Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 01.03.2005

Anrede: Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrter, lieber Herr Al Ghanim, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/95/794895/multi.htm


Zunächst will ich mich sehr herzlich für die Gastfreundschaft bedanken, die meine Delegation und ich in Ihrem Land haben erfahren dürfen. Es ist eine Gastfreundschaft, die auf Beziehungen beruht, die eine lange gute Tradition haben, sowohl im Politischen als auch im Wirtschaftlichen. Deswegen erfüllt es mich mit Freude, hier sein zu können. Ich habe Ihrem Ministerpräsidenten gestern sagen können, dass Deutschland daran interessiert ist, ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Kuwait und Deutschland aufzuschlagen. Das gilt politisch, ökonomisch, aber insbesondere auch kulturell.

Kuwait und Deutschland sind bedeutende Kulturnationen und haben einander viel zu geben. Sie können den Dialog der Kulturen voranbringen - ein Aspekt, der gewiss nicht kurzfristig wirtschaftliche Erfolge bringt, aber mittel- und langfristig die Völker näher zueinander bringt und deshalb auch positive Auswirkungen auf die ökonomische Zusammenarbeit haben wird.

Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die wirtschaftlichen Beziehungen keineswegs einseitig sind. Sie sind vielmehr durch eine faire Partnerschaft geprägt. Vor mehr als 30 Jahren hat der Emir von Kuwait eine sehr weitsichtige Entscheidung getroffen, die Entscheidung nämlich, nicht nur mit Deutschland Handel zu treiben, was viele Nationen tun, sondern auch die Entscheidung, sich in Deutschland an wichtigen industriellen Unternehmen zu beteiligen. Damals hieß das bedeutsamste Unternehmen noch Mercedes; jetzt heißt es DaimlerChrysler. Weitere Beteiligungen sind hinzu gekommen, z. B. die Beteiligung Kuwaits an der Metallgesellschaft. Wir sind uns einig, dass das erst ein Anfang ist. Es kommt immer darauf an, dass in den jeweiligen Partnerländern direkt investiert wird. Denn das ist die sicherste Basis für eine nachhaltige und langfristige Zusammenarbeit, um die es uns beiden geht.

Ich will, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu den Vorteilen machen, die Deutschland bietet. Herr Al Ghanim hat schon darauf hingewiesen. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft und mit Abstand das bevölkerungsreichste Land in der Europäischen Union. Wir haben Erfolge im Welthandel. Wir haben real Anteile an den Märkten der Welt gewonnen. Wir haben diese Erfolge - das zeigt die Kraft der deutschen Volkswirtschaft - vor einem ganz bestimmten historischen Hintergrund erzielt. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Deutschland wiedervereinigt - ein Land, ein Volk mit 82 Millionen Einwohnern und einem gewaltigen Bruttoinlandsprodukt. Um diese Wiedervereinigung so einzurichten, dass im ganzen Land möglichst gleiche Lebensbedingungen herrschen, transferieren wir - nunmehr seit 15 Jahren - vom Westen in den Osten des Landes jedes Jahr mehr als 80 Milliarden Euro. Wir sind stolz darauf, das tun zu können. Wir sind auch stolz darauf hinweisen zu können, dass eine solch gewaltige Leistung keine Volkswirtschaft der Welt erbringen muss und, wir behaupten, wenige Volkswirtschaften der Welt erbringen könnten. Ich erwähne das, um Ihnen deutlich zu machen, welche Kraft in dieser Volkswirtschaft steckt und welche Chancen auch für Investment aus Kuwait damit verbunden sind.

Herr Al Ghanim, ein hervorragender Kenner meines Landes, hat schon darauf hingewiesen, dass wir über eine hervorragend ausgebaute Infrastruktur verfügen. Das ist an sich eine Selbstverständlichkeit für ein hoch industrialisiertes Land. Aber diese Infrastruktur in der Mitte Europas aufrecht zu erhalten, kostet viel Kraft. Wir verfügen nicht nur über eine ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, sondern auch über eine hervorragende Kommunikationsinfrastruktur, die immer wichtiger für wirtschaftlichen Austausch wird. Wir verfügen weltweit über das modernste Netz der Informations- und Kommunikationstechnologie. Meine Damen und Herren, vor allen Dingen verfügen wir über erstklassig ausgebildete Arbeitskräfte und über ein Maß an Flexibilität auf unseren Arbeitsmärkten, das in der Praxis vorbildlich ist. Wir haben eine Struktur in der Wissenschaft, die dazu führt, dass wir vorneweg sind bei der Entwicklung neuer Produkte und bei ihrer Umsetzung auf den Märkten der Welt. Kurzum: Deutschland ist ein Land, auf das wir stolz sind und dessen Leistungskraft wir gern überall in der Welt erläutern.

Was sind nun die Felder der Zusammenarbeit zwischen Deutschland auf der einen Seite und Kuwait auf der anderen Seite? Wenn man sich diese Frage stellt, dann möchte ich ein paar praktische Erfahrungen einbringen, die ich auf meinem kurzen Besuch habe sammeln können. Erstens: Ich komme gerade von einem Ausbildungszentrum hier in Kuwait. Dort werden junge Menschen ausgebildet in den technischen Berufen, aber auch in den Bereichen Touristik und Gesundheit. Mir scheint das ein sehr gutes Beispiel für eine entwickelte partnerschaftliche Zusammenarbeit zu sein. Wir haben in Deutschland Erfahrungen mit einem sehr guten Ausbildungssystem, das darauf beruht, dass praktische Ausbildung in den Betrieben und Unternehmen sowie theoretische Ausbildung durch den Staat in den Schulen gemacht wird. Wir sind bereit, diese Erfahrungen weiter zu geben.

Zweitens: Wir sind erst am Beginn eines wissenschaftlichen Austausches. Die Zusammenarbeit auf diesem Sektor - bei der Entwicklung neuer Ideen, bei der Umsetzung in Produkte, vielleicht auch bei der Vermarktung - wird immer wichtiger. Wir können auf diesem Sektor noch viel miteinander erreichen, und wir sind dazu bereit. Ich habe gestern ein Kraftwerk - eine Kooperation eines kuwaitischen Unternehmens und Siemens - mit einweihen können - ein Kraftwerk, das auf Gasbasis funktioniert. An diesem Beispiel zeigt sich, was wir miteinander - kuwaitische und deutsche Unternehmen - bei der Herstellung und Entwicklung von Energietechnik tun können; ein Bereich, der für die kuwaitische Wirtschaft von großer Bedeutung ist und der der kuwaitischen Wirtschaft im Übrigen einen Markt in der Nachbarschaft öffnen soll, nämlich im Irak, auf den ich noch zurückkommen werde. Die Erfahrungen und Kenntnisse, die Deutschland auf dem Energiesektor hat, können wir nutzen, um eine Infrastruktur aufzubauen, die seinesgleichen sucht.

Im Golfkooperationsrat gibt es Überlegungen, ob man die Energieproduktionen in der ganzen Region vernetzt - nach dem Vorbild Europas, wo wir Netze haben, die in Spitzenzeiten dem jeweils anderen bei hoher Nachfrage helfen können. Diese Form der Vernetzung erfordert ein hohes Maß an technologischen Kenntnissen, die wir in Deutschland in besonderer Weise haben und die wir gern zur Verfügung stellen. Es geht also nicht nur um Produktion, sondern es geht auch um Betrieb und die Kenntnisse, die man braucht, um einen effizienten Betrieb zu gewährleisten.

Wir wollen sehr eng auf dem Gebiet der Logistik zusammenarbeiten. Hier geht es keineswegs nur um den Autoverkehr, sondern es geht vor allen Dingen um den Bereich des Bahnsektors. Es geht aber auch um Hafenprojekte, wo wir Erfahrung in der Planung und im Betrieb haben, die wir gern zur Verfügung stellen. Es geht natürlich auch um das, was mit der Logistik im Luftverkehr zusammenhängt. Auch hier gibt es Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die ausbaufähig sind und die wir von heute an auch konkreter ins Auge fassen wollen. Wir haben Erfolge in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. 2004 ist der Export von Deutschland nach Kuwait um 30 Prozent gewachsen. Das ist ein großer Erfolg, auf den wir miteinander stolz sein können, aber die Potenziale sind keineswegs ausgeschöpft.

Ich hatte über den Dialog der Kulturen und in dem Zusammenhang über Wissenschaft geredet. Da sind wir am Anfang, keineswegs am Ende des Weges. Der kulturelle Austausch sollte mehr ins Auge gefasst werden. Es gibt Möglichkeiten in der Musik, in der Literatur und der bildenden Kunst, mehr voneinander zu erfahren, als das gegenwärtig der Fall ist. Ich würde es gern sehen, wenn wir auch auf diesem Gebiet enger miteinander kooperieren als in der Vergangenheit.

Herr Al Ghanim, Sie haben aus einem sehr guten Grunde auf etwas hingewiesen, das wir miteinander für wichtig halten, nämlich das politische Umfeld, in dem sich wirtschaftliche Tätigkeit bewegt. Es gibt - lassen Sie mich das so sagen - keinen Frieden ohne wirtschaftliches Wohlergehen und Entwicklung, jedenfalls nicht auf Dauer. Aber umgekehrt gibt es auch keine wirtschaftliche Entwicklung, keine wirkliche Perspektive ohne Frieden. Das bringt mich dazu zu sagen, dass wir eine Menge an Gemeinsamkeiten haben - auch das ist in den Diskussionen mit dem Herrn Ministerpräsidenten deutlich geworden - , was die Konflikte angeht, die in dieser Region für alle sichtbar sind.

Bevor ich drei Bemerkungen dazu mache, will ich ein Thema nicht aussparen, das für die Weltwirtschaft von besonderer Bedeutung ist. Wir hatten gestern Gelegenheit, mit dem Herrn Ministerpräsidenten über die Frage zu diskutieren, wie sich die Entwicklung der Ölpreise im Weltmaßstab in der nächsten Zeit darstellt. Wir hatten Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Kuwait, ausgestattet mit gewaltigen Ölreserven, eine außerordentlich verantwortungsbewusste Politik in diesem Bereich verfolgt. Sie folgt der Erkenntnis, dass auch die Ölförderländer, wenn sie nicht in kurzfristigen Phasen, sondern mittel- und langfristig denken, an auskömmlichen, gerechten und die weltwirtschaftliche Entwicklung stützenden Preisen interessiert sind. Das sind erst recht die entwickelten Länder. Sie werden und sie können nämlich nur dann ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Technologien weitergeben, wenn die ökonomischen Bedingungen dies ermöglichen. Das ist der Zusammenhang, den man sehen muss, wenn man über die Perspektiven der Weltwirtschaft nachdenkt.

Ich hatte gesagt: Ich wollte auf die Sorge eingehen, die Herr Ghanim in seiner Rede über die regionalen Konflikte zum Ausdruck gebracht hat. Einer der Wesentlichsten ist die Frage: Schaffen wir es, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen? Schaffen wir es sicherzustellen, dass Israel und seine Bürgerinnen und Bürger in sicheren Grenzen frei von terroristischen Attacken leben können, und schaffen wir es auf der anderen Seite sicher zu stellen, dass es einen palästinensischen Staat gibt, der diesen Namen auch verdient, der aus sich selbst heraus lebensfähig ist?

Das ist die Aufgabe, die wir haben. Ich glaube, dass dies mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus verbunden ist. Möglicherweise gibt es keine direkte Beziehung zwischen diesem Konflikt und dem Terrorismus, denn die Aktiven im Terrorismus sind nicht verelendete Massen. Aber es gibt über diesen Konflikt immer wieder die Möglichkeit, Massenloyalität für terroristische Attacken oder jedenfalls Verständnis herzustellen. Auch deshalb muss der Konflikt gelöst werden; das liegt in unserem gemeinsam Interesse. Vorneweg müssen die Vereinigten Staaten von Amerika sein. Sie sind die einzigen, die die politische Kraft haben, diesen Konflikt wirklich gestaltend zu lösen. Europa - und in Europa Deutschland - kann und will einen Beitrag leisten. Das werden wir ergänzend zu den Aktivitäten der Vereinigten Staaten auch tun, und wir werden das gemeinsam mit unseren europäischen Freunden tun.

Ein zweiter Konflikt, der Kuwait besorgt macht, ist die Auseinandersetzung um die Frage der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, hier atomare Waffen, mit Bezug auf Ihr Nachbarland Iran. Ich glaube, der Ansatz der Europäer ist richtig. Wir wollen niemandem vorschreiben, ob er Kernenergie friedlich nutzt oder nicht. Aber ich glaube, wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass der Iran nicht über atomare Waffen verfügt. Deswegen ist der Ansatz der drei europäischen Mächte - Deutschland, England und Frankreich - , in Verhandlungen zu signalisieren: Wir haben keine Einwände gegen die friedliche Nutzung, aber wir haben schon die Verpflichtung und die Aufgabe dafür zu sorgen, dass es zur Verfügung über Atomwaffen nicht kommt. Wir wollen das in fairen Verhandlungen klären, bei denen wir auch bereit sind, wirtschaftliche Perspektiven anzubieten, wenn das Ziel erreicht wird. Aber auch die Führung des Iran muss sich in die richtige Richtung bewegen. Mein Eindruck ist, dass die Chancen für eine Regelung gestiegen sind, zumal auch die Vereinigten Staaten von Amerika den Verhandlungsansatz deutlich unterstützen.

Wir haben dann - auch, weil das ein Nachbarland ist - über den Irak zu reden. Wie immer man zur Vergangenheit steht, es kommt jetzt für uns alle darauf an dafür zu sorgen, dass es einen stabilen Irak gibt, weil das die Voraussetzung für mehr Stabilität in der ganzen Region ist. Das ist der Grund, warum Deutschland sich an der Ausbildung von Polizei und Militär für die Iraker beteiligt. Wir tun das nicht im Irak, aber wir tun das in den Emiraten, und wir setzen dazu durchaus erhebliche Mittel ein. Wir sind bereit, unsere Erfahrungen zur Verfügung zu stellen, wenn es um den Aufbau von Institutionen geht. Sie haben, Herr Al Ghanim, zu Recht darauf hingewiesen, dass wir unserer Vergangenheit wegen dabei über erhebliche Erfahrungen verfügen. Wir wollen gern hilfreich sein, wenn das gewünscht wird. Wir sind durchaus bereit, wenn es die Sicherheitslage zulässt, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit Kuwait, für den Wiederaufbau in dem Land zu sorgen. Wir haben bereits jetzt 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir sind es gewesen, die bei der Diskussion um die Schulden des Irak dafür gesorgt haben, dass es zu einem großzügigen Erlass gekommen ist, damit der Irak dieses Geld für Wiederaufbau einsetzen kann - ein Land, das ja potenziell über erhebliche Ressourcen verfügt. Wir sind bereit, auf diesem Wege weiter zu gehen.

Daran wird deutlich, dass wir als Europäer ein Interesse an der Lösung der Konflikte in der Region haben, weil das unsere Nachbarregion ist und weil wir wissen, dass Konflikte, die hier nicht gelöst werden, negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und damit auf unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten haben.

Mein Eindruck, Herr Al Ghanim, Herr Minister, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist also, dass wir am Anfang eines guten Weges sind, auf dem die Zusammenarbeit zwischen Kuwait auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite gestärkt werden kann. Wenn es angesichts dieser erfolgreichen Zusammenarbeit Wünsche an uns gibt - z. B. den Wunsch, in Europa hilfreich zu sein, damit man endlich das Abkommen über freien Handel zwischen Kuwait und Europa zu Wege bringt - , dann wollen wir uns gern darum kümmern. Wir haben, Herr Minister, viel darüber geredet. Mein Eindruck ist also, dass große Möglichkeiten vor uns liegen.