Redner(in): Michael Naumann
Datum: 05.02.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/44/11844/multi.htm


Saarbrücker Zeitung: Herr Naumann, am vergangenen Wochenende sind Rechtsradikale erstmals in der Nachkriegsgeschichte durch das Brandenburger Tor gezogen und haben am Platz, wo das Holocaust-Mahnmal stehen soll, demonstriert. Sind Sie beunruhigt?

Naumann: Zwischen 1933 und 1945 sind hunderttausende Rechtsradikale durch das Brandenburger Tor gezogen. Dass es am Wochenende gerade einmal 500 waren, halte ich insofern für einen Fortschritt, aber nur aus geschichtlicher Sicht. Es waren dennoch 500 zu viel. Eine ärgerliche Sache.

Zum Mahnmal: Sie haben die elfjährige Diskussion mit eigenen Beiträgen begleitet. Am Ende steht ein Konzept, das etwas anders und weniger groß ausgefallen ist, als Sie es sich gewünscht haben. Ist die Debatte am Ende an Ihnen vorbeigelaufen?

Das Mahnmal würde überhaupt nicht Gestalt gewinnen, hätte diese Regierung nicht den Entscheidungsprozess entschieden vorangetrieben. Helmut Kohl hat die Entscheidung, das Denkmal zu bauen, im Mai 1998 einfach vertagt. Dass ich bezüglich des "Orts der Erinnerung", der mit dem Mahnmal gebaut werden sollte, etwas andere Vorstellungen hatte, hat nichts mit einer politischen Niederlage zu tun. In diesem Zusammenhang wäre der Begriff Niederlage ohnehin fehl am Platz.

Wenn Sie die Initialzündung gegeben haben, warum hat es überhaupt so lange gedauert?

Diese Frage hätten Sie an den Bundestag in der vorigen Legislaturperiode richten müssen.

Aber hat sich der amtierende Bundeskanzler Schröder vor noch gar nicht so langer Zeit nicht ebenfalls kritisch mit dem Mahnmal auseinander gesetzt? Was ist mit Gerhard Schröders Spruch, er wünsche sich ein Mahnmal, wo die Leute gerne hingehen? Kritische Auseinandersetzung "ist ein anderer Begriff für" Denken ". Jener Satz wird dem Kanzler von der Opposition ganz besonders gerne entgegengehalten - von einer Opposition, die es selbst mehr als zehn Jahre lang in der Hand gehabt hätte, das Mahnmal zu bauen, es aber nicht gewagt hat. Zu Gerhard Schröder: Er hat doch nur etwas ganz Selbstverständliches sagen wollen. Was nutzt ein Denkmal, was ein Museum, das der Bürger nicht sehen will?

Viele Berliner, nicht nur der Regierende Bürgermeister Diepgen beschwören aber gerade diese Gefahr: Dass das Holocaust-Mahnmal ein Schandfleck in der City und allenfalls ein Zentrum für rechtsradikale Demonstranten oder Graffiti-Sprüher werden könnte...

Das ist Ihr Begriff. Diepgen hat nie von "Schandfleck in der City" gesprochen. Und die Graffiti-Unsitte versteht sich offenkundig als pubertäre Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse, die Macht, die Regeln. Das, was verboten ist, macht uns besonders scharf, hat schon Wolf Biermann gesungen. Der andauernde Hinweis, dass dort herumgeschmiert werden könnte, läuft Gefahr, zur self-fullfilling prophecy, zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

Fürchten Sie keinen andauernden politischen Streit um das Mahnmal?

Alle politischen Auseinandersetzungen um das Mahnmal sind, wenn sie die Würde des Anlasses achten, für das Selbstverständnis des Landes nützlich und wichtig. Aber in dem Augenblick, in dem dort Lederjacken auftauchen und in Wirklichkeit nichts anderes tun, als die Gelegenheit zu nutzen, ihre gesetzlich verbotenen Thesen der Holocaust-Leugnung vorzutragen, frage ich mich, wo da die Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit ist, die das Demonstrationsrecht abwägt gegen die bewusste und geplante Verletzung von Gesetzen.

Wäre es dann nicht besser, Sie zögen eine Bannmeile für die Stadtmitte von Berlin wie einst im Bonner Regierungsviertel?

Nein, so eine Bannmeile will ich nicht. Ich denke eher an eine Bannmeile für Idioten, für historische Analphabeten. Leider ist so eine Bannmeile nicht umzusetzen, sie bleibt Theorie.

Warum geht es eigentlich nicht voran mit dem Mahnmal? Der Architekt hat noch nicht einmal einen Plan vorgelegt für die veränderten Vorhaben...

Das sehen Sie falsch. In Wirklichkeit beobachten Sie hier das sichere und stete Arbeiten des Staates. In dessen Langsamkeit liegt auch eine gewisse Würde. Hier wird schließlich keine Garage gebaut, das ist vielmehr ein hochkomplexes Bauwerk, architektonisch und politisch. Wenn man 55 Jahre lang gewartet hat, kann man die jetzigen Entscheidungsprozesse auch noch abwarten.

Herr Naumann, Sie sind der eigentliche Seiteneinsteiger der Bundesregierung. Geht Ihnen diese "Würde der Langsamkeit" nicht ziemlich auf den Wecker?

Ich gehe schon oft auf die Palme, aber privat, nicht im öffentlichen Raum. Tatsache ist, dass bei all der Langsamkeit, die ich im Vergleich zu Entscheidungsprozessen in der Wirtschaft erst einmal lernen musste, eine Menge passiert ist. Wenn ich mich nach anderthalb Jahren umschaue und frage, was haben wir eigentlich geschafft, dann ist das mehr, als ich mir je hätte träumen lassen.

Das klingt ja fast euphorisch. Die Opposition versucht Sie doch eher als des Kanzlers Hofnarren darzustellen...

Wenn das so wäre, müssten Sie mir sagen, von wem Sie reden und wo das zu hören oder zu lesen war. Die heutige Opposition hat zwei Jahrzehnte lang vergeblich das Stiftungsrecht reformieren wollen, wir haben es jetzt geschafft. Ferner enthält eine kleine Aufzählung des Erreichten die Verdoppelung der kulturellen Zuwendungen für die neuen Länder. Drittens steht die Rundum-Modernisierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf der Habenseite, viertens die Verdoppelung der kulturpolitischen Förderung der Stadt Berlin. Dann die Rettung der Buchpreisbindung - was glauben Sie, was das für mich und meine Mitarbeiter ein politischer Kraftakt in Brüssel gewesen ist. Des Weiteren gibt es ein "Bündnis für den Film" - eine neue Form der Filmförderung. Und dann ist da auch noch die Steuerpolitik, der Erhalt der Teilwertabschreibung für den Verlagsbuchhandel etwa oder die Rettung der hochgefährdeten Abschreibungen im Denkmalschutz und so weiter.

Die Opposition wirft Ihnen politisch motivierte Kürzungen bei der Deutschen Welle und den Vertriebenen vor, um damit andererseits Prestigekultur und das Ego des Herrn Naumann zu fördern...

Die Opposition gibt sich gerne bescheiden, und sie hat auch allen Grund dazu. Kulturpolitik bedeutet das Bohren ganz besonders dicker Bretter. Insofern ist es mir ein Rätsel, wie man hier sein Ego befriedigen kann. Andererseits müssen Sie mir den Politiker zeigen, der es sich nicht auch als persönlichen Erfolg anrechnet, wenn seine Initiativen in Gesetzesform durch den Bundestag gehen. Die Opposition hat das Recht, die Öffentlichkeit zu verwirren. Und sie nimmt dieses Recht in der ihr angeborenen Art nicht nur im Spendenlabyrinth ihrer Selbstfinanzierung wahr. Die Kürzungen, die Sie angesprochen haben, halte ich weiterhin für vertretbar. Der Kulturetat der alten Bundesregierung lag, was meine Aufgaben angeht, bei 1,5 Milliarden Mark. Er liegt jetzt bei 1,7 Milliarden und wird, trotz der Sparmaßnahmen des Zukunftsprogramms, im Jahr 2003 noch leicht über dem Etat liegen, den ich 1998 geerbt habe.

Apropos Erbe. War die Kulturpolitik unter Helmut Kohl wirklich so schlecht, wie Sie sie machen? Mir fällt da spontan die Bonner Museumsmeile ein...

Ich mache sie nicht schlecht. Es gab sie aber nicht als sichtbares, parlamentarisch kontrolliertes Projekt. Unter Innenminister Kanther war Kulturpolitik eine politische Leerstelle, wüstes Land sozusagen. Die Tatsache, dass die Opposition jetzt überhaupt über die Kulturpolitik des Bundes debattiert, beweist doch schon, wie viel sich bewegt hat. Und Kulturpolitik manifestiert sich ja nicht in meiner Person, wir haben jetzt ein institutionelles Geflecht, in dem das Parlament mit dem neuen Kulturausschuss eine Hauptrolle spielt. Nun wird über Bundeskulturpolitik auch auf nationaler Ebene diskutiert. Diesen Diskurs wollte Gerhard Schröder, deshalb hat er mich geholt.

Meinen Sie, dass sich das berühmte "System Kohl" also auch kulturpolitisch manifestiert hat?

Dieses berühmte System hatte natürlich auch kulturpolitische Ausprägungen. Da ist zunächst die Besetzung von wichtigen Positionen mit Parteifreunden oder Personen, die ihm nahe standen. Das sind zum Teil Lebensstellungen, aber damit muss man leben, so funktioniert Demokratie. Und wenn es drauf ankam, dann hatte der Bundeskanzler Kohl auch in Sachen Kultur tiefe Taschen. Aus diesen tiefen Taschen flossen beträchtliche Summen in die Kulturmeile in Bonn, während gleichzeitig die Stiftung Preußischer Kulturbesitz darben musste und bedeutende Bibliotheken vor sich hin rotteten. Das ist die Kehrseite dieser Medaille. Kohl hat seine Akzente gesetzt. Die Förderung der Vertriebenenkultur stieg in sechzehn Jahren um 800 Prozent. Eine Debatte fand nicht statt. Die neue Kulturpolitik der Bundesregierung stellt sich der Kritik. Das ist ein Unterschied, der auch zur Verbesserung der politischen Kultur des Landes beigetragen hat.