Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 01.06.2005

Anrede: Herr Regierender Bürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/80/838680/multi.htm


Verehrte Frau Präsidentin,

Der Deutsche Städtetag kann mit Stolz auf sein 100-jähriges Bestehen zurückblicken, und das eben nicht nur aus formalen Gründen, nicht nur, weil seine Arbeit das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstverwaltung der Gemeinden befördert, ja, es mit Leben erfüllt, sondern auch, weil wir wissen, welche Bedeutung die Städte und Gemeinden für die gedeihliche Entwicklung eines demokratischen und sozialen Gemeinwesens haben. Sie sind unverzichtbar. Die Kommunen sind ein wichtiges Element unserer modernen Bürgergesellschaft, ohne die sich eine solche Gesellschaft nicht organisieren ließe. Das hat auch den Grund, dass in den Kommunen und Gemeinden ganz praktisch und unmittelbar erfahrbar wird, wie die Menschen politisch, sozial und kulturell am gemeinsamen Leben teilhaben können.

Die diesjährige Hauptversammlung beschäftigt sich mit der Zukunft der Stadt. Angesichts von Globalisierung und angesichts der demographischen Entwicklung stellen sich gerade in den großen Städten - nicht nur in denen, aber besonders in ihnen - besondere Zukunftsaufgaben. Das betrifft die Fragen der ökonomischen und auch der ökologischen Entwicklung, aber es betrifft vor allen Dingen Fragen der sozialen Integration. Hierfür gilt es - nicht nur, aber eben auch und besonders auf kommunaler Ebene - innovative Lösungen zu erarbeiten und durchzusetzen. In diesem Zusammenhang will ich mich heute mit drei Themen in besonderer Weise beschäftigen, die auch für die Bundesregierung im Vordergrund stehen, zunächst mit der Situation der kommunalen Finanzen, dann mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt mit etwas, was auch mir besonders wichtig ist, nämlich einer besseren Familien- und insbesondere Betreuungspolitik für die Familien.

Meine Damen und Herren, zum ersten Thema: Bei den kommunalen Finanzen, wie übrigens auch bei allen staatlichen Ebenen, sind in den vergangenen Jahren gravierende Einnahmeprobleme aufgetreten. Die Bundesregierung hat darauf reagiert. Sie hat infolge der massiven Gewerbesteuereinbrüche in den Jahren 2001 und 2002 - Sie wissen es - damals kurzfristig mit Sofortmaßnahmen und, um ein mittelfristiges Konzept zu erarbeiten, mit der Einsetzung der Gemeindefinanzreformkommission reagiert. Wir haben gewiss nicht alle kommunalen Wünsche erfüllen können. Aber ich finde, dass sich durchaus zeigt, dass mit der schwierigen Umsetzung der Kommissionsergebnisse für die Kommunen wesentliche Entlastungen erreicht werden konnten. Mit der Gemeindefinanzreform ist eine strukturelle und auch eine quantitative Verbesserung der Gemeindefinanzen gelungen. Insbesondere durch die Absenkung der Gewerbesteuerumlage haben die Kommunen die ihnen zugesagte Entlastung erhalten. Auch von der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer profitieren die Kommunen. Als ein Beispiel möchte ich nur die Einführung der Mindestgewinnbesteuerung erwähnen.

Dass die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Steuerrechts-Änderungen durchaus Wirkungen zeigen, zeigt deutlich die Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen im vergangenen Jahr. Sie beliefen sich 2004 auf rund 20,6 Milliarden Euro und haben damit das Ergebnis der Rekordjahre 1999 und 2000 um mehr als 1 Milliarde Euro übertroffen. Nach dem jüngsten Ergebnis der Steuerschätzung werden sich die kommunalen Steuereinnahmen in den Jahren 2005 bis 2008 besser entwickeln als die Steuereinnahmen von Bund und Ländern. Auf Grund der positiven Entwicklung der Steuereinnahmen haben sich die Defizite in den Kommunalhaushalten gegenüber dem Vorjahr mit nunmehr 3,8 Milliarden Euro mehr als halbiert. Die kommunalen Steuereinnahmen insgesamt erhöhten sich im Jahr 2004 gegenüber dem Vorjahr um fast 10 % auf rund 51 Milliarden Euro.

Auch auf der Ausgabenseite werden die Kommunen durch die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe seit diesem Jahr dauerhaft entlastet, und zwar um 2,5 Milliarden Euro jährlich. Mit der Übernahme von Sozialhilfekosten für Langzeitarbeitslose durch den Bund ist nicht nur eine sinnvolle Reform durchgeführt worden, sondern wir haben auch langjährige Forderungen aus Ihrem Bereich, dem Bereich der Städte und Gemeinden, erfüllt. Bedeutsam für die finanziellen Perspektiven der Städte und Gemeinden ist, dass die Bundesregierung eine Kommunalisierung der Lasten der Langzeitarbeitslosigkeit nicht mitgemacht hat. Sie wissen: Revisionsklauseln sichern die vereinbarte Entlastung für die Kommunen ab. Sollte dabei festgestellt werden, dass die Entlastung hinter dem, was versprochen worden ist, zurück bleibt - die bisherigen Zahlen deuten auf das Gegenteil hin - , erfolgt eine Anpassung des Anteils des Bundes an den Kosten der Unterkunft. Dass das natürlich auch umgekehrt gilt, wissen Sie und begrüßen Sie sicherlich ähnlich, wie ich es auch tue. Durch Abschlagszahlungen ist zudem gesichert, dass die Kommunen zeitnah über die Mittel verfügen können. Die Bundesregierung hat ihr selbst gesetztes Ziel einer Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung damit nachweislich erfüllt. Der Bund leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur dringend nötigen Verbesserung der kommunalen Investitionstätigkeit.

Allerdings sind auch die Länder gefordert, ihrer Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung ihrer Kommunen nachzukommen. Die Länder müssen daher die Entlastung aus der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auch an die Kommunen weitergeben. Denn wie sich das positive Ergebnis in den einzelnen Kommunen auswirkt, hängt nicht zuletzt von der kommunalaufsichtlichen Praxis und der Ausgestaltung der kommunalen Finanzausgleiche ab, und das ist eindeutig in den Bereich der Länder verwiesen worden. Für beides sind also die Länder zuständig, und es kann natürlich nicht so sein, dass man den föderalen Staatsaufbau dann und nur dann betont, wenn es um Rechte geht, die wir gar nicht bestreiten, sondern man muss ihn auch betonen und ihnen jedenfalls nachkommen, wenn es um Pflichten geht. Eine der Pflichten habe ich genannt. Mir ist bekannt, dass es trotz dieser für die Kommunen insgesamt positiven Entwicklung zahlreiche Kommunen gibt, die ihre laufenden Ausgaben zum Teil über Kassenkredite finanzieren müssen. Indes verfügen die Länder mit dem kommunalen Finanzausgleich über das entsprechende Instrumentarium, besondere Belastungen, die es gibt und die gar nicht bestritten werden können, auch besonders zu berücksichtigen. Auch haben es die Länder in der Hand, mit einem ehrlichen und ernst gemeinten Abbau von Steuersubventionen die Situation der kommunalen Finanzen weiter deutlich zu verbessern. Entsprechende Initiativen der Bundesregierung werden - jedenfalls gegenwärtig - im Bundesrat, auch zu Lasten der Kommunen, blockiert. Ich hoffe, dass diese Blockade aufhebbar ist.

Meine Damen und Herren, es kann keine Frage sein: Es ist eine gemeinsame Aufgabe aller staatlichen Ebenen, die Arbeitslosigkeit in unserem Land abzubauen und vor allem jungen Menschen, aber nicht nur diesen, eine Perspektiven für ihre berufliche Zukunft möglichst im ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Diesem eindeutigen Ziel, das die zentrale Aufgabe unseres Gemeinwesens ist, dient die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene so genannte Hartz-IV-Reform, also eine Reform des Arbeitsmarktes und - das darf man ruhig sagen - die größte und bedeutsamste, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Der Deutsche Städtetag und seine Mitglieder waren in der gewiss schwierigen Startphase des Hartz-IV-Gesetzes ein zwar kritischer - wie sollte das in einem solchen Kreis auch anders sein - , aber auch konstruktiver Partner der Bundesagentur für Arbeit. Es ist deshalb auch Ihr Erfolg, dass die Umstellung zu Jahresbeginn trotz des Zeitdrucks und der bekannten Probleme mit der Technik, also insbesondere der Software, funktioniert hat. Man sollte es vielleicht auch einmal sehr deutlich sagen: Ohne die große Einsatzbereitschaft nicht zuletzt Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre dies nicht möglich gewesen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Beschäftigten für diese Einsatzbereitschaft.

Ich glaube, dass es beim Dank nicht belassen werden kann; denn wir brauchen diese Einsatzbereitschaft auch weiterhin. Vor allen Dingen in den kommenden Monaten wird ein besonderes Engagement aus den Kommunen heraus gefordert sein. Übrigens brauchen wir auch die Erfahrungen, die Stärken und die Kompetenzen der Städte in den Arbeitsgemeinschaften, wenn wir die Langzeitarbeitslosigkeit miteinander erfolgreich bekämpfen wollen. Ohne diese besonderen Kompetenzen, über die Sie bzw. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen, wird diese große Aufgabe nicht zu schultern sein. Dies gilt etwa für den Aufbau eines qualifizierten Fallmanagements oder für Fragen der Jugendhilfe, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Meine Damen und Herren, wir dürfen die sehr schwierige Aufgabe der Integration von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt - das wissen wir - natürlich nicht bei den Kommunen allein abladen. Deswegen bin ich dagegen, die Langzeitarbeitslosigkeit zu kommunalisieren. Ich weiß, dass in der ohnehin schwierigen Anlaufphase derzeit noch unterschiedliche Perspektiven von Kommunen und Arbeitsagenturen in den Arbeitsgemeinschaften aufeinander treffen, auch eine unterschiedliche, wenn man den Begriff gebrauchen darf und will, Arbeitsweise, eine unterschiedliche Kultur. Das hat mit der Vergangenheit zu tun und wird sicherlich nicht sofort aufhebbar sein. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass gerade darin die Chance liegt, den Sachverstand von Kommunen und von Arbeitsagenturen - durchaus unterschiedliche Erfahrungen und unterschiedlicher Sachverstand - zu nutzen und auf diese Weise neue, kreative Lösungen zu finden und sie den Menschen auch nahe zu bringen. Das, was die Agentur gerade in den letzten Tagen gemacht hat, nämlich einfach einmal herauszustellen, wo es funktionierende Arbeitsgemeinschaften mit welchen Erfolgen gibt, scheint mir ein Weg zu sein. Solche Beispiele sollten andere anregen, es den Kommunen, die ausgezeichnet worden sind, gleich zu tun.

Es ist für mich selbstverständlich, dass dabei die Zusammenarbeit beider Leistungsträger auf gleicher Augenhöhe zu geschehen hat, dass in den Arbeitsgemeinschaften auch Spielräume für eine Arbeitsmarktpolitik vor Ort genutzt werden müssen und dass sie, wo sie nicht bestehen oder nicht hinreichend bestehend, geschaffen werden müssen. Ansonsten kann das Ganze angesichts des unterschiedlichen Erfahrungshintergrunds der in den Arbeitsgemeinschaften Arbeitenden nicht funktionieren. Es muss den Arbeitsgemeinschaften jetzt schnell gelingen, auch das Arbeitsmarktkonzept von Hartz IV, das ja "Fördern und Fordern" heißt, in die Tat umzusetzen. Wir müssen bei den ins Auge gefassten Maßnahmen sehr viel entschiedener und schneller voran kommen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Ich weiß, dass das eine riesige Kraftanstrengung der Menschen vor Ort bedeutet. Aber ich weiß natürlich auch und sage es nicht zuletzt in der Öffentlichkeit, dass die Bundesregierung dafür wirklich viel Geld zur Verfügung stellt. So stellen wir für die Arbeitsmarktpolitik mit Hartz IV in diesem Jahr rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung, davon rund 6,5 Milliarden Euro für unmittelbare Eingliederungsmaßnahmen. Das ist eine gewaltige Summe. Aus dieser gewaltigen Summe muss Effizienz kommen. Sie wissen, dass der Abfluss der Mittel bisher nur zögerlich in Gang gekommen ist. Deshalb appelliere ich an alle Verantwortlichen, diese Mittel jetzt schnell und sinnvoll zur Eingliederung von langzeitarbeitslosen Menschen einzusetzen.

Meine Damen und Herren, drittens: Die Familien- und Betreuungspolitik ist für eine künftige gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung unseres Landes von ausschlaggebender Bedeutung. Kinder und Familien sind und bleiben das soziale Fundament unserer Gesellschaft. Wer sich zu dieser Aussage bekennt, und ich tue das ohne Einschränkung, der muss sich mit den Entwicklungen der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, beschäftigen: Seit 1964 hat sich die Zahl der Neugeborenen in Deutschland halbiert - von 1,4 Millionen auf heute 700.000 pro Jahr. Die Konsequenzen aus 40 Jahren Kindermangel werden die Zukunft unseres Landes erheblich bestimmen und verändern. In einem Land mit weniger Kindern und erheblich mehr älteren Menschen müssen wir die Solidarität zwischen den Generationen neu verhandeln, neu austarieren. Das ist die eigentlich zentrale Aufgabe. Wir haben das mit der "Agenda 2010" in Gang gesetzt. Wir müssen das Rentensystem, die Pflege- und die Krankenversicherung mit weiteren Reformen auf die demografische Entwicklung einstellen. Ich weiß, wie schwierig das ist, weil es nicht nur darum geht, finanziell anders zu wirtschaften, sondern es angesichts der Herausforderungen wirklich darum geht, Bewusstseinslagen für die Notwendigkeit dieser Reform zu verändern, die die einzig mögliche Reaktion auf die Tatsache der Globalisierung und des veränderten Altersaufbaus unserer Gesellschaft ist. Auch die kommunale Infrastruktur muss sich auf diese Entwicklung einstellen. Für sie wird das erhebliche Konsequenzen haben. Die Ausstattung mit Kinderkrippen- oder Kindergartenplätzen, die Größe der Schulraumkapazitäten oder auch der Neubau von Senioreneinrichtungen - all dies wird die Städte und Gemeinden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor große Herausforderungen stellen.

Nachhaltige Familienpolitik ist eine Aufgabe, die Staat, Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen erfassen müssen. Das ist nicht eine Aufgabe, die man nur einer staatlichen Ebene zuweisen kann. Die lokalen Bündnisse für Familien sind z. B. großartige Plattformen. Dort schließen sich Kommunen mit Gewerkschaften, Wirtschaft, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Partnern zusammen, um die Städte und Gemeinden kinderfreundlicher zu machen. Mehr als 140 solcher lokalen Bündnisse gibt es bereits. Das ist ein großer Erfolg, und ich benutze die Möglichkeit, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen, gerne, um zu bitten, sich an diesen Bündnissen weiterhin zu beteiligen, sofern Sie beteiligt sind, und, wenn das nicht der Fall ist, zu überlegen, ob diese Maßnahmen nicht wirklich gut und hilfreich sind, um die angestrebten Ziele auch wirklich zu erreichen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in der Kinder- und Familienpolitik einen bedeutsamen Paradigmenwechsel vorgenommen. Es ist wahr: Nach 1998 haben wir die finanziellen Leistungen für Familien in einem Maße erhöht, wie es das seit Bestehen der Bundesrepublik nicht gegeben hat. Wir haben z. B. das Kindergeld um 40 Euro auf 154 Euro pro Kind angehoben. Das kann natürlich noch keine Auswirkungen auf die Geburtenrate in Deutschland haben; das ist klar. Aber, meine Damen und Herren, an diesem Punkt zeigt sich auch, dass allein materielle Leistungen zur Verbesserung der Situation nicht ausreichen. Wir müssen mit der Familienpolitik Rahmenbedingungen schaffen, bei denen sich mehr Menschen durchaus vorhandene Kinderwünsche auch tatsächlich erfüllen können. Also müssen wir insbesondere zwei Bereiche, für die nicht allein die Politik zuständig ist, anders organisieren. Wir brauchen eine familienfreundliche Arbeitswelt, also flexible Möglichkeiten für Menschen, die Familien haben und betreuen wollen und die deswegen auf eine entsprechende Arbeitswelt angewiesen sind. Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung und eine bessere Kinderbetreuung. Um die Betreuungssituation zu verbessern und Bildungschancen zu erhöhen, hat die Bundesregierung - auch als Konsequenz aus der PISA-Studie - ein Programm aufgelegt, mit dem wir den Bau von Ganztagsschulen mit 4 Milliarden Euro innerhalb von vier Jahren anschieben wollen. Wir erwarten zudem - auch das ist nur fair, wenn man es hier betont - , dass die Kommunen 1,5 Milliarden Euro aus der Entlastung durch Hartz IV in den Ausbau der Tagesbetreuung für die unter Dreijährigen investieren.

Meine Damen und Herren, wir müssen eine Verbesserung der Kinderbetreuung erreichen - aus dem einen Grund, den ich bereits genannt habe, aber es gibt noch einen anderen. Wir können es uns in unserer Gesellschaft nicht leisten, wenn erstklassig ausgebildete Frauen gegen ihren Willen - sie sollen das frei entscheiden dürfen - nicht arbeiten können, nur weil es keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten gibt. Diese Frage wird ja gerne unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit diskutiert, und das ist auch richtig. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass es eine volkswirtschaftliche Verschwendung ist, wenn die Kreativität, die Leistungsbereitschaft und die erstklassige Ausbildung von Frauen in unserer Gesellschaft nicht genutzt werden können. Wer glaubt, meine Damen und Herren, diese volkswirtschaftlich bedeutsame Frage allein über Zuwanderung lösen zu können, der irrt kräftig. Mit dem modernen Zuwanderungsrecht können wir Zuwanderung, die wir brauchen, steuern. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, den zu erwartenden Fachkräftemangel könnte man allein über Zuwanderung ausgleichen. Das würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft bei weitem übersteigen. Auch deshalb brauchen wir die Maßnahmen, die ich genannt habe. Für die Unternehmen, die sich schon jetzt und in wenigen Jahren noch mehr um knappe Spitzenkräfte sorgen, sind Frauen wichtige Arbeitskräfte von morgen.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch eine Bemerkung zur Föderalismusreform machen. Die zunehmenden Kompetenzverflechtungen zwischen Bund und Ländern schränken den jeweiligen Handlungsspielraum immer stärker ein und verlangsamen Entscheidungsverfahren, die wir eigentlich schneller machen müssten. Hinzu kommt, dass wir es uns auch als Mitglied der Europäischen Union nicht länger leisten können, diese langwierigen und schwierigen Entscheidungsverfahren beizubehalten. Wir sind uns deshalb darüber einig, dass der deutsche Föderalismus - eine Errungenschaft, ohne jeden Zweifel - beibehalten werden muss, aber er muss dynamischer und effizienter werden. Deutschland - ich bin davon überzeugt - kann nur als Bundesstaat organisiert werden, mit starken und für den Gesamtstaat verantwortlichen, aber eben auch handlungsfähigen Bundesinstitutionen. Wenn es einen Sinn dieser Föderalismusreform gibt, dann auch den, dass durch die Reform - ich wünsche mir wirklich, dass sie umgesetzt wird - nicht nur mehr Handlungsfähigkeit errungen wird, sondern auch klarer wird, wer was wo verantwortet. Das Auseinanderfallen von "Handeln können" im rechtlichen Rahmen und "Verantworten müssen" ist ein Problem. Die Bürgerinnen und Bürger interessiert die Sache, die sie berührt, und sie verweisen bei Veränderungen gerne auf den Gesamtstaat, ohne dass der Gesamtstaat in allen Bereichen objektiv handlungsfähig wäre, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen andere sind. Das führt natürlich zu Schwierigkeiten in der Politik. Deshalb ist es wichtig, diese Entflechtungen vorzunehmen, zum einen der Effizienz der Entscheidungen wegen, aber vor allen Dingen auch deshalb, weil nur auf diese Weise "Handeln können" und "Verantworten müssen" zusammengebracht werden können. Eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung bleibt also erforderlich, um die Reformfähigkeit unseres Landes zu stärken.

Meine Damen und Herren, das 100-jährige Bestehen des Deutschen Städtetages ist, jedenfalls für mich, ein willkommener Anlass, um mit Ihnen zusammen für die Stärkung der Kommunen einzutreten. Die Bundesregierung wird den Kreisen, Städten und Gemeinden dabei auch weiterhin ein verlässlicher Partner sein. Wenn ich "weiterhin" sage, dann meine ich das auch so, meine Damen und Herren, damit das völlig klar ist. Ich habe Verständnis dafür, dass der Beifall gemischt ist, aber Sie haben Verständnis für das, was ich hier an wegweisender Aussage zu treffen hatte.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass es im Staatsaufbau unerlässlich ist, das Subsidiaritätsprinzip effizienter zu machen, aber eben auch, es zu bewahren. Das führt dann auch dazu, dass ich mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit bei der Lösung der Probleme unseres Landes freue. Das ist auch der Grund, aus dem ich ihrem Städtetag, den Beratungen, aber auch den heute Abend beginnenden Feierlichkeiten allen Erfolg wünsche. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für den Empfang und für die Möglichkeit, hier vor Ihnen zu reden!