Redner(in): Michael Naumann
Datum: 01.02.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/43/11843/multi.htm


Pro Media: Sie haben sich vor einem knappen Jahr mit Vertretern der Filmwirtschaft und von TV-Sendern zum ersten Gespräch des "Bündnisses für den Film" in Babelsberg getroffen. Wie lebendig ist dieses Bündnis heute noch?

Naumann: Es erfreut sich noch immer höchster Lebendigkeit. In zwei Monaten werden wir uns wieder treffen. Das Hauptanliegen - die Verbesserung der Produzenten-Rechte - wird gelöst werden, so oder so.

Was hat sich in den vergangenen Monaten durch das Bündnis für den Film verändert?

Es gibt jetzt ein größeres Verständnis für die Probleme des deutschen Films - auch international. Man spricht jetzt offener über die Schwierigkeiten, die in Deutschland - in einem föderalen Staat - zwischen der Filmwirtschaft auf der einen und dem öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen auf der anderen Seite, aber auch in der Abstimmung zwischen Bund und Ländern bestehen. Daneben hat das Bündnis für den Film bis jetzt auch drei ganz konkrete Veränderungen gebracht: Erstens: Die Bindung der Mittel, die von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern an die Filmförderungsanstalt ( FFA ) gezahlt werden, ist gelockert worden. Zweitens: Die Bundesregierung hat den Etat für die kulturelle Filmförderung in diesem Jahr um 2,5 Mio DM angehoben. In Zeiten der Haushaltskonsolidierung ist das eine Menge Geld. Und ganz nebenbei konnte mit meiner Unterstützung der jahrelange Konflikt zwischen der Videowirtschaft und der FFA zufrieden stellend beigelegt werden.

Das Bündnis zielte anfangs vor allem auf die Filmwirtschaft und die Filmproduzenten. Inzwischen sind die TV-Sender mit einbezogen. Sind Qualität und Leistungsfähigkeit des deutschen Films bereits so stark von den TV-Sendern abhängig?

Sie kennen die Abhängigkeit der deutschen Filmproduktion von der Finanzierung durch die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehsender: Kaum ein Spielfilm kann in Deutschland ohne einen Fernsehsender finanziert werden. Das ist kein Grund zur Klage. Im Gegenteil: Es kommt nur auf den Kammerton der Beziehungen an...

Wie weit sind die Überlegungen zum Zweitverwertungsmarkt inzwischen gediehen? Streben Sie einen kräftigen Zweitverwertungsmarkt in Deutschland für Film- und TV-Rechte an?

Die Refinanzierung der hohen Kosten eines Spielfilms läuft über die bekannte Verwertungskette. Dazu gehört zunächst die Aufführung im Kino, dann die Auswertung des Filmes als Video, dann die Ausstrahlung im Pay-TV und schließlich im Free-TV. Weitere Verwertungsarten und -formen bilden sich derzeit heraus - Stichwort "Internet". Konkret zielt Ihre Frage auf die TV-Auswertung eines Films und die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit für einen Filmproduzenten, seine Produktion im Laufe der Jahre mehrfach und auf verschiedenen Kanälen im Fernsehen verwerten zu können. Hierfür bestehen in Deutschland noch immer zu geringe Möglichkeiten - zum einen bedingt durch die langen Zeiträume, die ein Filmproduzent mehr oder weniger gezwungenermaßen einem mitfinanzierenden Fernsehsender einräumen muss, zum anderen deshalb, weil es in Deutschland mehrere konkurrierende Pay-TV-Kanäle nicht gibt. Letztere können wir nicht herbeizaubern, aber in der Rechtefrage gibt es Spielräume - wenn die Produzenten gewillt sind, mehr Risiko selbst zu tragen.

Welche Bedeutung hat der Zweitverwertungsmarkt für Sie?

Auf lange Sicht geht es darum, die Stellung der Filmproduzenten gegenüber den TV-Sendern zu stärken und zu erreichen, dass sie durch den Aufbau und die Verwertung eines Filmstocks größere Unabhängigkeit und letztlich eine bessere finanzielle Ausgangsbasis für die Produktion neuer Filme erhalten. Das würde wiederum auch den TV-Sendern nützen.

Welche rechtlichen Konsequenzen hat das?

Wir wollen erreichen, dass die Fernseh-Ausstrahlungsrechte früher an den Filmproduzenten zurückgehen. Die Fachleute nennen das "Rechterückfall". Lange Jahre führten die Verträge der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mit den deutschen Filmproduzenten dazu, dass der Filmproduzent für die finanzielle Beteiligung des Fernsehens praktisch seine gesamten Auswertungsrechte der betreffenden Fernsehanstalt überlassen musste. Erst Anfang der Neunzigerjahre sind hier Verbesserungen eingetreten. Das neue Filmförderungsgesetz, das Januar 1999 in Kraft getreten ist, sieht zum ersten Mal vor, dass bei geförderten Filmen ein Rückfall der Fernsehauswertungsrechte, und zwar spätestens nach sieben Jahren, erfolgen muss. Diese Frist ist immer noch zu lang. Bei der letzten Runde des "Bündnisses für den Film" im Oktober 1999 in Hof ist vereinbart worden, dass zunächst die Verbände der Filmproduzenten mit den Fernsehsendern über eine Verkürzung der Frist für den Rechterückfall verhandeln. Im Sommer dieses Jahres, bei der nächsten Runde des "Bündnisses für den Film", werden die Ergebnisse der Verhandlungen vorliegen. Dann werden wir prüfen, ob und auf welchem Wege - möglicherweise auch gesetzlich - die Frist, in der die Rechte an die Filmproduzenten zurückfallen, verkürzt werden kann. Auf lange Sicht erscheint mir eine Reduzierung der Frist auf bis zu drei Jahren notwendig und im Interesse des deutschen Kinofilms auch geboten. Darüber hinaus müssen alle Möglichkeiten erörtert werden, wie man einen effektiveren Zweitverwertungsmarkt für Film- und Fernsehproduzenten aufbauen kann. Hier stellt sich die Frage nach entschieden höheren Leistungen bei der Wiederausstrahlung eines Films im Fernsehen - wie zum Beispiel in Frankreich üblich - , die Frage nach einem Pay-TV-Markt, in dem der Wettbewerb funktioniert, und auch nach entsprechenden Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag.

Von der Filmwirtschaft wird kritisiert, dass der § 2b des EstG noch immer nicht geändert wurde und damit die Filmfinanzierung über Fonds erschwert wird. Wann verschwindet der jetzige § 2b EstG?

Der § 2 b EStG ist erst im letzten Jahr neu eingeführt worden, weil es viel Missbrauch mit Abschreibungsgesellschaften gegeben hat, z. B. im Wohnungsbau, bei Werften, auch im Film- und Medienbereich. Insofern wird der Paragraf nicht verschwinden. Es ging und geht mir - ebenso wie dem Finanzminister - vielmehr darum, durch eindeutige Richtlinien für die Anwendung des § 2 b EstG sicherzustellen, dass private Geldgeber ihr Kapital weiter in Film- und Medienfonds investieren können, sofern langfristig eine Gewinnerzielungsabsicht der Fonds nachgewiesen wird. Das Bundesministerium der Finanzen hat gerade vor ein paar Tagen den Entwurf eines auf Referentenebene zwischen Bund und Ländern abgestimmten Erlasses zu § 2 b fertig gestellt und den Verbänden zur Kenntnis übermittelt. Zum Aufbau einer leistungsfähigen deutschen Filmwirtschaft gehört auch, dass für die Filmproduktionen privates Risikokapital zur Verfügung steht. Die Beteiligung von privaten Investoren führt zu einer kritischeren Auswahl an Filmprojekten, auch unter dem Gesichtspunkt der Zuschauerakzeptanz, und damit zu einer geringeren Abhängigkeit von öffentlichen Förderungen, was auf längere Sicht nur wünschenswert sein kann.

Sehen Sie andere Möglichkeiten der finanziellen Entlastung für die Filmwirtschaft?

Wie sollten jetzt zunächst einmal die Stellungnahme der Verbände zu dem erwähnten Erlass abwarten.

Die Europäische Fernsehrichtlinie verlangt, dass mindestens 10 Prozent des Budgets eines Fernsehsenders für unabhängige Produzenten bereitgestellt werden müssen. Wie kann das in Deutschland vor allem bei den privaten TV-Sendern durchgesetzt werden?

Die Fernsehrichtlinie der Europäischen Union verlangt keine verbindliche Investitionsquote zu Gunsten der unabhängigen Produzenten europäischer Werke, sondern sieht dies lediglich alternativ ( nach Wahl der Mitgliedstaaten ) zu einer Sendezeitquote von zehn Prozent vor. Eine verbindliche Investitionsquote ist im Rahmen der Revision der Richtlinie, namentlich für die so genannten Spartenprogramme, erörtert und von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten - Deutschland eingeschlossen - abgelehnt worden. Allerdings haben einige Mitgliedstaaten der Gemeinschaft von der Wahlmöglichkeit zu Gunsten einer Investitionsquote Gebrauch gemacht. Die deutschen Bundesländer, die für die Umsetzung der Fernsehrichtlinie zuständig sind, haben im Rundfunkstaatsvertrag bezüglich der Sendezeitquote vorgesehen, dass Fernsehprogramme "zu einem wesentlichen Anteil" aus Auftragsproduktionen bestehen sollen; gleichzeitig aber haben sie sich gegen eine weiter gehende Regulierung ausgesprochen. Sie gehen davon aus, dass die privaten Sender aus eigenem Interesse in nationale Fiktion-Programme investieren. Diese Erwartung hat sich auch erfüllt: Die privaten Fernsehveranstalter investieren ein Volumen von knapp drei Milliarden DM jährlich in fiktionale Programme, also ein Vielfaches des von Ihnen angesprochenen Anteils von zehn Prozent des Programmbudgets.

Die Mittel für die Filmförderung der FFA sollen erhöht werden. Welche Filme sollen mit den Fördermitteln vor allem gefördert werden? Ist auch an Dokumentarfilme gedacht? Die Höhe der Abgabe der Film- und Videowirtschaft an die FFA ist gesetzlich festgelegt. Deren Einnahmen sind im vergangenen Jahr, entsprechend der stagnierenden Umsatzentwicklung der Filmtheater, nicht gestiegen. Allerdings kann die FFA auf Grund des eingangs erwähnten Vergleichs zwischen der Videowirtschaft und der FFA in diesem und in den nächsten Jahren über zusätzliche 60 bis 70 Mio DM verfügen. Der Verwaltungsrat der FFA wird über die Verteilung dieser Mittel im Februar beschließen.

Sie haben gefordert und stießen dabei auf Zustimmung der Produzenten, die Zusammenarbeit bei der Filmförderung zwischen Bund und Ländern zu verbessern und die Rolle der Filmförderungsanstalt dabei zu stärken. Was muss geschehen, um hierbei nun zu Ergebnissen zu kommen?

Die FFA hat nach dem neu gefassten § 2 Abs. 1 Nr. 7 des Filmförderungsgesetzes die Aufgabe, auf eine Abstimmung und Koordinierung der Filmförderungsmaßnahmen des Bundes und der Länder hinzuwirken. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess. Dabei ist in den letzten Jahren schon viel erreicht worden. Der Koordinierungsprozess geht weiter, die Ergebnisse der Abstimmung zwischen den Filmförderern des Bundes und der Länder können sich sehen lassen. Die Eigenständigkeit und eigene Akzentsetzung der Filmförderungen der Länder werden dabei von niemandem in Frage gestellt.

Eine wichtige Frage der zwei "Bündnis-Runden" war der Filmexport. Sie haben in den letzten Monaten bei verschiedenen Gelegenheiten im Ausland für den deutschen Film geworben. Unter welchen Bedingungen können mehr deutsche Filme exportiert werden? Wie sehen Sie die Chancen zumindest in Europa?

Der Filmexport ist eines der Themen, mit denen sich das "Bündnis für den Film" in diesem Jahr noch einmal befassen wird. In der letzten Sitzung bestand Einvernehmen darüber, dass aus kultur- und wirtschaftspolitischen Gründen eine einheitliche Außenvertretung des deutschen Films sinnvoll und notwendig ist. Sie sollte, so der Beschluss, unter Beteiligung und Einbeziehung aller interessierten Gruppen organisiert werden und die Spielfilmproduzenten, Filmexporteure, Dokumentar- , Kurz- und Musikfilmer, Fernsehproduzenten, möglichst auch die TV-Vertriebsgesellschaften, die Mittlerorganisationen, FFA, FAL, die Länder-Filmförderungseinrichtungen und den BKM umfassen. Durch Beiträge aller Beteiligten soll eine bessere finanzielle Ausstattung der Außenrepräsentanz für die Erfüllung ihrer Aufgaben erreicht werden.

Zurzeit werden von meiner Behörde Sondierungsgespräche mit allen Beteiligten geführt. Konkrete Vorschläge werden der Arbeitsgruppe des "Bündnisses für den Film" voraussichtlich bis Ende März vorgelegt werden.

Unabhängig davon müssen wir mit allen Mitteln erreichen, dass die europäischen Filme auf dem eigenen Kontinent wieder stärker wahrgenommen werden. Ich führe darüber seit einem halben Jahr Gespräche mit der französischen und mit der italienischen Kulturministerin und komme in Kürze mit dem spanischen Kulturminister zum Abschluss eines deutsch-spanischen Filmabkommens zusammen. Dieses Thema wird auch im Rahmen der Gespräche über die Ausgestaltung der geplanten deutsch-französischen Filmakademie eine Rolle spielen.

Welche Rolle kann dabei die Exportunion spielen? Wird sie sich auch für TV-Produktionen öffnen?

Es liegt nahe, dass die künftige Außenvertretung des deutschen Films auch die Interessen der Fernsehproduzenten vertritt.

Sie sind wiederholt für eine stärkere europäische Zusammenarbeit eingetreten. Halten Sie einen europäischen Film noch immer für realistisch?

Es gibt nicht den europäischen Film, sondern es gibt in dem riesigen und reichen Kulturraum Europa den für jedes Land typischen Film. Um diese Vielfalt europäischer Filme zu bewahren, muss nicht nur das Interesse für die nationalen Produktionen in den europäischen Nachbarländern wieder steigen, sondern muss auch die Bereitschaft der Produzenten zu Koproduktionen zunehmen.

Wie könnten die Berlinale und der deutsche Filmpreis eine noch größere Rolle beim Marketing für den deutschen Film und die deutsche Filmwirtschaft spielen?

Die Berlinale ist das große internationale Filmfestival in Deutschland. Dieses Jahr feiern wir die Berlinale zum 50. Mal, und zwar an einem neuen Ort, dem Potsdamer Platz, im Zentrum von Berlin. Ich bin sicher, dass von den Berliner Filmfestspielen viele Impulse für die Akzeptanz des Kinofilms ausgehen werden. Die Verleihung des Deutschen Filmpreises - des übrigens am höchsten dotierten deutschen Kulturpreises - findet am 16. Juni in Berlin statt. Er wird in diesem Jahr zum fünfzigsten Mal vergeben, und dabei ist erstmals auch für den Dokumentarfilm und den Kinder- / Jugendfilm ein Spitzenpreis vorgesehen. Damit wird die Bandbreite des deutschen Films noch deutlicher. Der im letzten Jahr eingeführte Publikumspreis und die vorgestellte Nominierungsveranstaltung machen den deutschen Film in der Öffentlichkeit noch attraktiver. Die gemeinsame Aktion von Bund und Ländern "Deutscher Filmpreis unterwegs" bringt dem Kinopublikum schließlich noch nicht gesehene nominierte deutsche Kinofilme näher. Diese Linie der stärkeren Werbung für den deutschen Film wird künftig fortgesetzt, nicht zuletzt auch durch eine stärkere Vermarktung des deutschen Filmpreises selbst.