Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 15.02.2005

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des Festaktes zum 100 jährigen Bestehen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung am 15. Februar 2005 in Berlin
Anrede: Herr Präsident, verehrter, lieber Herr Thumann, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/44/796544/multi.htm


Verehrte Frau Winter-Schulze,

Ich freue mich, als jemand hier sein zu können, der zwar nicht unmittelbar dem Pferdesport so eng verbunden ist, der aber um die Bedeutung der Sportart weiß und viel mit Pferden zu tun hat, sowohl innerhalb der Familie als auch aufgrund meiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident. Daher weiß ich sehr wohl um die Bedeutung der Züchter, aber auch der Sportler. Erst recht weiß ich um die Bedeutung von Pferden. Wir haben bei uns zu Hause immer diskutiert, wo nun die besseren Pferde herkommen. Natürlich liegt es nahe, auf Hannover zu setzen. Aber Oldenburg ist nicht zu verachten, und Holstein auch nicht. Schließlich kommt Meteor,"der Dicke", wie er liebevoll genannt wurde, aus diesem Zuchtgebiet. Dass Balkenhol einen Westfalen ritt, wenn ich das richtig weiß, sei ihm nachgesehen. Das muss man als Hannoveraner schon deutlich werden lassen.

Ich finde, wenn man über diejenigen spricht, die den Pferdesport und die Pferdezucht in besonderer Weise bekannt gemacht haben, gehören einige genannt, die in der Fachöffentlichkeit sicher bekannt sind, in der allgemeinen Öffentlichkeit aber weniger.

Ich denke z. B. - ich bitte um Entschuldigung, wenn ich vor allen Dingen Hannoveraner nenne - an die bedeutenden und berühmten Hauptsattelmeister des Celler Landgestüts. Wir wissen, was solche Menschen der Zucht, dem Pferdesport und der Ausbildung wirklich geben. Ich habe sie in ihrer Arbeit kennen lernen können und habe großen Respekt vor dem, was sie für ihren Sport und für die Zucht leisten. Sie haben das ebenso getan wie die zahllosen Landstallmeister, zum Beispiel Herr Dr. Bade. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit ihm über Pferde- und Pferdezucht. Über die Sponsoren könnte und sollte man reden. Zum Beispiel haben sich Audi und die Brauerei verdient gemacht. Wenn ich richtig informiert bin, kommt nach dem Tempelhüter und dem Trakehner der berühmteste "Hannoveraner-Vererber", nämlich Weltmeyer, aus der Zucht der Wittinger. Und es kommen eine Reihe schöner Pferde mit dem Anfangsbuchstaben "W" da her.

Meine Damen und Herren, das sollte man auch öffentlich erwähnen: es gibt in der Reiterlichen Vereinigung mehr als 750.000 Mitglieder in rund 7.300 Vereinen. Das zeigt, dass Sie, auch wenn das gelegentlich vermutet wird, eben keine elitäre Gesellschaft sind, sondern ein Verband, der viele Mitglieder aus allen Schichten der Gesellschaft in seinen Vereinen organisiert. Ich füge aus eigener Erfahrung hinzu: Als Mitglied in einem dieser zahlreichen Reitervereine in der Umgebung von Hannover weiß ich, welche Bedeutung Pferde für Menschen haben. Wer einmal persönlich erlebt hat, welche Sensibilität, Freude und neuen Lebensmut etwa Menschen mit Behinderungen aus der Beschäftigung mit Pferden ziehen können, kann nur glücklich darüber sein, dass sich die Reiterliche Vereinigung um diese Frage sehr kümmert. Das ist wirklich ganz großartig.

Ich wünsche mir sehr, dass im Interesse dieser Menschen, die ein schweres Schicksal zu tragen haben und denen die Beschäftigung mit Pferden, das Reiten auf Pferden und das Streicheln und Anfassen so unendlich viel bedeutet, Ihre Aktivitäten ein großer Erfolg werden. Es geht darum, diesen häufig jungen Menschen zu helfen, damit sie ihre Behinderungen oder ihre Krankheiten besser ertragen, vielleicht sogar partiell überwinden können.

Meine Damen und Herren, weltweit ist die Reiterliche Vereinigung die größte Pferdezucht- und Pferdesport-Vereinigung. Weit mehr als eine Million Menschen in unserem Land reiten regelmäßig - ob als Teilnehmer in Wettkämpfen oder als so genannte Freizeitreiter. Wenn ich über Wettkämpfe rede, faszinieren natürlich immer wieder die Siege bei den Olympischen Wettbewerben, bei den Europa- und Weltmeisterschaften. Aber Wettbewerbe gibt es auch in zahllosen Dörfern, vor allem natürlich in den Zuchtgebieten. Man sieht dort mit welchem Ehrgeiz und mit welcher Hingabe gekämpft wird. Pferde eignen sich auch als Erziehungsmittel, weil man spüren kann, wie Kinder und junge Menschen Verantwortung für Tiere übernehmen und damit natürlich sich selber auch als Persönlichkeiten entwickeln. Wenn man das gesehen hat, weiß man, dass die Arbeit in diesen Vereinen sehr wertvoll ist. Mit mehr als 3.000 Veranstaltungen und rund 1,5 Millionen Starts pro Jahr hat dieser Breitenturniersport eine Dimension erreicht, die man in früheren Zeiten kaum für möglich gehalten hätte. Es ist so, dass dieser Prozess ohne die Reiterliche Vereinigung nicht denkbar gewesen wäre.

Der Verband ist aus guten Gründen stolz darauf und aus guten Gründen traditionsbewusst. Sie sind stolz auf bestimmte Konventionen und Regeln. Die meisten haben etwas mit Fairness zu tun, was wichtig in unserer Gesellschaft ist.

Aber - auch das ist deutlich geworden - die Reiterliche Vereinigung hat sich neuen Trends nie verschlossen. Es ist also das gelungen, was nicht immer gelingt, nämlich Tradition und Erneuerung miteinander in Einklang zu bringen. Das war richtig und weitblickend zugleich; denn ohne die Öffnung der Reitervereine wären die Entwicklung und das Wachstum des deutschen Pferdesports so wohl nicht möglich gewesen.

Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Grund, aus dem die Reiterliche Vereinigung ein außergewöhnlicher Sportverband ist: Die Aktiven sind schon fast gewohnheitsmäßig eine sichere Medaillenbank bei allen großen Sportveranstaltungen. Wenn es bei den Olympischen Spielen in der Nationenwertung in anderen Disziplinen noch nicht gut aussah, wurde immer gesagt: "Na ja, es wird schon werden; schließlich kommen die Reiterinnen und Reiter noch." Das ist dann auch immer so gekommen. Es gibt beeindruckende Erfolge. Wir haben bei den Olympischen Spielen 1956 gesehen, was Hans-Günter Winkler dort geleistet hat. Gerade wenn man sich noch gut an die Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern erinnert und daran, was das für Deutschlands Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft bedeutet hat, kann man gar nicht hoch genug einschätzen, was die Reiter 1956 bei den Olympischen Spielen in Stockholm nicht nur für den Sport, sondern auch für unser Land geleistet haben. Auch das gehört dazu, wenn man über die Geschichte des Pferdesports in Deutschland spricht.

Zu recht ist erinnert worden an Paul Schockemöhle mit Deister oder auch an Alwin Schockemöhle, der 1976 bei schwierigsten Witterungsbedingungen, nämlich bei Blitz und Donner, Olympiasieger in Montreal geworden ist. Wenn wir über die hervorragenden Aktiven des deutschen Reitersports reden, fallen uns Namen wie Hartwig Steenken, Gert Wildfang oder auch Ludger Beerbaum ein. Auch heute knüpfen deutsche Reiterinnen und Reiter immer wieder an diese großen Erfolge an. Aktuell sind unter den "Top 10" der weltbesten Springreiter sechs Deutsche platziert.

Auch wenn man über die Dressur redet, fallen einem natürlich nur Namen von Olympiamedaillengewinnern ein - sie sind untrennbar mit der Geschichte des nationalen wie auch des internationalen Pferdesports verbunden - , z. B. der ersten weiblichen Olympiasiegerin im Dressurreiten Liselott Linsenhoff. Auch Josef Neckermann, Isabell Werth, Rainer Klimke, Nicole Uphoff, Ulla Salzgeber oder auch Nadine Capellmann, um nur wenige herauszugreifen, gehören zu dieser wirklich erlauchten Reihe von Namen, die ganz vielen Menschen, auch wenn sie keine direkte Verbindung zu Pferden und dem Pferdesport haben, doch viel Freude gemacht haben.

Meine Damen und Herren, ein erfolgreicher Sportler darf hier nicht unerwähnt bleiben. Es wird einem nahe gebracht, das unbedingt zu erwähnen, nämlich dass Herr Thumann mit seinem Vierspänner einen dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften gewonnen hat. Wenn ich übrigens an Ihrer Stelle, Herr Thumann, zu entscheiden gehabt hätte, ob ich Präsident der Reiterlichen Vereinigung bleibe oder BDI-Präsident werde, hätte ich keine Schwierigkeiten mit der Entscheidung gehabt.

Ich hätte auf das Amt des BDI-Präsidenten verzichtet. Aber ich finde es trotzdem sehr gut, dass Sie sich anders entschieden haben, weil das eine Form von Zusammenarbeit erlaubt, die - davon gehe ich wirklich aus- in der Tradition dessen steht, was Sie vorher gemacht haben. Diejenigen, die sich im Sport - speziell im Pferdesport - betätigt haben, wissen natürlich um eines, nämlich dass man mit Fairness immer am weitesten kommt. Das ist ja die beste Basis für eine Zusammenarbeit, die nicht immer irrtumsfrei und nicht immer konfliktlos vonstatten gehen kann, die aber -d essen bin ich sicher- in jedem Fall fair und vor allen Dingen erfolgsorientiert für unser Land vonstatten gehen wird.

Meine Damen und Herren, vor 100 Jahren entstand der "Verband Deutscher Halbblutzüchter", wie er damals hieß, vor allen Dingen auch, um Käufer für Pferde zu finden. Die deutsche Pferdezucht bedient übrigens keineswegs nur den deutschen oder den europäischen Markt. Ich freue mich, dass z. B. bei meiner Reise in die Golfstaaten, Vertreter des deutschen Pferdesports und der Züchter wie Frau Capellmann, Herr Beerbaum und Paul Schockemöhle dabei sein werden. Wir wissen nämlich sehr wohl auch um die wirtschaftliche Funktion der Pferdezucht und des Standes, den deutsche Pferde dort, aber auch in den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada haben. Ein Grund dieses Erfolges auf den internationalen Märkten liegt übrigens auch in der Struktur der Zuchtbetriebe, weil die Vererber vom Landgestüt zu erträglichen Preisen vorgehalten werden und die Stuten in bäuerlichen Betrieben zu Hause sind. Das ist eine gute Mischung, die sicherlich auch dazu beiträgt, dass deutsche Pferde auf den Märkten der Welt Erfolg haben. Es ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der Arbeit der Vereinigung, dass das immer wieder möglich ist.

Tradition bedeutet, wie einmal gesagt worden ist, nicht, Asche aufzuheben, sondern, eine Flamme am Brennen zu erhalten. Das tun Sie. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, was Sie für die jüngeren Leute mit großem Erfolg tun. Rund die Hälfte der Mitglieder in den Reitervereinen sind jünger als 26 Jahre. Sie machen die Arbeit mit den jungen Menschen nicht nur, um neue Mitglieder zu werben, sondern auch, um eine Erziehungsaufgabe zu erfüllen, nämlich jungen Menschen zu vermitteln, Respekt vor den Tieren zu haben und Disziplin zu zeigen. In der Therapie von kranken oder behinderten Menschen - ich habe darauf hingewiesen - machen Sie wirklich Wegweisendes.

Meine Damen und Herren, 2006 werden die Weltreiterspiele in Deutschland ausgetragen. Ich habe es als eine Ehre betrachtet, die Schirmherrschaft dafür übernehmen zu dürfen. Ich finde, dass das durchaus in eine Reihe mit der in Deutschland stattfindenden Fußballweltmeisterschaft gehört, wenn auch die Zahl der aktiven Teilnehmer und der Zuschauer sicherlich eine andere sein wird. Die Bedeutung der Weltreiterspiele in Deutschland sollte aber nicht unterschätzt werden. Übrigens ist das auch ein Grund, aus dem die Bundesregierung die Baumaßnahmen dafür auch materiell unterstützt. Ich finde, das ist gut angelegtes Geld, und bin dem, der in der Tat der Sportminister ist, für sein persönliches Engagement auch sehr dankbar. Was bleibt mir zu wünschen? - Viel Erfolg bei den Weltreiterspielen und viel Erfolg bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2008. Natürlich wünsche ich der Reiterlichen Vereinigung ein weiterhin erfolgreiches Wirken. Ich wünsche dem neuen Präsidenten gerade so viel Fortune in seinem Amt, wie es der alte Präsident - der nicht wirklich alt ist - , also sein Vorgänger, gehabt hat. Vielen Dank und alles Gute für Sie!