Redner(in): Monika Grütters
Datum: 27. Januar 2000

Untertitel: "Mit dem Verkauf der beiden Warhols ist ein Damm gebrochen, auf den wir Kulturpolitiker uns bisher verlassen konnten: der Konsens nämlich, dass Kunst ein Wert an sich ist, den zu schützen und zu verteidigen zu unseren vornehmsten Pflichten zählt." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/11/2014-11-27-gruetters-konferenz-faz-forum.html


Mit dem Verkauf der beiden Warhols ist ein Damm gebrochen, auf den wir Kulturpolitiker uns bisher verlassen konnten: der Konsens nämlich, dass Kunst ein Wert an sich ist, den zu schützen und zu verteidigen zu unseren vornehmsten Pflichten zählt." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

Joseph Beuys hat sein persönliches Arbeitsethos einmal in den prägnanten Satz gefasst: "Arbeite nur, wenn Du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus." Diese auf den ersten Blick etwas ungesund anmutende Arbeitseinstellung kann man zum einen als pointierte Beschreibung der Überzeugungen verstehen, die Künstler und Kreative motiviert. Es muss ja nicht immer gleich die Weltrevolution sein. Die kleinen Revolutionen im Denken, im Wahrnehmen, im Empfinden, im Bewusstsein sind es, die jeder kleinen und großen gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen, und in diesem Sinne trägt die Kunst immer den Keim des - im besten Sinne - Revolutionären in sich.

Zum anderen passt das Beuys ' sche Diktum wunderbar zu Ihrer heutigen Agenda: Um die Revolutionen, die sich in Ihrem Alltag als Sammler und Kuratoren abzeichnen oder vollziehen, soll es gehen - oder wie es die Einladung etwas vorsichtiger formuliert: Um aktuelle "Positionsverschiebungen im Kunstbetrieb". Dazu will ich aus kulturpolitischer Perspektive gerne meinen Teil beitragen, ohne den folgenden Vorträgen und Diskussionen vorzugreifen.

Wer die Kunst liebt, meine Damen und Herren, kennt die Revolutionen, die sie auszulösen imstande ist, nur zu gut und hat dazu meist eine ganz persönliche "Kunstgeschichte" zu erzählen: eine Kunstgeschichte, die nicht nach Epochen oder Strömungen geordnet ist, sondern gleichsam biographisch - nach eigenen Begegnungen mit den Werken der Künstlerinnen und Künstlern, die einem etwas bedeuten, nach eigenem Erkenntnisinteresse, nach Fragen, die einen ganz persönlich bewegen.

So geht es mir jedenfalls, und zum Glück gibt es viele großartige Kunstmuseen und Galerien, die zu solchen Begegnungen einladen, und zahlreiche leidenschaftliche Sammlerinnen und Sammler, Kuratorinnen und Kuratoren, die solche, ganz individuellen "Kunstgeschichten" erzählen können - Kunstliebhaber eben, die im Zusammenhang mit einem Kunstwerk nicht zuallererst an seinen Preis denken, sondern vor allem an seinen Wert, was ja nun leider keineswegs selbstverständlich ist.

Unter all den bedenkenswerten und teils auch bedenklichen "Positionsverschiebungen" im Spannungsfeld zwischen Sammeln und Kuratieren, über die es sich heute zu diskutieren lohnt, sind es die aktuell zu beobachtenden Veränderungen im Verhältnis von Wert und Preis der Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung, die mich als Kulturpolitikerin besonders beschäftigen. Dass Kunst einen Wert und einen Preis hat und dass die sorgfältige Unterscheidung zwischen beidem keinesfalls nur eine semantische Spitzfindigkeit ist, das ist natürlich nicht neu.

Die ( berechtigte ) Klage darüber, dass im Hype um zeitgenössische Kunst den erzielten Preisen oft mehr Aufmerksamkeit gilt als der Substanz, den Inhalten - eben: dem Wert - ist ebenfalls nicht neu. Neu ist auch nicht, dass im politischen Tagesgeschäft vielfach das Gespür fehlt für die Belange von Künstlern, Galerien und Museen: Ich ärgere mich genauso wie Sie über die Blockadehaltung der Länderfinanzminister gegenüber einer kulturverträglichen Anwendung der pauschalierten Margenbesteuerung. All das, wie gesagt, ist nicht neu. Neu ist aber, dass die eindimensionale Sicht auf den Preis, den Marktwert der Kunst in der Politik neuerdings hoffähig wird.

Der bisherige, aus unserem Selbstverständnis als Kulturnation gewachsene Konsens, wonach der Staat dem Wert der Kultur, dem Schutz kulturellen Werte verpflichtet ist, hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen nicht davon abgehalten, zwei Warhols zu verscherbeln, um mit dem Spekulationsgewinn Spielbanken zu sanieren bzw. zu bauen und Haushaltslöcher zu stopfen. Der zuständige Finanzminister ( Norbert Walter-Borjans, SPD ) erklärte dazu, ich zitiere: "Ein Kunstwerk hat einen Wert, wenn es zu veräußern ist."

Was immer er sich bei dieser Äußerung gedacht haben mag: An die kulturelle Avantgarderolle des Rheinlands, für die diese Bilder - angekauft lange bevor andere Pop-Art überhaupt zur Kenntnis nahmen - beispielhaft stehen, kurz: an ihren Wert für die Sammlungsgeschichte des Rheinlands, dachte er wahrscheinlich nicht. Hannelore Kraft jedenfalls ließ ausrichten, aus ihrer Sicht handle es sich nicht um nationales Kulturgut - also nicht um Kulturgut, das für unsere kulturelle Identität von Bedeutung ist. Dass die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen auf einer Einladung des Polnischen Instituts Berlin als Kooperationspartnerin zur Eröffnung der Ausstellung "Wenn aus Kunst Kohle wird" firmiert, wirkt da schon fast wie ein billiger Gag eines Satiremagazins.

Über den kulturpolitischen Offenbarungseid in Düsseldorf ist im Grunde alles gesagt. Und trotzdem ist das letzte Wort dazu längst nicht gesprochen, zumindest nicht zwischen Kultur- und Finanzpolitikern. Denn mit dem Verkauf der beiden Warhols ist ein Damm gebrochen, auf den wir Kulturpolitiker uns bisher verlassen konnten: der Konsens nämlich, dass Kunst ein Wert an sich ist, den zu schützen und zu verteidigen zu unseren vornehmsten Pflichten zählt.

Diesem Konsens haben wir auf bundespolitischer Ebene gerade einen Riesenerfolg für die Kultur zu verdanken - eine Entscheidung, die weiteren Positionsverschiebungen der Kunst im Koordinatensystem von Preis und Wert ein starkes Bekenntnis des Bundes zur Kultur auch in Zeiten angespannter Haushaltslage entgegengesetzt. Wie Sie sicherlich gelesen haben, wurde der Bundeskulturhaushalt für 2015 gerade um 118 Millionen Euro aufgestockt. Damit sind insbesondere die Bauhäuser in Dessau und Berlin genehmigt, die nun pünktlich zum Bauhaus-Jubiläum 2019 gebaut werden können. Außerdem kann das Romantikmuseum in Frankfurt jetzt mit Bundeshilfe errichtet werden. Und nicht zuletzt gibt es eine Million für das Humboldtforum hier in Berlin, so dass ich endlich das Thema Intendanz vorantreiben kann.

Über diese zusätzlichen 118 Millionen für den Kulturetat hinaus wird der Bund 200 Millionen Euro für ein Museum der Moderne in Berlin bereitstellen: ein Durchbruch nach jahrelangem Ringen, der mich nicht nur deshalb euphorisch stimmt, weil wir die Kunst des 20. Jahrhunderts - die spektakuläre Sammlung der Nationalgalerie, die bisher zum großen Teil in den Depots verstaubte - endlich angemessen präsentieren können. Hinzu kommt, dass wir das großzügige Angebot der drei Sammler Marx, Marzona und Pietzsch, uns ihre Konvolute mit einem Wert in Milliardenhöhe zu überlassen, endlich annehmen können.

Bisher fehlte das Geld, um die einzige Bedingung zu erfüllen, an die dieses großzügige Präsent verständlicherweise geknüpft wurde: dass die hochkarätigen Stücke adäquat und in Ergänzung der Museumssammlung der Öffentlichkeit gezeigt werden können.

Dass der Durchbruch in Berlin unmittelbar auf den Dammbruch in Düsseldorf folgte, ist eine tröstliche zeitliche Koinzidenz, die nicht über die Folgen dieses Präzedenzfalls hinweg täuschen sollte. Wo die Preise, die sich mit Kunst erzielen lassen, politisch höher bewertet werden als ihr Wert, wird sie zum dekorativen Luxus, den wir uns nur in guten Zeiten leisten und den wir in schlechten Zeiten zur Disposition stellen, um Haushaltslöcher zu stopfen.

Wir alle können dazu beitragen, solchen politischen Positionsverschiebungen ein hohes Ethos des Sammelns und Bewahrens entgegen zu setzen - in der Überzeugung, dass Kunst von unschätzbarem Wert für eine humane Gesellschaft und eine lebendige Demokratie ist.

Viele Sammlerinnen und Sammler leisten aus dieser Überzeugung heraus Pionierarbeit für die Rezeption zeitgenössischer Kunst: Sie finden die Goldkörner im Staub des Gewöhnlichen, und ihre öffentlich zugänglichen Privatmuseen bereichern unsere vielfältige kulturelle Landschaft. Öffentliche Kunstmuseen wiederum dokumentieren die unser Zusammenleben prägenden kulturellen und ästhetischen Perspektiven auf die Welt, sie setzen Maßstäbe und offenbaren unser Selbstverständnis - mit Hilfe von Kuratorinnen und Kuratoren, die es verstehen, Kunst in Szene zu setzen.

Dass es hier Positions- und Machtverschiebungen gibt, dass beispielsweise private Sammler den öffentlichen Museen zunehmend die Meinungsführerschaft streitig machen, was die Kriterien - die Wert-Urteile - über Kunst betrifft, ist offensichtlich. Ich bin sehr gespannt, wie Sie die Folgen dieser Machtverschiebungen nicht zuletzt auch für die Künstlerinnen und Künstler sehen, und wünsche Ihnen für diese Kunstkonferenz spannende und aufschlussreiche Diskussionen.

Meine Damen und Herren, von Pablo Picasso stammt folgende, im Rausch des Kunsthypes erfrischend nüchterne Feststellung: "Ein Maler ist ein Mann, der malt, was er verkauft. Ein Künstler ist ein Mann, der das verkauft, was er malt." Diese Aussage deckt die Bandbreite zeitgenössischer Kunst nicht annähernd ab und entspricht, nebenbei bemerkt, auch nicht den zeitgenössischen Standards des Gender Mainstreaming. Sie fasst aber in schlichten Worten zusammen, dass Künstler nicht mit Malern und Werte nicht mit Preisen gleich gesetzt werden sollten. Darauf kommt es an.