Redner(in): Christina Weiss
Datum: 17.01.2005

Untertitel: Auf Einladung von Staatsministerin Christina Weiss und der Deutschen UNESCO-Kommission traf sich am 17. Januar 2005 die bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt im Bundeskanzleramt in Berlin. Die mehr als 120 Tagungsteilnehmer diskutierten den von der UNESCO vorgelegten Entwurf eines Übereinkommens zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Staatsministerin Weiss unterstrich die Unterstützung der Bundesregierung für die Arbeiten am Entwurf des Übereinkommens.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/05/775005/multi.htm


herzlich willkommen im Bundeskanzleramt in Berlin. Ich begrüße Sie zum Dritten Treffen der Koalition für kulturelle Vielfalt, die im Sommer vergangenen Jahres ihre Arbeit aufnahm. Damals kreiste das Interesse um zwei internationale Entwicklungen: · Kultur und Medien sahen sich von einer Liberalisierungsdebatte überzogen, die aus dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen - kurz GATS - herrührte. · Gleichzeitig bemühte sich die UNESCO, den Druck zu mildern und die kulturelle Vielfalt durch ein Übereinkommen zu schützen. Für dieses Übereinkommen liegt nun ein ergänzter Diskussionsentwurf vor. Aus diesem Papier lässt sich ersehen, was bisher unternommen wurde, die kulturelle Vielfalt auch im Rahmen der Vereinten Nationen zu schützen. Natürlich fächert diese Studie aber auch auf, wie viel noch zu tun ist, um einen wirklichen Konsens zu erreichen. Meine Damen und Herren, der Bundesregierung redet einem solchen Rechtsinstrument dringend das Wort. Wir haben viel dafür getan, dass es entwickelt wird. Ich bin mir bewusst, dass die Zeit für einen Konsens denkbar knapp ist. Doch es führt kein Weg an einem Modell vorbei, das den Doppelcharakter kultureller Waren und Dienstleistungen beschreibt und gleichzeitig präventiv wirkt. Diese Waren sind nun einmal besondere und dürfen nicht allein dem Handelsrechts unterworfen werden. Auch die deutsche Kultur- und Medienpolitik fühlt sich einem freien, grenzüberschreitenden Austausch verpflichtet, keine Frage. Das gehört sogar zu ihren vornehmsten Traditionen. Diese Freiheiten sind mit der Maxime handelspolitischer Liberalisierung allein aber nur sehr unzureichend in Einklang zu bringen. Wir verlieren damit wichtige kultur- und medienpolitische Handlungsspielräume, die wir brauchen, um die kulturelle Vielfalt zu wahren. Ich setze daher in das geplante UNESCO-Übereinkommen sehr große Hoffnungen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einen Blick auf die internationalen Vorgaben in der nationalen Kulturpolitik. Wir haben uns in den vergangenen Jahren eine ermüdende Debatte über die kulturellen Kompetenzen von Bund und Ländern geleistet. So vernünftig es auch sein mag, danach zu sortieren, was des Bundes und was der Länder ist, so klug ist es eben auch zu begreifen, wie fremdbestimmt unser Handeln längst ist. Einige Beispiele: · Das Recht der Europäischen Gemeinschaft greift immer stärker in Bereiche ein, die wir bislang für autonom hielten. Wer hätte bei Formulierung des Gemeinschaftsrechts daran gedacht, dass wir uns heute mit der Frage beschäftigen müssen, ob unsere Rundfunkgebühren staatliche Beihilfen sind? Von der Filmförderung ganz zu schweigen. Nobel möchte ich darüber hinwegsehen, welche Zeit und Arbeit es gekostet hat, die deutsche Buchpreisbindung kompatibel mit dem Gemeinschaftsrecht zu machen. Die Debatte, unter welcher Maßgabe kulturelle Einrichtungen Preisermäßigungen gewähren dürfen, ohne gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot zu verstoßen, steht uns wohl erst noch bevor. Eine Ursache des europäischen Ungemachs liegt in der Konkurrenz zwischen Anbietern kultureller Güter und Dienstleistungen, die nach Auffassung Einzelner im In- oder im Ausland in den "Genuss" einer staatlichen "Bevorzugung" kommen. Bei Lichte besehen, steckt hinter manchem Konflikt ein simples Wettbewerbsverhältnis - zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern, zwischen der kleinen Buchhandlungen und großen Handelsketten. · Wir registrieren zunehmend, dass kulturpolitische Sachverhalte ein ums andere Mal wirtschaftsrechtlich seziert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang gern von Subventionen und Kartellen. All dies begegnet uns wieder, wenn die Kulturpolitik in den Strudel des Welthandels gerät: Das Stichwort GATS und den Liberalisierungsdruck habe ich schon erwähnt. Wir haben guten Grund anzunehmen, dass sich die EU-Kommission bei der laufenden Doha-Runde weiterhin im Rahmen ihres Verhandlungsmandats bewegen wird. Danach ist sie verpflichtet, die kultur- und medienpolitische Handlungsfreiheit der Mitgliedstaaten zu wahren. Ich sehe keine Anzeichen, dass sie von dieser Linie abweicht. Aber GATS gilt nur für Dienstleistungen! Der Handel mit Waren, also zum Beispiel Büchern oder Tonträgern, ist über die Regeln des GATT bereits seit langem weitgehend liberalisiert. · Selbst multilaterale Übereinkommen in der Kulturpolitik können Bindungswirkungen für die innerstaatliche Politik entfalten, die den jeweils Betroffenen nicht immer bewusst sind. So geschehen in Köln, als die städtebauliche Planung den Dom fast von der Liste der Welterbestätten gekegelt hätte und dies auch noch mit Erstaunen quittiert wurde. Oder denken Sie an die Rechtschreibreform, die nicht "hausgemacht" ist, sondern mit mehrseitigen zwischenstaatlichen Übereinkommen ins Werk gesetzt wurdeMeine Damen und Herren, alle Akteure nationaler Kulturpolitik geraten immer stärker in das internationale Geschäft. Das ist Ausdruck der globalisierten Welt und der wachsenden politischen wie wirtschaftlichen Integration Europas. Niemand wird sich ernsthaft darüber wundern könnenGleichzeitig wächst die Neigung der Effizienzritter, sich zum eigenen Vorteil auf wirtschaftliche Vorstellungen und Regelwerke zu berufen. Wohl durchdachte Lösungen im kulturellen Sinne erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht: · eine kulturelle Förderung wird plötzlich als staatliche Subvention ausgelegt, die Wettbewerber angeblich benachteiligt; · aus der wohl überlegten Unterstützung einzelner Bevölkerungsgruppen wird plötzlich die Diskriminierung anderer, · aus einem solidarischen Zusammenwirken erwächst ein Kartell. Eine solche Logik verkennt bewusst die kulturpolitischen Implikationen und verfolgt auch das Ziel, die Kulturpolitik mit wirtschaftlicher Exegese zu marginalisieren. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit solchen Argumenten fundiert auseinander zusetzen. Denn auch die nationale Politik ist nicht davor gefeit, einem solch verkürzten Denken auf den Leim zu gehen. Wir erinnern uns, in welcher Weise die auswärtige Kulturpolitik im Papier der Subventionsdetektive Koch und Steinbrück zur Ader gelassen werden sollte. Was folgt daraus für die deutsche Kulturpolitik? · Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass Deutschland immer stärker in einen europäischen und supranationalen Rechtsrahmen eingebunden ist. Mit diesem Bewusstseinswandel stehen wir in der Gesellschaft noch ganz am Anfang. Der Blick nach Brüssel, nach Genf, nach Paris oder nach Luxemburg muss ein alltäglicher werden. Die Medienbranche ist hier eindeutig im Vorteil vor der Kulturszene. Sie hat immer wieder erlebt, wie stark die Kommission oder die Generaldirektion Wettbewerb das Procedere bestimmen. · Wir werden lernen müssen, unsere Sicht der Dinge in anderen Denksystemen zu verteidigen. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft oder die Regeln des GATS sind uns fremd, weil sie anderen juristischen Traditionen folgen und einer uns fernen Terminologie gehorchen. Wenn unsere kulturpolitischen Ansätze in diesen Foren auf den Prüfstand kommen, sollten wir in der Lage sein, unser Handeln zu rechtfertigen und sozusagen "systemimmanent" vorzutragen. Das setzt die Fähigkeit voraus, jeweilige Denkgerüste nicht nur zu verstehen, sondern auch zu durchschauen. Jeder Versuch, die Argumente der Gegenseite in Bausch und Bogen zu verwerfen, nur weil sie uns abstrus erscheinen, wird ein vergeblicher sein. Mit einem Beharren auf den Standpunkten tradierter Kulturpolitik in Deutschland ist uns nicht zu helfen sein. Auch wenn unsere kulturpolitischen Modelle aus der Sicht verschiedener Handelsrechtler fragwürdig oder angreifbar erscheinen, müssen sie nicht zwangsläufig falsch sein. Unsere Aufgabe ist es, dem Handelsrechtler in seiner Sprache unsere berechtigten Motive aufzuzeigen. Dass dies nicht immer ganz einfach ist, will ich gerne gelten lassen. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen mit diesen Schwierigkeiten nicht allein. Ich erinnere nur daran, wie geschockt die Betroffenen reagierten, als der Europäische Gerichtshof Gemeinschaftsrecht auf gute alte Traditionen im Sport, auf den Bereitschaftsdienst von Krankenhausärzten oder auf den Zugang von Frauen zur Bundeswehr münzte. · Wir müssen den Blick weiten und uns bei der Debatte auf supranationaler Ebene mit der Sicht anderer, gleichberechtigter Nationen in der Kulturpolitik auseinandersetzen. Das mag gewöhnungsbedürftig sein, ist aber unumgänglich. Wie weit diese kulturpolitischen Traditionen auseinander klaffen, dürfte Ihnen deutlich sein. Dort, wo wir von "Kulturindustrien" sprechen, reden unsere Kollegen in den Vereinigten Staaten von "Unterhaltungsindustrien" - sicherlich mehr als nur eine unterschiedliche Akzentsetzung. Gleiches gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland und den Vereinigten Staaten. · Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass die nationale Kulturpolitik in den verschiedenen Ländern immer stärker in einen Wettbewerb treten wird. Aber keine Angst. Ich rechne nicht damit, dass es in den nächsten zehn Jahren eine "kulturelle Pisa-Studie" geben wird, die uns sozusagen ein "kulturpolitisches Ranking" gibt. Dem steht schon das Fehlen probater Vergleichsmaßstäbe für das Kulturleben entgegen. Die "kulturelle Leistung" eines Volkes lässt sich bei weitem nicht so einfach messen wie das Bruttosozialprodukt oder die Zahl der Arbeitslosen. Meine Damen und Herren, das, was ich hier in wenigen Sätzen skizziert habe, stellt sicherlich für uns alle in der nationalen Kulturpolitik eine große Herausforderung dar, die wir ohne einen Schulterschluss aller Akteure nicht bewältigen werden. Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände werden internationaler, europäischer agieren müssen. Ohne ein kräftiges Zutun der Zivilgesellschaft bleibt diese Anstrengung allenfalls Stückwerk. Ich betrachte es daher als sehr ermutigendes Zeichen, dass es im vergangenen Jahr gelungen ist, eine Koalition für kulturelle Vielfalt zu schmieden. Dieses breite Bündnis, ein Abbild des aktuellen Kulturlebens, beteiligt sich an der internationalen Debatte über den Schutz der kulturellen Vielfalt und der notwendigen Balance zwischen Handelspolitik und Kulturpolitik. Ich hoffe, dass dieser Impuls auch noch Früchte trägt, wenn ein entsprechendes Rechtsinstrument gefunden ist. Ich wünsche uns allen nun eine erfolgreiche Debatte. Ich danke Ihnen.