Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 28.01.2000

Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Blatter, sehr geehrter Herr Präsident Johansson, sehr geehrter Herr Präsident Braun, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/7425/multi.htm


Wer sich gelegentlich über Fußball unterhält, wird schnell die Erfahrung machen, dass sich die Mitmenschen in zwei Gruppen einteilen lassen. In die Gruppe der Infizierten einerseits und die Gruppe der Immunen andererseits.

Ich bekenne hier freimütig: ich gehöre zu den Infizierten. Denn der Fußball, der ja nur die schönste Nebensache der Welt ist, hat mir viele vergnügliche Stunden, unvergessliche Erlebnisse und bleibende Erinnerungen an großartige und spannende Spiele beschert. Und ich nehme an, hier im Leipziger Gewandhaus sitzen heute nur, zumindest fast nur Infizierte und Fußball-Begeisterte. Schließlich hat ein besonderes Jubiläum uns an diesem Ort zusammengebracht.

Der Deutsche Fußball-Bund, mit fast sechseinhalb Millionen Mitgliedern der größte Einzel-Spitzensportverband der Welt, feiert in der Stadt seiner Gründung sein 100-jähriges Bestehen.

Hierzu möchte ich Ihnen, Herr Präsident Braun, stellvertretend für alle Aktiven, Funktionäre und Förderer, für Hauptamtliche und Ehrenamtliche, für Trainer, Betreuer und Schiedsrichter, für Profis und Amateure meine persönlichen Glückwünsche und die Grüße der Bundesregierung überbringen.

Genau vor 100 Jahren versammelten sich im Mariengarten in Leipzig 36 Delegierte aus 86 Vereinen zum "Ersten Allgemeinen Fußballtag". Damals war der Fußball noch ein Außenseitersport. Eine Randsportart würde man wohl heute sagen.

100 Jahre später ist Fußball nicht nur Massen- und Volkssport, sondern der universelle Sport schlechthin. Keine andere Sportart erreicht weltweit so viele Menschen wie der Fußball. Und die Bundesrepublik ist da natürlich keine Ausnahme.

Gerade nach dem Fall der Mauer haben wir erlebt, wie die Leidenschaft für den Fußball, die Identifikation mit dem Lieblingsverein und das Daumen-Drücken für die Nationalmannschaft die Deutschen in Ost und West vereint hat.

Zwischen Leipzig und dem Fußball besteht eine besondere Beziehung. Deswegen bin ich sehr erfreut, dass wir unmittelbar vor diesem Festakt die Grundsteinlegung für den Umbau des Zentralstadions vorgenommen haben. Leipzig wird damit eine Sportstätte erhalten, die absolut WM-tauglich ist. Und die Bundesregierung wird trotz aller Sparzwänge beim Stadionbau finanziell nach Kräften helfen. Was mich betrifft, sage ich schon heute zu, das erste Länderspiel im umgebauten Zentralstadion in Leipzig zu besuchen.

Meine Damen und Herren,

100 Jahre Deutscher Fußball-Bund sind Anlass, um allen Verantwortlichen, die in diesem langen Zeitraum zu einer guten Entwicklung beigetragen haben, aufrichtig zu danken.

Generationen von Vereinsführungen und Verbandsvertretern, von Trainern und Betreuern haben dazu beigetragen, dass der Fußball in Deutschland vor allem in den vergangenen 50 Jahren eine geradezu unglaubliche Erfolgsgeschichte geschrieben hat.

Ob bei den Nationalmannschaften mit drei Welt- und drei Europameisterschaften oder in den internationalen Wettbewerben der Vereinsmeisterschaften - ich nenne hier nur Bayern München, Borussia Dortmund und den Hamburger SV - der Deutsche Fußball-Bund gehört zu den erfolgreichsten Verbänden der Welt.

Und natürlich erinnern wir uns in so einer festlichen Stunde großer Persönlichkeiten, die den deutschen Fußball geprägt haben. Ich denke an Sepp Herberger und Helmut Schön, Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Jürgen Klinsmann und Lothar Matthäus, aber auch an einen Mann wie Dettmar Cramer. Ich will an dieser Stelle auch den DFB-Verantwortlichen danken, die in der FIFA und in der UEFA mitarbeiten. Mit Können und Geschick tragen Sie dazu bei, dass der DFB in diesen internationalen Verbänden anerkannt ist und konstruktiv zum Wohle des Fußballsports mitwirken kann.

Meine Damen und Herren,

100 Jahre Deutscher Fußball-Bund sollten aber auch Anlass sein, nicht nur an die herausragenden sportlichen Erfolge der Vergangenheit, sondern auch an dunkle Seiten der Geschichte zu erinnern.

Dies gerade in diesen Tagen, da wir in Deutschland und der ganz Welt der Opfer des Holocaust gedenken.

Auch der deutsche Fußball hatte zwischen 1933 und 1945 nicht die Kraft, der Instrumentalisierung und Vereinnahmung durch ein verbrecherisches politisches System zu widerstehen.

Wir alle - und das heißt auch: die Verbände als Teilsystem der Gesellschaft - sind aufgerufen, die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten und insbesondere den jungen Menschen Beispiele für Tolerenz und Weltoffenheit zu geben. Hier bieten sich vor allem dem Sport große Möglichkeiten.

Meine Damen und Herren,

der DFB ist nach gängiger Definition der Dachverband des deutschen Fußballs.

Er erfüllt wichtige Aufgaben wie Nachwuchsarbeit und Talentförderung, die Koordination und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Landesverbänden, er organisiert den Spielbetrieb von der Kreisklasse bis hin zu internationalen Begegnungen.

Wer aber damit endet, wird der Bedeutung des Deutschen Fußball-Bundes nicht gerecht, denn dieser erfüllt seit Jahren wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik.

Wegen der knapp bemessenen Zeit kann ich nur schlaglichtartig hinweisen auf die Sepp-Herberger-Stiftung, auf DFB-Aktionen wie "Mein Freund ist Ausländer" sowie Benefiz-Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zur Förderung sozialer Einrichtungen.

Ganz wichtig ist aber auch die Mexiko-Hilfe des DFB, für die gerade Sie, verehrter Herr Präsident Braun, mit Ihrem persönlichen Engagement stehen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Ihnen dieses Projekt eine Herzensangelegenheit und Lebensaufgabe ist. Und nur wenige werden vielleicht wissen, dass der DFB Jahr für Jahr hohe Millionen-Beträge für sein soziales Engagement aufwendet. Auch dafür sei hier und heute noch einmal gedankt.

Meine Damen und Herren,

große sportliche Aufgaben stehen mit der Europameisterschaft 2000 und der Weltmeisterschaft 2002 bevor.

Ich hoffe sehr, dass die deutsche Mannschaft in beiden Endrunden möglichst weit kommt und möglichst den EM-Titel verteidigt.

Froh bin ich, dass wir die Spiele in Belgien und in den Niederlanden sowie in Japan und Südkorea im Free TV sehen werden. Und für vernünftig halte ich es, dass auch bei den Bundesliga-Spielen die bisher praktizierte Regelung bleiben soll: umfassende Berichte im Free TV zeitnah nach dem Schluss-Pfiff. Die Bundesregierung achtet uneingeschränkt die Souveränität des Sports. Und deshalb ist es selbstverständlich alleinige Sache des DFB, wie er sich organisiert und sich zukünftig organisieren wird.

Nur sollte - und das ist mein Anliegen - alles unter einem Dach, nämlich dem des Deutschen Fußball-Bundes bleiben. Denn sonst verkümmert die Solidarität zwischen Profis und Amateuren und wichtige Säulen wie das Ehrenamt und das Jugendamt könnten schweren Schaden nehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir Deutschen haben einen großen Wunsch. Nicht nur der DFB hat diesen Wunsch, er wird geteilt von einer großen Mehrheit unserer Bevölkerung.

Wir alle würden uns sehr freuen, wenn die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland - und damit im Herzen Europas - stattfindet. Die Bundesregierung unterstützt die Bewerbung des DFB uneingeschränkt und aus voller Überzeugung. Ich würde mich sehr freuen, wenn der DFB den Zuschlag erhält, und Deutschland in der Mitte des zusammenwachsenden und erweiterten Europas Gastgeber für die Fußball-Fans aus aller Welt seit wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der Deutsche Fußball-Bund feiert heute sein 100jähriges Bestehen. Wenn ich mir die ungebrochene Attraktivität des Fußballs betrachte, dann mache ich mir über die Zukunft des Fußball-Bundes keine wirklichen Sorgen.

Natürlich wünsche ich dem DFB große sportliche Erfolge bei internationalen Turnieren. Und natürlich wünsche ich den Verantwortlichen, dass sie mit der nötigen Sensibilität und dem erforderlichen Augenmaß einer totalen Kommerzialisierung des Fußballs entgegenwirken.

Möge der Fußball uns alle - ob als Aktive oder als Zuschauer - weiterhin in seinen Bann schlagen, möge dieser Sport Kinder und Jugendliche so begeistern wie Generationen vorher und möge der DFB weiterhin seinen Beitrag dazu leisten, dass sich nicht zuletzt durch den Fußball die Völker dieser Welt besser verstehen lernen.

Ich versichere Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident Braun, dass der DFB in der Bundesregierung immer einen offenen und gesprächsbereiten Partner in Sachen Fußball finden wird.