das Motiv der Judith in seiner ursprünglichen Klarheit, über die man selbst eine Verbindung zu Jeanne d'Arc schmieden konnte, näher liegt als die Erotisierung der keuschen Salome. Doch ich fürchte, dass es selbst für diese intellektuellen Vorlieben heute kaum mehr Vorrechte gibt, denn wir leben in einer Zeit, in der man sich auf ganz neue Art mit Bildern des Tötens auseinandersetzen muss: im Internet kursieren abscheuliche Bilder aus dem Irak, die die Ermordung unschuldiger Geiseln durch das Abtrennen des Kopfes belegen. Die Nachrichten zeigen "schwarze Witwen", die Passanten und Schulkinder aus Rache oder "Gottesfurcht" mit sich in den Tod reißen. Judiths Freiheitskampf und Salomes indirekt politischer Mord werden von fundamentalistischen Terrorbanden bei dem Versuch pervertiert, uns eine moralische Grenzverschiebung aufzuzwingen. Noch haben wir für diesen Terror nur einen arachnophoben Namen. Doch die "schwarzen Witwen" - als System gedacht - bedrohen mehr als unsere Freiheit und unser Leben. Mit Macht drängen sie in unsere Bildwelt, in der die Witwe Judith bei ihrem Befreiungsschlag gegen einen Tyrannen noch Festtagskleidung trug. Warum betone ich die aktuelle Kraft der Bilder des Tötens? Ganz einfach: wer Bilder beherrscht, beherrscht auch Meinungen! Wenn wir in der Auseinandersetzung um die Macht der Bilder bestehen wollen, brauchen wir nicht allein freie, unabhängige Medien. Wir brauchen auch Museen und Hochschulen, die bereit sind, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Germanisten, Romanisten, Komparatisten, Musikwissenschaftler und Philosophen auszubilden und einzustellen. Der Erhalt und der Ausbau der geisteswissenschaftlichen Forschung und Lehre ist die Grundlage dafür, dass wir auch zukünftig über Ikonologie und Polysemie sprechen können. Wir wollen und wir können ohne den Bilderschatz unserer Geschichte nicht leben, sonst sind wir den neuen Bildern hilflos ausgesetzt. Bilder sind unser Gedächtnis, doch das muss trainiert werden. Deshalb braucht jeder von uns auch Lieblingsbilder, die sich auf eine Geschichte nicht beschränken lassen. In der Welt der Bilder hat die Zukunft gerade erst begonnen! Vielen Dank.