Redner(in): Christina Weiss
Datum: 02.03.2005
Untertitel: Anlässlich des Empfangs für den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Prof. Klaus Lehmann am 2. März 2005 zu seinem 65. Geburtstag hielt Kulturstaatsministerin Weiss eine Tischrede.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/31/798531/multi.htm
nach all den freundlichen und klugen Worten, die Sie bislang entgegen nehmen konnten, möchte ich ein kleines Geheimnis verraten: Sie haben Hunger! Bevor man Sie in dieses Haus "verschleppte", hatte man Ihnen ein luxuriöses Essen versprochen, verriet man mir. Das ist Ihnen - enttarnt als plumper Vorwand - nun entgangen, und wir wissen alle, dass selbst die schönste Festschrift nicht satt macht. - Sie haben also Hunger und denken: "Warum hält mich gerade meine Chefin auf, wenn sie doch um mein Leiden weiß?!" - Aus einem einfachen Grund: Sie, lieber Herr Professor Lehmann, und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollen wissen, dass es für mich von ganz außerordentlicher Bedeutung ist, den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei Kräften zu wissen. Denn: würde er schwächeln - ich wäre womöglich längst verloren...
Am 14. Januar diesen Jahres war es kalt in Sankt Petersburg. Gemeinsam haben Professor Lehmann und ich den Bundespräsidenten nach Russland begleitet, um das Ende des deutsch-russischen Kulturjahres feierlich zu begehen. Wir haben die Eremitage besucht, in der man kunstvoll jeden Raum umschiffte, in dem ein Bild aus preußischem Besitz vermutet werden durfte. Wir haben gemeinsam den Klängen der restaurierten Walker-Orgel gelauscht und der kleinen Militärkapelle, die schwungvoll den "Fehrbelliner Reitermarsch" intonierte, den man hierzulande gemeinhin mit dem Text verbindet: "Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder haben". Und nicht zuletzt haben wir uns als Gäste des russischen Präsidenten gut und deftig stärken dürfen.
Was Ihnen, lieber Herr Lehmann, auch jetzt nicht mehr lange vorenthalten werden soll, war auch in jener russisch kalten Nacht von Vorteil: Als ich nämlich - zehn Minuten nach Ihnen - die präsidiale Lokalität verließ, setzte sich - angeführt von der schweren Limousine Putins - die gesamte Wagenkolonne in rasche Bewegung. Niemand achtete darauf, dass außer mir noch andere Mitglieder der deutschen Delegation im russischen Schneeregen standen - fehlgeleitet vom Protokoll, auch das soll ja selten vorkommen. Polizisten wedelten mit Maschinenpistolen, Fahrer schrieen aufgebracht die verdutzten Ex-Passagiere an und zeigten sich bei der Wahl zwischen Pflichterfüllung und Menschlichkeit eher der Pflicht verpflichtet. So fuhr - ohne mich - also auch der Chauffeur meines Wagens laut fluchend an, und es war nur Ihrer Standfestigkeit zu verdanken, lieber Herr Professor Lehmann, dass ich der Fremde doch noch glücklich entkam: In der halb aufgerissenen Tür des schwarzen Dienstwagens stehend - ein Bein auf vereistem russischen Grund, ein Bein im anrollenden Gefährt - waren Sie bereit, sich für meinen Mittransport in Stücke reißen zu lassen. Zumindest unterstelle ich Ihnen das, denn Sie riefen herzlich meinen Namen... Ihr Spagat war von einmaliger Eleganz und Waghalsigkeit zugleich und hat letztlich selbst den grobschlächtigen Fahrer zu einem kurzen Zwischenstopp verleitet, den ich zum Sprung in den Fond des Wagens nutzte. - Um genau zu sein: halb sprang ich, halb schob mich ein verängstigtes Bundestagsmitglied voran... - Ich ward gerettet und bewundere bis heute Ihren mutigen Einsatz. Mit Ihrem unnachahmlichen Pas de Deux haben Sie bewiesen, was es bedeutet, elegant und doch mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Kraft, die auch eine mentale Leistung ist, lange behalten. Für die Pflege der körperlichen Seite eines solchen Kraftakts wünsche ich Ihnen nun endlich: Guten Appetit!
Vielen Dank!