Redner(in): Christina Weiss
Datum: 25.01.2005
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigt in ihrer Rede beim Geburtstagsempfang für Joachim Gauck im Informations- und Dokumentationszentrum BStU in Berlin Person und Tätigkeit des ersten Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/779525/multi.htm
die Erinnerung ", schreibt Cees Nooteboom in seinem Roman" Rituale "," ist wie ein Hund, der sich hinlegt wo er will." Nooteboom gibt uns damit eine dienstbare Metapher in die Hand, die uns auf die Sprünge hilft, wie es um Erinnerung in Wahrheit bestellt ist. Erinnerung, dieser alberne, aber treue Dackel begleitet die Menschen gern auf ihrem Weg in die Zukunft, nicht nur in Deutschland, aber gerade auch hier.
In der Erinnerung steht immer der Versuch, zu behaupten, dass die Dinge wirklich so gewesen sind, weil sie nicht anders hätten sein können. Nur hin und wieder wird dieser unflätige Köter von seinem Platz verscheucht, was nicht selten als Tierquälerei ausgelegt wird.
Die Erinnerung ist widerspenstig, tückisch und milde, manchmal auch in Überlieferungen, Mythen und Schablonen erstarrt und oft genug das Gegenteil von bodenloser Wahrheit. Sie spiegelt sich immer nur im Auge des jeweiligen Betrachters. Ein Betäubungsmittel vielleicht, das die Schwierigkeiten mit der Wahrheit erst erträglich macht.
Dass es in Deutschland nach dem Ende der zweiten Diktatur nicht gelang, die Vergangenheit einfach auszuknipsen, obwohl die DDR von einem Tag auf den anderen vom Netz genommen wurde, dass es wirklich möglich war, Täter und Opfer zu benennen, das ist das Verdienst einer Behörde, die wohl immer auch, weil zuerst mit Ihrem Namen, Herr Gauck, verbunden bleiben wird. Niemand hatte es den Deutschen zugetraut, niemand wird es vergessen, dass sie ihre Einheit und ihren inneren Frieden nicht um den Preis des Beschweigens und Entrinnens haben wollten, sondern die Sprache der Fakten und nicht die der subjektiv verklärenden Erinnerung wählten.
Der Umgang mit den Stasi-Akten wurde zu einer Bewährungsprobe für die gewonnene Freiheit des neuen Landes, aber auch zu einer gesellschaftlichen Befragung nach Anpassung und Versagen, Verweigerung und Integrität. Sie, verehrter Herr Gauck, haben gewusst, dass es Freiheit ohne differenzierte Wahrheit nicht geben kann, dass vor der Versöhnung das Zertrümmern von Lebenslügen stehen muss. Der Westen stand diesem System der Aufarbeitung in der ehemaligen DDR skeptisch gegenüber, doch die ostdeutsche Bürgerbewegung ertrotzte sich den dornenreichen Weg der Selbstbefreiung.
Wir wissen, dass dieser Aufbruch Anstoß erregte und Sie sich damit nicht nur Gegner, sondern auch Feinde gemacht haben. Wir wissen dank dieser Courage aber auch, was oben und was unten war in der DDR, wie Sie es nennen.
Wir erkennen, dass jeder, der nicht bereit war, an die fiktive Welt des Kommunismus zu glauben, seelisch oder physisch unter Druck geriet. Natürlich lässt sich die Geschichte der DDR nicht ausschließlich über die Stasi-Akten rekonstruieren, aber ohne die Stasi-Akten wäre jede Chronik der DDR unvollkommen.
Die Akten lassen einen kühn unbekümmerten Sprung von der Diktatur in die Demokratie nur um den Preis der Selbstverleugnung zu. Vor fünfzehn Jahren verglichen Sie, verehrter Herr Gauck, den Ostdeutschen mit einem Kranken: " Ach, wäre das schön, aufzuwachen und einfach gesund aus dem Bett in den Frühling draußen zu hüpfen. Aber der Einsichtige ( der Arzt wie der Patient ) weiß, dass es im Leben anders ist: Vor der Gesundheit kommt der Heilungsprozess. In dieser Zeit geschieht viel Arbeit, werden medizinisches Wissen und die physischen und psychischen Kräfte des Patienten einen Bund eingehen, und am Ende dieses Prozesses kann dann alles gut werden.
So wollen wir in unsere neue Demokratie eintreten: wach, informiert und angetrieben vom Willen zu mehr Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. Diese Haltung ermöglicht nun eine Art Selbstwahrnehmung, die dem gesellschaftlichen Heilungsprozess angemessen ist. Ich meine die Ehrlichkeit."
Vielleicht haben Sie mit diesem Zeitungstext die Öffentlichkeit dazu animiert, Ihrer Arbeit gern mit medizinischen Vokabeln beizukommen. Apotheke, hat man Ihre Behörde genannt, wo es Medikamente gegen Nostalgie gebe, Sie selbst wurden zum Seelsorger eines ganzen Volkes. Aber es geht heute, im Jahr fünfzehn der Deutschen Einheit, nicht mehr nur um den Heilungsprozess, um Phantomschmerzen und wirksame Therapien dagegen. Es geht um den Wert unserer Freiheit. Wir haben zu erklären und zu überliefern, woher wir kommen und was wir wurden.
Mir liegt besonders am Herzen, dass wir neben der Trauer um die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft die Geschichte des Unbotmäßigen aus Ostdeutschland erzählen, von Widerstand und Opposition, von der Kraft zum Nein-Sagen, von der inneren Bewegung, die Angst in Mut verwandeln konnte. Davon immer wieder Kenntnis zu geben, jungen Menschen von den Werten zu berichten, die die andere Gesellschaft in der DDR ausgezeichnet haben, das ist das Gegenteil von einer ostdeutschen Kultur, die die Unaufgeklärten in Armeesporthosen, Spreewaldgurken und Pionierhalstüchern vermuten.
Wir wissen längst, dass man nicht mit der Stasi zusammenarbeiten musste, wir wissen, dass es vielen gelungen ist, anständig zu bleiben und sich nicht zu Lumpen machen zu lassen, wir wissen von der Kraft und der Kreativität des Unangepassten. Gerade durch Sie, lieber Herr Gauck, begreifen wir, dass ein Wort wie Antikommunismus einen sehr guten Klang haben konnte. Entdecken wir doch Werte in der Geschichte, die uns noch heute etwas bedeuten, werten wir vor allem die Mutigen von damals auf. Deshalb ist es mir so wichtig und deshalb habe ich mich darum bemüht, die Stasi-Unterlagenbehörde in mein Ressort zu übernehmen.
Um sie aufzuwerten, zu professionalisieren auch im Geschichtsverbund mit wissenschaftlichen Instituten, Dokumentationszentren, Archiven und Sammlungen. Daraus soll beleibe kein Aufarbeitungskombinat entstehen, sondern ein lebendiges Netzwerk der Bildungs- und Forschungsarbeit, das den Blick auf die andere DDR jenseits des Staatsbildes und der Erinnerung daran legt. Ich verspreche mir davon eine neue Offenheit für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, aber auch und unbedingt eine Selbstvergewisserung demokratischer Tugenden. Gerade in Zeiten, in denen es nicht wenige Versuche gibt, die DDR-Vergangenheit in ein milderes Licht zu tauchen, brauchen wir Wahrheit statt Behauptung.
Verehrter Herr Gauck,
wer Ihre Biographie liest, der meint, dass sich in Ihrem Leben alles zwangsläufig so ereignen musste. Weit gefehlt. Sie mögen es nicht, wenn man das prägende Erlebnis aus Ihren Kindertagen auf Ihre spätere Tätigkeit münzt. Und doch kommt man nicht umhin anzunehmen, dass das Schicksal Ihres Vaters, der 1951 abgeholt und danach grundlos nach Sibirien deportiert wurde, für sie ein Fanal war, sich zu widersetzen. Sie übersetzten dieses Synonym für Verschwinden im Nirgendwo eines Herrschaftsapparates mit Stalinismus und wussten früh, dass dieses System der Finsternis, den, der nicht mitgehen will, unterdrückt, schikaniert und auch auslöscht.
Sie wurden Pfarrer und gaben Sinn, wo Sinnlosigkeit regierte. Trotz dieser Erfahrung mit der Repression ist Ihnen die Rolle des eisernen Rächers fremd, Sie sind vielmehr ein Aufklärer geworden, ein geduldiger Befrager, einer, der erst jetzt persönlich benennen kann, dass das System auch ihn, der immer dagegen arbeitete,"auf eine Weise geprägt, deformiert hat, wie ich es nie geahnt habe. Aus einer Diktatur kommt keiner heraus." Sie werben um Geduld im Umgang mit den Ostdeutschen, für die "Langsamkeit ihres Mentalitätswandels", für die Emanzipation vom Staatsinsassen zum mündigen Bürger.
Aber es geht nicht nur um den Wandel der Ostdeutschen, auch etliche im Westen sind gehalten, ihr verzerrtes Bild von einer "alternativen DDR" zu entsorgen. Die Sprache spießiger, diktatorischer Herrschaft verträgt sich nicht mit dem schillernden Traum vom linken Menschheitsparadies. Es wird heute mehr denn je offenbar, in welch falschen Farben die DDR im Westen gemalt und welch kapitalen Irrtümern hier nachgehangen wurde.
Zum Aufklärer Gauck gesellt sich das Bild des unabhängigen Denkers, der sich selbst einen linken, liberalen Konservativen nennt und damit dem Lagerdenken entweicht.
Vielleicht ist es dieses Bild der unabhängigen, glaubwürdigen Person Joachim Gauck, das wir so sehr schätzen, das uns aber auch rätseln lässt. Sie lassen sich nicht einbinden, weil Sie Überzeugungen haben und nur das vertreten, was Ihnen das Richtige scheint. In diesem Sinne möchte ich Ihnen sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren. Persönlich, aber auch im Namen der Bundesregierung. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mit Ihrem Namen für eine Form von Aufarbeitung stehen, die in anderen Ländern in Osteuropa, in Südafrika und in Südamerika Nachahmer findet.
Die Stasi-Unterlagenbehörde ließ es nicht zu, dass Geschichte einfach abhanden kam. Ich bin froh und dankbar, dass Marianne Birthler heute für eine gute Kontinuität dieser Arbeit sorgt, die noch lange nicht abgeschlossen ist.
Verehrter Herr Gauck, bleiben Sie ein so wacher wie kritischer Begleiter unserer Demokratie. Ich danke Ihnen.