Redner(in): Christina Weiss
Datum: 21.05.2005

Untertitel: Am 21. Mai 2005 wurde der Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz 4 in Berlin in Anwesenheit des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers feierlich eröffnet.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/14/833114/multi.htm


am Fuße dieser Eröffnungsfeier, überlagert von den aufschäumenden wie niederschmetternden Erinnerungen an diese klingende Adresse "Pariser Platz 4", die leider auch für den ungeheuren geistigen Verlust durch den Naziterror steht, möchte ich Sie nun, verehrte Akademiemitglieder, mitnehmen auf den Weg der Ermunterung. Ein Pfad, der zunächst aber wieder in die Vergangenheit weist.

Vor knapp gut einhundert Jahren stand an dieser Stelle Akademiepräsident Johannes Otzen und begrüßte die Hohen der Krone. Das Gräflich Arnimsche Palais war gerade erst von Ernst von Ihne umgebaut worden und eröffnete der alten Akademie neue Möglichkeiten. Wie heute fanden sich die ersten Vertreter des Staates ein und hörten, wie der Geheime Regierungsrat und Architekt Otzen die Akademie in bester Lage in ungewohntem Spannungsfeld verortete: "Aus dem Wirken in die Breite ist ein solches in die Tiefe geworden, aus der allgemeinen Kulturaufgabe hat sich eine rein künstlerische Mission ergeben, und die Entwicklung der Kunst in den letzten Dezennien ist auf allen Gebieten ein solcher Faktor des öffentlichen Wohles geworden, ein solches Moment eminent sittlicher Bedeutung für das gesamte Volksleben, dass, wenn die Akademie der Künste hier ihren gesunden, objektiven, leitenden und fördernden Einfluss geltend zu machen versteht - sie in unseren sturmbewegten Kunsttagen vielleicht eine wohltätigere Wirkung zu üben vermag als je zuvor." Danach appellierte Otzen an das "Wohlwollen der vorgesetzten hohen Behörde."

Nun, meine Damen und Herren, letzteres dürfen Sie auch einhundert Jahre danach getrost voraussetzen. Mehr als Wohlwollen sogar, Engagement. Die Garantie von Autonomie und Staatsferne aber ebenso.

Und wie steht es nun um die Kultur der heutigen Nation? Schiller beschrieb sie im Deutschland der Kleinstaaterei als "sittliche Größe", als "Majestät des Deutschen" über jedem Fürstenhaupt. Die Kultur war damals und ist auch heute noch das emotional motivierende Gemeinschaftsbildende, das die Summe aller regionalen Einheiten nationstauglich zu machen vermag. Die Vorstellung von der Kulturnation bleibt trotz der Vernutzung und Verheerung in den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts eine fruchtbar anspornende Sehnsucht. Sie ist eine dauernde Ermahnung zur Freiheit des Subjekts in gemeinschaftlicher Verantwortung. Sie ist die Aufforderung zur Wertschätzung der Kultur - die in ihrer ganzen Vielfalt die nationale Gemeinschaft erst motiviert und europäisches Denken möglich macht. Die Arbeit an der Kulturnation ist eine geistige Aufgabe, die nie beendet ist. Der Weg ist das Ziel.

Wo, wenn nicht hier, wäre der Platz, um am Geist der Nation, ihrer Bildung, ihrer gedanklichen Freiheit, ihrem künstlerischen Niveau und ihrer Bedeutung für die europäische Identität zu arbeiten. Hier auf dem Marktplatz der Möglichkeiten muss Spannung in den Begegnungen herrschen. Ich wünsche mir sehr, dass dieser wunderbare Bau ein Ort der Auswirkung wird, um mit Hans Scharoun zu sprechen. Ein Ort der Energien und Ideen, der Kreativität und Hoffnung, der Freude und des Zukunftsschwunges, der Produktivität und des Enthusiasmus. Ich wünsche mir, nein, ich fordere sogar, lieber Herr Muschg, dass sich diese Akademie vernehmbar einmischt, ihren Einfluss geltend macht und weitet. Sätze - aus der Akademie gesprochen - müssen in unserer Gesellschaft als relevant, weise und aufrüttelnd geschätzt werden.

Dieses neue Haus ist eine Verpflichtung durch sich selbst. Just an der Stelle, wo das Land und der Kontinent brutal, und für die ganze Welt sichtbar, getrennt waren, vereinigt sich das Europa der Kulturnationen. Die Deutschen geben diesem schönen Gedanken ein Dach. Eine europäische Künstlersozietät, wie sie sich der unvergessene Heiner Müller erträumte, die aber erst mit der hochdramatischen, letztlich aber geglückten Vereinigung von Ost- und West-Akademie möglich wurde, muss jetzt Türen und Fenster aufstoßen, um gute Geister hinein- und vibrierenden Geist hinauszulassen. Ich wünsche der Akademie der Künste zu Berlin eine gute Zukunft. Vielen Dank!