Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 26.04.2005

Anrede: Sehr geehrter Herr Staatspräsident, lieber Freund Jacques Chirac, sehr geehrter Herr Braun, sehr geehrter Herr Schwarz-Schütte, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/79/821779/multi.htm


Zunächst, werter Herr Rektor, ist es eine große Freude und Ehre für mich, hier bei Ihnen in dieser berühmten Universität sein zu dürfen und hier reden zu dürfen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern es ist eine ganz große Auszeichnung. Es ist angeklungen: Die Deutsch-Französische Handelskammer wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Das ist allemal ein Grund zu feiern, es ist ein Grund zurückzublicken, aber es ist vor allen Dingen ein Grund, nach vorne zu blicken. Es ist insbesondere ein Grund, der Kammer herzlich zu gratulieren. Sie, Herr Schwarz-Schütte, und Ihre Vorgänger haben eine erstklassige Arbeit gemacht und viel durch Ihre Arbeit dazu beigetragen, dass das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland so einzigartig ist, wie es sich in den vergangenen Jahrzehnten gestaltet hat. Gelegentlich überlegt man, was denn wohl Ihr vor kurzem verstorbener Vorgänger, Alfred Freiherr von Oppenheim, gesagt hätte, wenn er noch hätte dabei sein können. Er hätte sich sicher sehr gefreut und wäre zu Recht stolz auf seinen sehr persönlichen Beitrag für diese erfreuliche Entwicklung der Kammerarbeit gewesen.

Schließlich: Wer hätte vor 50 Jahren nur davon zu träumen gewagt, dass unsere beiden Länder im politischen, aber auch im wirtschaftlichen Bereich - auch über Kultur sollte man in diesem Zusammenhang reden - so wichtige, so einzigartige Partner füreinander werden könnten. Aus den Träumen ist wunderbare Wirklichkeit geworden. Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, wo wir uns anstrengen müssen, den jüngeren Menschen vermitteln zu müssen, welcher Anstrengungen es bedurft hat, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Wir müssen ihnen vermitteln, wie wichtig es ist, dass diejenigen, die heute Studenten an Ihrer Universität sind - ich hoffe, es sind auch viele Deutsche dabei - , die als Franzosen in Deutschland studieren oder in die Schule gehen, die historische Einzigartigkeit dieser endlich gefundenen Form der Zusammenarbeit begreifen. Nicht, um irgendetwas zu beschwören, was schon längst Geschichte ist, sondern um daraus den Auftrag für sich selber anzunehmen, das Erreichte zu bewahren und immer weiter zu entwickeln. Gerade wenn Jubiläen gefeiert werden, ist es richtig, dass man sich diese Einzigartigkeit, diese historische Besonderheit immer wieder klarmacht und sie als einen wirklich wesentlichen Auftrag für die jetzt aktive Generation, aber vor allen Dingen für die künftige Generation begreift.

Meine Damen und Herren, unser Handelsaustausch beträgt untereinander 130 Milliarden Euro. Es gibt in der Tat keine Länder, mit denen der Handelsaustausch größer ist. Das sichert mehrere Hunderttausende Arbeitsplätze sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. Es ist in diesen Zeiten wichtig, auch das zu erwähnen. Auch das ist nur durch die Arbeit möglich gewesen, die in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt von den Mitgliedern der Kammer geleistet worden ist. Ein Handelsaustausch in dieser Größenordnung beschränkt sich nicht nur auf Geschäftsbeziehungen, sondern durch diese Geschäftsbeziehungen ist weit mehr entstanden. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes herzliche Beziehungen entstanden. Es sind Freundschaften entstanden, die jede Form von Krise aushalten und die auch Enttäuschungen, die es natürlich immer wieder gibt, überwinden können. Ich denke, es ist wichtig, auch das gerade in der gelegentlich als kühl beschriebenen Welt der Ökonomen zu sagen.

Wir haben heute im deutsch-französischen Ministerrat wichtige Entscheidungen treffen können, die auch die Perspektive der Kammer betreffen. So z. B. die deutsch-französische Mobilitätsoffensive. Hinter diesem technokratischen Wort verbergen sich wesentliche Dinge. Es geht zum einen darum, noch mehr dafür zu tun, dass sich insbesondere junge Leute nicht nur begegnen können, sondern dass sie in ihren beruflichen Qualifikationen im einen wie im anderen Land anerkannt arbeiten können. Die Arbeitsgruppe, die von Herrn Beffa und Herrn Cromme geleitet wird, hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Das zweite Projekt betrifft die Sprache. Wir wollen das Erlernen der beiderseitigen Sprachen verstärken. Das ist in Frankreich ebenso wie in Deutschland fester Wille. Wir haben es bei der Umsetzung in Deutschland ein bisschen schwieriger, und zwar wegen der föderalen Struktur. Aber das wird gelingen. Das hat sich auch in der Diskussion heute bewiesen, an der Sie teilgenommen haben.

Die deutsch-französische Freundschaft ist jedoch kein Selbstzweck. Nein, ohne Frankreich und Deutschland, ohne die deutsch-französische Freundschaft, ohne diese enge Abstimmung im gesellschaftlichen und vor allen Dingen im politischen Bereich gäbe es Europa so nicht, wie es Europa heute gibt. Ich denke, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, das festzustellen. Es gäbe auch nicht die Entwicklung auf dem Binnenmarkt, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet hat, denn - und das ist immer wieder zu unterstreichen - Frankreich und Deutschland sind nicht nur der politische Motor der europäischen Integration. Sie haben auch wichtige Beiträge geleistet, was die wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union angeht und was als Folge davon für das Wohlergehen der Menschen in ganz Europa geleistet werden konnte.

Dieser Binnenmarkt hat riesige Kräfte frei gesetzt und hat geholfen, in Frankreich wie in Deutschland, aber auch in den übrigen Ländern Wohlstandsgewinne zu erzielen, ohne die unsere Menschen nicht mehr leben wollen und ohne die wir in erhebliche politische und soziale Konflikte kämen. Wenn wir Wohlstand auch für künftige Generationen sichern wollen, müssen wir auf der einen Seite Europa voranbringen. Auf der anderen Seite müssen wir in Europa den Herausforderungen, denen Frankreich wie Deutschland ausgesetzt sind, wirksam begegnen. Wir müssen als Antwort auf zwei zentrale Herausforderungen wettbewerbsfähiger werden, die unsere beiden Länder betreffen. Die eine hat mit globalisierter Wirtschaft zu tun, also mit globaler Arbeitsteilung, und zwar nicht nur auf den Gütermärkten, sondern auch auf den Arbeitsmärkten. Die andere ist eine Gesellschaft, die älter wird und deren Älterwerden, was die sozialen Sicherungssysteme angeht, auch finanzielle Schwierigkeiten mit sich bringt. Beides sind Herausforderungen, denen ganz Europa unterschiedlich, aber in der Dimension ähnlich ausgesetzt ist. Diese müssen wir meistern. Ich denke, die Antwort heißt, dass wir uns mehr als in der Vergangenheit anstrengen müssen.

Wir sollten dabei nicht vergessen, dass wir bei der Bewältigung dieser Herausforderungen viele Gemeinsamkeiten haben und dort, wo wir sie nicht haben, entwickeln müssen. In Deutschland haben wir das mit dem Prozess der "Agenda 2010" erfolgreich in Gang gesetzt. Es ist ein dauerhafter Prozess. Es ist ein Irrtum zu glauben, bei einer sich radikal ändernden ökonomischen Basis einer Gesellschaft könnten Reformprozesse jemals ad acta gelegt werden. Im Gegenteil. Weil sich die wirtschaftliche Basis unser aller Gesellschaften rasend und radikal ändert, müssen die Antworten der Politik permanente Antworten sein. Ich denke, auch das ist etwas, was Frankreich und Deutschland miteinander verbindet.

Das bedeutet zugleich, dass wir, auch wenn wir gelegentlich Wettbewerber auf den Märkten der Welt sind, gleichwohl verstärkte Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland und in Europa suchen müssen. Es ist ein großer Irrtum, auch nur in Ansätzen anzunehmen, wir könnten der veränderten wirtschaftlichen Wirklichkeit - ich füge hinzu: auch der veränderten politischen Wirklichkeit - im nationalstaatlichen Maßstab begegnen. Wenn Frankreich und Deutschland ihre Rolle spielen wollen, können sie das nur als Partner tun, die sich engstens abstimmen und die zugleich wissen, dass sie Motor für die Entwicklung Europas werden müssen.

Nur wenn es uns gelingt, die Einheit Europas bei aller Vielfalt im kulturellen und politischen Sinne wirklich herzustellen, haben wir eine Chance, als Europäer auf den Märkten der Welt in Konkurrenz zu vorhandenen und heranwachsenden großen Mächten eine Rolle spielen zu können, und zwar mit positiven Auswirkungen, sofern wir es schaffen. Wenn wir es nicht schaffen, wird es negative Auswirkungen haben. Was liegt also näher, als unsere gemeinsamen Anstrengungen in diesem Bereich wirklich zu verstärken und das, was wir können, mehr als in der Vergangenheit zu bündeln?

Ich freue mich daher, dass die Vorschläge der Arbeitsgruppe von Ihnen, Herr Cromme, und von Ihnen, Herr Beffa, die ich schon erwähnt habe, Teil eines Regierungsprogramms sind und dort, wo sie es noch nicht sind, werden. Das betrifft insbesondere die Anstrengungen, die wir in Frankreich wie in Deutschland gleichermaßen bei Forschung und Entwicklung unternehmen müssen. Wir sollten nach der Erkenntnis handeln, dass wir auch da besser fahren, wenn wir das Gleiche nicht in beiden Ländern tun, sondern wenn wir arbeitsteilig vorgehen und uns eng austauschen. Übrigens ist das auch eine Voraussetzung für spätere engere Kooperation im wirtschaftlichen Bereich. Das ist der Hintergrund für die Gemeinsamkeiten in der Forschungspolitik, die wir vereinbart haben. Der Staatspräsident und ich haben den festen Willen, diese Formen der Kooperation immer enger werden zu lassen, sie, wenn Sie so wollen, nie mehr rückholbar zu machen.

Meine Damen und Herren, natürlich muss in diesen Zeiten in Deutschland, Frankreich und Europa über die europäische Einigung geredet werden und auch darüber, dass sie bei allen Schwierigkeiten ein beispielloser Erfolg ist, der in der Geschichte der Völker sein Beispiel sucht. Frieden und Demokratie, Wohlstand und Solidarität sind untrennbar verbunden mit unserem gemeinsamen europäischen Weg.

Frankreich hat Europa diesen Weg in eine gemeinsame Zukunft geöffnet und dabei Deutschland nach den schrecklichen Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Zweiten Weltkriegs die Hand gereicht. Mir liegt daran, dass gerade in diesen Zeiten deutlich wird, dass der intellektuelle Hintergrund, dass die Idee, Europa in dieser Weise zu integrieren und damit voranzubringen, in Frankreich entstanden ist und dass die Französinnen und Franzosen von daher eine ungeheure Verantwortung haben, dass diese Traditionslinien weiter verfolgt werden und nie abgebrochen werden dürfen. Das ist eine Aufgabe, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ohne die deutsch-französische Aussöhnung und ohne unsere gemeinsame Überzeugung von einem starken, aber das heißt eben auch sozialen Europa gäbe es kein europäisches Projekt dieser Dimension.

Deutschland und Frankreich haben die Europäische Union gemeinsam vorangetrieben. Das hat zu allen Zeiten gegolten, und zwar unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Regierung. Das wird auch weiter gelten. Sie sind und bleiben Motor der europäischen Entwicklung. Sie haben maßgeblich für die großen Fortschritte beim Aufbau Europas gesorgt: für den gemeinsamen Markt, den Euro, den Schengen-Raum, aber auch für eine gemeinsame, sich langsam, aber sicher herausbildende gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Anfangs gelegentlich belächelt, ist das inzwischen zur harten und erfolgreichen europäischen Wirklichkeit geworden. Frankreich und Deutschland haben sich dabei von dem leiten lassen, was ich das europäische Gesellschaftsmodell nenne, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, um den es in Politik wie Wirtschaft zu gehen hat.

Der Markt ist die beste Organisationsform für das Wirtschaften. Aber er ist nicht Selbstzweck. Im Kern geht es um die Teilhabe des Einzelnen am Haben, also an dem, was in vernünftiger Form erwirtschaftet worden ist. Und es geht um die Teilhabe am Sagen, also an Entscheidungen in der Gesellschaft - kurzum am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand. Wirtschaftliche Produktivität und soziale Solidarität - das ist die Erfahrung der Europäer - sind eben keine Gegensätze, sondern sind vernünftig verstanden und richtig organisiert zwei Seiten einer Medaille. Genau das, so meine ich, kennzeichnet das europäische Gesellschaftsmodell und macht es von anderen Formen gesellschaftlicher Organisation unterscheidbar.

Das ist auch der Grund, warum wir, Deutschland und Frankreich, warum der Präsident und ich entschlossen sind, dieses Modell auch im Zeitalter der Globalisierung zu behaupten, aber es dabei zugleich an veränderte Bedingungen anzupassen. Der Kern dessen, worum es geht, muss bewahrt und darf nicht aufgegeben werden.

Wenn wir in der Welt mitbestimmen und unser europäisches Gesellschaftsmodell erhalten wollen, dann geht das nur in und mit einem starken und gemeinsamen Europa. Dafür brauchen wir die Europäische Verfassung.

Meine Damen und Herren, es war Jean Monnet, der bereits in den 50er-Jahren die Idee einer europäischen Verfassung ins Gespräch gebracht hat. Auch an dem Punkt zeigt sich die Bedeutung, die französisches Denken und Handeln für das gemeinsame Europa immer gehabt hat und sicher weiter haben wird. Wie so vieles in Europa brauchte es dafür ein schrittweises, beharrliches Vorgehen. Frankreich und Deutschland waren die Hauptinitiatoren des jetzt zur Abstimmung stehenden Verfassungsprozesses.

Es war der frühere französische Präsident Giscard d'Estaing, unter dessen Vorsitz im Konvent die entscheidenden Vorarbeiten für die Verfassung geleistet wurden. Deutsch-französische Initiativen, die wir, verehrter Herr Präsident, gemeinsam auf den Weg gebracht haben, waren entscheidend für die Verfassung, die natürlich ein Kompromiss ist. Aber es ist ein guter Kompromiss.

Die Werte, die in der Verfassung verankert werden, gehören zum Grundwertekanon der europäischen Demokratie. Wenn Sie so wollen, gehören sie zu den unveräußerlichen Werten des Westens: Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern. Das sind Werte und Ziele, die auch und vor allem auf die französische Revolution, auch auf die deutsche Aufklärung zurückgehen.

Die Europäische Verfassung bringt dies in Einklang. Sie bringt also mehr Demokratie und Bürgernähe. Sie bringt jedenfalls die Chance dazu. Die Verfassung alleine wird es nicht schaffen. Es müssen die Menschen sein, die die in der Verfassung niedergelegten Werte zur Wirklichkeit werden lassen.

Das betrifft das Europäische Parlament, das mehr Einfluss, mehr Möglichkeiten erhält. Die Verfassung sorgt dafür, dass auch die größer gewordene Europäische Union entscheidungsfähig und damit politisch führbar bleibt. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der gelegentlich unterschätzt wird.

Sie bringt eine klare Kompetenzverteilung zwischen dem, was in den Mitgliedstaaten zu bleiben hat, also Einheit in Vielfalt, und dem, was gemeinsam auf europäischer Ebene geregelt werden kann und geregelt werden muss, wenn dieses Europa ein starkes Europa sein soll.

Die Verfassung stärkt also die Stimme Europas in der Welt. Europa war gerade auch für Frankreich immer ein Projekt der Selbstbehauptung: nicht, um über andere zu bestimmen, sondern um gleichberechtigt mitzuwirken am Aufbau einer gerechteren und kooperativeren Welt. Wir haben in den letzten Jahren in vielen für die Völker wichtigen Entscheidungen spüren können, was das bedeutet. Da hat sich die engste Abstimmung zwischen Frankreich und Deutschland allemal bewährt.

Dafür brauchen wir auch den in der Verfassung vorgesehenen Präsidenten des Europäischen Rates und den Europäischen Außenminister, um mit einer Stimme in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu sprechen.

Schließlich: Die Verfassung stärkt auch die soziale Dimension der Europäischen Union. Eine soziale Marktwirtschaft, die Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt anstrebt - wir alle wissen, wie schwer das zu erreichen ist - , gehört zu den erklärten Zielen der Union und findet sich auch im Kontext der Verfassung wieder.

Die Charta der Grundrechte, die Teil der Verfassung ist, enthält wichtige Rechte auch für die Beschäftigten. Sie enthält wichtige soziale Rechte, die jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger auf europäischer Ebene einfordern kann. Kein Vertrag in der Geschichte der Europäischen Union hat ihre soziale Dimension so gestärkt, wie es die Verfassung tun wird.

Die Verfassung mit drohendem Sozialabbau gleichzusetzen, wie das gelegentlich in unseren Gesellschaften geschieht, ist deshalb schlichtweg falsch. Ich weiß, dass ich das aus guten Gründen gerade in dieser Versammlung sage. Wäre dem anders, hätten sowohl der Staatspräsident als auch ich diese Verfassung niemals unterschrieben.

Deutschland und Frankreich stehen für beides: für ökonomische Effizienz, für wirtschaftliche Kraft, Stärke und soziale Sensibilität. Das soll so bleiben, denn das hat uns nicht schwächer, sondern stärker gemacht.

Gemeinsam mit Präsident Chirac habe ich mich deshalb dafür eingesetzt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt so reformiert wird, dass er künftig wachstumsfreundlicher angewendet wird. Aber er wird angewendet. Auch das ist uns nur gemeinsam gelungen.

Ebenso haben wir uns gemeinsam dafür eingesetzt, dass man differenziert zwischen einem Markt für Güter und einem gleichen gemeinsamen Markt, bei dem es um Menschen geht. Man kann von Menschen erbrachte Dienstleistungen an dem Ort, wo sie erbracht werden, nicht wie eine Kaffeemaschine behandeln, die man am gleichen Ort verkauft. Das müssen wir in der Europäischen Union gemeinsam durchsetzen, und zwar ohne Zweifel daran zu lassen, dass wir auch einen Binnenmarkt für Dienstleistungen brauchen. Aber wir brauchen eben einen, der nach angemessenen Regeln organisiert ist.

Es steht außer Frage: Der Binnenmarkt für Dienstleistungen bietet dann und nur dann Wachstums- und Beschäftigungschancen, wenn wir es schaffen, ihn ökonomisch effizient, aber mit sozialer Sensibilität zu organisieren. Frankreich und Deutschland werden gemeinsam sicher stellen, dass diesem Gedanken Rechnung getragen wird.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich von Anfang an für eine möglichst rasche Ratifizierung der Europäischen Verfassung in Deutschland eingesetzt. Ich bin sicher, der Deutsche Bundestag wird am 12. Mai mit überwältigender Mehrheit der Europäischen Verfassung zustimmen.

Wir sagen Ja zu dieser Verfassung, weil wir überzeugt davon sind, dass sie unsere europäische Wertegemeinschaft festigt, dass wir mit ihr das demokratische und soziale Europa ausbauen können, und weil wir ein Europa wollen, das stark genug ist, in der Welt auch gehört und ernst genommen zu werden.

Mit unserer Zustimmung wollen wir auch ein positives Signal an die französischen Bürgerinnen und Bürger geben, deren souveräne Entscheidung niemand in Europa bezweifelt. Wir wollen sie bitten, aus ihrer Tradition heraus und der Gemeinsamkeiten wegen, die wir so erfolgreich und so lange entwickelt haben, Ja zu dieser Verfassung zu sagen. Das ist eine Bitte, von der ich glaube, dass Freunde sie aussprechen dürfen. Wir alle, zumal in Deutschland, wissen, dass Frankreich Europa braucht, aber dass ganz bestimmt Europa auch Frankreich braucht.

In diesem Sinne auch die Bitte an Sie, mitzuhelfen, dass dieses große Werk im Interesse beider Völker und im Interesse eines einigen und für Frieden und Gerechtigkeit eintretenden Europas gelingt. - Vielen Dank!