Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 28.04.2005

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehalten anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde am 28. April 2005 in Berlin.
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Spettmann, sehr geehrte Frau Ministerin, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/41/823141/multi.htm


Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde hat in den vergangenen 50 Jahren die Entwicklung dieses in der Tat außerordentlich wichtigen Bereiches unserer Volkswirtschaft entscheidend mit geprägt. Dass er wichtig ist, das unterstreiche ich sehr gern. Ihre Arbeit ist nicht nur von großer ökonomischer Bedeutung. Lebensmittelsicherheit ist auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ich füge hinzu: Wir wären gar nicht in der Lage, ohne die Fachleute aus Ihrem Bereich für Lebensmittelsicherheit zu sorgen.

Die Aufgabe, die wir gemeinsam anpacken müssen, ist wichtig. Warum ist das so? Wir, wie Sie als Vertreter der Wirtschaft in diesem Bereich, wissen: Das absolute Vertrauen der Verbraucher in die Qualität und in die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Lebensmitteln ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Branche in diesem Bereich. Dass die deutsche Lebensmittelbranche erfolgreich ist, das lässt sich wahrlich nicht bestreiten. Darüber freue ich mich auch dann, wenn wir gelegentlich kontrovers mit den Problemen umgehen, die Sie angesprochen haben. Sie können sicher sein, dass niemand von uns ein Interesse daran hat, diese Branche zu schwächen. Ganz im Gegenteil: Wir haben jedes Interesse daran, sie so stark zu erhalten, wie sie ist und sie - wo immer möglich - auch zu stärken.

Um das zu können, müssen in der Kette von Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und Überwachung die Sicherheit und Qualität konsequent und ohne Abstriche sichergestellt werden. Die Frage ist ja: Von woher denkt man diesen Anspruch, den wir sicher gemeinsam für richtig halten? Ich finde, als diejenigen, die in einer Marktwirtschaft agieren, also die auf Kunden angewiesen sind, muss diese Frage vom Ende der Kette betrachtet werden, also von dem aus, der an der Ladentheke steht, der Kundin und dem Kunden nämlich. Denn möglichst viele Kunden zu haben, die in Deutschland von deutschen Unternehmen hergestellte Produkte kaufen, ist ja die entscheidende Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Dass diese Kette der Lebensmittelherstellung in Deutschland zu den sichersten weltweit zählt - ich unterstreiche das ausdrücklich gegenüber mancher Diskussion, die wir auch gemeinsam zu führen hatten - , das ist auch ein Verdienst Ihres Verbandes.

Dabei ist der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde für die Politik ein wichtiger, konstruktiver und kompetenter Gesprächspartner. Das ist der Grund, warum wir die Offenheit, Herr Spettmann, die Sie immer eingefordert haben und die Sie bekommen haben, aus eigenem Interesse für wichtig halten - und nicht nur, weil es in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich selbstverständlich ist. Wir sind darauf angewiesen, Einschätzungen von Ihnen zu bekommen, weil wir sonst sachgerechte Entscheidungen so nicht treffen könnten. Das betrifft nicht nur die Ausgestaltung der nationalen Rechtsbereiche, die für die Lebensmittelsicherheit und -qualität relevant sind, sondern das betrifft auch das, was immer wichtiger wird und was Ihnen eher mehr Sorgen macht als die Fragen, die wir im nationalen Maßstab zu lösen haben. Es betrifft also die weitgehende Harmonisierung auf europäischer Ebene.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit von Menschen, aber insbesondere für die körperliche Entwicklung von Kindern, ist unbestritten. Ernährungsbedingte Krankheiten verursachen bereits heute Kosten von mehr als 70 Milliarden Euro im Jahr. Diese Entwicklung, die sich im Übrigen weltweit abzeichnet, ist beunruhigend. Das ist der Grund, warum die Weltgesundheitsorganisation die Mitgliedstaaten aufgefordert hat, präventiv Strategien zu entwickeln. Wir fühlen uns als Regierung diesem Ziel verpflichtet. Wir setzen dabei in erster Linie auf freiwillige Maßnahmen und ein breites gesellschaftliches Bündnis. Bundesministerin Künast hat deshalb im vergangenen Jahr die "Plattform Ernährung und Bewegung" initiiert.

Ich will in dem Zusammenhang eines sehr deutlich sagen: Natürlich fühlen wir uns als Regierung diesem Ziel verpflichtet und - ich bin ziemlich sicher - Sie auch. Aber was bei dieser Frage mindestens ebenso wichtig ist, ist die Erziehung. Gelegentlich hat man den Eindruck, als ob diejenigen, die souverän darüber entscheiden können und es eigentlich auch müssten, ob und wie oft ihre Kinder Fastfood zu sich nehmen oder nicht, den erzieherischen Auftrag, den sie eigentlich haben, ganz gern bei den Firmen oder bei der Regierung abladen. Das geht in der Tat nicht. Das kann nur funktionieren, wenn man alle Bereiche sieht: den der Regierung, die einen vernünftigen Rahmen setzen muss, Sie, die die entsprechenden Produkte anzubieten haben und aufklärerisch tätig sein müssen, aber auch die Eltern, die Grenzen setzen sollten. Dadurch will ich gar nicht die Verantwortung, die Politik und Wirtschaft haben, relativieren - überhaupt nicht.

Die "Plattform Ernährung und Bewegung" ist eingebettet in eine Gesamtstrategie der Bundesregierung zur gesundheitlichen Prävention, die außer dem Ernährungsbereich weitere Handlungsfelder - vor allem im Gesundheits- , Bildungs- , Arbeits- , Umwelt- und Verkehrsbereich - umfasst. Ihr Verband - wir danken dafür - unterstützt diese Initiative, und viele der im Verband organisierten Unternehmen sind ihr beigetreten. Wir wollen dieses Thema weiter konsequent verfolgen. Ich sage es noch einmal: Das ist keine Debatte, die von der Politik allein geführt werden kann. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als solche muss sie auch begriffen werden.

Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn, sich nicht über Themen auszutauschen, die vielleicht in dem einen oder anderen Fall durchaus kontrovers sind. Wir haben Anfang des Jahres das Gentechnikgesetz neu geordnet. Was immer man von den Einzelheiten halten mag: Wir schaffen erstmals verbindliche Rahmenbedingungen für den berechtigten Schutz der gentechnikfreien Erzeugung.

Aber das ist es ja nicht allein: Nur wenn man diesen Schutz organisiert, bekommt man hinreichende Legitimation dafür, die angemessene Entwicklung und Produktionsweisen in der Gentechnik auch wirklich zu ermöglichen. Beides zusammen ist also Sinn des Gesetzes. Wer hergeht und sagt, ihr habt daraus nur ein Schutzgesetz gemacht, dem würde ich erst einmal sagen: Was heißt hier nur? - Aber zum anderen würde ich auch darauf hinweisen müssen, dass ohne einen solchen gesetzlichen Rahmen Produktion sehr viel schwieriger bis unmöglich wäre. Also Rechtssicherheit ist etwas, das man nicht gering achten sollte.

Das Gesetz stellt sicher, dass die Chancen der grünen Gentechnik auch in Deutschland genutzt werden können. Es gibt nun Stimmen - und wir haben uns ja mit dieser Frage auseinander gesetzt - , die eine gänzliche Übernahme von Haftung durch die öffentliche Hand gefordert haben. Da muss ich einmal fragen, was man da eigentlich wirklich tut, wenn man das macht. Schiebt man dem Staat nicht eine Verantwortung für Risiken zu, die man dann gelegentlich auf der anderen Seite beim Staat auch kritisiert? Meine Überzeugung ist, dass die beschlossenen, auf dem Verursacherprinzip beruhenden Haftungsregeln fair und ausgewogen sind. Ein öffentlich-rechtlich organisierter Haftungsfonds ist keine geeignete Grundlage für eine vernünftige Lösung. Allerdings - das will ich ausdrücklich hinzufügen - steht es der interessierten Wirtschaft frei, diesen Haftungsfonds, außerhalb einer gesetzlichen Vorgabe also, privatrechtlich zu organisieren. Das kann möglicherweise hilfreich sein.

Was ich allerdings erwarte, ist, dass wir aufhören sollten, das beschlossene Gesetz weiterhin in Frage zu stellen. Damit würden nur die Schlachten der Vergangenheit erneut geschlagen, und die kann man ja bekanntlich nicht gewinnen. Stattdessen sollten wir vorwärts orientiert die neuen Regelungen anwenden und - das will ich hinzufügen - sehen, ob sie sich in der Praxis bewähren. Wir befinden uns bei der Koexistenz beider Bereiche, der gentechnikfreien und der nicht freien, am Anfang einer Rechtsentwicklung. Nichts spricht dagegen, die weitere Entwicklung im europäischen Rechtsrahmen gemeinsam zu beobachten und die Praxis genauestens zu evaluieren und dann erforderlichenfalls auch Anpassungen vorzunehmen. Wir haben ausdrücklich gesagt, dass wir dazu bereit sind. Wir haben das anlässlich der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes gesagt, und das gilt nach wie vor. Deswegen ist meine Bitte: Lassen Sie uns diesen Rahmen nutzen und schauen, wie sich die weitere Entwicklung gestaltet und dann, wenn es sich als notwendig erweist, die notwendigen Korrekturen vornehmen.

Im Übrigen hoffe ich auch, dass der jetzt gefundene Rechtsrahmen zu einer Versachlichung der Debatte beiträgt und Risiken und Chancen in ein vernünftiges Verhältnis bringt. Ich will da aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Ich habe sehr den Eindruck, dass wir allzu gern dazu neigen, bei neuen Technologien in erster Linie deren Risiken zu sehen. Wir brauchen eine vernünftige Balance zwischen den Chancen, die in solchen Techniken liegen, einerseits - da geht es nicht nur um die grüne Gentechnik, um andere Bereiche auch - und den Risiken andererseits, die ich ja gar nicht leugnen will und die wir zu beachten haben, wenn wir verantwortlich handeln wollen.

Wir dürfen nicht Gefahr laufen, die Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten neuer Technologien zu unterschätzen und uns auf diese Weise auch von wirtschaftlichen Potenzialen in der Zukunft abzukoppeln. Wir haben ja, wenn man sich diesem Thema annimmt, eine hoch interessante Erfahrung gemacht. Ich erinnere mich noch an Zeiten, als es um die Frage ging, ob man Computer einsetzen dürfe, und es Debatten über den Kollegen Computer gab, der angeblich die Arbeitsplätze zerstöre. Wozu hat diese Art der Herangehensweise geführt? Sie hat dazu geführt, dass die Hardware für den Computer - bekanntlich in Deutschland erfunden - zum größten Teil in anderen Ländern produziert wurde und im Bereich der Software die großen Entwicklungen ebenso außerhalb Deutschlands stattgefunden haben, bis dann SAP und andere Firmen einen beachtlichen und beeindruckenden Aufholprozess hingelegt haben. Das möchte ich in ähnlicher Form in anderen Bereichen, die sehr stark über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden werden, nicht wiederholt sehen.

Also in diesem Sinne sollte es unser gemeinsames Ziel sein, in der weiteren Diskussion auch über die Chancen und nicht nur über die Risiken der grünen Gentechnik eine angemessene, vorurteils- und ideologiefreie Balance zu finden. Dazu möchte ich alle aufrufen.

Meine Damen und Herren, ein Bereich, der auch Ihre Branche betrifft, sind die europäischen Bestimmungen zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Es gibt - es wäre ganz falsch, darüber hinwegzusehen - schwarze Schafe, die diese Regelungen durch Scheinselbstständigkeit, vorgetäuschte Arbeitnehmerentsendung und illegale Arbeitnehmerüberlassung umgehen. Dadurch wollen sie von Lohndumping und unwürdigen Arbeitsbedingungen profitieren. Wir müssen und werden dagegen entschieden vorgehen - natürlich in erster Linie im Interesse der Betroffenen, aber auch nicht zuletzt im Interesse der ordentlich wirtschaftenden Unternehmen, derer, die hier Sozialabgaben für ihre Arbeitnehmer zahlen, die die Arbeitsschutzbedingungen beachten, die ihre Leute ordentlich entlohnen und unwürdige Beschäftigung nicht zulassen. Das ist die Mehrheit der in Deutschland operierenden Firmen. Wir haben nicht die Absicht zuzusehen, wie sie kaputt konkurriert werden, weil die zitierten schwarzen Schafe davon absehen, all das zu tun, was rechtlich in Deutschland vorgeschrieben ist. Wir werden also Missbrauchsfälle, wie wir sie beispielsweise aus der Fleischindustrie kennen gelernt haben, nicht hinnehmen. Deshalb haben wir eine "Task Force" zur Missbrauchsbekämpfung eingesetzt. Sie wird auch entschieden tätig werden. Wir hoffen, dass wir auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn hinbekommen. Wir setzen dabei auch auf die Zusammenarbeit der Sozialpartner untereinander und mit ihnen.

In dem Zusammenhang eine Bemerkung zur gegenwärtigen Debatte über die Frage: Europa ja oder nein? Ich glaube, unter vernünftigen Menschen, gleichgültig, wo sie sich politisch verorten, kann es keinen wirklichen Zweifel geben, dass die Chance, die wir nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten, nämlich der Europäischen Union nach Westen, Süden und Norden die Einigung nach Osten hinzuzufügen, unbedingt genutzt werden musste und dass wir die Erweiterung aus politischen, auch aus ökonomischen Gründen nicht als Möglichkeit verstreichen lassen durften. Unsere Kinder und deren Kinder hätten uns völlig zu Recht schwerste Vorwürfe gemacht.

Die Frage ist also: Wie geht man mit diesem Einigungsprozess um? Es gibt zwei Möglichkeiten. Man kapituliert vor den Schwierigkeiten und sagt, dass dieser Einigungsprozess als solcher in Frage zu stellen ist. Es gibt Stimmen, die das gegenwärtig in der politischen Debatte fordern. Ich halte das für einen fatalen Fehler - übrigens auch, was unsere ökonomischen Möglichkeiten angeht, aber vor allen Dingen was die Möglichkeit angeht, endlich nach blutigen Jahrhunderten aus Europa einen Ort dauerhaften Friedens und damit dauerhaften Wohlergehens seiner Menschen zu machen. Ich bin für den anderen Weg, nämlich den, die Schwierigkeiten gar nicht zu leugnen, aber den Erweiterungs- und Integrationsprozess fortzuführen und mehr als in der Vergangenheit darauf zu achten, dass wir mit den politischen, gesetzlichen, administrativen Mitteln gegen diese Missbräuche vorgehen. Das ist der Grund, warum wir diesen Weg gewählt haben und an diesem Weg entgegen aller populistischen Debatten auch festhalten wollen.

Um Missbrauchsmöglichkeiten zu bekämpfen, geht es bei Lohndumping, bei Schwarzarbeit. Um Missbrauchsmöglichkeiten einzudämmen, hat die Bundesregierung die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes über den Baubereich hinaus beschlossen. Auch in diesem Zusammenhang ist das eine ganz gewaltige Aufgabe für die Tarifparteien. Wir haben gesagt, dass wir das Arbeitnehmerentsendegesetz auf die Branchen ausdehnen wollen, um die es geht. Das setzt natürlich voraus, dass die Mindestarbeitsbedingungen in diesem Bereich, wie das in Deutschland guter Brauch ist, durch Tarifparteien festgelegt werden. Sonst funktioniert das Entsendegesetz nicht. Ich sage das auch deswegen, weil ich die Tarifautonomie bewahren will, weil ich sie den gesetzlichen Regelungen von Mindestbedingungen, etwa bei der Entlohnung, für überlegen halte. Aber sie muss auch genutzt werden, weil wir sonst die Missbrauchsmöglichkeiten über das Entsendegesetz einfach rechtlich nicht so eingedämmt bekommen, wie wir das für notwendig halten.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist es auch Zeit, deutlich werden zu lassen, dass gute und gesunde Lebensmittel auch ihren Preis haben. Wenn man will, dass sie unter vernünftigen Bedingungen hergestellt werden und eine Chance am Markt haben, dann gilt diese Aussage auch entgegen diesem üblichen Trend, dass "Geiz geil ist". Qualität ist besser. Wenn man durch Dumpinglöhne und illegale Arbeitsbedingungen dazu beiträgt, dass immer weniger heimische Konsumenten in die Lage versetzt werden, diesen Preis zu zahlen, dann handelt man volkswirtschaftlich gesehen kurzsichtig, wie umgekehrt auch gilt, dass akzeptiert werden muss, dass hohe Qualität auch ihren Preis hat.

Meine Damen und Herren, der Verband hat sich immer für den Abbau von Bürokratie eingesetzt. Wir haben das noch nicht in dem Umfang erreicht, wie ich mir das vorstelle. Das ist ein Prozess in unserem Land, der viele Bereiche umfasst. Die Bundesregierung hat beschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen von weiteren Statistikpflichten zu entlasten, die GmbH-Gründung zu erleichtern sowie ein elektronisches Handelsregister einzuführen. Wir werden in den Bereichen Wirtschaft, Verbraucherschutz, Justiz und Inneres rund 360 überflüssige Vorschriften abschaffen. Bis zum Ende des Jahres werden und müssen wir weitere Schritte folgen lassen. Dies sind Maßnahmen, die auch auf der EU-Ebene notwendig sind. Wir haben deshalb das Problem der Überregulierung - einen Bereich haben Sie ja genannt - auch durchaus mit Erfolg gegenüber der Kommission thematisiert. Dass wir hinbekommen haben, dass die ökonomischen Folgen solcher Regelungen abgeschätzt werden müssen, bevor sie in Kraft treten oder bevor sie von der Kommission vorgeschlagen werden, ist nicht das Ende der Debatte. Das ist es keineswegs. Aber es ist ein wichtiger Anfang.

Es gibt Verordnungsentwürfe, so zum Beispiel die so genannte "Health-Claims" -Verordnung, die Ihrem Wirtschaftssektor, wenn sie so in Kraft treten würde, wirklich ernsthafte Probleme machte. Das wollen wir nicht. Wir haben uns in manch einer anderen Frage quer gelegt. Wir werden das auch in diesem Fall tun. Ich bin froh darüber, dass wir hier die Unterstützung auch wichtiger Mitglieder des Europäischen Parlaments haben. Ich kann Ihnen also versichern, dass wir diesen Problemen weiterhin volle Aufmerksamkeit widmen müssen. Das ist auch in unserem Bereich nicht ganz unumstritten. Es wäre auch falsch, Ihnen das zu verschweigen. Aber ich glaube, dass sich das, was wir in diesen Fragen dann doch immer zu Wege gebracht haben, sehen lassen kann. Das unterscheidet sich positiv von dem, was der eine oder andere Kommissar in Brüssel für richtig hält.

Wir verstehen diesen Bürokratieabbau - und das ist mir wichtig - nicht als den Abbau von Schutzrechten der Schwächeren, der Arbeitnehmer, der Verbraucher oder gar Behinderter oder älterer Menschen. Die Erleichterungen für Wirtschaft und Bürger müssen erreicht werden, ohne die sozialen Standards zu vernachlässigen.

Meine Damen und Herren, ich möchte einige Bemerkungen zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation machen, weil gerade neue Prognosen der Institute vorgestellt wurden. Mich bedrückt die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Dass wir rund 200.000 weniger arbeitslose Menschen haben, ist sicher festzustellen und auch zu begrüßen. Aber genauso klar muss sein, dass das längst nicht genug ist. Wir können aber sehen, dass die Performance der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich wirklich gut ist. Wir haben es mit externen Schocks zu tun. Ich muss in diesem Kreis nicht über Ölpreise oder über Euro-Dollar-Relationen reden. Das wissen Sie alle selbst sehr gut. Aber die Tatsache, dass wir selbst in Phasen der Stagnation oder geringen Wachstums auf den Märkten der Welt real Exportzuwächse erzielen konnten, zeigt, dass die deutsche Wirtschaft in guter Form ist.

Es muss uns gelingen, dass wir neben den saisonalen Effekten zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, die jetzt deutlich werden, auch die strukturellen hinbekommen. Das, was wir mit dem Reformprozess der "Agenda 2010" und den weiteren Entscheidungen angeschoben haben, wird Wirkungen zeigen. Aber diejenigen, die agieren, insbesondere die Bundesagentur für Arbeit und die dafür Verantwortlichen, müssen dafür sorgen, dass es nicht bei den konjunkturellen und saisonalen Effekten bleibt, sondern dass die Strukturentscheidungen, die getroffen worden sind, umgesetzt werden, dass die Vermittlungsbemühungen verstärkt werden und all die Maßnahmen, die in der "Agenda 2010" entwickelt worden sind, auch gesellschaftliche Wirklichkeit werden. Ich denke, das ist die Aufgabe, die wir jetzt haben und die wir in diesem Jahr und darüber hinaus zu einem Erfolg bringen müssen.

Meine Damen und Herren, wir haben nach einer sehr intensiven Diskussion, ob man über die "Agenda 2010" hinaus etwas zusätzlich tun muss, deutlich gemacht, dass wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern wollen. In einem 20 Punkte umfassenden Programm sind wichtige steuerpolitische Maßnahmen enthalten. Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften muss in der Höhe der Sätze, aber auch was die Bemessungsgrundlagen angeht, in Europa konkurrenzfähiger sein, als sie es gegenwärtig ist. Sie muss durch diese Art der Veränderung dafür sorgen, dass die hier anfallenden Gewinne auch hier in Deutschland versteuert werden. Im Vorgriff auf eine umfassende Reform der Unternehmensbesteuerung wird der Steuersatz für die Unternehmen von derzeit 25 auf 19 Prozent deutlich gesenkt. Ich rede - Sie wissen das - hier vom Körperschaftssteuersatz.

Auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für die kleinen und mittelständischen Unternehmen werden weiter verbessert. Die Erhöhung des Anrechnungsfaktors der Gewerbesteuer bei der Einkommenssteuer, die die Unternehmensbesteuerung der Personengesellschaften ist, schafft eine spürbare steuerliche Entlastung für Personenunternehmen. Ganz entscheidend wird sein, dass wir eine Reform der Erbschaftssteuer hinbekommen, und zwar bezogen auf das, was betrieblich vererbt wird. Wir wollen erreichen, dass die Betriebe, die nach einem Erbfall zehn Jahre lang weitergeführt werden, jährlich ein Zehntel ihrer steuerlichen Verpflichtungen erlassen bekommen und also nach zehn Jahren der Betriebsweiterführung keine Erbschaftssteuer zu zahlen haben. Es geht nicht um die privaten Vermögen. Es geht ausschließlich um das, was betrieblich veranlasst ist. Etwas anderes könnten wir den Menschen in Deutschland nicht empfehlen. Dafür würden wir auch keine Legitimation erhalten. Diese Maßnahme findet darin ihren Sinn, dass es wirklich einfacher ist, ein Unternehmen zu erhalten, wenn ein Erbe da ist, der es weiterführen will, als ein neues gründen zu müssen. Diese Maßnahme ist gerechtfertigt.

Wir haben dabei ein Problem. Das ist eine Steuer, über die der Bund gesetzlich verfügt, die aber ausschließlich den Ländern zusteht. Wir würden das am liebsten in Kooperation mit den Ländern machen. Aber die Bereitschaft zur Kooperation - so sehe ich es jedenfalls - ist noch etwas unterentwickelt. Wir haben aber keine Zeit. Wenn sich in absehbarer Zeit die Kooperationsbereitschaft nicht verbessert, die Länder also sagen, wie sie es gerne hätten, dass das Ziel erreicht wird - es ist ja ihr Geld - , dann müssen wir es alleine regeln. Dann wird man die Gesichtspunkte der Länder im Verfahren zu berücksichtigen haben. Warten können wir nicht. Vor allen Dingen können wir eines nicht akzeptieren: dass diese so wichtige Maßnahme im parteipolitischen Klein-Klein zerredet wird. Das ist nicht die Auffassung, die wir haben. Diese werden wir auch nicht akzeptieren. Das wird also in der nächsten Zeit - nach unseren Zeitplänen möglichst vor der Sommerpause - realisiert werden. Ich finde, dass das ein deutliches Beispiel dafür ist, dass wir einerseits mit der Herausforderung angemessen umgehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Globalisierungsprozess gerecht werden, mit dem wir es zu tun haben, und andererseits mit der anderen Herausforderung angemessen umgehen, die auf unsere Wirtschaft, auf die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme drückt, nämlich dem besonderen Altersaufbau unserer Gesellschaft.

Wir sagen natürlich auch in aller Klarheit - und ich will das deutlich unterstreichen - , dass wir angesichts der Tatsache dessen, was wir bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen wirklich gemacht haben - die Punkte sind genannt worden - , darauf setzen müssen, dass sie auch zu mehr Investitionen, arbeitsplatzschaffenden und arbeitsplatzsichernden Investitionen in Deutschland führen. Wenn wir die Ziele, die wir miteinander haben, nämlich die Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren und die wirtschaftliche Kraft zu stärken, wirklich erreichen wollen, dann kann das nicht alleine Sache der Politik sein. Dann muss Wirtschaft ebenso wie Politik mitarbeiten. Dann müssen sie in der Lage sein, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Sie müssen in der Lage und bereit sein, auch mehr Investitionen in Arbeitsplätze in Deutschland zu veranlassen.

Meine Damen und Herren, die Aufgaben, denen sich Ihr Verband verschrieben hat - die Lebensmittelsicherheit und die Produktqualität - betrifft uns alle. Die Bundesregierung weiß sehr wohl, dass Ihre Arbeit wichtig ist. Sie schätzt sie deshalb auch. Das heißt nicht, dass man - Herr Spettmann, wir haben viel miteinander geredet, und Sie tun das auch mit Ministerin Künast - sich in allen Dingen völlig einig ist. Das kann angesichts unterschiedlicher Interessenlagen gar nicht so sein. Das heißt aber, dass man Respekt voreinander hat, dass man sich offen begegnet. Das heißt, dass man auf dieser Basis den Umgang, den wir miteinander gefunden haben, weiter pflegt. Genau in diesem Sinne gratuliere ich dem Verband und allen, die an der Arbeit beteiligt sind, sehr herzlich zum 50-jährigen Jubiläum. Ich hoffe, dass wir noch lange Gelegenheit bekommen, diese erfolgreiche Arbeit miteinander fortzusetzen.