Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 21.05.2005
Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehalten anlässlich der Einweihung der Akademie der Künste am 21. Mai 2005 in Berlin.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/23/833523/multi.htm
Hier in diesem Raum - Herr Konrád hat das deutlich gemacht - hat der großartige Maler und langjährige Präsident der Akademie der Künste, Max Liebermann, seine berühmten Eröffnungsreden gehalten. Diese räumliche Nähe zwingt uns auch heute, einen Moment inne zu halten, um uns zu erinnern. Wir hatten in den vergangenen Tagen und Wochen Gelegenheit dazu - ich hoffe, genutzte Gelegenheit. Es fanden in den vergangenen Wochen an verschiedenen Orten aus Anlass des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges Gedenkveranstaltungen statt. Aber eben nicht nur. Auch der Befreiung der Konzentrationslager wurde gedacht, u. a. im Januar in Auschwitz, im April in Buchenwald und in der vergangenen Woche in Theresienstadt.
Diese Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist uns allen eine moralische Verpflichtung. Auch wenn es stimmt, dass die überwältigende Mehrheit der heute lebenden Deutschen keine Schuld an den Verbrechen trägt, so tragen wir doch alle eine besondere Verantwortung, derer wir uns bewusst bleiben müssen. Die Erinnerung an Krieg und Völkermord ist Teil unserer gelebten Verfassung. Sie gehört also zu unserer nationalen Identität, und zwar auch deshalb, weil es nie zuvor einen tieferen Riss durch tausend Jahre europäischer Kultur und Zivilisation gegeben hat.
Der Nationalsozialismus hat eben nicht nur millionenfaches Leid und Tod über die Welt gebracht. Vor dem Holocaust und vor den Zerstörungen durch den Eroberungskrieg hatte bereits stattgefunden, was Historiker als "innere Zerstörung" bezeichnet haben. Der Nationalsozialismus hat auch zu einem Exodus der Besten und damit zu einer beispiellosen geistigen und kulturellen Verarmung in Deutschland geführt. Maler, Bildhauer, Schriftsteller, Musiker, Architekten, Schauspieler und Regisseure sind emigriert, wurden verfolgt, verhaftet, gefoltert, ermordet. Dies und die Tatsache, dass niemand wirklich aus Solidarität und mit entschiedener Zivilcourage gegen ihre Vertreibung aufgestanden ist, bildet die große Wunde eben auch in der Geschichte der Akademie der Künste.
Damit bin auch ich bei Max Liebermann. Er hat als visionärer Präsident von 1920 bis 1932 die Akademie erneuert. Er hat der jüngeren Generation ein Forum gegeben und die Akademie als Hüterin des Schatzes der Antike gleichwohl zu einem Ort der Auseinandersetzung mit der Kunst der Moderne gemacht. Es waren wirklich Jahre des Aufbruchs. Sie gehören zu den besten Jahren in der Geschichte dieser Institution und - und ich glaube fest daran - auch in der Geschichte Deutschlands.
Max Liebermann, der Jude, der Berliner, der Deutsche und zugleich der Europäer, verkörperte in seinem Wirken Offenheit, Auseinandersetzung und auch Nähe zu den gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich finde, er war wirklich ein Glücksfall für uns alle, bis Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten diese Blütezeit jäh beendete. Um seinem Ausschluss aus der Akademie durch die Nazis zuvorzukommen, erklärte Max Liebermann am 7. Mai 1933 mit folgenden Worten seinen Austritt: Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen versucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung zu tun. Ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als 30 Jahren und deren Präsident ich durch 12 Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat."
Erinnern wir uns: Gegen die aggressive Ausschlusspolitik und Gleichschaltung der Nazis gab es keinen breiten Widerstand, kein wirklich solidarisches Aufbegehren. Die Akademie verlor ihre moralische Integrität. Sie gab sich selbst auf. Nur wenige wie Thomas Mann, Alfred Döblin und Ricarda Huch setzten Zeichen und erklärten auch ihren Austritt. Es folgten die dunkelsten Jahre. Max Liebermann verstarb 1935 ausgegrenzt und verbittert. Seine Frau Martha - das müssen wir auch und gerade den jüngeren Leuten sagen - wählte am 5. März 1943 den Freitod, um ihrer Deportation in die Vernichtungslager zu entgehen.
Es ist bleibende moralische und politische Verpflichtung und Verantwortung, uns daran zu erinnern. Ich finde, das ist im Übrigen auch in einer Feierstunde wie der heutigen so. Lernen müssen wir daraus: Es gibt keine Freiheit, keine Menschenwürde und keine Gerechtigkeit, würden wir vergessen, was geschah, als Freiheit, Gerechtigkeit und die Menschenwürde mit eben staatlicher Macht zertreten wurden. Daraus folgt die Verpflichtung der Kunst und der Künstler, sich einzumischen. Das ist nicht nur die Verpflichtung der Politik - der natürlich auch.
Die Akademie der Künste heute hat sich einer aktiven Rolle verschrieben. Ihre Mitglieder - alles freie und kluge Köpfe - wollen - ich würde sagen: sie müssen - sich einmischen. Sie tun es mit Worten und mit Werken. Das ist, so finde ich jedenfalls, ein unschätzbarer Gewinn für uns alle, für unser Land. Nach seinem Idealbild einer Akademie befragt, sagte Hans Meyer, der langjährige Direktor der Abteilung Literatur, dass das "eine Stätte der Unruhe in Permananz" sein müsse. Das ist, wie ich finde, ein kluges Motto.
Ihr Wirken soll also nicht nur die Menschen mit und durch die Kunst erfreuen. Nein, das Wirken der Mitglieder der Akademie muss ein Beitrag für ein Leben in Freiheit, in Frieden und in Solidarität sein. Genau in diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, wünsche ich dieser Stätte der Unruhe eine gute Zukunft.