Redner(in): Christina Weiss
Datum: 28.04.2005

Untertitel: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat als Zeichen der deutsch-russischen Freundschaft 60 Jahre nach Kriegsende eine Kopie des antiken "Betenden Knaben" an das Schloss Peterhof bei St. Petersburg übergeben. Aus diesem Anlass plädierte Kulturstaatsministerin Weiss für eine engere Zusammenarbeit der Museen, Archive und Bibliotheken in beiden Ländern.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/51/822851/multi.htm


Deutsche und Russen verbindet seit Jahrhunderten eine gemeinsame Geschichte. In den Tagen, an denen wir uns an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 60 Jahren erinnern, wird uns diese Geschichte besonders bewusst. Der Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion war der Beginn des grausamsten Kapitels unserer gemeinsamen Vergangenheit.

Umso kostbarer muss uns erscheinen, wo Russland und Deutschland heute stehen. Unsere Länder sind enge Partner in einem zusammenwachsenden Europa. Vieles haben wir erreicht, noch mehr bleibt für die Zukunft zu tun.

Ich bin besonders froh, heute in St. Petersburg zu sein, um mit Ihnen gemeinsam die Rückkehr einer Bronzekopie des "Betenden Knaben von Sanssouci" zu feiern. Das Original, eine um 300 v. Chr. entstandene hellenistische Plastik, ist eines der Prunkstücke der Berliner Antikensammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wie Sie wissen, befand sich schon einmal ein Abguss des "Knaben" mehr als einhundert Jahre lang im Zarenpavillon des Peterhofs, bis er von deutschen Truppen zerstört wurde. Es war ein Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV an seine Schwester Charlotte von Preußen, die mit dem russischen Zaren Nikolaus I verheiratet war - und damit ein Sinnbild deutsch-russischer Freundschaft. Und dies soll das heutige Geschenk der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nun wieder werden, worüber ich mich auch als Vorsitzende deren Stiftungsrates freue.

Sechzig Jahre nach Kriegsende brauchen wir immer noch solche Symbole, um die Brüche in unserer Geschichte zu überwinden und zertrümmertes Vertrauen neu entstehen zu lassen. Wir haben gemeinsame kulturelle Wurzeln, die nicht nur sichtbar werden dürfen, wenn das politische oder wirtschaftliche Geschäft danach verlangt. Sie sind das Fundament unserer Beziehungen, das nur tragfähig bleibt, wenn es mit gegenseitiger Verantwortung und Aufrichtigkeit verstärkt wird. Die Bundesrepublik Deutschland wird dieser Aufgabe über die Maßen gerecht. Das beweist eine Geste wie heute, umso mehr, weil sie ein sehr sensibles Feld berührt. Es geht um die Problematik der im Krieg zerstörten, verschleppten und erbeuteten Kunstwerke.

Wie Sie wissen, enthält das deutsch-russische Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit von 1992 eine gegenseitige Verpflichtung zur Rückführung. Die daraufhin aufgenommenen Verhandlungen kamen indes Mitte der 90er Jahre im Vorfeld des aus deutscher Sicht nicht akzeptablen Beutekunstgesetzes von 1998 völlig zum Erliegen. Das in diesem Dumagesetz festgeschriebene Prinzip einer kompensatorischen Restitution erschwert es uns, und damit beziehe ich das russische Kulturministerium ausdrücklich ein, hier entscheidend voranzukommen. Als Kulturstaatsministerin empfinde ich Trauer und Scham, wenn ich von den unermesslicher Verlusten russischer Kulturgüter durch die Nazibarbarei höre und lese, und empfinde vor allem die rücksichtslosen unwiederbringlichen Zerstörungen als eine kulturelle Schande. Aber hat das heutige, mit Russland eng befreundete Deutschland wegen seiner historischen Schuld seinerseits Verluste nationalen Kulturgutes hinzunehmen? Kann man Verluste von Kulturgütern, deren Besonderheit gerade in ihrer Einzigartigkeit besteht, aus der Integrität des nationalen Kulturerbes herauslösen und gegeneinander aufrechnen? Gerade in dieser Woche hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Gemälde an Russland zurückgegeben. Das Kunstwerk mit dem Titel "Reiterschlacht", das der Schule des französischen Malers Bourguignon zuzuordnen ist, befand sich bis 1941 im Palast von Gatschina, also ganz hier in der Nähe. Es wurde nach 1945 unter nicht mehr geklärten Umständen in das Depot der damals Ostberliner Gemäldegalerie als Fremdbesitz in Verwahrung gegeben. Da wir ausnahmslos alle solche Objekte wieder ihrem legitimen Eigentümer zurückgeben wollen, war das Gemälde in einem entsprechenden Katalog der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus dem Jahre 1999 aufgenommen und zusätzlich im Internetauftritt lostart.de der deutschen Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste öffentlich gemacht worden. Nachdem russische Experten durch beide Publikationen auf das Gemälde aufmerksam geworden und die russische Regierung einen Antrag auf Rückgabe gestellt hatte, hat meine Behörde gemeinsam mit der Stiftung die Unterlagen eingehend geprüft und innerhalb von nur vier Monaten das Bild ohne irgendwelche Bedingung zurückgegeben.

Wie schwierig und langwierig es im umgekehrten Fall ist, zeigt das Beispiel der anhaltinischen Silbersammlung. Noch im Dezember bei den deutsch-russischen Kulturbegegnungen in Hamburg und nochmals im Januar bei meinem Besuch mit dem Bundespräsidenten in St. Petersburg wurde mir durch den russischen Kulturminister zugesagt, den Kunstschatz zu restituieren, weil der Herzog von Anhalt in der Nazi- wie der Stalinzeit widerrechtlich enteignet und höchstrichterlich in Russland als Opfer des Stalinismus rehabilitiert wurde. Mir wurde versichert, eine interministerielle Arbeitsgruppe der russischen Regierung habe die Rückgabe beschlossen, es gelte nur noch technische Fragen der Rückgabe zu klären. Hierfür haben wir dann eine deutsch-russische Expertengruppe eingesetzt; das russische Kulturministerium hatte nun zu einer Sitzung vor zwei Wochen in die Eremitage eingeladen, doch statt technischer Fragen, insbesondere diejenige der Anfertigung von Kopien für die Eremitage, wurden zur allergrößten Verwunderung seitens des Vertreters der Eremitage wieder rechtliche Grundsatzfragen aufgeworfen, die doch angeblich schon alle durch die interministeriellen Arbeitsgruppe der russischen Regierung geklärt waren. In Deutschland wird ein solches Hin und Her nicht verstanden - von den Auswirkungen des Beutekunstgesetzes, dem Fall Baldin-Sammlung und dem fast krimireifen Geschehen um das Potsdamer Rubens-Gemälde ganz abgesehen.

Diese Hinhaltetaktik belastet auf Dauer unser Verhältnis, gefährdet die Kunstwerke und trägt sehr zum Verdruss von deutschen Museumsdirektoren bei. Wenn dann auch noch überraschend und ohne Beteiligung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 350 Einzelstücke aus deren Berliner Antikensammlung, just also von dort, woher der "Betende Knabe" stammt, im Moskauer Puschkin-Museum ausgestellt werden, findet dies nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit wenig Verständnis. Diese hat ausgesprochen großen Anteil an den zurückliegenden Deutschen-Russischen Kulturbegegnungen mit ihren über 3000 Veranstaltungen genommen, genauso an der Wiederherstellung des Bernsteinzimmers, dem Wiederaufbau der Kirche auf dem Wolotower Feld oder der Restaurierung der Walcker-Orgel hier in St. Petersburg als Geschenk der Bundesregierung zum 300jährigen Stadtjubiläum. So sollten Freunde nicht miteinander umgehen. Es sind die Seelen der Menschen, in die wir investieren, und Kunst ist die beste Anlage.

Ich trete - trotz solch negativer Erfahrungen - mit allem Nachdruck für eine enge Zusammenarbeit der Museen, Archive und Bibliotheken unserer beiden Länder ein, weil ich mir dadurch ein noch größeres gegenseitiges Verständnis erhoffe. So wird seit zwei Jahren mit erheblichen Mitteln aus meinem Etat gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung jedes Jahr ein drei Monate langes Fortbildungsprojekt für jeweils 20 junge russische Museumsfachleute durchgeführt, in das nahezu alle großen deutschen Museen eingebunden sind. Am 20. Mai 2005 wird im Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin die diesjährige Abschlussveranstaltung sein.

Meine Damen und Herren,

die persönliche Begegnung zwischen den Menschen ist mir besonders wichtig. Erst dadurch entsteht gelebte Partnerschaft, kommen sich die Bürger Russlands und Deutschlands näher. In diesem Prozess spielen die Medien - insbesondere das Fernsehen - eine wichtige Rolle. Sie können helfen, Vorurteile abzubauen und gegenseitiges Verständnis zu fördern.

Deshalb freut es mich besonders, dass es dem Norddeutschen Rundfunk gemeinsam mit dem russischen Fernsehen "ORT" gelungen ist, die Dokumentation "Der Kreml - Im Herzen Russlands" gemeinsam zu realisieren. Der Film zeigt neben grandiosen Bildern des Kreml vor allem die Menschen, die im Herzen Russlands arbeiten und uns von ihrem Alltag, von ihren Ängsten und Hoffnungen erzählen. Es sind gerade diese sehr persönlichen Portraits, die diese Dokumentation auszeichnen. Sie lassen uns mitfühlen und geben Einblick in eine für viele Deutsche nach wie vor fremde Welt. Dabei hat der Moskauer Kreml mit seiner Jahrhunderte alten Geschichte und seinen kostbaren Kunstschätzen uns Deutsche schon immer auf eine ganz besondere Weise fasziniert. Umso mehr freut es mich, dass dieser Film nun auch im russischen Fernsehen ausgestrahlt wird.

Dieses Projekt ist für mich ein Beispiel für die enger werdende Zusammenarbeit unserer beiden Länder, die Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin mit dem Petersburger Dialog unterstützen möchten. Ich hoffe und wünsche mir, dass dieser Dokumentation noch viele weitere gemeinsame Fernsehprojekte unserer beiden Länder folgen werden.

Mögen die guten Signale, die die Rückkehr des "Betenden Knaben" verspricht, zur Wiederherstellung des Ganzen beitragen, das uns allen und unseren Kindern gehört. Auf das Ganze kommt es an, wenn man vom Europa der Zukunft spricht. Solange die Lücken, die der Krieg schlug, sichtbar sind, behält jeder Museumsbesuch und jedes Kunstfest einen bitteren Beigeschmack. Der "Betende Knabe" schließt eine schmerzhafte Lücke in Russland und besiegelt unsere alte Freundschaft neu. Sie sollte stark genug sein, Verborgenes zu offenbaren und Lücken auch in Deutschland zu schließen - zum Nutzen unserer gemeinsamen Zukunft. Vielen Dank!