Redner(in): Michael Naumann
Datum: 10.02.2000
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/45/11845/multi.htm
Filmforum: Mitte 1999 lag der Marktanteil deutscher Filme bei 15 Prozent. Welche strukturverbessernden Maßnahmen haben Sie bereits ergriffen bzw. planen Sie zur Stärkung der deutschen Filmwirtschaft?
Naumann: Ich fürchte, dieser Marktanteil im letzten Jahr ist maßgeblich auf die erfolgreiche deutsch-französische Koproduktion "Asterix und Obelix" zurückzuführen. Wenn man den entsprechenden Wert abziehen würde, sähe der Marktanteil magerer aus. Bei Schwankungen zwischen 9 und 14 Prozent in den letzten zehn Jahren, in der die Besucherzahlen immer abhingen von einem Erfolgsfilm, der aber wiederum im Schatten stand von einem US-Blockbuster, ist die Aussagekraft des Marktanteils a priori mit Vorsicht zu genießen.
Die prinzipiellen Probleme sind in allen Jahren gleich gewesen. Erstens: Wir produzieren in Deutschland ganz offenkundig nicht genug Filme mit Massenappeal. Zweitens: Die Zahl der kommunalen Kinos, in denen Kunstfilme, also kulturell wertvolle Filme gezeigt werden, nimmt ab. Drittens: Die Zahl der erfolgreich exportierten Filme kann gar nicht mehr abnehmen, weil sie schon am unteren Ende angelangt ist.
In Frankreich sind 1999 zwar angeblich zwölf deutsche Filme gezeigt worden, aber wohl überwiegend auf Filmfestivals. Richtig kommerziell gelaufen ist nur eine Produktion: "Lola rennt".
Dabei hat es meines Erachtens jedoch auf französischer Seite marketingtechnische Fehler gegeben."Lola rennt" war in einigen Städten sehr erfolgreich, in anderen nicht. Man ist mit über 100 Kopien ins Rennen gegangen. Das war verleihtechnisch ein wagemutiger Entschluss, der den Verleiher - wie ich gehört habe - eine Million DM gekostet hat. Das ist nicht sehr ermutigend und gewissermaßen kontraproduktiv.
Unser "Bündnis für den Film" hat die Stärkung der deutschen Filmwirtschaft zum ersten Mal zum gemeinsamen Thema von Bund und Ländern gemacht und alle Beteiligten der deutschen Film- und Fernsehindustrie zusammengeführt. Ein Ziel des Bündnisses ist es, ein kleines, aber wichtiges Glied in der Gesamtverwertungskette "Film" zu stärken: die Rolle der Produzenten. Ebenso wird die "Export-Union" einer gravierenden inneren Reform unterliegen. Und es wurde - auch dies ist ein Schritt zur Stärkung der Filmwirtschaft - auf Grund unserer Vermittlung der langjährige Streit zwischen der Videowirtschaft und der Filmförderungsanstalt ( FFA ) beigelegt. Die Verfassungsklagen in dieser Angelegenheit wurden zurückgezogen, und der FFA steht eine zusätzliche Summe von fast 60 Millionen DM zur Filmförderung zur Verfügung.
Stichwort "Bündnis für den Film"...
Können Sie nicht zunächst einmal sagen: "Das ist aber ein Fortschritt!" ?
Gratuliere! Wir wollen hoffen, dass sich das letztendlich in vielen guten Filmen niederschlägt. Auch wenn der Weg bis dahin weit sein kann. Stichwort "Bündnis für den Film" : Neben der besseren Koordinierung der Filmförderung ist es auch das Ziel - wie Sie gerade gesagt haben - die Rolle des Filmproduzenten zu stärken. Der Produzent sitzt ja an einer sehr bedeutenden Schnittstelle, weil er einerseits die künstlerische Kompetenz haben muss und andererseits auch die wirtschaftliche Kompetenz...
Es wäre schön, wenn die Produzenten diese Doppelrolle auch in den Vordergrund stellen würden. Dann würden nämlich auch sie verantwortlich gemacht werden für die künstlerische Qualität der Filme. Verantwortlich gemacht werden aber immer, wenn es nicht klappt, die Regisseure oder die Schauspieler oder die Kritiker und natürlich das Publikum.
Nun wandelt sich die deutsche Produktionslandschaft in der letzten Zeit. Es gibt immer mehr Verleih-Produktionsfirmen, Ausgründungen von Produktionstöchtern öffentlich-rechtlicher und privater TV-Sender, Fonds- und Aktienmarktproduzenten, Studioproduzenten usw. Aber gibt es "unabhängige" Produzenten? Oder andersherum: Werden Sie Spitzengespräche mit Bertelsmann und Kirch führen?
Der Begriff des "unabhängigen Produzenten" ist fast schon eine Fiktion."Unabhängig" nennen sich diejenigen Produzenten, die nicht an irgendwelche Konzernstrukturen angebunden sind - mithin keine feste Finanzierungsbasis haben. Mit anderen Worten: Der Begriff des "unabhängigen" Produzenten oder des "Independents" ist manchmal nichts anderes als eine freiheitliche Bemäntelung des bedauerlichen Sachverhalts, dass für das Hochrisikogeschäft der "unabhängigen" Filmproduktion kein Kapital mehr zur Verfügung steht. Diejenigen, die nicht in gesicherte, institutionalisierte Kanäle der Kapitalsicherung eingebettet sind, haben damit das Privileg, sich "unabhängig" zu nennen."Unabhängig" heißt jedoch heute in Wirklichkeit meist nichts anderes als "unterfinanziert".
Diese Entwicklung hat auch etwas mit einer Veränderung der Filmautorenlandschaft zu tun. Die Kombination Filmautor / Produzent hat Deutschland die bedeutenden Nachkriegsfilme beschert. Jeder muss sich fragen, warum dieses Modell des Autoren-Films, das auch eine klare Gewichtung zu Gunsten des Regisseurs und Autors enthielt, nicht mehr funktioniert. Aber leider man kann nicht sagen: Wenn der Staat mehr Geld gibt, wird dieses Modell wieder aufleben.
Filme werden von Menschen mit verschiedensten Berufen gemacht: von Regisseuren, Kameramännern, Produzenten, Cuttern usw. Der Staat stellt ihnen eine vorbildliche Ausbildungsplattform zur Verfügung. Ihnen wird hier nicht nur das technische Know-How vermittelt, sondern bisweilen auch erzählt, dass man beim Filmemachen nicht getrieben werden sollte von der Sehnsucht, schnelles Geld zu machen, sondern von dem Wunsch, etwas Schönes, Aufregendes, Bewegendes zu schaffen; vielleicht auch, dass es darum geht, Dinge im Land zu verändern oder wenigstens Fenster zu öffnen für unbekannte soziale oder ästhetische Problemfelder.
Wenn man diese Definition künstlerischen Schaffens im Film, so grob sie sein mag, einmal stehen lässt und sie dann vergleicht mit den Möglichkeiten, dies auch zu umzusetzen, dann ist es so, als ob wir in Deutschland eine Fülle von Malern ausbilden und vergessen, ihnen zu sagen: "Leider gibt es keine Galerien mehr, leider sind die Ankaufetats der Museen auf Null geschrumpft, leider ist die Farbe alle, leider schlagen wir euch vor, wenn ihr überleben wollt, lieber Plakate zu malen."
Der Bund kann da meines Erachtens herzlich wenig tun. Er kann weiter Fördermaßnahmen durchführen, aber in letzter Instanz entscheiden dann doch die Länder, z. B. durch eine auch länderübergreifende Förderpolitik für kommunale Kinos zur Sicherung von Abspielstätten.
Ganz zuletzt aber entscheidet das Publikum. Und wenn das Publikum verloren geht, dann muss man sich fragen, ob es die Aufgabe des Staates sein kann, ästhetische Erziehung des Publikums zu betreiben. Ich befürchte, dass dies den Staat überfordert, und ausserdem haben wir in Deutschland allerschlechteste Erfahrungen damit gemacht. Die Frage ist sowieso, ob die Sehgewohnheiten durch das Fernsehen und andere visuelle Erlebnisse so determiniert werden, dass das, was wir an Ausbildungsleistung im Filmsektor anbieten, ganz sinnlos ist. Die Gefahr besteht, dass wir an den bestehenden ästhetischen Bedürfnissen der breiten Gesellschaft vorbei ausbilden. Aber die Bedürfnisse sind so wie sie sind nicht vom Himmel gefallen.
Der Prozess der visuell-ästhetischen Erziehung findet in seltensten Fällen in den Familien statt. Visuelle Sozialisation ist in viel stärkerem Maße beeinflusst durch den Umgang mit Schulkameraden, im ausserfamiliären Umfeld, mit Werbung. Was heute das Fernsehen zeigt - von der kalifornischen Surf-Welt bis zur "Lindenstraße" - hat nichts mehr zu tun mit einer sinnvollen visuellen, semantischen oder literarischen Erziehung, die der Staat - in welcher Form auch immer - beeinflussen könnte. Hier vollzieht sich eine ästhetische Globalisierung der Welt nach Maßstäben, die nicht meine sind. Aber da kann der Staat nicht Muskeln zeigen. Sich damit auseinander zu setzen ist ein langer Prozess gesellschaftlicher Selbstkritik. Da spielen Sie als Journalisten und auch die Künstler, die dagegenhalten, eine wesentlich wichtigere Rolle.
Es stellt sich einerseits die Frage, wo sich die filmische Rebellion: die rebellische Geste gegen die existierenden visuellen Machtstrukturen, die Produzenten- und die Verleiherverhältnisse von heute eigentlich ereignet: Ich sehe nichts dergleichen - aber ich kenne natürlich nicht alle neuen Filme. Die andere Frage lautet: Produzieren wir als Gesellschaft junge Filmemacher innerhalb der zwei Leitplanken "Publikumsverträglichkeit" und "reduzierter Kunstanspruch" ? Und auf dieser Autobahn soll nun der deutsche Film wie Phönix aus der Asche wiedererstehen?
Kann das Publikum nicht neugierig gemacht werden auf Filme, die einen höheren Kunstanspruch erfüllen - durch gezieltes Marketing beispielsweise? Ja, aber dies ist auch eine Frage der Risikobereitschaft und der finanziellen Freiheit der "unabhängigen" Produzenten. Deren Möglichkeiten sind aber begrenzt. Es heißt immer, erfolgreiche, ungewöhnliche Filme dürfe man nicht in solchen Analysen anführen, diese seien Ausnahmen. Die "Ausnahme" "Blair witch Project" beispielsweise ist jedoch faszinierend: Drei Leute stellen sich hin und machen etwas, was total unkommerziell ist, gegen den Strich geht und in den USA der erfolgreichste Film des Sommers 1999 wird. Was sagt das? Auch die eingeschliffensten und durch gewaltige Werbekampagnen ritualisierten Sehgewohnheiten sind fragil und können von Außenseitern über den Haufen geworfen werden. Das bedeutet aber auch, dass es Verleiher gibt in Amerika, die das wissen und das Risiko auch eines eventuellen Flops eingehen. Haben wir ähnliche Bedingungen in Deutschland? Gibt es die entsprechende Risikobereitschaft bei uns? Die neuen Filme, die ich auf den Festivals sehe sind gut, gefallen mir, aber ein neuer Herzog oder neuer Fassbinder ist nicht dabei. Aber einen Genie-Automatismus gibt es auch nicht.
Die deutsche Filmindustrie ist zur Fernsehindustrie geworden. Der Einfluss des Fernsehens wird immer größer und wirkt sich auch auf den Kinofilm aus: auf dessen Inhalt und Ästhetik. Welche Rolle sollte das wirkungsästhetisch führende Medium, der Kinofilm, spielen?
Zunächst muss man sich die Fakten anschauen: Um ein anständiges Drehbuch für einen Kinofilm vorzulegen, braucht ein Autor ein Jahr. Dann bekommt er eventuell einen Förderpreis - alles in allem hat er dann vielleicht DM 50.000 damit verdient. Davon kann man aber nicht leben. Beim Fernsehen bekommt derselbe Autor für lediglich sechs Wochen Arbeit, z. B. für einen "Tatort", dieselbe Summe plus zusätzlicher Honorare aus der Nachverwertung. Die kommerzielle und öffentlich-rechtliche Fernsehfilmproduktion hat ein Gesamtvolumen von über 3 Milliarden DM im Jahr; die Kinofilmproduktion dagegen liegt nur bei 300 Millionen DM. Entsprechend vollzieht sich eine Wanderbewegung der Filmemacher zu den größeren Töpfen.
Um die Produktion von Kinofilmen - möglichst noch mit kulturellem Anspruch - auch finanziell attraktiv zu machen, gilt es, die gewachsene Abhängigkeit der Produzenten und Autoren von den Fernsehsendern zu verringern. Filmproduzenten müssen eher als bisher an der Zweit- und Drittverwertung beteiligt werden. Noch liegen die Rechte an TV-Produktionen in der Regel für sieben Jahre bei den Fernsehanstalten. Das ist insofern politisch interessant, als ja auch indirekte Steuern in solche Filme geflossen sind. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mit dem Auftrag der Grundversorgung sind nebenbei auch als Wirtschaftsunternehmen tätig und sichern sich ihren Fortbestand im Rahmen der dualen Rundfunkordnung auch dadurch, dass sie für sich selbst lukrative Produktionen auf den Weg bringen, die z. T. aus öffentlichen Fördertöpfen finanziert werden. Sie sind insofern in einer kartellrechtlich interessanten Situation, welche die freie Produzentenschaft nur noch als sehr niedrigfliegende Satelliten im Gravitationsbereich der TV-Anstalten zulässt. Dies geschieht nicht mit böser Absicht und scheint strukturell unvermeidbar.
Das führt dazu, dass freie Produzenten nicht zur Bank gehen und sagen können: "Ich habe einen sehr erfolgreichen Film gedreht, der wird in den nächsten Jahren soundsoviel Mark einspielen." Der spielt nämlich nichts ein oder nur sehr wenig, weil die Verwertungsrechte bei anderen liegen. Entsprechend gibt ihm die Bank auch keinen Kredit. Was macht also ein Produzent, der mit seinem Regisseur Talent gezeigt und einen erfolgreichen Film gedreht hat? Sie gehen ins Ausland. Tom Tykwers neuer Film wird jetzt unter ganz anderen Bedingungen mit amerikanischem Geld gedreht. Die Gefahr, dass die Talente aus Deutschland verschwinden, ist also offenkundig. Man braucht nur nach Los Angeles zu fahren: Dort wohnen Petersen, Emmerich, Wenders und viele andere.
Lässt sich das nicht durch eine Aufstockung der Filmförderungsmittel verhindern? Einer Ihrer Schwerpunkte ist ja die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Filmwirtschaft und Fernsehanstalten. Dazu könnte eine Erhöhung der Filmabgabe der privaten TV-Sender an die FFA beitragen. Oder der garantierte Rückfluss der Gelder aus der Zweitverwertung in Filmprojekte.
Eine hierzu erforderliche Änderung des erst zum 1. Januar 1999 novellierten Filmförderungsgesetzes ( FFG ) würde nicht so einfach sein. Bund, Länder, private und öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten waren in den legislativen Prozess eingebunden. Deswegen herrscht jetzt erst einmal Zufriedenheit darüber, dass diese Kompromisslösung existiert.
Allerdings muss ein Bereich, den das FFG auch regelt, novelliert werden: der bereits angesprochene Rechterückfall. Wir haben uns im "Bündnis für den Film" intensiv mit diesem Thema beschäftigt. In wenigen Monaten wird sich zeigen, ob es möglich ist, durch eine Einigung zwischen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und Produzentenverbänden die Zeit der Verweildauer von Rechten bei den Fernsehanstalten auf drei oder fünf Jahre zu reduzieren.
Ein anderes wichtiges Thema ist, wie gesagt, der Filmexport. Die Export-Union wird - der innere Wille dazu ist vorhanden - neu strukturiert. Und durch Beiträge aller Beteiligten soll auch eine bessere finanzielle Ausstattung der Außenrepräsentanz des deutschen Filmes erreicht werden. Man muss sehen, dass in Deutschland etwa nur ein Zehntel der Summe, die Frankreich für den Filmexport aufbringt, zur Verfügung steht. Das scheint aber auch dem französischen Film nicht zu helfen, denn auch dort leidet der Filmexport massiv.
Zu meinem Bemühen um eine Stärkung der Filmwirtschaft gehören auch bilaterale Abkommen mit großen europäischen Staaten zur Filmförderung, zur Promotion und zum Vertrieb. Sowohl mit Italien als auch mit Spanien schließen wir neue Verträge. Im Fall von Frankreich revitalisieren wir das Abkommen von 1981, das eine Million DM jährlich zur Förderung von Koproduktionen vorsah. Dieses Abkommen haben die Franzosen zunächst stiefmütterlich behandelt und dann 1995 gekündigt. Inzwischen merken sie jedoch, dass es bei der Förderung des europäischen Filmes nicht ohne sie geht. Die klassische französische Politik der Abschottung ist auch angesichts der technologischen Entwicklungen nicht mehr durchzuhalten - Stichwort "Pay-TV".
In letzter Instanz stellt sich jedoch immer wieder dieselbe Frage, die kein Staat, keine internationale Politik und kein "Bündnis für den Film" lösen kann: Wie kann man die Neugier des Publikums für Filme wecken, die aus einer ihm fremden Lebenswelt kommen? Leider können wir hier ein der sonstigen europäischen Vielfalt ja geradezu entgegengesetztes gesamteuropäisches Phänomen beobachten, das man - milde formuliert - mit "abnehmender Neugier" bezeichnen könnte. Man könnte auch "Provinzialisierung" sagen.
Kann sich das Publikum mit den so gern rezipierten US-amerikanischen Filmen und deren Lebenswelten identifizieren?
Ich glaube, die Frage stellt sich anders. Was die amerikanischen Filme - insbesondere die Actionfilme - erfolgreich transportieren, sind nicht die spezifisch amerikanischen Lebensverhältnisse, sondern klassische mythische Überhöhungen von Abenteuererwartungen eines meist männlichen jugendlichen Publikums. Der Erfolg hat nichts mit den amerikanischen Realitäten zu tun, sondern mit dem grundmenschlichen Bedürfnis nach Heldensagen, das von deutschen Filmen nicht bedient wird und aus historischen Gründen reduziert ist. Die fatalen Erfahrungen mit vermeintlichen Heroen in unser Geschichte hatten zur Folge, dass wir die Unbefangenheit verloren haben, solche Geschichten zu erzählen. Aber dennoch ist die Sehnsucht nach Helden im Film weiterhin da - siehe "Tatort". Ich kenne keinen neuen deutschen Film, der eine heroische Geschichte mit klassischen mythischen Topoi gut erzählt. Wenn, dann geschieht dies nur sehr gebrochen, hochironisch, mit viel Selbstbescheidung. Manchmal klappt das: "Aguirre" ist ein klassisches Beispiel dafür,"Helden wie wir" ein anderes. In Amerika ist dagegen der Umgang mit Heldenmythen ziemlich ungebrochen.
Lässt sich der europäische Film auf dem US-dominierten Markt in Europa wettbewerbsfähig machen?
Ja. Sie kriegen jeden Filmverleiher dazu, einen Film in sein Programm aufzunehmen, wenn sie ihm eine Million Mark für Marketing und Promotion geben. Dann kommt ein Film auch ins Kino. Aber wer soll das Geld hierfür zur Verfügung stellen?
Gemeinsame Initiativen der europäischen "Filmminister".
Da haben wir ein kleines Problem: Das heißt "europäisches Wettbewerbsrecht" und GATS. Wer soll entscheiden, welcher Film mit solchen europäischen Mitteln gefördert wird und wer nicht? Ein unabhängiges Gremium unter der Rechtsaufsicht der Europäischen Kommission? Gott behüte... Die Debatten kann ich mir lebhaft vorstellen.
Die deutsche Medienpolitik wird von den einzelnen Ländern gestaltet, die ihre eigenen Film- und Fernsehstandorte erhalten und ausbauen wollen und miteinander konkurrieren. Wäre es nicht sinnvoll, die Mittel der Filmförderungen zu bündeln, um synergetisch und standortunabhängig zu fördern? Aus der FFA also eine Art "Film-Dienstleistungszentrum" zu machen?
Das ist nur in der Theorie sinnvoll. Einen französischen Zentralismus wird es bei uns nicht geben. Länderfilmförderung ist immer auch Standortpolitik, die sich die Länder nicht nehmen lassen werden. Es gab einmal die absurde Situation, dass der Bund ein Drehbuch prämierte, bei den Landesfilmförderanstalten aber kein Einvernehmen darüber herzustellen war, ob die filmische Umsetzung förderungswürdig sei oder nicht. Wenn Sie produkt- und nicht kunstförderungsorientiert argumentieren wollen, dann ist in so einem Fall Geld zum Fenster hinausgeworfen.
Das Desiderat, die Kooperation von Bundes- und Landesfilmförderanstalten und anderen Institutionen zu verbessern, ist nicht neu. Da gibt es ja schon eine Menge personeller Zusammenarbeit. Die Leute reden miteinander, kungeln miteinander. Das ist so, macht den deutschen Film aber nicht gerade schlagkräftig. Und billig ist es auch nicht.
Dieser Tage feiern die Internationalen Filmfestspiele Berlin ihr 50-jähriges Bestehen. Sie haben in einem Interview darüber gesprochen, dass es die Stärken der Berlinale auszubauen gilt. Welche Stärken sind das? Und: Sind Sie zufrieden mit drei deutschen und 11 europäischen Filmen im Wettbewerb?
Es ist interessant und ich bin froh darüber, dass so viele deutsche Filme von der unabhängigen Jury in den Wettbewerb genommen worden sind. Wobei sich die Frage stellt, was Wim Wenders' "The Million Dollar Hotel" für ein Film ist - von einem Deutschen gemacht, aber mit einem amerikanischen Sujet, mit amerikanischen Schauspielern, in Amerika gedreht. Immerhin verkörpert er die besseren Zeiten der deutschen Filmindustrie.
Die Berlinale in dem riesigen Bouquet von Filmfestivals attraktiver zu machen, ist eine Sache des Managements. Zu dieser Aufgabe gehört die Betreuung der Gäste, Öffentlichkeitsarbeit und die Pflege des Glamours, des wunderbaren Halbseidenfaktors, der mit zum Film gehört. All dies ist - das wird keiner bestreiten können - in der Tat bei uns immer noch weiter verbesserungsfähig.
Ausserdem muss dafür gesorgt werden, dass auch in Zukunft die Weltmacht der Filmproduktion, die USA, noch stärker auf der Berlinale mit erstklassigen Filmen wie z. B. mit "The Talented Mr. Ripley" vertreten ist. Optimal wäre es gewesen, wenn die Präsentation des Filmes auf der Berlinale zeitgleich mit der Premiere in den USA erfolgt wäre. So etwas würde der Stadt Berlin und dem Festival bei der Rolle gut tun, eines der Schaufenster für die Welt-Klasse der Filme zu sein. So aber wissen wir, dass "Mr. Ripley" in Amerika schon wieder abgelaufen ist - bei exzellenten Kritiken. Wir sind nun auf der "Verwertungsstufe Zwei" angekommen: Europa. Schön wäre es, es liefe umgekehrt. Aber das ist nur eine Illusion: also Kino.